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Wie Yoga das Leben
Tag für Tag bereichert
Yoga ist eine Lebenskunst
Yoga ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Millionen Menschen praktizieren heute Asanas, die Körperübungen. Nur wenige wissen jedoch, dass der Yoga ein zutiefst ganzheitliches Denk- und Übungssystem anbietet, das den Menschen in all seinen Aspekten anspricht.
Yoga zu machen heißt, bewusst im Hier und Jetzt zu leben. Yoga lehrt uns, den Geist so stabil und ruhig werden zu lassen, dass er den gegenwärtigen Augenblick ganz erfassen kann. Yoga lehrt uns, das Leben mit Klarheit, Achtsamkeit und Freude zu führen, Tag für Tag – unter besonderen Umständen, aber vor allem im Alltag. Yoga ist ein Weg zu wahrer Lebenskunst: Werden Sie also eine Alltags-Yogini, ein Alltags-Yogi!
Dazu brauchen Sie nicht einmal eine Yogamatte auszurollen oder die Kleidung zu wechseln. Der Yoga ist in erster Linie eine Lebensphilosophie, die sich im Denken und Handeln ausdrückt. Und dann ist er auch noch ein Körperübungssystem, eine hervorragende Atemschulung und ein Weg zu mehr Sammlung, innerer Ruhe, Meditation. Das bedeutet, dass wir keineswegs besonders fit oder beweglich sein müssen, um mit dem Yoga zu beginnen! Tatsache ist, dass die meisten Menschen gerade dann beginnen, sich für Yoga zu interessieren, wenn es ihnen nicht so gut geht. Sie erhoffen sich Linderung ihrer Beschwerden, wenn der Rücken oder Nacken schmerzt, und Hilfe, wenn der Geist nicht mehr zur Ruhe kommt, vielleicht sogar der Burnout droht. Denn Yoga steht im Ruf, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen, nicht nur seine Symptome, und auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene hilfreich zu sein.
Das führt dazu, dass Yoga heute mehr und mehr als Therapie verstanden wird. Auch wenn viele Übungen therapeutischen Nutzen haben, ist der Ansatz der Yogalehre aber viel grundsätzlicher. Es geht nicht nur darum, das, was schiefgelaufen ist, zu korrigieren. Der Yoga möchte uns vielmehr lehren, warum etwas schiefgelaufen ist und wie wir ein Denken und Verhalten einüben können, das förderlicher ist als das bisher erlernte.
»Jeder kann Yoga machen – solange er atmen kann!«
Pattabhi Jois (Begründer des Ashtanga-Yoga)
DIE WELT DES YOGA
Indien ist die Heimat des Yoga. Er ist ganz tief in der Kultur und Geisteswelt des indischen Subkontinents gegründet und hat dort eine wechselvolle Entwicklung durchlaufen.
Die Ursprünge des Yoga verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Es wird heute vermutet, dass die ersten Techniken, die man definitiv mit den Lehren des Yoga in Verbindung bringen kann, zwischen dem 5. und 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden, denn erst seit dieser Zeit liegen den Wissenschaftlern aussagekräftige Beweise vor. Die erste systematische Darstellung der Yogalehre finden wir in der Kathaka Upanishad, einem Lehrtext, der etwa 300 v. Chr. entstand.
Was bedeutet »Yoga«?
Der Begriff beschreibt in der altindischen Sprache Sanskrit die Wege, ihre Perspektiven und das Ziel des Yoga. Das erklärt, warum es für diesen komplexen Begriff nicht nur eine Übersetzung oder Definition gibt, sondern viele. Jede beleuchtet einen der zahlreichen Aspekte der Yogalehre.
EINHEIT UND KONZENTRATION
Die indoeuropäische Wortwurzel yuj bedeutet so viel wie »zusammenbinden, anschirren, in ein Joch spannen«. Die Wortwurzel spiegelt sich auch in den modernen Sprachen wider: Joch (deutsch), yoke (englisch) oder youk (französisch). Das Bild des Jochs zeigt uns, dass es im Yoga darum geht, auseinanderstrebende Kräfte – wie Körper und Geist – zusammenzuführen, um sich zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wird Yoga meist mit »Einheit« übersetzt.
In der Wortbedeutung von »Anjochung« verbirgt sich noch ein weiterer Gedanke. Jeder Mensch weiß, wie unstet unser Geist ist. Wenn wir ihn nicht »am Zügel nehmen«, schweift er wieder und wieder ab, ist wie ein wildes Pferd nicht zu bändigen. In diesem Zusammenhang bedeutet Yoga »Sammlung« und »Konzentration«.
LOSLASSEN UND GEISTIGE RUHE
Gleichzeitig führt uns der Yoga aber auch in einen Zustand, der uns erlaubt, alles loszulassen, was unseren Geist beschäftigt und bewegt. Dies gelingt im Verlauf der Übungspraxis immer länger und besser. In diesem Zusammenhang bedeutet Yoga »Gelöstheit« und »Gleichmut«.
Wenn ein Mensch sich in einem Zustand von Gelöstheit und Gleichmut befindet, ist sein Geist durch nichts mehr beunruhigt und wird ganz still. Dieses Stillwerden wird oft verglichen mit dem Wasser eines Sees. Ist es aufgewühlt, können wir nur die Oberfläche erkennen. Beruhigt es sich, sinken alle Sedimente auf den Boden und wir können bis auf den Grund schauen. Das Ende aller Aktivitäten, die das Wasser bewegen würden, wird im Yoga nirodha genannt.
In diesem Zusammenhang bedeutet Yoga »das Zur-Ruhe-Kommen aller Aktivitäten des Geistes«. »Yoga machen« bedeutet also ursprünglich, dass wir unseren Geist schulen. Eine solche Geistesschulung ist ein Prozess lebenslangen Lernens.
BEWUSSTES UND ACHTSAMES HANDELN
Schließlich sind fast alle Yogatraditionen, die sich über die Jahrtausende hinweg gebildet haben, der gemeinsamen Ansicht, dass Yoga jede Form bewussten und achtsamen Handelns ist. Dieses Verständnis von Yoga ist wirklich ganzheitlich, denn es umfasst unser Denken, Fühlen und Handeln und zeigt sich gleichermaßen im Körper, im Atem und im Leib.
In einem bewussten und achtsamen Zustand sind wir uns unserer selbst in jeder Hinsicht bewusst. Das ist der Yogaaspekt, der sich besonders gut im Alltag einüben lässt. Je bewusster und achtsamer wir werden, desto mehr werden wir zu uns selbst finden und lernen, aus unserer ruhigen Mitte heraus zu leben. Das ist Yoga!
Befreit zum wahren Selbst
Der Yoga ist ein Weg, der uns von außen nach innen führt. Er eröffnet uns unsere innere Welt als den Ort, wo wir ganz zu uns kommen und in uns ruhen können.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden rund um einzelne herausragende Lehrerpersönlichkeiten viele unterschiedliche Lehrtraditionen und Schulen des Yoga gegründet. Die heute bekanntesten, direkt aus Indien stammenden Traditionen sind die von Sivananda, Iyengar, Krishnamacharya und seinen Schülern sowie Pattabhi Jois (Ashtanga-Yoga).
Hinzu kommen moderne Yogarichtungen, die im Westen entwickelt wurden, wie Anusara, Jivamukti, Kundalini, Bikram, Power-Yoga und viele mehr. Auch wenn jede Tradition und Schule einen anderen Aspekt des Yoga in den Vordergrund stellt, sind sich doch sämtliche Yogalehren einig in dieser Erkenntnis: Leben bedeutet Leiden. Deswegen zielen sie alle darauf ab, uns Wege aus der Erfahrung des Leids zu zeigen.
WEGE AUS DEM LEID
Wie kommen die Yogis (und übrigens auch die Buddhisten) zu der Behauptung, dass alles Leben Leid bedeutet? Ihre Behauptung gründet auf Beobachtung. Jeder Mensch kann bei sich selbst und anderen beobachten, dass wir die unausweichliche Konfrontation mit Krankheit, Alter und Tod als leidvoll erfahren.
Abwehr und Verdrängung erzeugen Leid
Die alten Yogameister stellten fest, dass die einzige Konstante im Leben die Verwandlung ist – im Yoga parinama genannt. Nichts währt ewig, nichts können wir auf Dauer festhalten: weder unseren Besitz und unsere Gesundheit noch unsere Spannkraft oder Lebensdauer. Dazu kommt die ständige Unsicherheit, weil wir nie wissen, auf welches Schicksal wir zusteuern und was uns im nächsten Augenblick erwartet.
Da unser Geist durch diese Gegebenheiten äußerst beunruhigt wird, tun wir in der Regel alles, um die Realität zu verdrängen und aus unserem Bewusstsein auszublenden. Weil wir dem Leben aber nicht »ausweichen« können, treffen uns die Veränderungen immer wieder unerwartet und mit voller Wucht. Doch gerade durch das Wegsehen und scheinbare Vermeiden erschaffen wir uns ständig aufs Neue Leid.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist unser Umgang mit dem Älterwerden. Kein Mensch kann den körperlichen Veränderungen entkommen, die damit einhergehen, aber trotzdem wollen die meisten von uns das nicht akzeptieren und tun fast alles, um den Alterungsprozess aufzuhalten. Dann leiden wir unter der ganzen Anstrengung, unter Ärger, Ängsten und geringem Selbstwertgefühl.
Yoga lehrt uns Lebenskunst
Keiner hat uns je beigebracht, das Leben so, wie es ist, anzunehmen und genau hinzuschauen, geschweige denn, uns bewusst dem Strom des steten Wandels anzuvertrauen, um mit ihm zu fließen und uns in ihm immer wieder neu zu erschaffen. Der...