Vorwort
Gleich zu Beginn das Wichtigste: Beethoven war Bonner! Er wurde in Bonn geboren, am 16. oder 17. Dezember 1770, und sein Herz hat immer an Bonn gehangen. Egal, was er tat, schrieb, sagte: Er hat es als Bönnsche Jung getan. Dass seine Karriere in Wien überhaupt geklappt hat, hat damit zu tun, dass er als Bonner überall in der Welt zurechtgekommen wäre – selbst in Bonn! Deshalb muss ich als Wahlbonner aus Südtirol natürlich erst mal was zum Bönnschen in Beethoven und zum Verhältnis dieser Stadt zu ihm schreiben, weil das in allen Biographien ziemlich untergeht.
Das fängt schon mal damit an, dass das ›van‹ eine hübsche rheinische Charade ist: kein richtiges ›von‹, aber ein bisschen mehr als gar nichts ist es doch! Und das bei einem, der – wie jeder richtige Rheinländer damals und heute – natürlich Republikaner war. Wenn der Münchner oder der Wiener heute noch Chromosomal-Monarchist ist (von denen kann ja keiner ohne Krönchen leben), war die rheinische Art auch zu Beethovens Zeiten schon ein bisschen anders: Man ertrug die Monarchen, mochte sie aber nur dann, wenn man mit ihnen abends auch mal ein Kölsch trinken konnte. Andernfalls konnten sie dem Rheinländer ›dä Mai piefe‹ (den Mai pfeifen = den Buckel runterrutschen).
Und Ludwig van Beethoven war geradezu ein Parade-Republikaner. Vielleicht noch nicht während seiner Zeit in Bonn. Aber in Wien, wo jeder Laternenanzünder ein kaiserlich-königlicher war und wo mit Hofratstiteln die Straßen gepflastert wurden, schliff sich sein rheinisch-republikanisches Politikverständnis zu einer Waffe, die auch seinen Werken innewohnt. Das spürten die Zeitgenossen und reagierten darauf. Mit Jubel die einen, mit Verständnislosigkeit die anderen, weil neben der musikalischen Größe eben auch die politische Botschaft verstanden wurde: Bei der Suche nach einem musikalischen Ausdruck für die Menschheit kann es kein oben und unten geben, sondern nur ein »Alle Menschen werden Brüder«.
Für mich ist diese Dimension Beethovens ohne seine rheinische Jugend nicht erklärbar. Wir wissen, dass es eine schlichte, einfache Jugend war und schon dem Kind rheinische Weetschafte nicht unbekannt waren – und damit auch das dominante Gefühl an rheinischen Theken: Hier sind alle gleich. Oder anders gesagt: Unser Ludwig muss im kaiserlich-königlichen Wien, wo er täglich mit Fürsten, Adel und Jedönsräten konfrontiert war, schon beim Aufstehen esu ene Hals gehabt haben. Umso mehr, als er auf sie angewiesen war.
Insofern ist es eine, wie ich finde, lohnende Aufgabe, den rheinischen Wurzeln im Werk Ludwig van Beethovens nachzugehen. Ohne diesen »rheinischen Teppich« ist zumindest eine Geschichte gar nicht auslotbar, nämlich die Geschichte, die Bettina Brentano berichtet hat, die ich aber hier lieber Beethoven selbst in den Mund legen möchte:
»Wie ich in Teplitz ens der Goethe jetroffen habe, sind mir spazierenjejangen, un da kamen uns die Kaiserin von Österreich mit dem janzen Hofstaat und Jedönsräten und allem entjejen und der Goethe wollte denen schon Platz machen. Da hab ich für der Goethe jesagt: ›Bleibt nur in meinem Arm hängen, sie müssen uns Platz machen, wir nicht.‹ Aber dem Goethe wurde dat mit jedem Schritt unanjenehmer, er reißt sich plötzlich von mir los, tritt an die Seite und zückt der Hut bis zur Erde. Ich möchte mal sagen: ein Bild des Jammers, ne. Dieser Dichter, und dann der Hut bis zur Erde! Ich natürlich mitten durch durch die janze Bagage, kurz der Kaiserin zujenickt, hatte sich der Fall. Die haben sich auch alle brav verneigt und mich jejrüßt. Paar Schritte bin ich weiter jejangen und hab dann auf der Goethe jewartet. Und wie der kam, hab ich ihm jesagt, damit er es sich auch merkt: ›Auf Sie hab ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, ne, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre anjetan.‹ Hehe – hatte der natürlich einen Satz roter Ohren!«
So oder so ähnlich hat unser Ludwig die Geschichte im Wiener Griechen-Beisl oder im Sauerhof in Baden bei Wien wahrscheinlich erzählt.
Das Verhältnis der Städte Bonn und Wien zu Beethoven erinnert mich sehr an die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär geworden ist. Leider! Denn der Tellerwäscher hatte zwar Kollegen und Freunde, als er Tellerwäscher war, aber selten feiern diese den späteren Millionär als einen der ihren. Und die Millionäre feiern ihn auch kaum, weil er ja mal Tellerwäscher war.
Die Wiener haben Millionen Anlässe zu feiern, die brauchen kein eigenes Beethovenfest. Die Bonner hätten allen Grund zu feiern, bekommen es aber mangels Masse nicht mit Grandezza hin. Den Wienern langt das Heiligenstädter Testament und eine betagte Aufseherin im Beethoven-Museum, die lieber im Schubert-Haus ihren Dienst verrichten würde (»Und was is? I häng da beim Beethoven umanand, dabei vergötter ich den Franzl!«); die Bonner tun sich schon schwer damit, Beethovens Geburtshaus vernünftig in Szene zu setzen. Zugegeben: Die Dinge haben sich gebessert, aber sie sind noch lange nicht da, wo sie sein könnten.
Gut, könnte man sagen, selbst schuld. Wer sich sein Leben lang zu allen querlegte wie der pockennarbige Beethoven, muss sich nicht darüber wundern, wenn die Nachwelt ihn vernachlässigt. Wie gesagt: Die Tellerwäscher würden einen der ihren sicher feiern, wenn er einer der ihren geblieben wäre. Nur: Wäre Ludwig Tellerwäscher, also in Bonn geblieben, wäre sein Ruf sicher branchenintern geblieben, das heißt: bönnsch. Und da liegt der Hase im berühmten Pfeffer. Die Provinz verzeiht nur schwer, wenn einer der ihren sie verlassen hat. Und genau das ist, glaube ich, der Grund, warum die Bonner mit Beethoven nicht so wirklich zurechtkommen.
Das ist natürlich nicht nur ein Bonner Phänomen. Oft sind es die unscheinbarsten Käffer, die einmal in ihrer Geschichte zu den Sternen greifen und – schwupp – ein Genie in die Welt spucken. Eben noch war die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Impressionisten gerichtet, da erblickt in Wie-hieß-das-Kaff-noch-gleich? Pablo Picasso das Licht der Welt (es war Málaga). Oder Plön und Carl Maria von Weber, Kerpen und Michael Schumacher, Zwickau und Robert Schumann, Andernach und Charles Bukowski, Bonn und … und … ach ja: Ludwig van Beethoven.
Gut, neben Beethoven hat Bonn schon noch einiges zu bieten: Luigi Pirandello war dort; August Macke hat dort mit Franz Marc sein wundervolles (und einziges) Fresko gemalt (das nach Münster ins Westfälische Landesmuseum verkauft wurde, weil die Stadt Bonn kein Geld dafür hatte); die erste Leber wurde von Dr. Gütgemann, einem waschechten Bonner, in Bonn transplantiert (Kölschtrinker ahnen: Wo denn sonst?!) – und auch Johann Peter Salomon, der Haydn nach London gebracht, dort seine Konzerte organisiert und den Namen »Jupiter-Symphonie« erfunden hat, war gebürtiger Bonner (was in Bonn übrigens außer den Profis keiner mehr weiß). Also ein bisschen mehr als Zwickau oder Kerpen isset schon.
Aber wenn ich mich so umschaue, was Bonn alles für Beethoven tut, muss ich feststellen: nicht so viel! Festspiele, die niemanden in Atem halten, ein Archiv, das immerhin eine Hausnummer von der Stadt erhalten hat (damit fängt ja Förderung an: zu wissen, wo das zu Fördernde überhaupt ist!), ein Geburtshaus, das dezent versteckt wird, damit es von Besuchern nicht abgenutzt werden kann. Un noch netens Teilchen mem Namen vom Ludwig gibt es (müssten ja nicht gerade Beethovenkugeln heißen wie die Mozart-Teile in Salzburg, Ludwigs Muuzen tät’s ja auch).
Ja, ja, es ist in den letzten zehn Jahren besser geworden. Aber Bonn geht mit Beethoven immer noch um wie mit einem, der vergessen hat, sich beim Einwohnermeldeamt abzumelden: Ist zwar hier gemeldet, aber lebt doch eigentlich in Wien, also sollen die doch gucken.
Daran sind allerdings nicht die Bonner allein schuld. Es liegt auch an Anton Schindler, dem langjährigen »persönlichen Referenten« Beethovens (bis zu seinem Tod und – selbsternannt – weit darüber hinaus!) und großen Biographie-Verzerrer. Und es liegt am 19. Jahrhundert mit seiner monumentalen Denkmal-Verehrung der »deutschen« Größen – ich sage nur »Deutsches Eck«, Porta Westfalica, Arminius, Niederwald, Walhalla et cetera et cetera. Kurz: Die Philosophie des »Am-deutschen-Wesen-soll-die-Welt-genesen« hat niemandem gutgetan, am wenigsten den Künstlern.
Heinrich Heine beschreibt übrigens Herrn Schindler so:
»Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens, l’ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Krawatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethovens wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm eine Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sahen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den ami de Beethoven. ›Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!‹ riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, daß Beethoven taub war.«
Die beiden (Schindler und das 19. Jahrhundert) haben aus Beethoven jedenfalls einen derartigen Superman...