Unbestreitbar wichtig ist der Einfluss des Fernsehens auf den Mangakonsum. Den Fernsehanimes soll deshalb eine ausführlichere Betrachtung gewidmet werden.
Die Vermarktungsstrategien des Manga in Japan zielen darauf ab, dass ein erfolgreicher Manga folgende Entwicklungsstufen durchläuft:
1. Serie in einem Magazin (z.B. Shônen Jump),
2. Buchausgabe in hoher Auflage,
3. Liebhaberausgabe in niedriger Auflage,
4. Fernsehserie,
5. Kinofilm,
6. Merchandize, usw.
In diesem Zyklus, der sich bei entsprechender Popularität immer wieder von vorne beginnen lässt, ist vor allen anderen die Erscheinungsform als Fernsehserie dazu geeignet ins Ausland verkauft zu werden. Während Leserichtung, Seitengliederung und die japanische Sprache in der Regel verhinderten, dass deutsche Comicverlage Manga in ihr Sortiment aufnahmen, mussten japanische Zeichentrickserien nur neu synchronisiert und gegebenenfalls etwas umgeschnitten werden. So gelangten Serien wie ‚Biene Maja’, ‚Nils Holgerson’ usw. ins Kinderfernsehen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Italien oder der Schweiz wurden durch deutsche Fernsehkanäle vor den 1980’ern hauptsächlich eigens für das Ausland produzierte Animeserien gezeigt[79]. Der Grund dafür war einfach:
„Ihre prekäre Finanzlage […] zwingt die Programmgestalter, Pakete ausländischer Billigstproduktionen anzukaufen.“[80]
Japan war der wichtigste Billigproduzent von Animationsmaterial in der damaligen Zeit.
Der Ankauf von Programmpaketen war verbunden mit einer nie da gewesenen Vermarktungswelle:
„Verglichen mit dem, was von der „Heidi“ - Serie an auf die Eltern und Kinder hereinbrach, war die „Sesamstraße“ - Vermarktung geradezu lückenhaft und ‘vorindustriell’ organisiert.“[81]
Es gab Heidi auf Tassen, Bettwäsche, Kleidung, Malbüchern, Hörspielkassetten, Geschirr und so weiter. Dabei blieb es aber bei direkten Nebenprodukten der Serie (dazu sind Bilderbücher, Hörspielkassetten usw. zu zählen) und Dekor (auf allen Gegenständen, die auch ohne ‚Heidi’ ihren Gebrauchswert behalten, also alles vom Kugelschreiber bis zum Kopfkissen). Mit späteren Serien sollte sich das ändern.
„Weit über 100 „Heidi“ - Nebenprodukte gab es: […]“[82]
Das lässt sich auf einen simplen Nenner bringen:
„Es scheint […], daß das (Kinder-)Fernsehen als Promotor für die Weiter- und Sekundärverwertung bestimmter Stoffe und Figuren dient.“[83]
Daran hat sich im Grunde bis heute nichts geändert, hat aber eine weitere Dimension hinzugewonnen, was man sich am Beispiel von ‚Yu-Gi-Oh!’ gut veranschaulichen kann: Nicht allein, dass man ‚konventionelle’ Produkte (Bettwäsche, Computerspiele etc.) damit besser verkauft, es kamen auch völlig neue Produkte heraus, die ausschließlich im Kontext des Manga / Anime verwendet werden konnten. Man denke hierbei nur an die Armschiene aus Plastik, die dem Benutzer erlauben soll im Stehen (und ohne andere Hilfsmittel wie zum Beispiel einen Tisch) das ebenfalls käufliche ‚Yu-Gi-Oh!’ – Kartenspiel zu spielen. Diese Schiene ist weit davon entfernt, einfach nur schmückendes Dekor zu sein. Die Fernsehserie entstand überhaupt erst, als das Kartenspiel schon auf dem Markt war.
Serien wie ‚Biene Maja’, die in Koproduktion mit Taurus Film (geführt von Leo Kirch) entstanden, waren ausschließlich auf ein Kinderpublikum zugeschnitten. Aber den Fernsehgewohnheiten der Zeit entsprechend lernten auch Eltern, die ihren Kindern kein unbeaufsichtigtes Fernsehen zumuten mochten, die Serien zu schätzen.
1980 kam mit Captain Future eine Serie ins Fernsehen, die schnell zum Kult wurde und bis heute treue Anhänger hat. ‚Captain-Future-Nächte’ in München und anderswo zeigen das. Eine neue Richtung zeichnete sich ab, in der japanische Trickfilme auch primär für ein erwachsenes Publikum interessant wurden. In dieser Zeit entstanden europäische Filme wie ‚Time Masters’ von Rene Laloux und Moebius aus dem Jahr 1982, ebenfalls mit einer SciFi-
Thematik und die Zeichentrickversion des ‘Herrn der Ringe’ von Ralph Bakshi, die 1978 erschien.
Japan traf also mit seinen Anime durchaus auch den Zeitgeschmack im Westen, europäische und amerikanische Produkte wie ‚Tom & Jerry’ oder ‚Familie Feuerstein’ waren aber immer noch der Normalfall. Probleme hatte man nämlich in den westlichen Sendestationen vor allem da, wo Fernsehanimes das Gesetz der Serie brachen und chronologisch Folge auf Folge aufbauten, anstatt eine beliebige Einstiegsmöglichkeit zu schaffen. Dennoch wuchs mit dem Anteil des Kinderfernsehens und neuen Sendeanstalten auch der Anteil der Animes. Der alte Sender ‚Tele 5’ ist dafür das beste Beispiel.
Ralf Vollbrecht führt in seinem Aufsatz für die Jahre bis 2001 folgende Animeserien an[84]: ‚Biene Maya’, ‚Heidi’, ‚Pinocchio’, ‚Die Königin der 1000 Jahre’, ‚Rock’n’Roll Kids’, ‚Mila Superstar’, ‚Hikari’, ‚Captain Future’, ‚Cat’s Eye’, ‚Die Macht des Zaubersteins’, ‚Sailor Moon’, ‚Die Champions’, ‚Kickers’ und ‚Captain Tsubasa’. Fast alle sind den Fans bis heute ein Begriff.
Die Situation änderte sich erneut 1991, als der Anime ‚Akira’ in die Kinos kam (und auch als Manga verlegt wurde). Der Anime um eine Gruppe von Jugendlichen, die sich im Japan der nicht allzu fernen Zukunft in wechselnden Koalitionen mit der Macht des Systems und mit außersinnlichen Kräften herumschlagen müssen, war mit einem Mal Symbol für eine fortschrittliche Ästhetik und Dynamik im Trickfilm.
Mit ‘Akira’ begann auch der Markt mit OVA’s an Größe zu gewinnen und beeinflusste tiefgreifend die Vorstellungen von Anime und Manga als Medien, die hauptsächlich Gewalt und Sexualität beinhalten[85].
Im Fernsehen wurde ab Oktober 1995 ‚Sailor Moon’ auf ZDF gesendet (erst Freitag um 14.15 Uhr, dann am Samstagmorgen), hatte aber im Vergleich zur späteren Ausstrahlung auf RTL 2 recht geringe Einschaltquoten. Das wird manchmal auf den ungünstigen Sendeplatz zurückgeführt, doch Beispiele aus den USA zeigen, dass Fans auch bereit dazu sind um halb sechs am Morgen aufzustehen, um ihre Lieblingssendung zu sehen (Um 5:30 Uhr lief die Serie auf dem WNAC-Channel 64 in Providence[86]). Wahrscheinlicher ist, dass sich das Image des Senders für die meisten potentiellen Fans nicht mit der Exotik der Serie verbinden ließ. Sailor Moon begann dennoch die ersten Fans anzuziehen. Darunter sowohl überwiegend männliche OVA-Fans, aber auch Mädchen, die erst mit Sailor Moon auf Animes aufmerksam wurden.
1996/97 hatte Sailor Moon dann den Durchbruch auf RTL 2. Parallel dazu begann auch der Siegeszug des Manga. Ein Blick auf Frankreich zeigt, wie es sich auswirkt, wenn Animes aus dem Fernsehprogramm verschwinden. Es gibt dadurch kaum weniger Mangaleser, aber unter diesen finden sich mehr Männer.
‚Ghost in the Shell’, ein weiterer Anime, den man ähnlich wie ‚Akira’ vor allem als ästhetisches Meisterwerk feierte, wurde in Deutschland erstmals auf der Berlinale 1996 gezeigt und 1997 fand vom 30.01. bis 05.02. in den Berliner Kinos ‚Eiszeit’ und ‚Central’ das erste Anime-Festival statt.[87]
Diese und andere Ereignisse halfen Anime bekannt zu machen, aber bis heute kommen nur solche Filme ins Kino, die einen Verkaufserfolg zu garantieren scheinen, so zum Beispiel ‚Chihiros Reise ins Zauberland’, ‚Prinzessin Mononoke’, ‚Das wandelnde Schloss’ oder die Pokemon-Filme.
Auch in Spartenkinos findet man kaum mehr Angebot, was zum Teil daran liegen mag, dass das japanische Animationskino zwar weltweit erfolgreich ist, die Filmbranche dort insgesamt aber weit hinter dem Einfluss Hollywoods zurückbleibt und keinen leichten Stand hat.
Zusammenfassend lässt sich feststellen dass Kinoanimes kaum gezeigt werden und somit wenig Einfluss hatten, die Fernsehanimes dafür aber die Initialzündung für das Interesse an Mangas lieferten. Dass die Manga-Maschinerie nun aber ohne das Fernsehen auskommen kann zeigt das Beispiel Frankreichs.
Wenn vor dem Mangaboom Zeichenprodukte aus Japan in Presse und Wissenschaft wahrgenommen wurden, dann handelte es sich fast ausschließlich um Trickfilme. Im ‚Comic Jahrbuch 1988’ wird „[…] die sterile Grafik des japanischen Zeichentrickfilmers Osamu Tezuka[…]“ erwähnt. Dieser war hauptsächlich Mangaka und seinen Zeichenstil als ‚steril’ zu bezeichnen zeigt wie auch beim Beispiel ‚Barfuß durch Hiroshima’, dass die Zeit noch nicht reif war für Manga in Deutschland.
Nimmt man das 1986...