PLÄDOYER FÜR DIE BELANGE VON HUND UND MENSCH
Ja, Hunde leben in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Menschen. In unseren Seminaren fügen wir gern scherzhaft hinzu: „Selbst schuld. Sie hätten ja Wölfe bleiben können. Wer sich freiwillig menschlichen Siedlungen nähert und sich quasi im ersten Schritt selbst domestiziert, darf sich nachher nicht beschweren, seine Freiheit verloren zu haben.“ Nun gut, so argumentieren wir „Kaniden-Gucker“.
VON EINEM EXTREM INS ANDERE
Ein Hundeleben ohne Menschen oder andere Hunde?
Erst hieß es, der Hund bilde keine Rudel. Neuerdings muss man Wolf und Hund wieder 1:1 gleichsetzen, weil deren angebliche Rudelstellungen gleich seien. Manche Menschen haben sogar die abstruse Hypothese konstruiert, es sei für Hunde „artgerechter, sie wieder wild und komplett eigenständig raus in die freie Natur zu entlassen“. Das soll die hundliche Alternative zum „Rundum-sorglos-Paket“ unter den Fittichen des Menschen sein? Eine solch merkwürdige Denkweise entbehrt jeglicher Logik. Hunde sind doch nicht doof! Die Domestikationsgeschichte des Hundes spricht jedenfalls eine gänzlich andere Sprache. Der Hund war nämlich – konsequent flexibel und anpassungsfreudig – schlau und opportunistisch genug, mit dem Menschen ein Bündnis einzugehen, das ihm deutlich mehr Vorteile als Nachteile bietet. Auf Lebenszeit. Und so ganz nebenbei: Wo genau gibt es in Deutschland überhaupt noch „freie Natur“? Abgesehen davon, dass jeder, der zum Aussetzen von Haushunden auffordert, sich unter Berücksichtigung der deutschen Gesetzeslage haarscharf am Rande der Illegalität bewegt!
BRAUCHEN HUNDE ARTGENOSSEN?
Damit umgekehrt auch kein Schuh daraus wird: „Eigentlich“ brauchen Hunde neben festen Menschenkontakten mit Kontinuität sowie neben Bindungsbeziehungen mit Tiefgang, die soziale Sicherheit schaffen, dringend auch Kontakte zu Artgenossen, Groß und Klein, Jung und Alt. Hunde sind bemüht, im Rahmen interaktiver Begegnungen ihre Stimmungen, Absichten und andere sozio-emotionale Belange zu kommunizieren. Dieses gern auch im spielerischen Kontext. Sozialspiele bieten sich an, herauszufinden, wie weit man momentan gehen kann und mit wem man es zu tun hat. In der realen Umwelt des gemeinen Haushundes geht es neben der Befindlichkeit, dem Menschen nahe zu sein, auch um das Erlernen gewisser Bewältigungsstrategien.
Braucht deshalb ein beispielsweise siebenjähriger, auf Artgenossen unzureichend sozialisierter Tierheimhund mit jeder Menge schlechter Erfahrungen, auf Teufel komm raus „Spielgelegenheiten“ mit anderen Hunden? Nö, die braucht er nicht! Einen solchen Hund zu Hause oder draußen unterwegs auf der Hundewiese fast schon zwanghaft zu animieren („Nun lauf und geh schön spielen“), weil man das im Sinne der hundlich artgerechten Glückseligkeit „so macht“, überzeugt unseren Beispielshund aus dem Tierheim ganz und gar nicht. Die Belange des Haushundes unterscheiden sich schließlich individuell. Das predigen wir seit Jahrzehnten. Innerlich gefühlt ist dies ohnehin jedem Hundemenschen klar. Warum handeln wir nicht danach?
HUNDEKONTAKTE
Sprechen wir, wie in diesem Buchabschnitt, in erster Linie von generell hundetypischen Belangen, so sollte jeder Mensch, der die Pauschalmeinung vertritt, Hunde bräuchten nur den Menschen und sonst nichts, schon genau wissen, wie sich soziales Verhalten entwickelt. Junge Hunde, die Kontakte mit Menschen und Hunden haben, wachsen idealerweise „zweisprachig“ auf. Und das ist gut so. Denn diejenigen Vierbeiner, die aus Gründen des falschen Hundeverständnisses oder einfach nur aus reiner Unbedarftheit des Menschen, keinen Kontakt zu Artgenossen haben sollen oder können, treffen in ihrem Leben irgendwann sowieso auf ihresgleichen. Garantiert, nur hoffentlich nicht unvorbereitet. Menschlichen Egoismus in den Vordergrund zu stellen, indem der ausnahmslos mit seinem Mensch umherziehende Hund zum allzeit „glücklichen“ Zeitgenossen erklärt wird, halten wir für fatal. Ständig allem aus dem Weg zu gehen, was Probleme bereiten könnte, kann auf Dauer erheblich stressiger werden – für Mensch und Hund.
Bestimmte Bedürfnisse des Hundes sind unabdingbar, weil sonst der Hund irgendwann der Dumme ist und unsere Fehler „ausbaden muss“. Hat zum Beispiel ein Jungrüde nie gelernt, sich im Rahmen interaktiver Verhaltensabläufe mit anderen Männchen situativ unterzuordnen oder womöglich noch „deren“ Hündinnen besser nicht zu belästigen, bekommt er Ärger. Wer kein sozial angemessenes Verhalten kennt, darf sich nicht beschweren, wenns gehörig kracht. Unsere Owtscharka-Hündin Raissa „liebt“ übrigens genau solche „Weltmeister-Rüden“, die offensichtlich nie umsichtig sozialisiert wurden und meinen, ohne Konsequenzen auf jedes Hundeweibchen aufsteigen zu können.
Nach unserem Hundeverständnis haben vor allem Jungtiere das Recht, „richtiges“ Sozialverhalten als Mitglied einer bestimmten Art ausgiebig kennenzulernen und innerhalb der Gruppe, in der sie aufwachsen, Rückschlüsse zu ziehen. Sozialisation ist allerdings auch als mehrstufiger Prozess zu verstehen, weil Hunde sich sowohl in einer arteigenen als auch nichtarteigenen Umgebung zurechtfinden müssen. Für Welpen und jugendliche Tiere, die in sozialen Mischgruppen Mensch-Hund plus Katze, plus Meerschweinchen, plus Kakadu, plus … zusammenleben, wirkt sich die jeweilige Gruppenzusammensetzung stark auf ihr späteres Sozialverhalten aus. So lassen beispielsweise Jungtiere, die im Sozialisationsalter nie mit gleichaltrigen Hunden unterschiedlichen Geschlechts ausloten konnten, was man sich herausnehmen darf und was nicht, soziales Verständnis mitunter stark vermissen. Die Folge ist dann oft „leichter Größenwahn“.
NICHT VERHALTEN GEHT NICHT …
… drum prüfe, was du tust!
„Eigentlich“ liebt es der gemeine Haushund, zahlreiche Möglichkeiten zum Imitationslernen zu erhalten. Lernen am Modell. Und Hunde lernen unser alltägliches, übliches verbales und nonverbales Verhaltensmodell in der Tat außerordentlich nachhaltig, indem sie genau beobachten und anschließend vordergründig versuchen zu kopieren, was sich zu imitieren lohnt. Kommt dann im Zusammensein mit Menschen noch soziale Unterstützung in Form von Berührungsgesten hinzu, entstehen Gruppensysteme, in denen sich Hunde bestens verstanden fühlen. Überhaupt wäre es schön, wenn wir, ganz dem „Kaniden-Beispiel“ folgend, zwecks optimalem Bindungsaufbau und letztlich zur Förderung eines engen Gruppenzusammenhalts, mehr Berührungen und andere taktile Kommunikationsgesten pflegen würden.
Ganz im Gegensatz zum oft gebräuchlichen Totschlag-Argument, dass es eine „totale Vermenschlichung“ sei, Hunde zu streicheln, vertreten wir seit eh und je die Auffassung, dass Hundebesitzer und andere über eine gute Portion „emotionaler Intelligenz“ verfügen sollten. Und „Hunde streicheln“ und „Zärtlichkeiten austauschen“ ist intelligent, im sozialen Verständnis. Alles zu seiner Zeit und alles in Maßen. Was ist denn die Alternative? Hunde stattdessen als „Raubtiere“ zu betrachten? Na was „rauben“ sie denn?
Dass Hunde auf Streicheleinheiten generell gut und gern verzichten können, mag unter Behavioristen nach wie vor beliebt sein, überzeugend finden wir deren Argumente jedoch nicht. Im Grunde ist diese Sichtweise eine in der Bedeutungslosigkeit versinkende Trotzreaktion auf heutiges Wissen.
Hunde ab und zu einmal „links liegen zu lassen“ ist sicherlich wichtig und richtig. Sie gelegentlich zu ignorieren, heißt aber nicht, dass wir nichts kommunizieren. Niemand ist in der Lage, sich „nicht zu verhalten“ oder „nicht zu kommunizieren“. Wer den Hund nicht beachtend durch die Landschaft stapft, sendet auch eine Botschaft. Natürlich findet Kommunikation ursächlich nur im sozialen Miteinander statt. Dennoch durchschauen Hunde unsere Absichten besser und öfter, als uns das manchmal lieb ist. Sie wissen, wer wir sind, was wir tun und wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und wie es um unsere momentane Gefühlswelt bestimmt ist.
VORBILDFUNKTION
Imitationslernen hat viele Vorteile, aber auch einige Nachteile. Diese Tatsache gilt es vor allem beim Thema „Zusammenwirkung von Verhaltensnachahmung und Konditionierung“ zu beachten. Durch genaue Beobachtung komplexer Inhalte kann sich ein Hund soziale Verhaltensweisen und Gewohnheiten abschauen, aber eben auch antisoziale Gepflogenheiten. Der ewige Streit mit dem Nachbarn lässt im Zusammenhang mit Imitation und Konditionierung grüßen! Dem Beobachter Hund schlechtes Benehmen vorzuleben, und wenn dieser knurrt oder bellt, schlussendlich mit einem verbalen „Ist ja gut“ zu kommentieren, bedeutet, dass der Hund nach dem Prinzip der echten Imitation die aggressive Gestimmtheit seines Menschen kopiert hat und so seine Belohnung erhält. Der Hund weiß Bescheid. „Gut“ war gar nichts.
Die hundliche Wahrscheinlichkeit, Menschen nach dem Prinzip „Do as I do“ zu imitieren, sollte auch nicht von ausnahmslos „nett“ gemeinten Konditionierungsmodellen abhängig gemacht werden. „Eigentlich“ ist für Hunde die Möglichkeit zum Lernen gruppentauglicher Dinge am wichtigsten.
— Emotional weitestgehend stabile Menschen, die führungskompetent und sympathisch „rüberkommen“, werden von Hunden wahrscheinlich lieber imitiert als hemdsärmelige Vorbilder.
— Menschen, die mit sich selbst im Reinen sind, werden eher respektiert und imitiert. Vorbildcharakter haben auch deren innige Beziehungsbereitschaft und sozial freundliche Gesten.
— Sozial gesellige und authentische Menschen, die...