Der Begriff „Ethnie“ leitet sich ab vom griechischen „ethnos“ für „ Volk“. Bezogen auf Mexikos Ethnien, wird der Begriff „Ethnie/ethnische Gruppe“ häufig im Wechsel mit oder im Zusatz zu der Bezeichnung „Indigene Völker“ verwendet. In Mexiko selbst ist es üblich, Sprachgruppen als Ethnien zu bezeichnen. Tatsächlich gibt es auf der Grundlage von Sprache in Mexiko jedoch keine Gruppierungen mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit („Wir-Gruppen“), stattdessen gründet sich dieses Gefühl meist auf der Grundlage von einer Zugehörigkeit zu einer Gemeinde (comunidad).[44] Wird also im Folgenden von den Eigenschaften einer Ethnie gesprochen, muss dies im Fall Mexikos hauptsächlich auf die Eigenschaften einer Sprachgruppe innerhalb einer Gemeinde bezogen werden.
In der ethnologischen Fachdiskussion steht vor allem die Betrachtungsweise einer „Ethnie“ und damit auch der „Ethnizität“ zur Disposition. Wurde bis in die 60er Jahre hinein noch vorwiegend darum gerungen, welche Typologie von primordialen, d. h. ursprünglichen Merkmalen einer Ethnie als beispielhaft gelten kann, setzte 1969, ausgelöst durch Fredrik Barth[45] ein Paradigmenwechsel ein, der den Blick auf situationsabhängige Abgrenzungsprozesse von ethnischen Gruppen lenkte. Das primordiale Konzept stellt unabhängig von den jeweiligen Kontextbedingungen und von Raum und Zeit existierende „objektive“ Unterschiede, wie z.B. Sprache, Abstammung, Religion, Hautfarbe oder Traditionen heraus und besagt, ethnische Unterschiede und Eigenschaften seien primordial, das Individuum werde also in eine Ethnie hineingeboren.[46] Das situative Konzept betont dagegen besonders die jeweiligen sozialen, politischen und ökonomischen Kontextbedingungen von Ethnizität. Die Zuordnung zu einer Ethnie ist nach diesem Ansatz immer ein Resultat zielbewusster Handlungen und vollzieht sich nach Bedarf, sie ist nicht eine vorgegebene unabänderliche Tatsache, sondern flexibel und kontextabhängig.[47] Der Gegensatz zwischen Primordialismus und Situationalismus wird heute jedoch zunehmend zugunsten des Situationalismus aufgelöst und bildet somit einen Ansatz, der davon ausgeht, dass Ethnien bzw. ethnische Gruppen Wir-Gruppen sind, die sich durch Selbst- und/oder Fremdzuschreibung einer kollektiven Identität auf der Grundlage des Glaubens an eine Abstammungs- bzw. Schicksalsgemeinschaft konstituieren, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen miteinander verbunden sind[48] und diese primordialen Merkmale in Abhängigkeit von der Situation selektieren und somit Teil ethnischer Grenzziehungen werden lassen.[49] Erst durch einen Interaktionsprozess mit anderen Gruppen muss eine Gruppe ihre Identität behaupten lernen und dazu Kriterien und Symbole für Zugehörigkeit und Ausschluss festlegen.[50] Ethnien sind dabei nicht notwendigerweise homogen, intra-ethnische Konflikte und inter-ethnische Allianzen sind also nicht ausgeschlossen.[51]
Für den Prozess der Politisierung des Ethnischen ist hier von Interesse, wann, warum und entlang welcher Kriterien die jeweiligen, situativen Bedingungen dazu führen, dass ethnische Unterschiede für politische Mobilisierungen aktivierbar werden und schließlich zu politischen Handlungen führen.[52]
Um den Begriff der „Indigenen Völker“ [53] zu definieren wird für die vorliegende Arbeit die Definition der Vereinten Nationen, bekannt geworden als sogenannte Cobo-Definition[54], bevorzugt: „Indigene Gemeinden, Völker und Nationen sind jene, die in einer geschichtlichen Kontinuität zu den vor der Invasion und Kolonisierung existierenden Völkern stehen, die sich auf ihrem eigenen Territorium entwickelt haben und die sich selbst als unterschiedlich zu anderen Sektoren der Gesellschaften, die nunmehr in diesen Gebieten, oder Teilen von ihnen vorherrschen, betrachten. Sie stellen gegenwärtig untergeordnete Sektoren der Gesellschaft dar und fühlen sich dazu bestimmt, diese Territorien ihrer Vorfahren und ihre ethnische Identität zu bewahren, zu entwickeln und künftigen Generationen zu übertragen. Dies ist die Grundlage ihrer fortlaufenden Existenz als Volk, entsprechend ihren eigenen kulturellen Mustern, sozialen Einrichtungen und Rechtssystemen.“[55] In einigen wichtigen Punkten ergänzend dient die Definition der Konvention 169, die „indigene Völker“ bestimmt als: „in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist; Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.“[56] Die Zugehörigkeit eines Einzelnen zu einer Ethnie bzw. zu einem indigenen Volk und der darauf basierende Wille, einige oder alle „traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen“ beizubehalten, bilden die zentralen Bestandteile „des Ethnischen“ in der vorliegenden Arbeit.
Was nun „das Politische“ bedeutet, soll im Folgenden dargelegt werden. Der in der Einleitung erwähnte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bielefeld eingerichtete Sonderforschungsbereich orientiert sich an kultur- und kommunikationsgeschichtlichen Fragestellungen. Der Ansatz aus dem Projekt „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ verortet das Politische in einem politischen Raum, der als „Kommunikationsraum“ auf einer nationalen Ebene vor allem „diskursiv und symbolisch“ konstituiert wird.[57] Neben den Akteuren, den kommunikativen Modalitäten und dem institutionellen Gefüge konstituiert sich dieser politische Raum also vorwiegend aus einem Diskurs, der sich aus Semantiken und Symbolen speist, welche von bestimmten sozialen Gruppen in den politischen Raum eingebracht werden. Dabei richtet sich der Blick auch auf Mechanismen und Mittel außerhalb politischer Institutionen, insbesondere im öffentlichen Raum, wo Sachverhalte politisiert wurden.[58] Praktiken, Diskurse und Grenzziehungen sind nach diesem Ansatz dann als politisch anzusehen, „wenn sie
überindividuell wirksam sind und Breitenwirkung besitzen. Dieser überindividuelle Charakter des Politischen beinhaltet, dass es stets um Beziehungen zwischen Akteuren geht, in denen Regeln des Zusammenlebens ausgehandelt oder verändert werden.
nicht ephemer sind, sondern nachhaltig wirken. Nachhaltigkeit erlangen Praktiken und Diskurse, wenn sie sich mit Macht- und Gewaltverhältnissen oder deren Infragestellung verbinden. Macht wird dabei nicht als ein festes Beziehungsmuster verstanden, sondern als symbolisch und diskursiv hergestellt und ausgehandelt.
Verbindlichkeit anstreben. Verbindlich sind sie dann, wenn in ihnen kollektive Klassifikationsschemata problematisiert, Regeln gesetzt sowie Möglichkeiten und Grenzen des Sag- und Machbaren ausgelotet werden.“[59]
Weitere Theorien stehen im Einklang mit den einzelnen Aspekten dieses Ansatzes und unterstützen daher dessen Anwendung: Zum einen das Konzept der „Cultural Politics“ nach Sonia E. Alvarez, Evelina Dagnino und Arturo Escobar, welches einen politischen Prozess darin sieht, wenn Bewegungen alternative Konzepte von z. B. „race, Wirtschaft, Demokratie oder citizenship“ einsetzen, um zu versuchen, die dominanten kulturellen Bedeutungen in Frage zu stellen oder zu erschüttern.[60] Diese „Cultural Politics“ sind das „Ergebnis diskursiver Artikulationen, die ihren Ursprung in bestehenden kulturellen Praktiken und im Kontext bestimmter historischer Umstände haben – dabei sind sie niemals rein, sondern immer hybrid, und stehen dennoch in bedeutungsvollem Kontrast zur dominanten Kultur.“[61]
Zum anderen wird auch in der von Michel Foucault geprägten Diskursanalyse, die sich in den letzten Jahren in den Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend etabliert, der diskursiven und symbolischen Ebene eine hohe Bedeutung bei der Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit zugesprochen, denn in Diskursen wird immer wieder neu ausgehandelt, was in dem jeweiligen Diskurszusammenhang gesellschaftlich als „wahr“ anerkannt wird, die Definitionsmacht ist diskursiv „umkämpft“.[62] Dementsprechend erklären auch Büschges und Pfaff-Czarnecka: „Die politische Kommunikation, die in diesem Zusammenhang auch mit ethnischen Semantiken geführt wird, ist bestimmt durch Kämpfe um die Bestätigung von Interpretationsmodellen, die...