TEIL 1
Probleme in der Arche
Stehen wir in der Sonne, so sehen wir, dass unser Körper hell beleuchtet ist, aber auch einen Schatten wirft. Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten. Jeder von uns besitzt einen Teil seiner Persönlichkeit, der uns verborgen bleibt. Eltern und meist auch Lehrer leiten uns an, die helle Seite unserer Persönlichkeit zu stärken, uns in gutausgeleuchteten Fächern wie Mathematik und Geometrie zu bewähren und erfolgreich zu werden. Dabei verkümmert der dunkle Bereich allmählich. Und was machen wir dann? Wir senden eine Krähe aus.
Die Taube kehrt zurück, sie fand keinen Ruheplatz;
die ganze Nacht im Flug über das sturmgepeitschte
Meer;
unter dem dunklen Dach
soll nun die Taube das Bett des Tigers teilen.
Gönne der Taube Ruhe!
Die zwiegeschwänzte Schwalbe fliegt vom Fensterbrett im Dämmern,
am Abend sollen blau die Schwalben wiederkehren.
Am dritten Tag aber soll die Krähe fliegen, die Krähe, Krähe, die spinnenfarbne Krähe, die Krähe wird auf frisch gefundnem Schlamme gehen.
Dieses Gedicht bezieht sich auf die bekannte Geschichte Noahs, aber meine Bilder stammen aus einer älteren, einer babylonischen Sintflut-Sage, und darin kommen drei Vögel vor. Das Gedicht entstand zwei oder drei Jahre nach meiner College-Zeit, und es drückt wohl aus, dass ich mir in meinem Elend nur von der dunklen Seite meiner Persönlichkeit Hilfe erhoffen konnte. Ich kann mich noch sehr deutlich daran erinnern — dies ist das erste, das ich mir selbständig klarmachte. Und ich fand, dass das auch für die Politik galt, dass wir als Nation nicht Menschen wie Adlai Stevenson brauchen konnten, der allzu sehr einer Schwalbe ähnelte, oder Bertrand Russell, der ebenfalls zu viel Helligkeit in seiner Persönlichkeit hatte. Danach zeigte zwar Eugene McCarthy mehr von der dunklen Seite, aber auch er schien mir zu sehr Schwalbe zu sein und nicht imstande, den genannten Schlamm zu finden. So sind Vögel also für die Vereinigten Staaten zum Problem geworden: Wir wählen nur Schwalben zu unseren Präsidenten, allenfalls weiße Krähen, wie Nixon.
Ein paar Jahre später sah ich einmal, wie es auf hohes Gras schneite, und da fühlte ich das positive Dunkel wieder aufsteigen:
I
Das Gras ist schon halb mit Schnee bedeckt.
Es war ein Schneefall, der am späten Nachmittag einsetzt,
nun wird es dunkel in den kleinen Häusern des Grases.
II
Wenn ich mich einmal bückte, tief zur Erde griff,
könnte ich mir Hände voll mit Dunkelheit holen!
Der Dunkelheit, die immer da ist, nie bemerkt wird.
III
Nun schneit es dichter, die Maisstengel rücken weiter weg,
und die Scheune kommt näher zum Haus.
Die Scheune wandert von allein im wachsenden Sturm.
IV
Die Scheune ist voll Korn, jetzt kommt sie auf uns zu
wie ein Schiff, das der Sturm zu uns herüber treibt; mit den Matrosen auf Deck, schon viele Jahre blind.
Manchmal fällt der erste Schnee bereits, wenn das Gras noch grün ist; und wenn es hoch steht, dann neigt es sich, und es entstehen kleine Häuser darunter. In der Scheune unserer Farm befand sich damals kein Vieh, aber sie war voller Mais, im Rahmen eines staatlichen Programms zur Bildung von Reserven versiegelt. Und obwohl es der Mais meines Vaters war, stellte er für uns eine Art geheimen Schatz dar. Das Bild »Hände voll mit Dunkelheit« macht dieses Gedicht noch nicht zu einer Schatten-Dichtung. Aber am Ende nähert es sich dem Schatten: als der Autor mehr Dunkelheit bekommt, als er sich eigentlich gewünscht hatte.
In der chinesischen Kultur besitzt das alte Symbol des Yin und Yang tiefe Bedeutung. Es zeigt die helle und die dunkle Seite der Persönlichkeit in einem Kreis vereint. An einem Frühlingstag schrieb ich folgendes Gedicht:
I
Ja — am frühen Morgen glaube ich, ich lebe ewig!
Gehüllt in mein freudenvolles Fleisch
wie das Gras in Wolken aus Grün.
II
Ich springe aus dem Bett, aus Träumen von langen Ritten zu Burgen, glühenden Kohlen,
da liegt die Sonne glücklich auf meinen Knien. Ich habe die Nacht durchlitten, durchgestanden,
tief unter dunklem Wasser, wie ein Grashalm.
III
Die starken Blätter des Holunderbaums tauchen in den Wind, rufen uns auf: zu versinken
in der Wildnis des Alls,
zu Füßen einer Pflanze zu ruhen
und ewig zu leben, wie Staub.
Vielleicht ist die Folgerung erlaubt, dass die alten chinesischen Dichter, und zwar nicht nur die Buddhisten, die dunkle und die helle Seite zu versöhnen suchten und ein tieferes Gefühl für Pflanzen und Tiere entwickelten, als es uns heute möglich ist. Pflanzen schlafen, sie leben also immer im Dunkel, auch wenn ihre Blätter sich ins Licht recken. Wir könnten also sagen, dass das Unkraut in unserem Hinterhof genauso das Helle und Dunkle in sich vereinigt wie die Fensterrose der Kathedrale von Chartres. Und dabei ist es viel billiger, bei dem Unkraut zu sitzen, als nach Frankreich zu fliegen.
Der Vielbeschäftigte spricht
Der Mutter der Einsamkeit will ich mich nicht ergeben,
weder der Mutter der Liebe noch der Mutter des Gesprächs,
weder der Mutter der Kunst noch der Mutter der Tränen noch der Mutter des Ozeans;
nicht der Mutter der Schmerzen noch der Mutter
der Betrübnis, der Mutter der Todesqual; weder der Mutter der Nacht voller Grillengesang
noch der Mutter des freien Felds, noch der Mutter von Jesus Christus.
Aber dem Vater der Rechtschaffenheit will ich mich ergeben, dem Vater
der Fröhlichkeit und dem Vater der Felsen, dem Vater der vollkommenen Geste;
Von der Chase National Bank
sank eine Feuerzunge auf mich nieder, die zieht mich
in die Wüste, an die Orte der Dürre, die Landschaft des Nichts;
Und so ergebe ich mich dem Vater der Rechtschaffenheit,
den Steinen der Fröhlichkeit, dem Stahl des Geldes und dem Vater der Felsen.
In unserer Zivilisation lernen wir von frühester Jugend an, Dunkel und Hell als Gegensätze zu begreifen, die ich jetzt Mutter und Vater nennen möchte. Manche Menschen bewundern die rechts-denkende, ausgeleuchtete Seite der Persönlichkeit, und diese Gruppe kann man mit dem Vater verbinden, wenn man will; andere tendieren zur links-denkenden,
im Dunkeln liegenden Seite; diese Gruppe kann man der Mutter zuordnen, wenn man will, mythologisch ausgedrückt der Großen Mutter. Die meisten Künstler, Dichter und Musiker gehören der zweiten Gruppe an und lieben die Intuition, die Musik, das Weibliche, Eulen und den Ozean. Die rechts-denkende Gruppe liebt die Tat, den Handel, das Imperium. Wahrscheinlich haben Sie bemerkt, dass meine Begriffe klar aufgeteilt sind, so dass meine Beschreibung der Welt eine Polarisierung fördert. Ich hatte einmal das Bedürfnis nach einem Gedicht, das diese Trennung verdeutlicht. Das Ich dieses Gedichts musste natürlich ein außergewöhnlich bewusster Vater-Typ sein, aber das Gedicht zeigt uns mehr: Dass sich manche Menschen bewusst vom Dunkel distanzieren wollen. Ich lese nun ein Gedicht über ein Dorf der Pilgerväter in Massachusetts.
Ein Dorf der Pilgerväter; der Regen fällt schwer.
Fischköpfe liegen lächelnd am Hauseck.
Drinnen hängen Worte wie »Samson« von den Dachsparren.
Draußen gackern die Hühner in hölzernen Hütten,
doch sie stehen auf dem Boden Calvins.
Die Frauen gehen durch die dunkle Küche, ihre schweren
Röcke ziehen sie hinab wie Ertrinkende.
Oben stehen die Betten wie Gewitterwolken, auf nackten Dielen,
die Decken bleiben feucht am rauen Holz.
Und dann die Eier! Seltsame, weiße, vollkommene Eier!
Eier, die nicht einmal der Regen bewegen könnte,
weiß und schmerzlos, nur im Alptraum mit Schwanz.
Und dann der Indianer, nass, nach Moschus riechend,
bittet um ein Bett für die Nacht,
der Mattapoiset, im Bund mit der Fäulnis im Holz,
verschworen mit dem Salamander,
in geheimem Vertrag mit den kalten Fischköpfen.
Der Indianer wird weiterleben in regennassen Stümpfen,
er ist der Feind, der Ausgestoßene,
vor ihm müssen wir unser Volk bewahren,
sein dunkles Haar verbirgt uns vor der Sonne.
Man kann wohl mit Recht sagen: Für die meisten Puritaner war das Dunkel identisch mit dem Teufel. Sie fürchteten sich vor den dunkelhäutigen Indianern, betrachteten wahrscheinlich den Truthahn mit seinen schwarzen Federn mit Argwohn und fühlten sich in den düsteren Kiefernwäldern von Massachusetts nicht wohl. Den Frauen empfahlen sie Strümpfe, Hauben, Gehorsam und Schweigen. Der Hass auf die Yin-Seite des Kreises erscheint zunächst nur als dünner Faden im Gewebe des frühen amerikanischen Lebens. Der Hass auf das Yin gab Neuengland zunächst eine ungebändigte Energie; aber dreihundert Jahre Hass höhlt die Menschen aus, erschöpft sie und lässt einen Teil des Geistes absterben.
Im Warteraum des Zahnarztes will ihm scheinen: Das...