1. Weltkirchenkonferenz in Oxford, Juli 1937
Paul Schmidt (1888-1970), Bundesdirektor der Baptisten, berichtet in der Zeitschrift „Der Wahrheitszeuge“ über die Weltkirchenkonferenz in Oxford. Er und Bischof F.H. Otto Melle (1875-1947) von der Bischöflich-Methodistischen Kirche in Deutschland waren die offiziellen Vertreter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen. Die Deutsche Evangelische Kirche konnte aus politischen Gründen keine Vertreter entsenden. Bei der nachfolgenden Kritik am Auftreten der freikirchlichen Vertreter geht es um die Haltung der Freikirchen zum totalen Staat und ihre Desolidarisierung von der Bekennenden Kirche.52 Dass beide freikirchliche Vertreter zur Botschaft in London ständigen Kontakt hielten und über ihr Verhalten auf der Konferenz von dort Instruktionen erhielten, verschweigt Paul Schmidt in seinem Bericht.53
1.1. Bericht von Paul Schmidt
Die deutschen evangelischen Freikirchen in Oxford54
Auf dem letzten Freikirchentag in Essen im November 1936 hat die „Vereinigung evangelischer Freikirchen“ beschlossen, die Weltkirchenkonferenzen in Oxford und Edinburg[h] zu beschicken und hat gleichzeitig die Delegierten ernannt. Die rechtzeitige Anmeldung und alle Vorbereitungen zur Reise zunächst für die Konferenz „für praktisches Christentum“ in Oxford vom 12. bis 26. Juli konnten ohne jede Störung und Verzögerung durchgeführt werden. In letzter Stunde wurden auch die so notwendigen Devisen zur Verfügung gestellt, so dass die Abreise pünktlich erfolgen konnte. Das aktuelle Thema „Kirche, Volk und Staat“ übte im Voraus eine starke Anziehungskraft aus, und die allgemeine Weltlage des Christentums hatte eine Spannung erzeugt, die in den ersten vertraulichen Berichten der Arbeitsgruppen stark erkennbar war. Jedenfalls spürte wohl jeder Delegierte vor seiner Reise, dass er an einer Tagung teilzunehmen habe, die in einer Wendestunde das Wort der Kirchen zu sprechen habe.
Oxford war als Tagungsort für diese Konferenz vorzüglich geeignet. Dort hatte einst John Wesley, der Vater des Methodismus, während seiner Studienzeit den Namen „Methodist“ erhalten, den man dann später, als er das entscheidende Heilserlebnis gehabt hatte und der Führer der Erweckungsbewegung wurde, seinen Anhängern spottweise beilegte, bis er zu einem Ehrennamen wurde. Von dort ging in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Heiligungs- und Erweckungsbewegung aus, die auch das christliche Glaubensleben auf dem Kontinent stark belebte und befruchtete. Und die gegenwärtige „Oxford-Gruppenbewegung“ stammt zwar nicht aus Oxford, hat aber durch ihre erste wichtige Zusammenkunft in Oxford ihren Namen erhalten. Wenn man durch die vielen alten „Collegs“, die vielen Kirchen und „Hallen“ geht, begreift man, dass von da aus schon neue Glaubensbewegungen ausgehen können. Wird die Oxforder Weltkirchenkonferenz auch ein Ereignis werden, von dem neue Glaubenskräfte und Wiederherstellung der zerstörten Einheit echten Christentums in Jesu Gemeinde ausgehen wird?
Bemerkenswert sind einige Charakterzüge der Konferenz, die solche Frage rechtfertigen. Da ist zuerst zu nennen die in den Konferenztagen zusehends wachsende Einhelligkeit der Beurteilung der Zeitlage und der Einsicht in die Totalkrise des Christentums in der Welt. Es wurde vom Abschluss des konstantinischen Zeitalters gesprochen. Ferner zeigte sich eine wachsende Überzeugung, dass die einzelnen Christen und sonderlich die Kirchen in ehrlicher Bußhaltung vor Gott treten sollten und keine Veranlassung haben, als Richter, Ankläger oder Pharisäer aufzutreten. Und schließlich verbreiterte sich später die Erkenntnis, dass die Kirchen um ihres Zeugnisses und Dienstes willen allen Grund haben, näher zusammenzurücken und Trennendes zu überwinden.
Der erste Konferenztag brachte für die deutschen freikirchlichen Delegierten eine kleine Peinlichkeit. Nach den Reden des Erzbischofs von Canterbury und des Bischofs von Chichester, in denen sie von der Abwesenheit der Vertreter der Kirchen in Deutschland sprachen, entstand in der Konferenz und in der englischen Presse der Eindruck, als seien überhaupt keine deutschen Delegierten in Oxford. In einer Aussprache mit dem Präsidenten des Geschäftsausschusses und einigen weiteren Mitgliedern am Tage darauf wurde zugesagt, dass eine Richtigstellung nachgeholt werden solle. Genau eine Woche später geschah das, nachdem schon „The Times“ eine Mitteilung vonseiten eines Delegierten der schottischen Freikirche vorher gebracht hatte.
In der Konferenz selber wurden die deutschen Delegierten durchaus freundlich behandelt, und ihre Mitarbeit wurde begrüßt. In vielen Gruppen- und Einzelgesprächen ergab sich Gelegenheit, über den gesamten Stand des Christentums in Deutschland und die grundsätzliche und weitreichende Auseinandersetzung in der Kirche und zwischen Staat und Kirche und deren weltweite Bedeutung ausgiebig und umfassend zu sprechen. Auch in der Kommissionsarbeit ergab sich durchaus die Möglichkeit, die schweren und verwickelten Fragen wie „Staat und Kirche“ vom neutestamentlichen Standort zu beleuchten und den Ernst der heutigen Auseinandersetzungen gegenwärtig zu halten. So kam es, dass in der ersten Arbeitswoche in den einzelnen Kommissionen starke Wendungen zum innersten Schauen vollzogen wurden, die auf der anderen Seite natürlicherweise in einen Engpass führten, wenn es zur Formulierung fester Vorschläge und Richtlinien kommen sollte. Das lag in der Art der Themen und der ständigen Überschneidung kirchlicher und politischer Fragen und Forderungen. Je stärker die Erkenntnis wuchs, nur zu einer echt kirchlichen Haltung und Formulierung kommen zu müssen, umso größer wurde die Gefahr, bei den vorliegenden Themen am toten Punkt zu endigen.
Von hier aus muss auch das erzielte Resultat der Konferenz angesehen und bewertet werden. Wahrscheinlich ist der Ertrag dieser Konferenz in dieser Zeit nicht in den angenommenen Berichten der Kommissionen zu sehen, sondern in der empfangenen Schau der Situation und der begonnenen Ausrichtung auf eine ganz große Auseinandersetzung zwischen Christentum und Nichtchristentum, das aus christlichem Kirchentum bereits herausgewachsen ist oder dabei ist herauszuwachsen.
Die zweite Konferenzwoche brachte den deutschen freikirchlichen Delegierten eine besondere Aufgabe. Das Telegramm von Landesbischof Marahrens und ein Kirchenbericht aus Deutschland waren am ersten Tage der Konferenz, nach ihrer Bekanntgabe im Plenum, dem Geschäftsausschuss zur Erledigung überwiesen worden. Am Sonntag, den 18. Juli, lud der Bischof von Chichester auslandsdeutsche und deutsche Delegierte zu sich, um ihnen zu sagen, dass am Montag eine Botschaft an die Deutsche Evangelische Kirche dem Plenum vorgelegt werden solle. Es wurde auch allgemein gesagt, dass diese Botschaft kirchlich gehalten sein werde und politische Angriffe nicht gemacht würden. Der Wortlaut der Botschaft wurde nicht bekanntgegeben mit der Begründung, er solle niemand vor der Plenarsitzung zugänglich gemacht werden. So konnte es zu einer tatsächlichen Beratung und Besprechung der Botschaft nicht kommen. Aus der allgemeinen Besprechung ging aber so viel hervor, dass ein positives, helfendes und weiterführendes Wort fehle. Bischof Melle wies darauf hin, dass gerade das von höchster Wichtigkeit sei. Der Bischof von Chichester bat, doch einmal einen Satz niederzuschreiben, wie wir ihn uns dächten, und ihn am nächsten Morgen ihm zu geben. Allerdings, so wurde bemerkt, sei der Text der Botschaft schon fertig, und es werde schwer sein, ihn noch zu verändern und einen Satz einzufügen. Am Montagmorgen wurde dem Bischof von Chichester folgender Satz übergeben:
„Wir hegen die Hoffnung, dass Deutschland, das so schwer gelitten hat unter dem bedauernswerten Vertrag von Versailles und dessen Folgen, das aber in den vergangenen Jahren so Hervorragendes geleistet hat im Wiederaufbau seines Volkslebens, bald einen Weg finden werde, den Kirchenstreit zu beendigen zum Besten des deutschen Volkes und seiner historischen Aufgabe für die Welt im Lande der Reformation.“
Der Satz kam tatsächlich nicht mehr in die fertige Botschaft hinein. Dafür befand sich dann zu unserer großen Überraschung eine mit keinem Worte am Sonntag erwähnte eigenartige Verknüpfung mit der Römisch-Katholischen Kirche. Ferner fehlte das Verständnis für die Gesamtlage und ein Wort, das zur wirklichen Hilfe für die Lösung der verwickelten kirchlichen Verhältnisse hätte dienen können. Die Botschaft hat folgenden Wortlaut:
„Die Vertreter christlicher Kirchen, die sich aus allen Teilen der Welt in Oxford zusammengefunden haben, beklagen die Abwesenheit ihrer Brüder aus der Deutschen Evangelischen Kirche, mit denen sie in der Vorbereitung dieser Konferenz wie im Blick auf die großen der Kirche Christi gestellten Aufgaben eng verbunden waren.
- Wir begrüßen die Tatsache, dass ein Einverständnis erreicht worden war, wonach eine gemeinsame Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche nach Oxford abgeordnet werden sollte. Umso mehr vermissen wir die große Hilfe, die deren Mitglieder uns bei der Erörterung der...