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E-Book

Der Streuner

Ein Kater erzählt aus seinem Leben

AutorAndrew N. Wilson
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783644405899
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Lebensklug, humorvoll und herzzerreißend: DER Klassiker für alle Katzenfreunde endlich als Neuausgabe. Pufftail ist ein Streuner, ein bisschen zerrupft und mit vielen Jahren auf dem Buckel. Er hat wahrlich viel erlebt; und es ist eine wahre Freude, den Erzählungen dieses alten, stolzen Katers zuzuhören, der mehr über die Menschen weiß als sie selber. Sein abenteuerliches Leben ist eine zauberhafte, amüsante und anrührende Geschichte für alle Katzenliebhaber. «Wenn du erst so viele Jahre auf der Welt bist wie ich, wirst du auch voller Erinnerungen sein, die du gern jemandem mitteilen möchtest, und ich hoffe, dass du ein Enkelkätzchen haben wirst, wie ich jetzt, das geduldig dasitzt und dir zuhört.»

Andrew N. Wilson wurde 1950 in England geboren. In seiner Heimat hat er zahlreiche Biografien sowie Bücher mit historischem Hintergrund veröffentlicht.

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Leseprobe

3


Die Frau des Hauses trug uns in die Zoologische Handlung. Sie hatte anscheinend schon vorher etwas mit dem Inhaber dieses Ladens verabredet, denn er zeigte sich keineswegs erstaunt, als sie seinen Laden betrat und den Korb mit uns darin auf den Ladentisch stellte.

«Guten Morgen, Mrs. Wentworth. Also das sind die kleinen Burschen, ja?»

«Ich trenne mich nur sehr ungern von ihnen», sagte Mrs. Wentworth. «Aber ich bin sicher, dass Sie sie nur in gute Hände vermitteln.»

«O, ach, aber ja doch», sagte der Ladeninhaber. «Ich verkauf an niemand, von dem ich nicht sicher weiß, dass er ein verantwortungsbewusster Tierhalter ist. Sind damit alle Unklarheiten beseitigt? Geimpft sind sie ja wohl schon?»

Offenbar war alles sogenannte Unerlässliche bereits erledigt, wir waren zum Tierarzt gebracht und gegen verschiedene Krankheiten geimpft worden, von denen Menschenwesen fürchten, dass wir sie uns holen könnten. Seltsamerweise erinnerte ich mich nicht daran. Vermutlich war es sogar im gleichen Korb geschehen, in dem wir jetzt in der Tierhandlung saßen. Die Erinnerungen an alles, was mir seither begegnet ist, haben das Ereignis unseres Tierarztbesuchs überschattet.

Der Ladeninhaber hatte ein sehr rotes, glänzendes Gesicht, und bei ihm war der Menschengeruch noch stärker als bei den Wentworths. Es war unangenehm, als er sein rotes, glänzendes Gesicht an die Gitterstäbe des Korbes drückte und sagte: «O ja, die sehen nett aus, sehr nett, die Bürschchen. Die verkaufe ich im Handumdrehen. Mit dem Preis, den wir ausgemacht hatten, sind Sie also einverstanden?»

Offenbar war Mrs. Wentworth zufrieden mit der finanziellen Regelung.

«Mich zu verabschieden fällt mir wirklich schwer», sagte sie.

«Beruhigen Sie sich, Madam, die werden es sicherlich gut treffen.»

Was für törichte und verlogene Worte!

Mit seinen massigen Fingern packte der Ladenmann uns einen nach dem anderen am Genick und hob uns aus dem Korb. «Das ist die schmerzloseste Art, eine junge Katze zu behandeln», sagte er, wahrscheinlich als Antwort auf die gequälte Miene von Mrs. Wentworth. «Ich setz sie gleich ins Schaufenster, sie werden sicher schnell gekauft, glauben Sie mir, Madam.»

Irgendwann während dieser Worte wandte sich Mrs. Wentworth augenscheinlich zum Gehen und nahm den Korb-Käfig mit. Für mich begann nun, im Alter von acht, neun Wochen, ein neues Leben.

Heute bin ich ein vorsichtiges, misstrauisches Wesen, doch damals war das anders. Ich war jung und unwissend. Ich betrachtete die Welt aus großen, unschuldigen grünen Augen und erwartete, dass darin alles so behaglich und freundlich sei wie im Haushalt der Wentworths. Anfangs war der Aufenthalt in einer Tierhandlung so neu und interessant, dass ich ganz vergaß, traurig zu sein.

Auch das Schaufenster, in das mein Bruder und ich gestellt wurden, war eine Art Käfig. Durch die eine gläserne Seite konnten wir auf die Straße hinausschauen, durch die rückwärtige in den Laden. Dieser Laden roch nach Sämereien und Heu, doch mischte sich damit ein köstlicher appetitlicher Duft, den mein Bruder und ich bald erkennen lernten: Mäuse! Diese Mäuse waren in einem anderen Schaufenster im rechten Winkel zu dem unseren, doch wenn wir zur Ladenseite hinausschauten, konnten wir sie sehen. Es waren ungefähr zehn in einem Käfig, und sie wurden aus Schüsselchen mit Trockenfutter gemästet. Es waren weiße mit roten Augen. Heute finde ich weiße Mäuse fade, eine Hausmaus schmeckt mir besser. Damals aber hätten mein Bruder und ich auch nicht im Traum daran gedacht, eine Maus zu fressen. Wir genossen nur das Mäusearoma, und uns wässerte der Mund, wenn die törichten kleinen Geschöpfe in ihrem Käfig auf dem Tretrad herumturnten. Es gab auch noch ein paar Springmäuse und Hamster, die zu fangen nach meinem Dafürhalten kaum lohnt. Man hat die Wahl, entweder lächerlich zierliche Bissen zu nehmen und zwischendurch Pelz auszuspucken oder sie ganz zu schlucken und danach Fell zu erbrechen. In einem Bassin in der Nähe des Mäusekäfigs befanden sich einige bunte Fische, sie trieben zwischen Felsbrocken und künstlichen Pflanzen dahin, mit denen diese überschätzten Delikatessen üblicherweise in Menschenhaushalten serviert werden. (Auch hierin bin ich für die weite, freie Natur. Die besten Fische, die ich jemals fraß, waren Goldfische, die ich mir aus dem Zierbecken eines Gartens angelte.)

Trotz der Auswahl an wohlschmeckenden Leckerbissen in unserem Gesichtsfeld gab der Ladeninhaber meinem Bruder und mir nur ziemlich widerliche kleine Kekse. Als Mrs. Wentworth gegangen war, wurde er deutlich unfreundlicher.

«Glotz bloß nicht nach den Fischen, oder ich rupf dich», sagte er grob zu mir.

«Rupf dich …», echote eine laute, kreischende Stimme. «… rupf dich.» Es war ein großer Papagei, der in einem Käfig gehalten wurde, in unhygienischer Nähe zu Behältern mit Kleie und Hasenfutter.

«Halt den Schnabel», sagte der Mann. «Das gilt auch für dich.»

«… rupf dich», wiederholte der Papagei unerschrocken.

«Na, mein Kleiner», sagte der Ladeninhaber in gänzlich anderer Tonart ölig-liebedienerisch. «Was darf’s denn sein?»

Ein Junge hatte den Laden betreten.

«Haben Sie Eidechsen?», fragte er.

«Nein. Eidechsen sind im Moment ausgegangen. Wir hoffen, nächste Woche wieder welche reinzukriegen, aber im Moment sind sie knapp.»

«Ich will übrigens eine grüne», sagte der Junge.

«Wie gesagt», wiederholte der Mann, «wir hoffen, nächste Woche welche reinzukriegen. Wie wär’s mit Mäusen? Wir haben wunderhübsche Mäuse.»

«Ich will keine Maus», sagte der Junge. «Ich will eine grüne Eidechse.»

«Hast du überhaupt schon mal ’ne Eidechse gehabt?», fragte der Mann.

«Eigentlich nicht», sagte der Junge vorsichtig.

«Eidechsen sind nämlich gar nicht so einfach zu halten», sagte der Mann. «’ne Eidechse ist nicht wie ’ne Maus. Mit einer Maus gibt’s keine Probleme. Die ist freundlich. Eine Eidechse, die kann man nicht direkt freundlich nennen.»

«Kann ich die Mäuse mal sehen?», fragte der Junge.

«Nur zu, mein Junge, schau sie dir an.»

Der Junge trat an den Käfig, in dem die Mäuse so verführerisch herumflitzten und in ihrem Tretrad trotteten.

«Meine Schwester hat Angst vor Mäusen», sagte er verächtlich.

«Na so was. Wirklich?»

«Ich find das blöd, vor Mäusen Angst zu haben.»

«Das ist auch wirklich blöd», sagte der Mann. «Es sind so nette kleine Hausgenossen, und ihre Haltung macht keine Arbeit. Die Käfige sind auch billig.»

«Meinen Sie wirklich, ’ne Maus wär leicht zu halten?»

«Kinderspiel», sagte der Mann. «Überhaupt kein Problem, Mäuse. Nicht wie Eidechsen, die machen einem mehr zu schaffen, als man so meint. Die kriegen auch Krankheiten und so.»

«Kriegen Mäuse keine?»

«Mäuse? Nie. Aber wenn du lieber eine teure, schwierige Eidechse kaufst als eine niedliche, billige, pflegeleichte Maus, will ich dir nicht im Wege stehen. Weißt du, was ich täte?»

«Rupf dich …», kreischte der Papagei.

«Nein», sagte der Junge. «Was denn?»

«Ich würde mir eine Maus kaufen», sagte der Mann.

«Sie quietscht schon, wenn man eine Maus nur erwähnt», sagte der Junge voller Vorfreude beim Gedanken an seine Schwester. «Wie viel kosten die denn?»

«Normalerweise ein Pfund», sagte der Mann, «aber bei Erstkäufern wie dir gehe ich auf fünfzig Pence herunter.»

«Ich hab zehn Pfund beinander», sagte der Junge. «Ich hab gedacht, ich kauf mir eine Eidechse und ein Eidechsenterrarium mit Steinen und all so was.»

«Ich freu mich, dass du mir das mit dem Geld sagst», sagte der Mann. «Ein Terrarium samt Zubehör würde dich nämlich erst mal schon einen Zehner kosten, ehe du überhaupt eine Eidechse hast. Aber diesen hübschen kleinen Käfig würde ich dir für einen Fünfer lassen.»

«Echt wahr?», fragte der Junge.

«Fünf Pfund für den netten Käfig», sagte der Mann.

«Dann hätte ich noch fünf Pfund übrig», sagte der Junge. «Ein ganzes Jahr hab ich gespart. Sieben Pfund hatte ich schon zusammen, und dann hat mir meine Oma noch drei zum Geburtstag geschenkt. Wir dachten, Eidechsen wären billiger.»

«Nicht mit dem ganzen Zubehör», sagte der Mann. «Ich glaub, ich kauf lieber einen Mäusekäfig», sagte der Junge und wandte keinen Blick von den weißen Mäusen.

«Finde ich sehr gescheit», sagte der Mann. «Warte einen Moment, und ich …»

«… rupf dich!», schrie der Papagei wieder.

«… hol dir einen aus dem Regal herunter.»

Schließlich verkaufte er dem Jungen einen Käfig, zwei Mäuse («eine allein wird leicht nervös»), ein Tretrad, ein Spiegelchen, einen Futternapf und ein Säckchen Futter. Er gab dem Jungen auf seine zehn Pfund ein Pfund heraus.

«Das wär geschafft, Polly», sagte der Mann lachend, als der Junge den Laden verlassen hatte. «Wieder ein zufriedener Kunde. Seit Monaten stehen mir diese Mäuse hier herum. In letzter Zeit sehen sie irgendwie kränklich aus. Würde mich nicht wundern, wenn sie in ein, zwei Monaten abkratzten.»

Mein Bruder und ich saßen den ganzen Vormittag im Schaufenster, sahen manchmal auf die Straße hinaus und manchmal in den Laden hinein. Kunden kamen und gingen. Im Großen und Ganzen waren sie weniger leicht zu übertölpeln als der Junge und betraten das Geschäft, um spezielle Artikel zu kaufen: Fünfpfundtüten Kaninchenfutter, Hundeleinen, Wurmpulver, Flohhalsbänder, Vogel- oder Fischfutter.

Die Passanten auf dem...

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