1 Wie alles begann oder Wie ich auf die Idee kam, einen Garten anzulegen
Was hat der Mensch für Gewinn von aller seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibet ewiglich.
Prediger 1
Den Wind um die schweißnasse Nase, der Geruch frischer Erde bei Sonnenaufgang, das Fest der Ernte im Herbst, wenn alles gut gegangen war im Lauf des Jahres – das war das Lebensgefühl unserer Vorfahren, fast ausnahmslos. Meist schafften sie die Ernte, hart an allen möglichen Katastrophen vorbei. Manchmal nicht: Hagel, Fröste, Trockenheiten, zu viel Regen. Dann konnte es knapp werden. Wie viele Hungerzeiten gab es im Lauf der Geschichte? Gibt es noch immer?
Einige wenige Menschen, im Lauf der Zeit wurden es mehr, betraf diese Abhängigkeit von Erde und Klima nicht so direkt, die Reichen und Mächtigen. Aber ihre Zahl hielt sich über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende in engen Grenzen. Es waren wenige, die einer riesigen Schar von Bauern und Handwerkern mit Feldern, Wiesen und Gärten gegenüberstanden. Heute konzentriert sich der Reichtum immer noch bei einer relativ kleinen Schicht. Der Unterschied ist nur, dass auch der größte Teil der Bevölkerung hierzulande sein Brot nicht mehr im Schweiße seines Angesichts isst.
Bis in die 1950er-Jahre wuchs auch bei uns noch fast jedes Kind mit einer gewissen Landerfahrung auf, ich Kleinstadtkind war keine Ausnahme. Aber das Gefühl des Ausgeliefertseins an die Natur, des drohenden Hungers, dieses Gefühl gab es damals nicht mehr. Der Hunger des Krieges war zwar noch präsent, ja, aber jeder wusste, nicht die Natur war daran schuld gewesen. Jeder, der konnte, hatte sich im Krieg ein Fleckchen Erde gesichert und Rüben oder Kohl angebaut. Da war die Natur eher die Trösterin.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir die Natur vergessen. Sie verschwand aus dem Blickfeld der Mehrheit, sie hatte mit Erde nichts mehr zu schaffen. Nur noch ein bis zwei Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in Deutschland in der Landwirtschaft.
Scheinbar widerstandslos ließ sich die Natur in Umwelt umdefinieren und zur unbeschränkten Lieferantin all der Rohstoffe machen, die wir industriell verarbeiten. Von einer beschworenen, dämonisierten, romantisierten, gefürchteten, aber auch unabhängigen, dankbar anerkannten Partnerin wurde die Natur zu einer einfachen Ressource herabgestuft, die man beliebig ge- und verbrauchen konnte. Die man »bewirtschaftet«, heute inzwischen mit iPad und vollautomatisch. Vom Schweiß im Angesicht ist keine Rede mehr.
Erde und Ernte gibt es nicht mehr, wir alle, auch den Agrartechniker vulgo Bauer eingeschlossen, ernähren uns aus dem Supermarkt, jeden Tag im Jahr aus den Regalen mit dem gleichen Angebot. Egal, wo der Supermarkt steht, ob in Moskau, Amsterdam, Kleinmachnow oder Houston/Texas. Wir nehmen dieses Angebot kaum noch zur Kenntnis, außer dass es geschmackvoller sein könnte und bitte mit etwas weniger Schadstoffen. Wenn es sich machen lässt. Randprobleme. Ansonsten alles okay.
Die Ernährung als eine fühlbare kollektive Anstrengung ist aus dem Bewusstsein der westlichen Gesellschaften verschwunden. Die wenigen Großagrarier werden in der EU hoch subventioniert, dafür werden sie es dann schon richten. Die kleinen Nebenerwerbsbauern lässt man weiter wurschteln, sie leisten praktisch kostenlos auch einen bescheidenen Beitrag zum großen Nahrungsvolumen. Sie stellen keine besonderen Ansprüche. Denn diese kleinen Bauern leben in ständiger Angst um ihre Existenz, um ihren 500 Jahre alten Hof, sehen sie doch, wie die Rationalisierung in der Landwirtschaft Welle um Welle ihre Nachbarn und Kollegen weggespült hat. Irgendwann sind sie auch dran. Die berühmten »Früchte des Zorns« hat noch keiner genießen können.
Diese Landwirtschaft ist eine einzige Erfolgsstory, sagen viele, wenn auch der Chor inzwischen etwas dünner klingt. Fest steht: Eine unvorstellbar kleine Zahl von Landwirten versorgt die Menschen in der westlichen Hemisphäre mit Nahrungsmitteln. Das »Land« hat sich deshalb mehr und mehr entvölkert, denn das Land bietet den Leuten gute Luft, aber keine Jobs. 1956, als der Großteil der Menschen auch in Deutschland noch auf dem Land lebte, waren 54 Prozent der Befragten der Ansicht, dass man in der Stadt besser lebt. Was man hat, das schätzt man nicht? Heute, da mehr als die Hälfte der Menschheit verstädtert ist, sind nur noch 21 Prozent dieser Meinung. Jetzt schauen die Städter sehnsuchtsvoll hinaus ins weite Land und träumen vom Landleben als dem Inbegriff des guten Lebens.
Dies ist der Bericht von einer, die in der Stadt lebte, aber auf das »gute Leben« auf dem Land nicht ganz verzichten wollte. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Eigentlich hatte ich weniger den weiten Blick, die ländliche Ruhe beim Morgenlauf vor Augen, als ich mich nach Landleben sehnte; mir geht und ging es eher um das Gärtnern, um den Geschmack des Essens, um die Freude, die Qualität und den Genuss, die sich mit selbst gezogenem Gemüse oder Obst verbinden. Ein Hobby also, wie Abertausende das auch haben.
Nichts gegen diese anderen Gärtner, die ihren Rasen mähen oder Stauden tauschen! Die ihre Rittersporn-Rabatte mit den richtigen, den preisgekrönten Sorten bestücken und Sorten wie Galahad oder King Arthur eher vermeiden. Ein farbenfroher Garten mit 32 genau arrangierten Phloxsorten ist eine bewundernswerte Leistung. Hätte ich, nebenbei gesagt, auch gerne. Nein, mein Ansatz war viel bescheidener, ich wollte mir mittags die Karotten im Beet ziehen können und nicht länger die wässrigen und geschmacksneutralen Kartoffeln essen, die in den gelochten Zwei-Kilogramm-Plastiktüten im Regal liegen. Ich wollte keine Parks entwerfen und entsprechend anpflanzen, keine begehbaren, für die Bewunderung der Besucher gedachten Kunstwerke schaffen. Nein, ich wollte viel prosaischer ein bisschen Selbstversorgung ausprobieren. Spaßeshalber für einen Teil meiner Nahrung selber einstehen. Für mehr Geschmack sorgen.
Als ich mich daranmachte, meine frühkindlichen Geschmackserlebnisse in einem Garten in Westfrankreich wieder aufleben zu lassen, war ich anfangs davon überzeugt, dass dieses »Hobby« einfach so mitlaufen würde. Ich wollte, en retraite, nicht nur ins Land hinaus, sondern auch wieder in die Archive und nach meinem Berufsleben zurück in eine kleine, spezielle historische Forschung in unserem Nachbarland, in dem ich schon länger während meiner Urlaube heimisch geworden war. Der durchaus ausgedehnte, aber überwiegend mit wildem Gras bewachsene Garten sollte zu dieser Schreibtischarbeit das gymnastische und atmosphärische Ausgleichsprogramm liefern.
Seit meinen Studentenjahren lebte ich in der Stadt und hatte nicht viel Ahnung von Pflanzen oder vom Gartenbau. Es gab in unserer Stadtwohnung einen Balkon, den ich immer wieder mit Erika oder mit Petunien bepflanzte. Letztere bekamen meistens Läuse, nach einem Urlaub standen sie in Strohform. Auch versuchte ich mich in Schnittlauch und Koriander, das war ziemlich erfolgreich.
Meine neuen Anstrengungen im Garten liefen allerdings nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Manche Gartenratgeber leiten den Anfänger Schritt für Schritt an, es gibt erklärende Fotoserien wie in Kochbüchern. Was aber, wenn nach Bild 2 – Samen in die feinbröselige Erdrille legen – das Bild 3 – junge Pflänzchen sprießen hoch – sich vor Ort partout nicht einstellen will? Ich greife jetzt nicht vor, aber eine einfache Erfolgsgeschichte kann ich nicht bieten. Eher eine Geschichte, wie ich allmählich das vertraute Grün immer genauer und auch ungläubiger betrachtete, wie ich immer weniger begriff, was sich eigentlich auf den Obstbäumen oder in den Beeten abspielte. Die Erde bleibet vielleicht ewiglich, mag sein, aber das Land, die Natur um mich herum auch?
Jeder, der einen Garten bestellt, hat eine Idee von dem, was er erreichen will. Da der elementare Zwang zur Nahrungsbeschaffung wegfällt, kann sich jeder aussuchen, was er anbaut, wie er es anbaut, wie viel Zeit er darauf verwendet, und jeder hat seine eigenen Motive für die Gartenarbeit, die ein Hobby ist wie Golfen oder Malen. Andere gehen lieber segeln, bergsteigen oder ins Kino.
Das Garteln ist chic geworden. Nicht nur in Europa. Wer ein Penthouse in Manhattan besitzt, kann sich in den Hamptons einen Gemüsegarten anlegen lassen. Besonders viel macht es her, wenn man den Freunden dann auch noch Hühnereier offerieren kann, die auf dem eigenen Landsitz aus dem Nest geholt worden sind. Die professionellen Landschaftspfleger empfiehlt man sich weiter wie sonst die Raumdesigner. Die normalen Gärtner arbeiten um das Haus herum oder treffen sich in den Kleingartenkolonien und bewirtschaften streng limitierte 300 Quadratmeter. Oder sie mieten sich beim Bauern einen Krautgarten. Es gibt viele Varianten, sich in der frischen Luft mit Grün zu betätigen.
Wer heute groß wird, der hat in 20, 30 Jahren wahrscheinlich nicht wie ich dieses Bohren im Bauch, diese Unruhe, diese Sehnsucht nach »richtigem« Essen. Ich bin nicht mit Burgern und Cola aufgewachsen, sondern mit dem Gemüse und den Früchten aus den großen Gärten einer schwäbischen Kleinstadt. Das war in den späten 1950er- und 1960er-Jahren. Der Entwicklungsschub durch Agrarimporte und vor allem durch...