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Der Tag danach

Wenn das Leben über Nacht nicht mehr ist, wie es gestern noch war

AutorMichael Jürgs
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641011956
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Prominente wie Ron Sommer, Peter Scholl-Latour, Rudolf Scharping, Katrin Krabbe, Friede Springer, Herbert Grönemeyer u.v.a. geben zum Teil erstmals Einblick in ihren 'Tag danach'.
Der Journalist Michael Jürgs befasst sich mit jenem Tag, der einen unwiderruflichen Lebenseinschnitt markiert, an dem über Nacht das Leben eine radikale Wendung genommen hat. Der Tag nach dem unfreiwilligen Abschied von der Macht, nach dem Verlust eines geliebten Menschen, nach dem Karrieresprung. Die geschilderten Erfahrungen liefern ein breit gefächertes Bild über den Umgang mit Verlust, jähem Schmerz oder auch großem Glück. Ein kluges Buch, das Rückschlüsse auf den Zustand unserer Gesellschaft zulässt.

Michael Jürgs war u.a. Chefredakteur von Stern und Tempo und hat sich als Biograph einen Namen gemacht. Seine Lebensbeschreibungen Der Fall Romy Schneider, Der Fall Axel Springer, Gern hab' ich die Frau'n geküsst (über Richard Tauber), Bürger Grass und Eine berührbare Frau (über Eva Hesse) wurden ebenso Bestseller wie Die Treuhänder, Der kleine Frieden im Großen Krieg (2003) und Der Tag danach. Zusammen mit der Journalistin und TV-Moderatorin Angela Elis legte er das Pamphlet Typisch Ossi, typisch Wessi vor. Viel Anerkennung bekam er für seine Bilanz der deutschen Einheit Wie geht's, Deutschland? (2008) und für seine Geschichte des Bundeskriminalamts BKA. Die Jäger des Bösen (2011) und Codename Hélène: Churchills Geheimagentin Nancy Wake und ihr Kampf gegen die Gestapo in Frankreich (2012); seine Streitschrift Seichtgebiete (2009) verkaufte sich über 100.000mal. Er ist Co-Autor vieler Fernsehdokumentationen, die nach seinen Büchern gedreht wurden.

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Leseprobe
"Der angekündigte Selbstmord (S. 108-109)

Petra Friedel.
Dass er Pillen schluckte und sich nicht vor einen Zug oder von einem Hochhaus stürzte, hatte mit seinem Beruf zu tun. Mit Medikamenten kannte er sich aus. Ludwig Friedel war Arzt. Dass er sterben wollte, kann aber nicht daran gelegen haben, unheilbar krank gewesen zu sein, wovon er als Mediziner gewusst hätte. Bei der Autopsie, die in allen Fällen von Freitod obligatorisch ist, also auch in seinem Fall, fand der Pathologe außer den üblichen altersbedingten Veränderungen nichts Auffälliges in seinen Organen und ein Karzinom schon gar nicht. Unwahrscheinlich auch, dass es Existenzangst war, eine Angst, im Alter zu verarmen, die Ludwig Friedel den Tod als bessere Alternative zum Leben wählen ließ.

Zwar hatte er im Laufe der Jahre nichts zurückgelegt für seinen Ruhestand, lieber sein Geld ausgegeben für Reisen und für Kunst und für Autos, die nicht zu ihm passten, hatte große Summen an zu viele Menschen verliehen, ohne sie je an die Rückzahlung zu erinnern. Aber seine Pension betrug um die sechstausend Mark im Monat. Davon hätte sich leben lassen. In einer unausgepackten Weinkiste, die seine Frau erst Wochen nach seinem Tod öffnete, als sie seine Wohnung auflöste, fand sich zudem ein verschlossener Brief seines Nachfolgers, der ihm großzügige Honorare für Beratungen zusicherte, auf die man trotz seines Ausscheidens aus der Klinik nicht verzichten wolle. »Vielleicht«, sagt der heute, fünfzehn Jahre nach dem Selbstmord des berühmten Chirurgen, der einst sein Chef war - und anders heißt als hier in diesem Text -, hätte er sich nicht umgebracht, wenn er den Brief gelesen hätte.

Er verflucht die Nachlässigkeit seines Sekretariats. Die Kiste mit Wein war ein Weihnachtsgeschenk, der Brief sollte extra versandt werden, getrennt von den zwölf Flaschen Château Lafite, damit er erst den lese und sich dann ein Glas einschenke. Weil es aber, aus Versehen, anders lief, Wein und Brief, um Porto zu sparen, zusammen verschickt wurden, fühlt sich sein Nachfolger irgendwie mitschuldig am Selbstmord des Arztes.Niemand müsse sich schuldig fühlen, sagt die Witwe von Ludwig Friedel und schließt sich in diese Absolution mit ein. »Mein Mann wollte nicht mehr leben, er hatte sich lange vor dem tatsächlichen Selbstmord dazu entschlossen, hat falsche Spuren gelegt, hat nach außen den in sich ruhenden Alten gespielt, aber tatsächlich wohl seinen Abgang sorgfältig vorbereitet.

Wir hätten das selbst dann nicht verhindern können, wenn wir von seinen Absichten etwas geahnt hätten.« Sie ahnte etwas, doch sie konnte mit dieser Ahnung mangels konkreter Indizien nichts anfangen. In den schlaflosen Nächten nach dem Selbstmord fiel Petra Friedel auch wieder ein, dass er ihr ein Jahr vor seinem Tod ernsthaft vorgeschlagen hatte, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, dem historischen Beispiel Heinrich von Kleists und seiner Geliebten Henriette Vogel folgend. Die Erinnerung daran hatte sie verdrängt, auch deshalb, weil ihr Mann nie wieder davon gesprochen hatte. Die Idee schien beerdigt.

Der Gedanke, sich umzubringen, kam ihr geradezu absurd vor, und nicht nur aus Liebe zu ihm, mit dem sie alt werden wollte, sondern vor allem aus Liebe zum Leben. Sie war zwanzig Jahre jünger als er, mädchenhaft zart, blond, klein. Noch heute wirkt sie wie eine junge Frau, die noch alles vor sich hat. Sie ging gern aus, gern ins Kino, gern ins Theater, gern in Konzerte. Er hatte dafür nie Zeit. Sein Alltag bestand nur aus Arbeit. Als er fünfundsechzig wurde, hatte er seinen Beruf aufgeben müssen, und das hatte für ihn offensichtlich die Aufgabe seines Lebens bedeutet. Konsequent gab er es stattdessen selbst auf."
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