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Mein Deutschland - dein Deutschland

Dein Deutschland

AutorSabine Stamer, Tom Buhrow
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644007512
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Als Tom Buhrow und Sabine Stamer 2006 nach über zehn Jahren aus den USA nach Deutschland zurückkehrten, schrieben sie über ihre Erfahrungen das Buch «Mein Amerika - Dein Amerika». Es wurde ein persönliches, unterhaltsames Porträt der Vereinigten Staaten. Das Buch avancierte zum Bestseller. Nach vier Jahren zurück in Deutschland ziehen sie nun auf ähnliche Weise Bilanz und entdecken ihre alte Heimat neu. Wie lebt es sich in Deutschland heute, zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung? Das Buch ist keine Analyse, sondern ein persönlicher Erfahrungsbericht, ausgehend von privaten Erlebnissen, angereichert mit journalistischer Recherche. Die Anschauungen zweier Menschen, die zurückkamen, um Deutschland zu lieben, aber oft feststellten, dass Land und Leute nicht unbedingt geliebt werden wollen. Zentrale Themen wie soziale Gerechtigkeit, Ost-West-Entwicklung, Zuwanderung, Bildung und Erziehung betrachten die beiden Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln und sind dabei durchaus nicht immer einer Meinung. Eben: Mein Deutschland - Dein Deutschland.

Tom Buhrow ist einer der profiliertesten deutschen Nachrichten-Moderatoren. Bekannt wurde Tom Buhrow Anfang der Neunziger Jahre als Fernsehkorrespondent in den Studios Washington und Paris. Seit 2006 ist er der Moderator der Abendnachrichten. Tom Buhrow und Sabine Stamer sind verheiratet und haben zwei Töchter.

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Leseprobe

Nur Bares ist Wahres!


Ehrbare Kaufmannstraditionen

Heimkehrer nach Deutschland haben fast immer gemischte Gefühle. Manches fürchten sie: viele Regeln im Alltag, den Hang, sich gegenseitig zu kontrollieren, eine manchmal muffelige Art, miteinander umzugehen, und einiges mehr. Auf vieles freut man sich: vertraute Bräuche, Weihnachtsmärkte im Dezember, Fußball am Wochenende, frisches Brot in allen Variationen, saubere Bürgersteige, gute öffentliche Verkehrsmittel und einiges mehr. Dass wir unzufrieden mit unserem Land sind, scheint im Nachkriegsdeutschland dazuzugehören. Aber objektiv ist das meiste ziemlich prima: Endlich werden die Handwerker wieder wissen, was sie tun, und müssen nicht mehrmals kommen, um simple Handgriffe auszuführen. Es lebe die deutsche Wertarbeit, die deutsche Korrektheit – auch in Vertragsangelegenheiten. Hier werden Rechnungen pünktlich gezahlt, Vereinbarungen eingehalten, Verträge ernst genommen … Oder etwa nicht?

Nach zwölf Jahren Wanderschaft durchs Ausland steht unsere Rückkehr nach Deutschland an. Tom wird Moderator der «Tagesthemen» und soll im September 2006 in Hamburg anfangen. Von den USA aus bereiten wir in Etappen unsere Umsiedlung vor. Auf welche Schule kommen die Kinder? Wo werden wir wohnen? Solche Fragen kann man nicht in einem Rutsch klären. Man muss sich mehrmals vor Ort umsehen. Wir planen mehrere Heimatbesuche, machen Termine mit Schulen und Maklern. Als Nomade auf Auslandsposten lebt man zur Miete. Jetzt sieht es so aus, dass wir eine Weile an einem Ort bleiben werden, und wir entschließen uns, das Wagnis eines Hauskaufs einzugehen. Zunächst heißt es, mit möglichst vielen Maklern Termine zu machen und mit jedem neu auszuloten, was wir im Sinn haben. Dank Internet kann man wenigstens vorsortieren. Dann bündeln wir die Verabredungen, und auf geht’s nach Hamburg für eine knappe Woche.

Eins fällt sofort auf: Deutschland wird älter. Die meisten Immobilien, die wir uns anschauen, werden von Witwen bewohnt. Während Amerikaner mindestens zehnmal in ihrem Leben umziehen und dabei immer – sobald sie es sich leisten können – ein Haus verkaufen, um ein neues zu kaufen, scheint es in Deutschland nur zwei Gründe zu geben, das Eigenheim zu veräußern: Scheidung und Alter. Eine ältere Dame erklärt uns: «Ich wollte das Haus behalten, weil es groß genug ist, wenn mich mein Sohn mit seinen Enkelkindern besucht. Aber die Kinder kommen doch nicht so häufig, wie ich dachte. Meistens geht das husch, husch, und schon sind sie wieder weg. Dafür brauche ich das Haus nicht.» Sie hat bereits einen Platz im Seniorenheim. Andere Hausbesitzer wollen in eine kleinere Wohnung umziehen.

Bei einer Besichtigung öffnet der ebenfalls betagte Makler während des Rundgangs die Tür zu einer Abstellkammer. «Dies hier sollten vor allem Sie sich ansehen!» Er wendet sich an Sabine. «Das könnten Sie als Bügelzimmer nutzen. So etwas ist ja für die Hausfrau interessant.»

«Bei uns bügelt mein Mann!», erwidert Sabine. Verlegenes Lachen. Tom bemüht sich, besonders herzhaft zu lachen, damit der Makler die Antwort bloß nicht als Kritik an seinem Frauenbild versteht. Die Sorge ist unbegründet. Die Besitzerin des Hauses knüpft gleich an: «Meine Schwiegertochter lässt meinen Sohn mit allen möglichen Hausarbeiten allein. Ich sage immer: ‹Wen hast du da geheiratet?› Aber die Frauen sind heutzutage nicht mehr das, was wir früher waren!» Das Haus kommt – trotz Bügelraum – nicht in Frage.

Ein anderes Haus liegt an einer U-Bahn-Trasse, ist deswegen recht günstig zu haben. Das erscheint uns überlegenswert. Nachdem wir uns von den Bewohnern verabschiedet haben, folgt uns der Makler zum Auto und raunt uns zu: «Eigentlich ist das Haus schon so gut wie verkauft, aber es kann gut sein, dass der Notartermin noch platzt.» Dann könne er den Verkäufern beibringen, im Preis etwas nachzulassen. Wir sind offenbar Notnagel bei einem Schacher.

Vor jeder Abreise schärfen wir allen Maklern ein, uns zu verständigen, falls sich ein geeignetes Angebot finden sollte. Per E-Mail sollte das kein Problem sein; teure Auslandsgespräche sind nicht nötig. Aber sobald der Kunde weg ist, scheint er auch aus dem Sinn zu sein. Da waren unsere Wohnungssuchen in den USA einfacher, denn dort sind die Vorschriften für Makler kundenfreundlicher: Nicht der Mieter oder Käufer zahlt die Provision, sondern der Besitzer des Objekts. Schließlich arbeitet der Makler in dessen Interesse. Beide wollen den Preis möglichst hoch halten. Vor allem aber: Ob zur Miete oder zum Kauf – der Vermittler hat ein Objekt nur kurze Zeit exklusiv in seinem Portfolio. Danach geht es mitsamt allen Informationen über Zustand, Größe, Grundstück, Preisvorstellung inklusive Fotos an ein Zentralregister, auf das jeder Makler Zugriff hat. Ab dann beginnt der Konkurrenzkampf: Falls der ursprünglich beauftragte Makler einen Mieter oder Käufer findet, kann er die komplette Provision einstreichen. Falls ein anderer Makler den Kunden anschleppt, wird die Provision fifty-fifty geteilt. Das bringt alle auf Trab. Niemand kann sich auf seinem Monopol ausruhen und einfach abwarten, bis die Kunden von allein kommen. Für den Wohnungssuchenden bringt das große Vorteile: Er wendet sich an einen einzigen Makler, der den Überblick über den gesamten Markt vor Ort hat.

Auf eine solche Unterstützung können wir bei unserer Suche in Deutschland nicht zählen. Kein einziger Makler – und wir hatten zu vielen Kontakt, großen und kleinen Firmen – versorgt uns kontinuierlich mit Angeboten und wird für uns aktiv. Im Internet finden wir schließlich ein interessantes Haus in guter Lage, passend zu unseren Vorstellungen und Möglichkeiten – unter Vertrag bei einer Maklerin, mit der wir schon etliches angeschaut hatten und die uns versichert hatte, sofort Bescheid zu sagen, falls sie etwas Geeignetes sieht. Kunden aus ihrer Kartei darüber zu informieren, hielt die Dame offenbar für überflüssig. Wahrscheinlich war sie sicher, dieses Objekt schnell loszuwerden. Warum also extra eine E-Mail nach Washington schicken? Wir fragen uns, wofür man einen Makler eigentlich bezahlt. Er übernimmt ja nicht einmal die Garantie dafür, dass die von ihm gemachten Angaben über Fläche, Baujahr und den Zustand des Hauses stimmen.

Für den folgenden Monat organisieren wir unsere nächste Heimreise und besichtigen dieses Haus gleich als Erstes. Zum Glück war es noch nicht weg. Ob es doch einen Haken hatte? Uns blieb nicht viel Zeit. Andere Verabredungen, auch mit einigen Schulen in der Nähe, standen an. Etwas gehetzt schritten wir die Zimmer ab. Es heißt, wenn man die richtigen vier Wände gefunden habe, dann wisse man das auf Anhieb. So ist das hier für uns. Wir verabreden uns mit den Besitzern für denselben Abend zu einem ausgedehnteren zweiten Rundgang und eilen zum nächsten Termin. Unterwegs sagen wir beide das Gleiche: «Das könnte unser neues Zuhause werden.» Der zweite Besuch «unseres neuen Heims» am Abend bestätigt das. Es gefällt uns wirklich sehr. Wir unterhalten uns angeregt mit den Besitzern, einem überaus sympathischen älteren Ehepaar. Es stellt sich heraus, dass sie einen Teil des Gartens separat verkaufen wollen, was bedeutet, dass wir entweder die Summe obendrauf legen oder direkt vor unserer Küchentür ein neues Haus gebaut würde. Wir wollen nicht feilschen, von manchem Traum muss man sich eben verabschieden.

Am nächsten Tag erhalten wir einen Anruf des Besitzers. Seine Frau habe kaum schlafen können, denn wir seien genau die richtigen Käufer für dieses Haus. Sie selbst hätten hier ihre Kinder großgezogen und wünschten sich sehr, dass wieder eine Familie einziehe, die das Haus zu schätzen wisse. Sie möchten vermeiden, dass ein Investor alles abreißt und hässliche Eigentumswohnungen errichtet. Irgendwie müsse es doch möglich sein zusammenzukommen. Uns hüpft das Herz. Wir haben die Fotos von ihren Kindern gesehen, der Gedanke, dort die Tradition des munteren Familienlebens fortzuführen, ist uns sympathisch. Wir setzen uns noch am selben Abend zusammen, trinken eine Flasche Rotwein und essen Wurst. Die beiden scheinen unkompliziert zu sein, sie patent und offen, er bibliophil und an Kunst interessiert. Wir führen keine richtigen Verhandlungen, sondern ein offenes Gespräch über unsere Möglichkeiten und Grenzen. Sie verstehen, dass man nicht mehr bezahlen kann, als man hat; uns ist klar, dass man kein halbes Haus verschenken kann. Als wir uns trennen, sind wir uns nähergekommen – persönlich und finanziell. Noch vor dem Abflug unterbreitet uns der Verkäufer einen Kompromiss, der in unser Budget passt. Und so geht es zurück nach Amerika.

In den nächsten Wochen und Monaten klären wir von Washington aus all die vielen Dinge, die man klären muss, wenn man Hauseigentümer werden will. Wer je dahin kommt, für den ist es in den allermeisten Fällen die größte Investition seines Lebens. Zahlen hinter dem Komma spielen eine Rolle.

In Amerika gibt es eine Volksweisheit: «Wenn etwas so klingt, als sei es zu gut, um wahr zu sein, dann ist es wahrscheinlich nicht wahr.» Wir müssen im Rückblick eingestehen, dass wir vor lauter Verzückung einige dringende Fragen nicht stellten: Warum wurde das Haus nicht schon nach dem ersten öffentlichen Besichtigungstermin verkauft? Wir waren schließlich erst über einen Monat später angereist. Warum gab es nicht wesentlich mehr Interessenten? Warum will man ausgerechnet uns als Käufer, obwohl sicher ein höherer Marktpreis zu erzielen wäre? Wir spazieren in diesen Hauskauf wie die Weihnachtsgänse. Wir haben keine Ahnung von einer solchen Transaktion. Wir wohnen in Washington, und es ist etwas kompliziert, sich aus...

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