3. Die medizinisch-psychologische Untersuchung
Angenommen also, Sie sind alkoholisiert gefahren und erwischt worden – das ist der häufigste Grund für eine MPU. Wenn Sie zum vereinbarten Termin die Begutachtungsstelle für Fahreignung betreten, werden Sie vielleicht erstaunt sein, wie viele Menschen dort an einem einzigen Tag, an einem einzigen Untersuchungsort auf die Begutachtung ihrer Fahreignung warten. Sie rechnen Ihren Untersuchungsort auf ganz Deutschland, Ihren Untersuchungstag auf das ganze Jahr hoch, und Sie können kaum glauben, zu welchem Ergebnis Sie kommen. »So viele Alkoholsünder? – Das gibt es nicht«, denken Sie, und Sie haben Recht. So viele Alkoholsünder gibt es wirklich nicht.
Wer muss zu einer MPU?
Neben dem Untersuchungsanlass »Alkohol im Straßenverkehr« gibt es eine beachtliche Liste anderer Untersuchungsanlässe. Immer dann, wenn die Verwaltungsbehörde bei einem Inhaber einer Fahrerlaubnis (bzw. dem Bewerber um eine solche) Anlass hat, an dessen Fahreignung zu zweifeln, kann sie eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnen. Diese Zweifel können sich auf ein bestimmtes Fehlverhalten beziehen, aber auch auf körperliche oder seelische Krankheiten oder Behinderungen. Oder es bewirbt sich jemand um eine spezielle Fahrerlaubnis, mit der höhere Qualifikationen verbunden sind.
Welche Untersuchungsanlässe gibt es?
Der wohl bekannteste Untersuchungsanlass, aus dem sich die verbreitete Bezeichnung »Idioten-Test« für die MPU ableitet, zielt auf den Prüfungsversager. Jenen armen, meist einfach sehr nervösen Menschen also, der die theoretische oder praktische Führerscheinprüfung auch nach fünf bis sechs Anläufen nicht geschafft hat. Dieser Untersuchungsanlass fällt heutzutage kaum noch ins Gewicht.
Wenn Sie eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (Bus, Taxi) beantragen, müssen Sie ebenfalls ein Gutachten beibringen; übrigens auch als Inhaber einer solchen Fahrerlaubnis, wenn Sie ein gewisses Alter überschritten haben und die Verlängerung (z. B. bei Bus über das fünfzigste Lebensjahr hinaus) beantragen.
Auch jemand, der noch keine 18 Jahre alt ist und unbegleitet fahren möchte, braucht für einen vorzeitigen Führerschein eine MPU.
Dann gibt es noch bestimmte körperliche oder geistig-seelische Gebrechen, die sich bei der motorisierten Verkehrsteilnahme gefährlich auswirken können – von Sehstörungen über körperliche Behinderungen oder Erkrankungen bis hin zu schweren psychischen Krankheiten. Dazu gehören zum Beispiel Psychosen, welche die Erkrankten (zumindest zeitweise) unzurechnungsfähig machen. Bei solchen Erkrankungen wird normalerweise zunächst ein ärztliches Gutachten angestrengt, diesem folgt aber häufig zusätzlich eine MPU.
Allen bisher genannten Untersuchungsanlässen ist gemeinsam, dass sie – vereinfacht ausgedrückt – eine »abgespeckte« Form der MPU nach sich ziehen, in der der psychologische Teil, insbesondere das psychologische Untersuchungsgespräch, eine eher untergeordnete Rolle spielt. Anders bei den nun folgenden Untersuchungsanlässen, denen wir die drei Hauptkapitel in diesem Buch gewidmet haben: Punkte, Drogen, Alkohol.
Wer in Flensburg Punkte gesammelt hat (seit 1. Mai 2014 gilt die Grenze bei acht Punkten als überschritten), wer sich erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen Verkehrsrecht zuschulden kommen lässt oder wer strafrechtliche Delikte im Verkehr bzw. unter Benutzung eines Kfz begangen hat, muss mit einer Untersuchung rechnen. Sogar strafrechtliche Delikte, die nichts mit dem Verkehr direkt zu tun haben, aber, so der Gesetzgeber, »Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial« liefern, können zu einer MPU führen.
In steigendem Maß führen Drogenauffälligkeiten zu Schwierigkeiten mit dem Führerschein bzw. zur Anordnung von Gutachten. Je nach konsumierter Droge und Art der Auffälligkeit (im Verkehr, außerhalb des Verkehrs, bei Abhängigkeit) kann hier ein ärztliches Gutachten, ein MPU-Gutachten oder sogar beides angeordnet werden. Zu den speziellen und recht komplizierten Regelungen bei illegalen Drogen gibt das Kapitel »Der Untersuchungsanlass ›Drogen‹« genaue Auskunft.
Und schließlich gibt es die Promillesünder. Sie sind mit Abstand die größte Zielgruppe aller medizinisch-psychologischen Untersuchungen, wobei die Fallzahlen in den letzten Jahren zurückgingen, während gleichzeitig die Drogenanlässe stetig zunehmen. Es muss übrigens nicht unbedingt eine Autofahrt unter Alkoholeinfluss vorliegen, um jemanden zur Untersuchung zu schicken. Es reicht auch eine Fahrt mit dem Fahrrad. Auch wenn die Polizei einen im Rausch Randalierenden ins Nervenkrankenhaus überstellen muss, so schickt sie unter Umständen eine Meldung darüber an die Führerscheinbehörde. Damit bestehen »Tatsachen, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch begründen«. Ist der Betreffende Führerscheininhaber, fordert ihn die Behörde zu einer Begutachtung auf. Kommt er dem nicht nach, kann ihm der Führerschein entzogen werden.
Prinzipiell ist jede nur denkbare Kombination dieser Untersuchungsanlässe möglich. Dieser Ratgeber hilft Ihnen bei den häufigsten und problematischsten Untersuchungsanlässen, allen voran »Alkohol am Steuer«, dann in jeweils eigenen Kapiteln zu »Punkten« und »Drogen«. Und im Kapitel »Freiwillige Untersuchung?« können Sie nachlesen, weshalb sich immer mehr Menschen aus eigenem Antrieb, ohne behördliche Anordnung, einer Untersuchung unterziehen – freilich keiner MPU im eigentlichen Sinn, sondern einem »Fitness-Check«, weil sie zum Beispiel nach einer Erkrankung wissen wollen, ob in puncto Fahrtüchtigkeit noch alles passt.
Sie sehen: im Wartezimmer der Begutachtungsstelle wird Ihnen ein bunt gemischter Haufen begegnen. So vielfältig wie die Anlässe sind auch die Untersuchungsweisen. Untersuchung und Gutachten gehen auf den jeweiligen Anlass ein, jeder Anlass braucht eine andere Methode, hat andere Untersuchungsschwerpunkte.
Warum muss ausgerechnet ich zu einer MPU?
Wir hatten gehört, dass Alkohol im Straßenverkehr nicht automatisch eine MPU nach sich zieht, dass manche Kraftfahrer nach Ablauf der Sperrfrist ihren Führerschein ohne Untersuchung wiederbekommen. Das provoziert natürlich einige weitere Fragen:
- Welche Kriterien legen fest, welcher Promillesünder zu einer MPU muss und welcher nicht?
- Worauf gründen sich eigentlich die Eignungszweifel der Verwaltungsbehörde?
Zu einer MPU führen folgende Alkoholauffälligkeiten im Verkehr:
- Hohe Promille: Die Behörde ordnet eine MPU an, wenn bei Ihrer Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1,6 Promille gemessen wurde.
- Wiederholte Verkehrszuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss: Die Verwaltungsbehörde schickt Sie auf jeden Fall dann zur MPU, wenn Sie in einem bestimmten Zeitraum bereits mehrfach wegen Alkohol am Steuer aufgefallen sind. In diesem Fall ist es egal, wie hoch die dabei gemessenen Blutalkoholkonzentrationen waren. So müssen Sie zum Beispiel zur MPU, wenn Sie innerhalb von fünf Jahren zweimal mit 0,5 Promille im Verkehr aufgefallen sind.
Höhere Strafen statt einer MPU?
Sie müssen also zu einer MPU, weil Sie entweder bei Ihrer Trunkenheitsfahrt zu viel Promille hatten oder weil Sie jetzt schon zum zweiten (oder dritten oder …) Mal mit Alkohol am Steuer aufgefallen sind oder weil bei Ihnen beides zutrifft. Nun denken Sie vielleicht, es mag einleuchten, dass man kleine Sünder leichter bestraft, große Sünder dagegen schwerer. Aber: Könnte das nicht gleich der Richter übernehmen? Sollte er nicht schon von vornherein Sperrfrist und Geldstrafe umso üppiger ansetzen, je mehr Promille jemand hatte? Dann wüsste man wenigstens von Anfang an, woran man ist; dann bedürfte es dieser zeitraubenden und kostspieligen Zusatzstrafe nicht, dieser MPU mit all ihren Ungewissheiten.
Keine schlechte Idee, wenn die MPU und die mit ihr oft verbundene Verlängerung der führerscheinlosen Zeit über die Sperrfrist hinaus tatsächlich eine Zusatzstrafe wäre. Aber auch wenn sich das für Sie so anfühlt: Die Sperre stellt keine »Strafe« dar, sondern ist vielmehr eine vorbeugende Maßnahme: Ihre Führerscheinbehörde muss – völlig unabhängig vom Richterspruch und der Dauer Ihrer Sperrfrist – nach Verbüßung der Strafe erst noch prüfen, ob Sie wieder geeignet sind zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Als sachverständigen Ratgeber für diese Überprüfung zieht die Führerscheinbehörde eine akkreditierte Begutachtungsstelle für Fahreignung hinzu.
Was verspricht sich die Behörde von der Untersuchung?
Über Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass manche Trunkenheitsfahrer einmal in ihrem Leben auffallen und dann nie wieder, weil sie aus dem Vorfall gelernt haben. Andere hingegen sind auch durch harte Strafen und durch bitterste Konsequenzen eines früheren Führerscheinentzugs nicht davon abzuhalten, erneut betrunken mit einem Kraftfahrzeug zu fahren.
Können Sie sich vorstellen, wodurch sich der typische Einmal-Täter vom rückfälligen Täter unterscheidet?
Logisch betrachtet müssten doch vor allem die kleinen Sünder am ehesten versucht sein, erneut mit Alkohol zu fahren, jene also, die wegen ihrer niedrigen...