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E-Book

Der unvernünftige Kunde

Mit Behavioural Economics irrationale Entscheidungen verstehen und beeinflussen

AutorFlorian Bauer, Hardy Koth
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783864146251
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Alle Unternehmen wollen die Kaufentscheidungen von Kunden zu ihren Gunsten beeinflussen. Umso erstaunlicher ist es, dass dem konkreten Ablauf des Entscheidungsprozesses beim Kunden, dem Kaufakt selbst, kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird - meist wird einfach ein rationaler Konsument unterstellt. Die Ergebnisse der Behavioural Economics zeigen jedoch völlig unzweifelhaft , dass Menschen nicht vernünftig entscheiden. Es wird Zeit, dass diese Erkenntnisse in den Unternehmen profitabel angewendet werden. Die Autoren verdeutlichen hier anschaulich, wie die Erkenntnisse der Behavioural Economics auf Unternehmen übertragen werden können. Sie entwickeln ein psychologisches Modell der Kaufentscheidung, das auch unvernünftiges menschliches Verhalten umfasst und damit vorhersagbar macht.

Dr. Florian Bauer ist Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM) und wurde im Jahr 2012 mit dem ESOMAR Effectiveness Award ausgezeichnet. Hardy C. Koth ist Autor des Buches Custom Enterprise.com, erschienen bei Financial Times Publishing in London, und weltweiter Präsident von IRIS (International Research Institutes). Ebenso wie Dr. Bauer ist er Gründer und Vorstandsmitglied der Vocatus AG, eines international tätigen Marktforschungs- und Beratungsinstituts.

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Leseprobe

2. Behavioral Economics im Unternehmen


Behavioral Economics oder die Verhaltensökonomik, wie sie im Deutschen bezeichnet wird, ist ein Grenzgebiet zwischen Wirtschaftswissenschaften und Psychologie. Sie beschäftigt sich seit den 60er-Jahren mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlich relevanten Entscheidungssituationen, zum Beispiel Kaufentscheidungen. Dabei werden Konstellationen untersucht, in denen Menschen im Widerspruch zu den normativen Modellannahmen des Homo oeconomicus und insofern »suboptimal«, »irrational« oder »unvernünftig« agieren.

Erkenntnisse und Modelle im Rahmen der Behavioral Economics wurden beinahe ausschließlich auf Basis von Experimenten gewonnen, bei denen das Entscheidungsverhalten von Menschen in verschiedenen Situationen untersucht wurde. Der prototypische Forschungsansatz war dabei, dass zwei unterschiedliche Gruppen von Versuchspersonen vor Entscheidungssituationen gestellt wurden, die objektiv gleich waren, aber aufgrund unterschiedlicher Gestaltung oder Formulierung der Entscheidungssituation subjektiv unterschiedlich wahrgenommen wurden, was im Ergebnis zu gegenläufigem Entscheidungsverhalten der beiden Gruppen führte. Untersucht wurde dabei, welche Aspekte der Entscheidungssituation zu solchen Widersprüchen (sogenannten Preference Reversals) führen und mit welchen psychologischen Entscheidungsmodellen dies plausibel erklärt werden kann. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Test bestimmter Annahmen der rationalen Entscheidungstheorie. Man wollte über diese Experimente extrahieren, wo und aus welchen Gründen reale Menschen systematisch von den normativen Regeln rationalen Entscheidens abweichen.

Dabei geht es nicht darum zu beweisen, dass das rationale Entscheidungsmodell falsch ist. In seiner inhärenten Logik ist es formal zwingend richtig, aber eben nur als normatives Modell. Behavioral Economics dagegen wollte diesem normativen Modell (wie Menschen entscheiden sollten) ein deskriptives Entscheidungsmodell (wie Menschen tatsächlich entscheiden) gegenüberstellen. Die normativen Annahmen des Homo oeconomicus wurden in der traditionellen Volkswirtschaftslehre (Economics) als Basis für die meisten volkswirtschaftlichen Theorien verwendet. Sie erscheinen logisch und vor allem lassen sie sich sehr einfach in mathematischen Modellen abbilden. Einer empirischen Prüfung wurden diese Annahmen jedoch zunächst nicht unterzogen.

In gewisser Hinsicht hat man aus Vereinfachungsgründen über die mögliche Diskrepanz zwischen normativem und deskriptivem Modell hinweggesehen – nicht zuletzt, weil normative Theorien weniger komplex sind, mit wenig Annahmen auskommen und damit auch leichter zu modellieren sind. Die Behavioral Economics interessiert sich nun dafür, inwieweit diese Annahmen empirisch zutreffend sind und welche Konsequenzen sich daraus für die Anwendbarkeit volkswirtschaftlicher Theorien und für das Funktionieren von Märkten ergeben.

Die bekanntesten Experimente der Behavioral Economics gehen auf die Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman zurück (vgl. Kahneman, Slovic, Tversky 1982). Kahneman wurde für seine Arbeiten im Bereich der Behavioral Economics 2002 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Amos Tversky verstarb leider recht früh, war aber als Wegbereiter für diesen Erfolg mindestens ebenso ausschlaggebend. Kahneman erhielt den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ungeachtet der Tatsache, dass er Professor der Psychologie war und laut eigener Aussage in seinem ganzen Leben noch keine einzige Vorlesung zu Wirtschaftswissenschaften gehört oder gar gehalten hat.

In über fünfzig Jahren intensiver Forschungsarbeit konnten Kahneman, Tversky und eine Vielzahl weiterer Forscher aus Psychologie und Wirtschaftswissenschaften unzählige Entscheidungsanomalien identifizieren, die beschreiben, unter welchen Bedingungen Menschen vorhersagbare Entscheidungsfehler machen. Es geht bei Behavioral Economics also nicht um unsystematische Entscheidungsfehler oder zufällige Abweichungen vom rationalen Entscheidungsmodell, sondern darum zu identifizieren, unter welchen Bedingungen Menschen immer wieder und damit vorhersagbar Fehler bei ihren Entscheidungen machen.

Dabei ist der Begriff »Fehler« immer aus dem Blickwinkel formal rationaler Maßstäbe zu interpretieren, denn viele dieser Effekte führen trotz ihrer logischen Unvollkommenheit häufig zu verhältnismäßig guten Entscheidungen bei gleichzeitig sehr geringem Aufwand. Evolutionär betrachtet ist diese Form menschlichen Entscheidungsverhaltens also gar nicht so verkehrt, denn in der Masse der täglich zu treffenden Entscheidungen führt sie mit minimalem Denkaufwand zu recht zufriedenstellenden und nur in manchen Situationen zu eindeutig falschen Entscheidungen (vgl. Gigerenzer und Todd 1999).

Behavioral Economics zeigt uns also in vielfältiger Weise, dass wir bei Weitem nicht so rational entscheiden, wie wir das gerne von uns selbst glauben. Das ist nicht leicht zu akzeptieren, denn es rüttelt an unserem Selbstverständnis. Die erste Reaktion vieler Menschen auf die Ergebnisse der Behavioral Economics ist: »Ja, so machen das andere, aber ich nicht. Ich entscheide tatsächlich rational, während die anderen vielleicht nur glauben, dass sie es tun.« Doch die erdrückende Anzahl an Experimenten zeigt: Wir entscheiden alle so und selten rational im Sinne des klassischen Homo oeconomicus. Dabei sollte es nicht überraschen, dass die meisten von uns dennoch ziemlich gut zurechtkommen, denn Behavioral Economics versucht natürlich, die Fehleranfälligkeit menschlicher Entscheidungen deutlich hervorzuheben. Es werden gezielt Situationen extrahiert und auf die Spitze getrieben, wie dies im Alltag nur selten der Fall ist, wenngleich die Finanzkrisen der letzten Zeit oftmals auf solche Entscheidungsfehler zurückgeführt werden können.

Die einzelnen Effekte wurden nicht kontextfrei untersucht, ein wichtiges Augenmerk der Forschungsarbeit lag auf der Praxisrelevanz. So wurden die Implikationen der Erkenntnisse vor allem im Kontext von Finanzentscheidungen, Risikoeinschätzungen, Gruppendynamik, Fragen des Arbeitsmarkts oder im Kontext von Diagnoseentscheidungen im medizinischen Umfeld diskutiert. Auch die typische Konsum- beziehungsweise Kaufentscheidung wurde dabei vielfach thematisiert. Wichtig für die Fragestellung ist, dass der Kontext der Kaufentscheidung aus Unternehmenssicht bisher nie systematisch analysiert, sondern immer umgekehrt vorgegangen wurde: Man fand einen Effekt und untersuchte dessen Implikation für das Unternehmen.

So erscheint das Gesamtbild, das Behavioral Economics auch nach Jahrzehnten ergibt, aus Unternehmenssicht unsystematisch und lückenhaft. Die Frage, wie man die vielen Erkenntnisse systematisch übertragen kann, ist bisher unbeantwortet geblieben. Genau dieser Frage widmet sich deshalb dieses Buch in grundsätzlicher Form. Daher interessiert uns vor allem die mikroökonomische Sicht auf individuelle (Kauf-)Entscheidungen und weniger die makroökonomische Sicht auf Märkte insgesamt.

Behavioral Economics ist ein so umfassendes und weitreichendes Forschungsgebiet, dass man damit problemlos zahlreiche Bände füllen könnte, was natürlich auch vielfach schon geschehen ist. Es würde den Umfang dieses Buchs sprengen, hier einen kompletten Überblick über das gesamte Forschungsgebiet zu geben. Aber es gibt doch einige Kernaussagen, die sich aus der Vielzahl von Studien herauskristallisieren und die für anwendungsorientierte Entscheider in Unternehmen von elementarer Wichtigkeit sind.

Behavioral Economics hat in einer erdrückenden Fülle von einzelnen Experimenten zweifelsfrei aufgezeigt, dass wir nicht wie ein Homo oeconomicus entscheiden: weder sind wir in unseren Entscheidungen sonderlich rational (obwohl wir dies häufig versuchen) noch haben wir alle Informationen noch entscheiden wir emotionslos. Menschen können vielmehr vergesslich, impulsiv, verwirrt, emotional, gleichgültig oder kurzsichtig handeln. Wir sind ganz normale Menschen, keine Vulkanier wie Mr. Spock. Im besten Fall verhalten wir uns wie Captain Kirk, der sich – anders als Mr. Spock – immer auch von weniger rationalen Aspekten leiten ließ und zu Spocks Verwunderung im Großen und Ganzen trotzdem ausreichend vernünftige Entscheidungen traf, um sein Raumschiff weitgehend unfallfrei durch die Galaxis zu steuern.

Mit anderen Worten: Es kann vorkommen, dass ein Mensch sich für eine Alternative entscheidet, die er in einer anderen Situation ablehnen würde, obwohl es formal die gleiche Entscheidung ist. Die empirische Forschung zeigt, dass dies im realen Leben ständig und in so großem Umfang passiert, dass Unternehmen es nicht ignorieren können, wenn sie erfolgreich sein wollen. Mehr noch: dass sie ungeahnte Potenziale erschließen können, wenn sie sich von unangemessenen Modellen und Methoden trennen. Denn wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, sind nicht nur die Unternehmen, sondern auch die anwendungsbezogene Forschung implizit vom Virus des Homo oeconomicus infiziert. Beide tendieren dazu, die Potenziale zu übersehen, die sich im besseren Verständnis des realen Entscheidungsverhaltens verbergen, wie es im Rahmen von Behavioral Economics untersucht wird.

2.1 Wichtige Erkenntnisse der Behavioral Economics


Behavioral Economics besteht aus einer großen Anzahl von Einzelexperimenten und vielfach voneinander unabhängigen »Mini-Theorien«. Es wäre vermessen zu versuchen, hier auf wenigen Seiten einen Überblick über alle bisher gefundenen Effekte zu geben. Daher werden wir uns auf die wichtigsten Erkenntnisse für Unternehmensführung und das strategische Marketing beschränken.

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