In diesem Kapitel wird der Ist-Zustand der aktuellen Neufahrzeug-Vertriebsstrukturen in Deutschland dargelegt. Hierfür wird zuerst auf die allgemeine und aktuelle Marktsituation mit Ihren Chancen und Risiken eingegangen. Im Anschluss folgt eine Erläuterung der für den Vertrieb von Neufahrzeugen in Deutschland relevanten Grundlagen. Danach wird auf die horizontale Absatzkanalstruktur, die vertikale Vertriebsstruktur und abschließend deren aktuelle Gestaltung in der Praxis eingegangen.
Bis zum Ende des Jahrzehnts werden weltweit ca. 17% mehr Neufahrzeuge als 2003 abgesetzt. Diese Annahme beruht auf einem prognostizierten Wirtschaftswachstum in den USA, Europa und Asien, das ein Absatzplus von derzeit ca. 60 Mio. auf 70 Mio. Fahrzeuge im Jahr 2010 bedeutet.[55] Eine Betrachtung der Automobildichte verdeutlicht dies. In den USA kommen ca. 900 Pkw auf 1.000 Menschen, während es in Europa nur 500 und in China weniger als zehn Pkw sind. "Der Unterschied zwischen den USA und dem Rest der Welt zeigt, dass es ein weiteres Marktpotenzial"[56] für diese Branche gibt. Von weltweit 36 Mio. abgesetzten Fahrzeugen im Jahr 1990 ist die Anzahl auf über 60 Mio. Fahrzeuge im Jahr 2003 gestiegen.[57] Des Weiteren ist zu beachten, dass sich die Anzahl der in Betrieb befindlichen Fahrzeuge von derzeit „835 Millionen Pkw und Nutzfahrzeugen“[58] auf eine Milliarde Fahrzeuge im Jahr 2012 bei einem prognostizierten Wachstum von 2% erhöhen wird.[59] Demnach ist ein weltweites Potential vorhanden, dass aufgrund der natürlich begrenzten Ressourcen wie Öl, Stahl usw. und der somit steigenden Rohstoffpreise nur mit alternativen Antriebskonzepten ausgeschöpft werden kann.
In Deutschland, dem wichtigsten Automobilmarkt Europas, stellt sich folgende Situation dar. Die Besitzumschreibungen gingen 2003 in Deutschland das vierte Jahr in Folge zurück. Im Vergleich zum Jahr 2002 wurden mit 6.770.821 Pkw-Umschreibungen 0,9% weniger getätigt. In den alten Bundesländern inkl. Berlin betrug das Minus 1,1%. In den neuen Bundesländern stiegen die Besitzumschreibungen dagegen um 0,2% an. In diesem Marktumfeld reduzierten sich auch die Neuzulassungen 2003 in Deutschland zum vierten Mal in Folge auf hohem Niveau.[60]
Abbildung 5: Entwicklung der deutschen Neufahrzeugzulassungen[61]
Mit 3.236.938 erstmals registrierten Pkw reduzierte sich der Absatz im Jahr 2003 um 0,5%. Auch hier gingen die alten Bundesländer und Berlin um 0,7% zurück, während die neuen Bundesländer um 0,6% zulegten.[62] Der Neufahrzeugumsatz stieg von 71,34 Mrd. € im Jahr 2002 um 1,04 Mrd. € auf 72,38 Mrd. € im Jahr 2003.[63]
Abbildung 6: Umsatzentwicklung des deutschen Neufahrzeugmarktes[64]
Obwohl sich der Umsatz der Branche weiter erhöht hat gehen das KBA und Prognoseinstitute davon aus, dass in Deutschland ein neuer Tiefstand an Neufahrzeugzulassungen erreicht wird. „Der letzte datiert von 1993, als 3,194 Mio. neue Pkw registriert wurden"[65]. Dass dies „trotz diverser neuer, attraktiver Modelle in der Kompaktklasse“[66] eintritt, wird der Zunahme der Arbeitslosigkeit und der hohen Unsicherheit aufgrund von Sozialreformen zugeschrieben. Dies belegen auch der Zuwachs im Flottengeschäft von ca. 1,2% und der Rückgang von ca. 4,5% im Privatkundengeschäft in diesem Jahr. Hinzu kommt, dass der durchschnittliche Neufahrzeugpreis in Deutschland von 19.225 € im Jahr 1998 auf 22.360 € im Jahr 2003 angestiegen ist, was zu einer weiteren Senkung der Umsatzrendite auf 0,5% führte.[67]
Abbildung 7: Durchschnittlicher Neufahrzeugpreis in Deutschland[68]
Die absatzstarken Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands mit dem Rekordjahr 1991 (4,158 Mio. Neufahrzeugzulassungen) sind vorbei.[69] Da mehr Fahrzeuge produziert werden, als tatsächlicher Bedarf besteht, liegt ein Käufermarkt vor.
Wie die folgende Tabelle verdeutlicht, reduzierte sich die Anzahl der Neufahrzeuge vertreibenden Betriebsstätten weiter.
Abbildung 8: Betriebsstättenentwicklung in Deutschland[70]
Parallel zu dieser Betriebsstättenreduzierung „hat sich die Summe der Eigentümer durch Fusionen, Übernahmen, Betriebsaufgaben und Insolvenzen dezimiert.“[71] In Deutschland wissen sehr wenige, dass „der größte Autohändler die Nürnberger Versicherung ist."[72] Der leichte Anstieg der Betriebsstätten im letzten Jahr lässt sich mit der gestiegenen Zahl von Werkstätten erklären. Festzustellen ist, dass Deutschland mit Betriebsstätten gut ausgestattet ist. In den USA beträgt der Absatz von Neufahrzeugen bei etwa gleich großer Anzahl an Betriebsstätten mehr als das Fünffache.[73]
Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist die nach der GVO 1400/2002 nötigen „Zwangszulassung von Servicebetrieben, sofern die festgelegten Standards erfüllt werden.“[74] Für die Hersteller bzw. Importeure besteht bei der Gestaltung der Servicenetze nur bei den Standards die Möglichkeit, nicht jede Werkstatt aufnehmen zu müssen.[75] Vertragswerkstätten werden Ihren Marktanteil im Aftermarket von 47% im Jahr 2002 auf 49% im Jahr 2010 ausweiten. Diese Entwicklung wird hauptsächlich zu Lasten des Reifen-Fachhandels gehen.[76] Aufgrund der angespannten Situation im Neuwagenvertrieb (sinkende Absatzzahlen und schwindende Umsatzrenditen) konzentrieren sich viele Absatzmittler auf die gewinnbringenden Geschäftsbereiche Service und Gebrauchtwagenvertrieb. Dazu kommt, dass viele Hersteller bzw. Importeure immer noch keine Preisharmonisierung in Europa vorgenommen haben. Sie vereinheitlicht den Abgabepreis eines Neuwagens in Europa und macht den Import solcher Fahrzeuge unrentabel (s.a. 4.2.3). Viele Absatzmittler verlieren das Interesse am Neufahrzeugvertrieb, da hohen Investitionskosten geringe Umsatzrenditen und hohes Risiko gegenüber stehen. Im November 2004 gaben „25% der befragten Autohändler“[77] an, eine Bewerbung für einen Werkstattvertrag abgegeben zu haben. Reformen wie Basel II und die neue GVO 1400/2002 zwingen die Absatzmittler sich auf die gewinnbringenden Unternehmensbereiche zu konzentrieren.
Abbildung 9: Kaufort von Gebrauchtfahrzeugen[78]
Als Kaufort von Gebrauchtfahrzeugen ging der Neufahrzeughandel von 40% im Jahr 1998 auf 34% im Jahr 2003 zurück, wogegen der Gebrauchtfahrzeughandel als Kaufort konstant blieb und der Privatmarkt um 6% stark zulegen konnten.[79] Der Vertrieb von Gebrauchtfahrzeugen ist für Autohäuser weiterhin sehr interessant, da hier im Gegensatz zum Neufahrzeuggeschäft eine gute Umsatzrendite erwirtschaftet werden kann.
Des Weiteren haben die Händler erkannt, dass der Pkw-Bestand in Deutschland ansteigt. Folgerichtig ist der Markt für Reparatur- und Wartungsarbeiten in 2003 um 4% gegenüber 2002 angestiegen und macht jetzt ein Volumen von 91,9 Mio. € aus. Ein Autofahrer gab mit 245 € im Jahr 2003 15 € mehr für die Wartung seines Fahrzeuges aus.[80] Diese Steigerung setzt den Trend der letzen Jahre fort.[81]
Die am 1. Oktober 2002 in Kraft getretene GVO 1400/2002 behandelt den Vertrieb weniger restriktiv als dies bisher der Fall war. Deshalb ist der Markt in Bewegung gekommen.[82] Die Auswirkungen werden in den nächsten Jahren spürbar.[83] Begünstigende Ursache ist derzeit ein niedriges Zinsniveau in Deutschland. Es ist abzusehen, dass viele Betriebsstätten-Eigentümer schließen oder verkaufen müssen, wenn der Leitzins in Deutschland wieder Normalniveau erreicht, da sie nicht in der Lage sein werden, die dann gestiegenen Zinsen zu erwirtschaften. „Wie das Kaninchen vor der Schlange, so hocke der deutsche Autohändler vor seinem Hersteller, gebannt auf neue Entwicklungen starrend“[84]. Besonders in den neuen Bundesländern wird in den nächsten Jahren eine Übernahme- und Insolvenzwelle einsetzen, da "im Osten zu viele, zu große, zu teure Autohäuser gebaut worden"[85] sind.
Um ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen, müssen die Aufgaben des Vertriebs möglichst effizient erfüllt werden. Neben den abgeleiteten Zielen werden auch die Vertriebsstrukturen geplant und gegebenenfalls korrigiert. Dies geschieht bereits in der konzeptionellen Planung und setzt sich bis zu...