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E-Book

Mit der Waschmaschine durch Deutschland

AutorLudger Bücker
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641170615
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
»Normale Menschen machen so was nicht: Sich eine alte Waschmaschine schnappen und sie ?Mikaela? taufen, sie auf eine Sackkarre schnallen, alle Habseligkeiten in ihre Trommel werfen und sie vom Bodensee aus rheinabwärts bis in den Ruhrpott schieben. Insgesamt gut 1.200 Kilometer in 38 Tagen. Irgendwann in meinem Leben gab es einen Punkt, an dem ich das verrückte Gefühl hatte, genau das tun zu müssen. Und im Nachhinein kann ich sagen: Es war vielleicht die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.« Unterwegs hielt man Bücker für einen Hehler, einen Ehebrecher und einen Müllentsorger. Er trotzte Regen und Sturm, neugierigen Zollbeamten, schlammigen Abhängen und Schnaps trinkenden alten Damen - und eroberte mit seiner ?Mikaela? die Herzen der Bevölkerung im Flug ...

Ludger Bücker, 48, ist gelernter Krankenpfleger. Er machte sich im Herbst 2012 auf, Deutschland zu Fuß - und in Begleitung einer Waschmaschine - zu erkunden. Seit seiner 38-tägigen Wanderung den Rhein entlang hat er seine siebzig Kilo schwere »Mikaela« ins Herz geschlossen und war mit ihr auch schon an der Ostsee. Weitere Touren, zum Beispiel über die Alpen, sind in Vorbereitung.

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Leseprobe

Tag 1 Allensbach

Nun stehe ich hier vor meinem Zug, der mich zum Bodensee bringen wird. Ich bin ganz schön aufgeregt bei dem Gedanken, dass ich erst in fünf oder sechs Wochen wiederkommen werde. Meine Tasche habe ich gestern Abend noch mal platzsparender umgepackt, aber trotzdem habe ich das Ding kaum zubekommen. Beim Gedanken daran, jeden Morgen meine Sachen wieder neu zu packen und dabei noch jedes Mal ganz exakt vorgehen zu müssen, um alles reinzukriegen, habe ich mich dann dafür entschieden, doch lieber ein paar Dinge zu Hause zu lassen und noch etwas Platz zu haben. Für eventuelle Mitbringsel und wegen meiner Schludrigkeit, die sich sicherlich nach ein paar Tagen oder Wochen durchsetzen wird. Wenn ich genervt bin vom Wetter, mir die Knochen wehtun oder mir die Leute auf den Senkel gehen sollten, würde ich unaufmerksam werden. Ich kenne mich ja selbst am besten. Dann wird es so kommen, dass ich die ganzen Klamotten in den Sack stecke und nur noch weiterwill. Da lege ich dann sehr wenig Wert auf »Kofferpacken nach Knigge«. Also bleibt die zweite »Ausgehhose« im Schrank. Was soll ich abends denn schon viel unternehmen? Und wenn, dann gehe ich in meiner Jogginghose los. Mache ich doch hier auch fast jeden Tag. Also was soll es. Außerdem habe ich ja eine Jeanshose an, die muss reichen. Als ich die Tasche schließe, liegen auf meinem Tisch noch zwei Paar Strümpfe, ein Pullover, zwei Unterbuchsen, zwei T-Shirts, ein Buch, eine Ersatztube Sonnencreme und ein Paar Schuhe. Alles Sachen, die ich vermutlich nicht brauchen werde. Und sollte ich feststellen, dass ich mich da doch verschätzt habe, kann ich sie mir bei Bedarf unterwegs kaufen. Alles kein Problem.

Als ich einsteige, merke ich, dass der Zug proppenvoll ist. Na super! Es ist Montagmorgen, und da hätte ich mir schon denken können, dass viele Pendler unterwegs sind. Aber um den Berufsverkehr zu umgehen, hätte ich schon am Sonntag losfahren müssen, und das wollte ich nun wirklich nicht. Dann hätte ich ja noch ein Spiel meiner Fußballmannschaft verpasst. Der 1. SC Lippetal ist seit fast 40 Jahren mein Heimatverein, und so kurz vor meiner Tour wollte ich natürlich noch mal auf den Sportplatz und mir unser Meisterschaftsspiel in der A-Kreisliga angucken. Auch die Kiste Bier im Sportlerheim und die leckeren Bratwürstchen, um den Sieg zu feiern, wären mir in diesem Fall entgangen. Also alles richtig gemacht. So konnte ich mich noch von allen Kumpels und Kumpelinen verabschieden. Die haben schon etwas komisch geguckt, als sie merkten, dass ich das mit der Waschmaschine wirklich ernst meine. Als ich ihnen das erste Mal davon erzählte, haben viele doof geguckt und mich ausgelacht. Nur wenige haben geglaubt, dass ich das versuche, und noch weniger hätten darauf gewettet, dass ich es auch schaffen würde.

Jetzt erst mal mit der ollen Tasche quer durch jedes Abteil und einen nicht reservierten Platz finden. Als ich ganz vorne angekommen bin, drehe ich um und laufe den Weg noch mal zurück. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen. Aber da ist nix zu machen.

»Bleib doch ruhig, Junge, alles wird gut. Jetzt bloß nicht über so einen Scheiß aufregen«, ermahne ich mich selbst zu Ruhe und Gelassenheit. Also setze ich mich an so einer Gepäckaufbewahrungsecke auf meine Tasche.

Ich habe ab jetzt sehr viel Zeit, um Leute zu gucken, ein ausgesprochenes Lieblingshobby von mir. Dabei kann man schön abschalten und seine Fantasie spielen lassen. Was hat der Anzugmann mit der Pomadenfrisur wohl für einen Job? Banker oder Gauner? Oder beides? Ist die dicke Frau mit dem Kleinkind auf dem Schoß wohl schon wieder schwanger? Warum lächelt hier im Zug eigentlich niemand? Alle wirken so verbiestert und genervt. Sind nur mit sich und ihrem Handy beschäftigt. Fast jeder hat einen Knopf im Ohr. Niemand unterhält sich mit seinem Nachbarn. Schade. Aber ich glaube, ich mache mir da nur einen Kopf und spinne mal wieder viel zu viel rum. Die Leute fahren einfach zur Arbeit und sind in Gedanken schon bei ihrem Job. Vielleicht haben sie auch Probleme mit der Familie, mit ihren Männern oder Frauen, oder sie sind nicht so gesund, wie sie aussehen. Man weiß es nicht. Oder haben die vielen Menschen in anderen Ländern tatsächlich recht? Sind wir Deutschen wirklich so ein Volk, wo jeder nur sich selbst sieht und keiner mit seinem Mitmenschen etwas zu tun haben will? Sind wir ein Volk von Sturköppen und Egomanen, denen die anderen am Arsch vorbeigehen? Und vor allem: Sind wir wirklich so humorlos, wie es uns immer nachgesagt wird? Ich hoffe und wünsche mir, dass ich das Gegenteil herausfinde und dieses Vorurteil sich nicht bestätigen wird.

Schade, dass ich Mikaela nicht auf den ersten Teil meiner Tour mitnehmen kann. Aber da die Bahn sich aus unerfindlichen Gründen entschlossen hat, Sperrgüter wie meine Miele nicht mehr zu transportieren, reise ich ihr jetzt sozusagen hinterher. Ist aber natürlich auch viel bequemer, als sie irgendwo in die Hutablage zu quetschen.

Kurz vor Köln ergattere ich endlich einen Sitz in einer Vierergruppe. Ich verstaue meine Tasche und bin jetzt voller Energie. Das ist deutlich besser, als auf dem Gang zu sitzen. Schnell komme ich mit meinen Mitreisenden ins Gespräch. Neben mir sitzt ein junger Mann, der in einen Groschenroman vertieft ist. Ich wundere mich etwas darüber, dass so ein junger Bursche solche Heftchen liest. Normalerweise werden die ja eher von älteren Semestern gelesen, die schon auf Hans Albers abgefahren sind und sich nun mit beleuchteten Leselupen die Liebschaften von Ärzten, Förstern und Rechtsanwälten mit blutjungen, schüchternen, hilfsbedürftigen Dienstmädchen zu Gemüte führen und den Ausspruch »etwas unter die Lupe nehmen« so ganz wunderbar veranschaulichen. Mein Sitznachbar ist also ein eher untypischer Leser solcher Romane. Ich sitze keine fünf Minuten neben ihm und beobachte aus den Augenwinkeln, wie er mich alle paar Augenblicke ansieht. Mal abwarten, was als Nächstes passiert. Und da kommt es auch schon: »Entschuldigung. Ich komme aus Frankreich und lerne zurzeit Deutsch. Ich habe angefangen, diese Romane zu lesen. Die sind recht einfach geschrieben und für mich eigentlich gut verständlich. Aber bei einigen Wörtern komme ich nicht weiter. Da verstehe ich den Sinn einfach nicht. Wenn Sie mir vielleicht helfen könnten?«, spricht er mich dann doch endlich an.

»Guter Mann, Sie sprechen doch super Deutsch. Aber wenn Sie Fragen haben, versuche ich natürlich mein Bestes, um Ihnen zu helfen.« Und dann geht es los. In der nächsten halben Stunde versuche ich meinem Sitznachbarn Wörter und Begriffe wie »Schmetterlinge im Bauch«, »rosarote Brille« oder »anhimmeln« zu erklären. Ich komme mir vor wie bei einer Partie »Tabu«. Sehr schön finde ich es, dass sich unsere Sitznachbarn in der Viererbank an dem Erklärspiel beteiligen. Spielspaß für die ganze Familie. Und Spaß haben wir wie Bolle. Herrlich! Schade, dass Henri, der junge Franzose, schon relativ bald aussteigen muss. Völkerverständigung im kleinen lockeren Rahmen, sozusagen.

Der Knaller bei uns im Abteil sind aber die »Vollen Pumpen«, ein Kegelclub, bestehend aus einem Haufen Damen, sechzig bis siebzig Jahre alt, bewaffnet mit Eierlikör, Kümmerling und anderen kleinen Schweinereien. Die versuchen, mir alle paar Minuten ein Fläschchen in die Hand zu drücken, und haben ordentlich Spaß – vor allem Kegelschwester Gertrud, einen Meter sechzig groß und etwa hundertzwanzig Kilogramm schwer. Sie scheint die ungekrönte Chefin der Reisegruppe zu sein, wenn man davon ausgeht, wie schnell, laut und umfangreich sie spricht.

»Hallo Schnuckel!«, ruft sie und kommt kreischend in meine Richtung gelaufen. »Was bist du denn für ein süßes Mäuschen? Wir kommen aus Köln und wollen für die nächsten Tage Baden-Baden unsicher machen. Wo willst du denn hin? So einen knackigen Wanderburschen wie dich könnte ich noch in der Bettritze verstauen.«

Gebrülle und Gelächter im halben Zugabteil. Dass ich mit sechsundvierzig Jahren noch einen roten Kopf bekomme, weil mich eine zwanzig Jahre ältere Frau anspricht … Verzweifelt halte ich Ausschau nach einem anderen Sitzplatz. Natürlich keiner frei, wie gesagt, es ist voll. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als diesen rheinischen Tsunami über mich hinwegfegen zu lassen.

Als sie zum dritten Mal kommt und versucht, mir einen Kleinen Feigling anzudrehen, willige ich ein: »Danke schön und Prost. Aber echt nur einen. Ich muss noch ’ne ganze Ecke laufen, bevor ich meine Bleibe erreiche.« Obwohl ich dieses süße Zeug überhaupt nicht mag, erst recht nicht, wenn es pisswarm ist, würge ich den Inhalt um des lieben Friedens willen runter.

»Ach, stell dich nicht so an«, erwidert die modisch blondierte Gertrud. »Bist doch ein großer Kerl. Da passt einiges rein. Bei mir übrigens auch und nicht nur da!« Dabei zeigt sie auf ihren dicken Bauch. Die kompletten »Vollen Pumpen« drehen durch und kreischen wie Dutzende Kreissägen. Auf Gertruds Kommando fangen alle an zu schunkeln und singen kölsches Liedgut, und zwar mit einer Inbrunst, die auf jahrzehntelange Erfahrung im Karneval schließen lässt.

»Weißt du eigentlich, Zuckerschnute, warum es mir so gut geht?«, wendet sie sich danach wieder an mich und versucht, sich auf die Armlehne meines Sitzes zu quetschen. »Ich hatte vor sechs Monaten meine Hüft-OP. Ging gar nichts mehr bei mir. Konnte keine Treppe mehr hoch, ganz zu schweigen von Bettakrobatik. Wobei mein Adolf doch immer noch so ein heißer Lover ist …«

Nach dieser Vorrede erhalte nicht nur ich, sondern alle anwesenden Mitreisenden einen ausführlichen Bericht über die Vorgeschichte und genauen Abläufe dieses Eingriffs.

Als...

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