Natürlich sind Vision & Werte nicht statisch. Die Welt verändert sich und damit verändern sich auch die Chancen und Möglichkeiten Ihres Unternehmens. Deshalb umfasst dieser Aufgabenbereich eine kontinuierliche Arbeit.
Der zweite Bereich zielt auf Strategie & Positionierung. Während sich der erste Bereich vor allem auf den Bauplan in Bezug auf den Nachfolger richtet, geht es hier um die Kunden des Unternehmens. Natürlich besteht dabei ein innerer Zusammenhang, auf den wir später eingehen, aber wir können jetzt schon sagen, Strategie & Positionierung sind in der Perspektive kurzfristiger. Im ersten Bereich denken Sie in einer zweistelligen Anzahl von Jahren, bei Strategie und Positionierung sind wir im mittleren bis oberen einstelligen Bereich.«
»In der New Economy haben wir aber deutlich kürzere Zyklen«, warf ich ein. »Da können Sie keine Strategie für mehrere Jahre entwerfen.«
»Doch!«, beharrte Herr Radies. »Andernfalls ist die Strategie falsch. Aber darauf kommen wir in den nächsten Wochen noch zurück.
Im Prinzip geht es bei der Frage der Strategie darum, wie Sie mit dem geringsten Kräfteeinsatz den optimalen Nutzen bieten können. Je stärker dieser Nutzen empfunden wird, desto größer wird auch die Energie sein, die Ihnen zufließt.
Damit kommen wir zum dritten Aufgabenbereich: externe Energie & Wachstum organisieren. Hier geht es nicht um die Frage, wie viel Sie im nächsten Jahr mehr auf dem Konto haben als in diesem Jahr. Stattdessen geht es um zwei größere Themenkomplexe.
Zum einen könnten Sie die ersten beiden Aufgaben auch allein bewältigen. Dann sind Sie ein weitblickender Selbstständiger. Wollen Sie aber ein Unternehmen aufbauen, das an einen Nachfolger weitergegeben werden kann, muss es zwingend auch ohne Sie existieren können. Und damit ebenso zwingend mehr umfassen als nur Ihre Person. Das heißt, Sie benötigen externe Energie für Ihr Wachstum.«
»Was verstehen Sie denn unter ›externer Energie‹?«, fragte ich verwirrt dazwischen.
»Externe Energie ist all das, was der Organismus des Unternehmens aufnimmt, um zu wachsen: Begeisterung der Kunden, Mitarbeiter, Kapital, begeisterte Öffentlichkeit usw. Wie jeder Organismus Nährstoffe in einem bestimmten Verhältnis benötigt, so auch ein Unternehmen. Das heißt, Sie müssen sich um den permanenten Zufluss kümmern oder diesen organisieren.
Der zweite Themenkomplex des dritten Aufgabenbereichs ist fast noch wichtiger. Dabei geht es um die Wachstumsgesetzmäßigkeiten. Wenn ein neuer Mitarbeiter bei Ihnen beginnt, wie sorgen Sie dann für seine Integration ins Unternehmen? Mit welcher Motivation engagieren sich Ihre Mitarbeiter, und was tun Sie, um genau diese Motivation zu fördern? Was tun Sie, damit die Unternehmenswerte aktiv gelebt werden? Von welchen Mitarbeitern trennen Sie sich unter welchen Voraussetzungen?
Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie aus? Sie können organisch wachsen wie die meisten Unternehmen, erkaufen sich damit aber permanente Umstrukturierungen. Oder Sie können durch Kopien Ihrer selbst wachsen wie bei einem Filial- oder Franchisesystem oder im Multi-Level-Marketing. Oder Sie können durch fraktale Zellteilungsmechanismen wachsen wie die Adolf Würth GmbH & Co. KG. Wenn Sie hier keine klaren Konzepte und Regeln haben, dann verliert Ihr Unternehmen seine Einheitlichkeit und beginnt zu wuchern. Es bekommt Unternehmenskrebs und stirbt.
Die vierte Aufgabe ist die permanente ›Müllentsorgung‹. Jedes Unternehmen sammelt alle möglichen Kunden, Informationen, Prozesse, Finanzierungsquellen, Produkte, Rituale, Mitarbeiter usw. an. Diese gewinnt man im Laufe der Zeit möglicherweise lieb, aber sie tragen irgendwann vielleicht nichts mehr zum Zweck des Unternehmens bei. Alles überflüssige Fett kostet Energie. Um dies zu begrenzen, benötigen Sie einen Prozess, der zur systematischen Müllentsorgung beiträgt. Da die Müllentsorgung jeden einzelnen Mitarbeiter treffen kann, zum Beispiel indem man ihm seinen Lieblingskunden wegnimmt, der leider nur Geld kostet, oder noch extremer, indem man ihm seinen bisherigen Arbeitsplatz wegnimmt, wird sie meist verschleppt oder sabotiert. Letztlich kann nur derjenige dafür verantwortlich sein, der unkündbar außerhalb des Unternehmens steht: der Unternehmer.«
»Außerhalb des Unternehmens?«, warf ich fragend ein.
»Selbstverständlich außerhalb. Der Unternehmer arbeitet ja nicht im Unternehmen, sondern am Unternehmen. Dann kann er nicht innerhalb des Unternehmens sein. Wir kommen darauf später nochmals zurück.
Die fünfte Aufgabe ist es, die Umsetzung zu sichern. Sie können wahrhaft schöne Werte und Strategien aufschreiben, die von allen bewundert werden. Wenn Sie nicht sicherstellen, dass auch danach gehandelt wird, dann können Sie sich auch die ersten vier Aufgaben sparen. Sie sterben in Schönheit. Das Sichern der Umsetzung beinhaltet eine möglichst fokussierte Planung auf mehreren zeitlichen Ebenen und eine ebenso fokussierte Kontrolle.
In diesem Bereich findet sich auch die Kontrolle der Risiken. Werden diese nicht kontrolliert, gibt es keine Umsetzung und ohne Umsetzung keine Verwirklichung des Unternehmenszwecks.«
Das Unternehmen ist der Spiegel der Unternehmerpersönlichkeit. Beide können sich nur gemeinsam entwickeln. Wenn Ihr Unternehmen wächst, haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder Sie wachsen mit und Sie haben Erfolg. Oder Ihr Unternehmen wächst Ihnen über den Kopf und Sie gehen unter.
Die sechste Aufgabe ist die wichtigste und wird doch am häufigsten vernachlässigt: die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Sehen Sie, Herr Willmann, das Unternehmen ist letztlich der Spiegel der Unternehmerpersönlichkeit. Beide können sich nur gemeinsam entwickeln. Die Aussage, dass der Unternehmer zumeist die Ursache für jede erfolgreiche Unternehmensentwicklung ist, ist genauso wahr wie die Aussage, dass die meisten Unternehmen am Unternehmer scheitern.
Sie stehen im Lauf der Zeit immer wieder vor neuen Herausforderungen. Sowohl fachlich als auch in Bezug auf Ihre Kompetenzen als auch mit Blick auf Ihre Einstellungen. Diese Aufgabe müssen Sie genauso zielorientiert angehen wie alle anderen Aufgaben auch. Wenn Ihr Unternehmen wächst, haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder Sie wachsen mit und Sie haben Erfolg. Oder Ihr Unternehmen wächst Ihnen über den Kopf und Sie gehen unter.
Die siebte Aufgabe betrifft die Übergabe des Unternehmens an Ihren Nachfolger. Dabei handelt es sich weniger um den konkreten Prozess der Übergabe. Für Unternehmensverkauf oder Nachfolge gibt es Experten, die dies mit Ihnen durchführen können. Hier geht es vielmehr um eine Leitfrage, die Sie sich bereits vor der Gründung des Unternehmens stellen sollten: Für wen machen Sie das alles? In gewisser Weise schließt sich an dieser Stelle der Kreis zur Vision und den Werten.
Die siebte Aufgabe umfasst also die Bestimmung des Nachfolgers, die permanente Überprüfung, ob Sie auf dem richtigen Weg sind, und die fortlaufende Ausrichtung darauf, sich selbst arbeitslos zu machen.«
Plötzlich machte es bei mir Klick. »Mein Job als Unternehmer ist es also, mein Unternehmen so für meinen Nachfolger aufzubauen, dass es ihm einen optimalen Nutzen bietet. Und dafür muss ich von Anfang an bestimmte Dinge tun und andere lassen. Und mein eigenes Wohlergehen ist darin enthalten, sodass ich mich nicht darauf konzentrieren muss: Würde ich nämlich verhungern, dann könnte ich meinem Nachfolger keinen Nutzen mehr bieten. Warum sagen Sie das nicht gleich so, dass man es versteht?«
Herr Radies verdrehte die Augen. »Weil das Alltagsverständnis ein halbes Dutzend Denkhürden aufbaut, sodass Sie gar nicht erst zu dieser Konsequenz kommen. Solange Sie glauben, dass es der Zweck des Unternehmens ist, Ihren Lebensunterhalt zu sichern oder Ihrem Königsbedürfnis zu dienen, solange Sie glauben, dass der Nachfolger keine Rolle spielt, oder solange Sie mit ›ausbalancierten Zielsystemen‹ arbeiten, sehen Sie das alles nicht. Aber ich bin froh, dass Sie mir so weit folgen konnten.«
Das klang mir doch etwas zu arrogant. Ich musste ihm auf jeden Fall zeigen, dass ich es begriffen hatte. »Wenn es der Job des Unternehmers ist, sich selbst arbeitslos zu machen, dann findet sich doch sicher auch jemand, der die sieben Aufgaben übernimmt?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Herr Radies lachte: »Sie lernen schnell! Für einen Teil dieser Aufgaben können Sie automatisierte Systeme schaffen, einen anderen Teil können Sie delegieren, sobald Sie eine klare Vorstellung von den Aufgaben haben. Und wieder einen anderen Teil sollten Sie mithilfe von externen, spezialisierten Beratern angehen. Aber die Verantwortung für diese...