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Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Tradition und Reform in der Gründungsphase der Bundeswehr (1950 - 1965)

Tradition und Reform in der Gründungsphase der Bundeswehr (1950 - 1965)

AutorSebastian Gottschalch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783638530484
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 2, Philipps-Universität Marburg, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Die einen möchten das in Trümmer gegangene Haus dem alten Plan gemäß wiedererrichten, die anderen suchen nach einem neuen Entwurf.' Diese Erkenntnis von Wolf Graf von Baudissin veranschaulicht eine Kontroverse, die sich durch die Geschichte der Gründungsphase der Bundeswehr, und auch noch darüber hinaus, vollzieht. Zwei grundlegend verschieden ausgerichtete Lager stritten in dieser Zeit um den künftigen Charakter der neuen Streitkräfte. Will man diese Auseinandersetzung anhand von Schlagwörtern definieren, so steht auf der einen Seite die 'Reform' und auf der anderen die 'Tradition'. Während die Vertreter der 'Reform' die Chance eines Neuanfangs, eines Abstreifens überholter und unzeitgemäßer Wert und Ansichten zu nutzen und für die Streitkräfte umzusetzen versuchten, hatten sich die 'Traditionalisten' den vergangenen Werten der deutschen Militärgeschichte verschrieben und versuchten daran anzuknüpfen. Diese beiden konträren Auffassungen, die die Gründungsphase der Bundeswehr prägten, sollen am Beispiel der Planung und Umsetzung des reformerischen Konzepts der 'Innere Führung' und dem aus ihr resultierenden Leitbild eines 'Staatsbürgers in Uniform' untersucht werden. Der 'Staatsbürger in Uniform', so das Bild des künftigen Soldaten, sollte auch in der Armee freie Bürger einer demokratischen Republik bleiben. Der Soldatenberuf sollte ein Beruf wie alle anderen sein, der weder geringeren noch höheren Wert hat. Er nahm also seine Würde nicht aus sich selbst, sondern erhielt sie durch die Art, wie er sich innerlich ethisch und politisch an die freiheitliche Gemeinschaft gebunden fühlte, der er als 'Staatsbürger in Uniform' dienen sollte. Konnte dieses Bild des Staatsbürgers in Uniform, in einer Zeit, in der man auf die alten Eliten des NS-Regimes angewiesen war, umgesetzt werden? Zum einen wird der zentralen Frage nachgegangen, wie es zur Umsetzung des Konzeptes 'Innere Führung' im Widerstreit der Parteiungen innerhalb der neuen Streitkräfte, aber auch im Gefüge der parlamentarischen, bzw. 'zivilen' Vorarbeiten, Gespräche und Auseinandersetzungen gekommen ist. Darüber hinaus wird versucht, die Einarbeitung des Programms 'Innere Führung' in den Alltag der Streitkräfte zu dokumentieren. Dies geschieht anhand ausgewählter Literatur zum Thema entlang der Schnittlinie zwischen den Positionen der 'Traditionalisten' einerseits und den 'Reformern' auf der anderen Seite.

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Leseprobe

2. Die Entwicklung von der Entmilitarisierung zum westdeutschen Verteidigungsbeitrag

 

2.1 Die Entmilitarisierung Westdeutschlands

 

Am 8. Mai 1945 endete einer der tragischsten Zeitabschnitte der jüngsten Vergangenheit. Mit der Unterzeichnung der deutschen Gesamtkapitulation von Generaloberst Alfred Jodl im Hauptquartier des westalliierten Oberbefehlshabers General Eisenhower in Reims endet der Zweite Weltkrieg nach sechs Jahren der Expansionspolitik des Dritten Reichs.

 

Am 5. Juni 1945 übernahmen die Siegermächte mit der Berliner Erklärung die oberste Regierungsgewalt in Deutschland.[12] Drin hieß es:

 

Die deutschen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft sind vollständig geschlagen und haben bedingungslos kapituliert, und Deutschland, das für den Krieg verantwortlich ist, ist nicht mehr fähig, sich dem Willen der siegreichen Mächte zu widersetzen. Dadurch ist die bedingungslose Kapitulation Deutschlands erfolgt, und Deutschland unterwirft sich allen Forderungen, die ihm jetzt oder später auferlegt werden.

 

Es gibt in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde, die fähig wäre, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen.[13]

 

Etwas mehr als einen Monat später trafen sich die obersten Regierungschefs der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritanniens, begleitet von ihren jeweiligen Außen- beziehungsweise Premierminister, vom 17. Juli  bis 2. August 1945 in Potsdam.[14] Auf dieser Konferenz wurde über die Neuordnung Europas und das zukünftige Schicksal Deutschlands beraten. Im so genannten Potsdamer Abkommen beschloss man die Demokratisierung, Demilitarisierung, Denazifizierung, Dekartellisierung und Dezentralisierung Deutschlands sowie die Re-Education[15] der von autoritärer Tradition geprägten deutschen Bevölkerung.[16] Diese Umerziehung sollte den Deutschen zeigen, dass „soldatische Tugenden und militärische Tradition in Wahrheit getarnte Unmoral seien.“[17]

 

Nachdem der deutsche Versuch eine Großmachtposition zu erreichen, durch den Sieg der Alliierten gescheitert war, wurden nun Regelungen entworfen, die jeglichen Voraussetzungen für ein Aufkeimen eines erneuten Versuchs entgegenwirken sollten.

 

Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann.[18]

 

Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben ein Leben auf demokratischen und friedlichen Grundlagen aufzubauen. Es war nicht ihre Absicht, das deutsche Volk zu ‚vernichten oder zu versklaven’.

 

Nach 1945 befand sich Deutschland somit zeitweise in einem Zustand, der völlig von der Entmilitarisierung geprägt war. Von der Entwaffnung, was ein absolutes Novum in der Geschichte darstellt,[19] waren auch die Polizeikräfte Deutschlands betroffen, die im Zuge der Politik von „Beseitigung und Kontrolle […] der deutschen Machtmittel“[20] aufgelöst wurden. Dieses Ziel, in der Überzeugung, dass man 1919 zu oberflächlich vorgegangen sei, wurde nun konsequenter betreiben. Unter die Vorstellungen von Entmilitarisierung fiel nicht nur die Demobilisierung der Streitkräfte, sondern auch die „Austilgung jeden militärischen Potentials“[21].

 

Es existierte in Bezug auf die Entmilitarisierung kein einheitlicher Plan der Alliierten. Anhand der dominanten amerikanischen Besatzungspolitik, kann die Direktive JCS 1067/8[22] als eine Art gemeinsamen Nenners des Vorgehens angesehen werden.

 

Die Konsequenz, die diese Politik verfolgte, lässt sich wohl am deutlichsten an einem Zehn-Punkte-Programm veranschaulichen, das im Juni 1945 von amerikanischer Seite vorgelegt wurde. In ihm hieß es:

 

Es ist der unbeugsame Wille der Regierung, den deutschen Militarismus und den Nationalismus zu zerstören und zu gewährleisten, daß Deutschland niemals wieder fähig sein wird, den Weltfrieden zu beinträchtigen. Zur Erreichung dieses Ziels soll eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, nämlich:

 

  1. Völlige Auflösung der deutschen Wehrmacht und des Generalsstabs mit allen seinen offenen oder getarnten Einrichtungen.
  2. Vernichtung der gesamten deutschen Militärrüstung
  3. Die deutsche Schwerindustrie […] wird zerstört oder in andere Länder transferiert werden. Alle anderen Firmen, die Kriegszwecken dienen könnten, werden unter Kontrolle gestellt.
  4. Sachreparationen werden Deutschland bis zur maximalen Grenze seiner Leistungsfähigkeit auferlegt werden
  5. Die Nazipartei wird mit allen Organisationen bis zur Wurzel ausgerottet werden.
  6. Der zur Zeit [sic!] noch immer bestehende Einfluß des Nationalsozialismus und Militärkaste auf die öffentlichen Ämter und das kulturelle und wirtschaftliche Leben Deutschlands wird durch geeignete Mittel ausgeschaltet werden.
  7. Alle deutschen Kartelle und kartellartigen Verbände und Wirtschaftsgruppen werden durch die Militärregierung aufgelöst werden.
  8. Nutzbarmachung aller deutschen Erfindungen für die Vereinten Nationen.
  9. Beschlagnahme aller deutschen Patentrechte.
  10. Härteste Bestrafung aller Kriegsverbrecher.[23]

 

Wie dieses Programm erkennen lässt, verstanden die Alliierten unter dem Begriff Entmilitarisierung – neben der Demobilisierung – auch die Verfolgung von Kriegsverbrechern. Letzteres führte 1945/46 zu den Kriegsverbrecherprozessen vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg.[24] Dass die Entnazifizierung viel mit der Entmilitarisierung zu tun hatte, wird schon aus dem Namen des am 5. März 1946 geschaffenen Gesetzeswerkes deutlich: „Gesetz zur Befreiung von Nationalismus und Militarismus“.[25] Nationalismus und Militarismus werden in dem Titel des Gesetzes in einem Atemzug genannt und verdeutlichten so deren inhaltlich Verbindung.

 

Neben der Entnazifizierung hatten aber auch die Demontage von Industrieanlagen sowie die Re-Education beziehungsweise Re-Organisation unter dem Dach der Entmilitarisierung ihren Platz gefunden.

 

Am Ende der in Potsdamer Abkommen beschlossenen und später durch die KRG Nr.8 vom 30. September 1945 (Ausschaltung und Verbot der militärischen Ausbildung), Nr.23 vom 10 April (Verbot militärischer Bauten) und Nr. 25 vom 29. April 1946 (Gesetz zur Regelung und Überwachung der wissenschaftlichen Forschung) sowie einer Vielzahl weiterer Gesetze, konkretisiert, existierten in den westlichen Besatzungszonen keine Bestände der Wehrmacht und auch keine militärischen oder ähnlichen Formationen mehr. Ausnahmen bildeten lediglich von den Siegermächten vor und erst recht nach Kriegsende verpflichtete Fahrer, Mechaniker oder Trossknechte der einzelnen unter alliiertem Kommando errichteten und überwachten Dienstgruppen sowie die „Operational History (German) Selection“ und die „Organisation Gehlen“.[26]

 

Die „Operational History (German) Selection“, als Abteilung des amerikanischen Militärs, war mit der Aufgabe betraut, Informationen für eine offizielle Darstellung des geschichtlichen Verlaufs des Zweiten Weltkriegs zu sammeln und auszuwerten.[27] Die „Organisation Gehlen“ arbeitete als unterstützende Abteilung mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammen.[28] Beide Organisationen leisteten den Besatzungsmächten praktische Hilfe. Zu keinem Zeitpunkt versuchten sie die Entmilitarisierung zu unterlaufen.[29]

 

Die Entmilitarisierung wurde von den westlichen Besatzungsmächten geradlinig, ohne von ihren Richtlinien abzuweichen, betrieben. Allerdings zeichnete sich ein Bruch in der Gemeinschaft der Alliierten ab; deswegen wurde bereits seit 1947/48 von amerikanischer Seite ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag „einkalkuliert, zuerst ohne die Betroffenen davon in Kenntnis zu setzen, später mit erbetenem und unerbetenem deutschen Rat.“[30]

 

2.2 Die erste Diskussion um einen Verteidigungsbeitrag im Zuge des Ost-West-Konflikts

 

Deutschland wurde im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg in vier, den jeweiligen alliierten Siegermächten unterstehenden Zonen aufgeteilt.[31] In dieser Phase verstärkte sich der Konflikt zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten. Nach dem offenen Ausbruch des Ost-West-Konflikts im Jahre 1947, resultierend aus der als expansionistisch eingeschätzten Politik der Sowjetunion in Osteuropa, verfolgten die Westmächte das Ziel die sowjetische Einflusssphäre zu...

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