Schweiz Zürichsee Hafen Rapperswil
Nieselregen, der Himmel mit weissen und schwarzen Wolken verhangen. Ein blaues Loch öffnet sich am Horizont, als ob es uns zeigen wollte: „Über den Wolken scheint immer die Sonne.“
Ein grosses Dampfschiff legt an. Trotz diesem miesen Wetter zieht es viele Touristen auf den wunderschönen Zürichsee.
Da entdecke ich ein Boot im Inneren des Hafens. Es trägt den Namen Indigo. Irgendwie kommt mir das Ganze etwas mystisch vor. Es qualmt hinten aus dem Boot, ich sehe einen Mann mit einer Zigarre; seine Füsse, in rote Schuhe eingekleidet, baumeln gemütlich aus dem Boot. Es lässt mir keine Ruhe, ich muss zu diesem Boot hin. Dieser Mann macht mir den Eindruck, als könnte ihn der grösste Sturm nicht vom genüsslichen Ziehen an seinem rauchenden, komisch geformten Tabakstengel abhalten. Weit mehr: Es kommt mir vor, als wäre so etwas wie eine kleine Oase mitten im Hafenbecken von Rapperswil.
Joe: „Guten Tag, mein Name ist Joe, darf ich Sie kurz stören? Ich hätte da ein paar Fragen.“
„Fragen? Viele Menschenseelen haben Fragen. Wenn Sie keine Angst vor meinen Antworten haben, dann nur zu.“
Joe: „Sollte ich denn Angst vor Ihren Antworten haben?“
Der blonde Mann mit den funkelnden blauen Augen lacht mich an: „Ja, es gibt Erdbewohner, die meine Antworten nicht immer lieben. Aber reden Sie nicht um den Brei herum, schiessen Sie los.“ In seinen Worten kommt irgendwie eine sehr grosse Kraft, aber auch ein Hauch von Schalk rüber. Seine Augen verraten, dass viel Klarheit und Tiefe zu erwarten ist. Irgendwie sehen seine Augen speziell aus; ich habe das Gefühl, dass sie einen sehr tiefen Einblick haben, sie löchern mich fast.
Joe: „Wer sind Sie?“
Er lacht, zieht nochmals an seiner krummen Zigarre rum. „Gute Frage, das möchte ich manchmal auch wissen …“ Er atmet tief durch und versinkt in seinen Gedanken. „Wer ich bin? Ein durchgeknallter, egoistischer Spinner, ein aufopfernder, liebevoller Therapeut, der Seelen verzaubert … oder bin ich ein Mensch wie du oder alle anderen, die gerade vom Dampfschiff gekommen sind, oder eben der Davidoff Special C rauchende Lausebengel mit vielen Flausen im Kopf? Such dir eine Version aus, und dann frag weiter.“
Joe: „Therapeut? Was für ein Therapeut bist du?“ Ich setze mich auf den Steg, irgendwie lädt mich seine Ruhe, seine Oase ein, mich frei von Gedanken diesem Dialog hinzugeben. „Ich bin ein Heiler, ja, das ist die Bezeichnung, die viele für mich verwenden. Ich höre dieses Wort zwar nicht gerne, aber es ist am passendsten. Ich will aber nicht etwas sein, sondern ich bin Christian Frautschi, Punkt, nicht mehr und nicht weniger.“
Joe: „Christian, ups, sorry, darf ich dir überhaupt du sagen?“
„Ja klar doch“, erwidert er.
Joe: „Du willst aber nicht sagen, dass du DER bist, der das Buch „Die Wirbelsäulen-Seele“ geschrieben hat?“
Christian: „Doch, der bin ich.“
Joe: „Ich habe das Buch vor ein paar Tagen gekauft, weil es mich zufällig angelacht hat in der Buchhandlung oben am Hauptplatz. Beim Lesen habe ich mir gewünscht, dich kennenzulernen … uff … ich kann es nicht fassen, und schon treffe ich dich hier an. Es ist irgendwie verrückt … Zufall? Aber ich hätte dich nicht erkannt, obwohl ein Foto von dir im Buch ist.“
Christian: „Siehst du, es gibt scheinbar keine Zufälle, und zudem stellst du gerade fest, dass ich verschiedene Gesichter habe.“
Joe: „Ja, das scheint so. Ich habe die Rapperswiler gefragt, ob sie dich kennen.“
Christian lacht schallend heraus: „Ja, niemand kennt mich, aber alle wissen, wer ich bin.“
Joe: „Ja, stimmt, wieso ist das so?“
Christian: „Weisst du, ich bin mittlerweile sehr bekannt, es kommen Leute aus der ganzen Welt zu mir, vom Säugling bis zum Topmanager oder Spitzensportler. Das wissen die Bewohner dieser wunderschönen Rosenstadt am Zürichsee. Sie wissen aber auch, dass ich, wenn ich durch die Stadt schreite, durch meine Fähigkeiten über alle Leute mehr wissen könnte als sie selbst, das macht viele unsicher. Ich bin für viele unfassbar und mystisch, das macht den Leuten Angst. Mein Handwerk lässt sich nicht erklären, nur das Resultat ist erkennbar, fassbar. Sie wissen nicht, was ich mache mit meinen goldenen Händen, sie wissen, dass ich in sie hineinschauen kann, doch wer hat das denn gerne? Darum wissen die Leute nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie mich erkennen.
Als letzthin ein Artikel über meine Tochter Seraina in der Zeitung war, in dem zu lesen war, dass sie Eishockey spielt, es in die U18-Schweizer-Nationalmannschaft geschafft hat und an den Weltmeisterschaften teilnehmen kann, haben mich viele Leute darauf angesprochen, beim Bäcker, beim Metzger oder sonst wo. Es hatte kurz vorher an der gleichen Stelle, in der gleichen Zeitung, gestanden, dass ich ein neues Buch über hochbegabte Indigokinder veröffentlich hatte. Da hatte man mich nur angesehen, aber niemand hatte sich getraut, mich darauf anzusprechen, weil ich eben der mystische Wirbelsäulen-Seelen-Flüsterer bin vom Hügel dort oben, dem Meienberg. Einen Sport, eine Sportlerin kann man erfassen, aber den Heiler Frautschi nicht.“
Joe: „Christian, stimmt dich das traurig?“
Christian: „Das ist mein Leben…“
Christian wird ganz still und nachdenklich. „Es ist der falsche Ausdruck, dass es mich traurig stimmt. Es ist eher, dass … dass ich manchmal sein möchte wie du und alle anderen da draussen im Abenteuer Leben. Ich will nicht anders sein und bin auch nicht anders als andere. Ich will das nicht sein! Meine Fähigkeiten gehören in die Praxis. Es gibt genug einsame Seiten an meiner Arbeit.“
Joe: „Christian, aber doch, du bist anders! Du heilst Menschen, gibst ihnen ihr Leben zurück, die Leute können wieder riechen nach einer Behandlung, sie werden von Krebs geheilt, Depressionen verschwinden, Kinder haben keine Hautausschläge mehr, du sollst jede Wirbelsäule wieder gesund hinkriegen! Ich habe gehört, dass du einem Mann helfen konntest, der seine Lungen hätte transplantieren lassen müssen und nur noch mit der Sauerstoffflasche auf dem Rücken leben konnte, heute ist er geheilt. Das ist nur wenig von dem, was ich alles gehört habe – du bist ein Wunderheiler! Wie machst du das nur?“
Christian: „Wieso weisst du das alles? Wer bist du überhaupt? Hör doch auf mit diesem Scheiss!“
Joe: „Ich bin Joe Black, ein wissbegieriger Bücherwurm und nebenbei Buchautor. Aber wer ich als Mensch bin, weiss ich auch nicht. Ich habe von dir gehört, gelesen. Ich habe die Leute gefragt. Wieso soll das ein Scheiss sein?“
Christian: „Joe, also wenn du doch ein Schreiberling bist, wenn du etwas mit Leib und Seele schreibst, bewegt es die Leute. Und ich mache ebenfalls einfach meine Arbeit, ich bin ich, einfach nur der Christian Frautschi, der seine Berufung lebt. Früher war ich mit Leib und Seele Automechaniker, mit dreiundzwanzig Jahren Vollblut-Unternehmer ohne Startkapital, und ich wurde sehr erfolgreich, die absolute Nummer eins in meinem Business.
Ich hatte ein verrücktes Leben. Dann habe ich von einem Tag auf den anderen heilende Hände bekommen, bin hellfühlend und hellsichtig geworden. Ich habe später alles verloren, was ich mir je erschaffen hatte. Ich erkannte in diesem verdammt harten Schicksal meinen Weg, den mir Gott vorgegeben hatte. Ich erkannte den Weg nach langem nicht nur, sondern beschritt ihn auch.
Ich kommuniziere mit Wirbelsäulen-Seelen, sehe mit den Händen und meinem Röntgenblick in die Körper hinein, und so Gott will, darf ich sie heilen. Für mich ist das nichts anderes, wie wenn du schreibst und die Leute es lesen wollen. Wenn du eine Arbeit gut machst, so ist auch das Resultat gut, ganz einfach. Gott hat mir eine Berufung geschenkt, die übe ich heute aus mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der ich einen Kaffee trinken würde. Scheinbar übe ich meine Berufung gut aus, und so ist es doch völlig klar, dass meine Arbeit grösstenteils sehr erfolgreich ist. Aber eines wird vergessen dabei: Ich bin noch genau derselbe Mensch, der ich vorher war! Sorry, wenn ich vorhin vielleicht etwas erbost reagiert habe. Es ist sicher kein Scheiss, was du aufgezählt hast, aber ich arbeite nicht, um bewundert zu werden von den Leuten, sondern eben, weil es der Weg meines Seins ist.
Du hast den Mann mit der Sauerstoffflasche auf dem Rücken erwähnt. Als ich mich mit dreiundzwanzig jungen Jahren selbständig machte, zählte genau dieser Mann zu den ersten Kunden meiner damaligen Firma. Nie im Traum hätte ich gedacht, dass er später einer meiner ersten Kunden in meiner Praxis in Rapperswil sein würde. Ich erkannte ihn nicht mehr, zweiundzwanzig Jahre nach unserem ersten Treffen. Ich wusste, als ich ihn sah, dass er nicht mehr lange zu leben hätte.
Wer denkt in diesem Moment an die Lobeshymnen eines geheilten Klienten. Ich kann einfach nur meine Arbeit ausüben, ohne Ego und Erfolgsgelüste. Ich habe meine Berufung gut gelebt, und so darf er seine Zeit heute wieder ohne Sauerstoffflasche auf dem Rücken geniessen … und meine Autos reparieren …“Ich bin völlig platt, Christians Worte haben so eine Kraft, es fegt mich fast vom Steg. Ich habe noch nie einen Menschen kennen gelernt, der mit einer solchen Selbstverständlichkeit von seiner Arbeit erzählt, die wir normale Menschen als ein Wunder ansehen. Ich spüre, dass seine Arbeit für ihn das...