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Deutsche Kolonialpolitik unter Bismarck. Das Für und Wider eines staatlich-formellen Kolonialismus

Das Für und Wider eines staatlich-formellen Kolonialismus

AutorWerner Martin
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783638591379
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,7, Freie Universität Berlin (Friedrich-Meinecke-Institut), 160 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Deutschland im Frühsommer 1884: Reichskanzler Otto von Bismarck gibt den entscheidenden Startschuss für die staatliche Übersee-Expansion des Deutschen Reiches. Die Frage drängt sich auf, was den den überzeugten Freihändler zu diesem folgenschweren Schritt bewogen hat. Bismarck hatte das Reich nach dessen Gründung ferner doch für 'saturiert' erklärt und bis 1884 stets bekräftigt, wie wenig er von Kolonien generell hielt. Warum setzte er diese Grundüberzeugung - zumindest vorübergehend - dann doch außer Kraft? Ist seine beinahe schon pathologische Kolonialphobie gar einer neuen Kolonialphilie gewichen? Oder war die Kolonialpolitik für Otto von Bismarck - wie etwa seine viel gerühmte Sozialpolitik - einmal mehr nur ein Mittel zum Zweck der Festigung seiner Position und letztlich eine Machtfrage? Diese Fragen zu klären ist Ziel der vorliegenden Arbeit, die sich in folgende Hauptabschnitte untergliedern lässt: Zunächst werden im ersten Kapitel die Begriffe Imperialismus und Kolonialismus theoretisch umrissen und voneinander abgegrenzt. Zusätzlich wird die semantische Entwicklung dieser Termini nachgezeichnet, der Versuch einer Periodisierung der imperialen beziehungsweise der kolonialen Epoche unternommen und im Falle des Kolonialismus diesem zugeordnete Subphänomene wie Kolonisation, Kolonien und schließlich Kolonialpolitik definitorisch eingegrenzt. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der ablehnenden Haltung Otto von Bismarcks gegenüber dem Erwerb direkter und formeller Kolonien, während sich das dritte und umfangreichste Kapitel mit den Motiven für den Übergang zur staatlichen Kolonialpolitik befasst. Ziel dabei ist es, die bisherigen historiographischen Erklärungsmodelle für Bismarcks Eintritt in eine offizielle Expansionspolitik darzustellen und sie einer umfassenden konstruktiven und kritischen Analyse zu unterziehen. In einem zusammenfassenden Resümee wird schließlich der Versuch unternommen, Bismarcks Kolonialpolitik mit dessen Herrschaftstechnik und den Grundprinzipien seiner Staatspolitik in Einklang zu bringen.

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Leseprobe

I. Eingrenzung fachwissenschaftlicher Begrifflichkeiten


 

Im folgenden Kapitel, welches als begriffstheoretischer Vorbau der Gesamtarbeit fungiert, werden nun die für die zentrale Fragestellung der Arbeit wichtigsten Fachbegriffe wie Imperialismus, Kolonialismus, Kolonisation, Kolonie und Kolonialpolitik geklärt. Die „K-Vokabeln“ werden aufgrund ihrer starken Ähnlichkeiten und Überschneidungen im zweiten Unterkapitel gemeinsam behandelt. Von den beiden Hauptbegriffen Imperialismus und Kolonialismus wird zunächst jeweils die Herkunft, die Entwicklung sowie die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen der imperialen beziehungsweise kolonialen Epoche geschildert. Anschließend sollen nach Periodisierungsversuchen definitorische Annäherungen für die jeweiligen Begriffe unternommen werden. Die literarische Grundlage zur Bestimmung der Termini bilden neben mehreren einschlägigen Monographien und Aufsätzen von Wolfgang Mommsen, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Osterhammel oder David K. Fieldhouse[36] zusätzlich einige der einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Nachschlagewerke.

 

1. Imperialismus – Semantische Entwicklung, Periodisierung und  Definitionen


 

Über wenige Begriffe ist in der Geschichtswissenschaft so leidenschaftlich gestritten worden wie über den des Imperialismus. Denn zu den unterschiedlichsten Zeiten und Epochen haben die unterschiedlichsten Personen und Strömungen unter dem Terminus etwas anderes verstanden. So existiert zur Bestimmung des Imperialismus-Begriffs eine geradezu babylonische Definitionsvielfalt. Versteht man unter Imperialismus wie allgemein üblich die direkte oder indirekte Ausübung von Herrschaft, Kontrolle oder Einfluss eines Landes über ein anderes oder auch einer sozialen Gruppe über eine andere, so könne nach Winfried Baumgart die militärische Unterwerfung Ägyptens durch die Hyskos um 1650 v. Chr. ebenso unter dem Oberbegriff Imperialismus rubriziert werden wie die wirtschaftliche Beherrschung des europäischen Kontinents durch England in weiten Teilen des 18. und 19. Jahrhunderts. Für den Historiker gelten gemäß oben genannter Kriterien sogar deutsche Touristenströme nach Spanien sowie die engagierten politischen Stellungnahmen und Aktionen einiger Vertreter der 68er-Bewegung als imperialistisch. Letzteren bezeichnet Baumgart etwas überzogen gar als „’Psycho- und Gesinnungsterror’ einer kleinen Gruppe von Extremisten in unseren Bildungseinrichtungen.“[37] Der Imperialismus-Begriff hat also grundsätzlich nicht nur eine politische und kulturelle, sondern auch eine sozioökonomische und militärische Komponente, was eine universalhistorische Definition dem Wissenschaftler nicht gerade leichter macht. Die Geschichte des Imperialismus steht somit praktisch quer zu den Einzeldisziplinen der Politik- Gesellschafts-, Wirtschafts-, oder Kulturgeschichte und überlagert diese. In den nächsten Absätzen soll nun die Entstehung und Entwicklung des Imperialismusbegriffes nachgezeichnet werden, mögliche Definitionen erörtert und diese hin und wieder auf den spezifisch deutschen Fall des Imperialismus angewandt werden.

 

     Das dem Wort Imperialismus zugrunde liegende lateinische „Imperium“ war einst ein rechtlich verhältnismäßig genau bestimmter Begriff, dem aber auch nichtrechtliche Bedeutungen wie Machterweiterung bis hin zur angestrebten Weltherrschaft innewohnten.[38] Den Imperiums-Begriff, welcher der politischen Sprache des Römischen Reiches entstammt, findet man auch in zeitgenössischen Darstellungen chinesischer Autoren, die den 221 v. Chr. geschaffenen chinesischen Großverband als „diguo“ bezeichneten.[39] Vom Aufkommen der altorientalischen Reiche bis zu Beginn der Neuzeit war der politische Ordnungstypus „Imperium“ also schon weltweit verbreitet. Die vormodernen Imperien zeichneten sich nach Osterhammel durch insgesamt fünf Strukturprinzipien aus:

 

     Zum einen musste das imperiale Zentrum der agrarisch geprägten Gesellschaft des Großreiches Tribute entziehen können, um seinen Beamtenapparat, Priester, Krieger oder Infrastrukturmaßnahmen finanzieren zu können. Zum anderen verfügte ein Imperium über eine adäquate Militär- und Verkehrstechnologie, um zentrumsferne Gebiete besser regieren zu können. Drittens basierte die Herrschaft eines dominanten „Herrenvolkes“ im imperialen Zentrum auf der Grundlage einer universalistischen Rechtsideologie. Als vierte Grundlage der Macht des oder der Herrscher diente die Kollaboration durch die politischen und gesellschaftlichen Eliten der Fremdvölker, die zur Übernahme der Reichsideologie mitsamt ihrer entsprechenden Symbolik angehalten (aber meist nicht gezwungen) wurden. Und schließlich kennzeichnete ein vormodernes Imperium die Existenz relativ variabler Außengrenzen, die von Fall zu Fall entsprechend stabilisiert werden mussten.[40]

 

     Die Erweiterung des Imperiums-Begriffs durch die „Ismus“-Komponente bedeutete dann eine gewisse Verselbständigung der Komponente „Macht“ von der des Rechts, was ihn später freilich anfällig für parteiliche Instrumentalisierungen machen sollte. Das Ausmaß der rechtlichen Fixierung des Imperialismusbegriffs ist schon seit der römischen Republik über die Kaiserzeit und das Mittelalter bis hin ins 20. Jahrhundert immer geringer geworden. Dem ursprünglichen Wortsinne nach bedeutet Imperialismus nach Wolfgang Mommsen die „mehr oder weniger unbeschränkte imperiale Herrschaft eines Monarchen oder eines cäsaristischen Potentaten über ein Großreich, das über die Grenzen eines ethnisch und national einheitlichen Staatsgebietes weit hinausging.“[41] Bereits im Mittelalter etwa gestand man einem Herrscher nur den Rang des Kaisertums zu, wenn dieser über mehrere „Regnae“ verfügte und auch Napoleon I. herrschte nach der Unterwerfung halb Europas unumschränkt über ein Imperium, welches aus mehreren disparaten Teileinheiten bestand. Das infolgedessen von Bonaparte begründete imperiale Kaisertum knüpfte in Symbolik und Namensgebungen bewusst an das altrömische Imperium an. Da im übrigen das cäsaristische System des französischen Kaisertums („systéme imperial“) aus der Sicht englischer Beobachter dem des Zweiten Deutschen Reiches nach dessen Gründung sehr ähnlich war, bezeichneten sie auch die Reichsgründung bereits als Imperialismus.

 

     Der Übergang vom traditionellen zum modernen Imperialismusbegriff fand gegen Mitte des 19. Jahrhunderts statt.[42] Der deutsche Publizist Constantin Frantz etwa gebrauchte den Begriff „Imperialismus“ zwischen den 1850er und den 1870er Jahren, um damit nicht nur die „Säbelherrschaft“ Cäsars zu charakterisieren, sondern auch die „weltherrschaftlichen Ideen“ Englands, welches er als ein „Mittelding zwischen Rom und Karthago“ ansah.[43] Frantz hielt jedoch stets ebenso eher am traditionellen Imperialismusbegriff fest wie der Berliner Theologe und Junghegelianer Bruno Bauer, der die europäische Expansion 1882 aber schon als Folge der „Krise der Produktion wie des Handels“ ansah, welche die Großmächte zur „Abkehr“ von Europa und zur Hinwendung nach „Konstantinopel, Ägypten, Syrien, Asien und Afrika“[44] gezwungen habe. Während sich in Deutschland die Einbürgerung des Imperialismusbegriffs zur Bezeichnung des modernen Phänomens zielgerichteter Expansion im späten 19. Jahrhundert nur sehr langsam und recht spät vollzog, hatte der Terminus in England im Zusammenhang mit Benjamin Disraelis prestigeträchtiger Außenpolitik schon zu Beginn der 1870er Jahre seine moderne Bedeutung erhalten.[45] Seine Rede vom 24. Juni 1872 im Crystal Palace in London, in der er sich begeistert für die Konsolidierung des britischen Empire aussprach, gilt als Startsignal für die Zeit des neuen Imperialismus der Zeit zwischen 1870 und 1918.[46] Da aber auch der englische Premier sich in seinen außenpolitischen Vorstellungen immer wieder auf das Imperium Romanum bezog, sieht Mommsen in dessen Imperialismus mehr „die Nahtstelle zwischen dem älteren und dem jüngeren Gebrauch des Begriffs.“[47] Selbst noch in Zeiten des Hochimperialismus, der 1882 mit der Besetzung Ägyptens durch die Engländer begonnen hatte, waren Rückgriffe auf eine altimperialistische Terminologie nicht selten. So begeisterte sich Friedrich Naumann für die Idee eines demokratischem Imperatoren in der Person Wilhelms II., der einem deutschen Imperialismus voranstehen sollte.[48]

 

     Erst seit Beginn der 1880er Jahre, als sich in fast allen europäischen Ländern der Wille nach Expansion immer mehr verbreitete, bekam der Imperialismusbegriff einen konkreteren Inhalt.[49] Er verlor seine auf die römischen Caesaren und Napoleon bezogenen Komponenten weitgehend und wurde Bestandteil einer politischen Alltagssprache. Dies wurde besonders kurz vor der Jahrhundertwende sehr deutlich. So propagierte der liberale englische Lord Roseberry 1895 die Prinzipien eines vernunftorientierten Imperialismus, der gekennzeichnet sein sollte durch „first, the maintenance of Empire; secondly, the opening of new areas for our surplus population; thirdly, the suppression of the slave trade; fourthly, the development of missionary enterprise; and fifthly, the development of our commerce, which so often...

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