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Der protestantische Frühkonservativismus in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

AutorVolker Jordan
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl186 Seiten
ISBN9783638579889
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 1997 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 1,75, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Historisches Seminar), 888 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Beschäftigt man sich mit dem Phänomen der politischen Strömungen, so ist es von entscheidender Bedeutung, die historischen Umstände, Triebkräfte und Personen zu kennen, die zu deren Genese beigetragen haben. In besonderer Weise gilt dies für den Konservativismus in Deutschland, der hier zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl einflußreichsten Weltanschauung. Dieser hat sich nicht erst aufgrund von Reaktionen auf die Französische Revolution geformt, sondern kann, was allgemein nur wenig bekannt ist, bereits eindeutig seit Mitte des 18. Jahrhunderts als Reaktion Geistesströmung der Aufklärung konstatiert werden, obwohl erst die Geschehnisse nach 1789 seine volle Entfaltung herbeigeführt haben. Dabei war dieser Konservativismus von unterschiedlicher Gestalt und Motivation. Besonders interessant ist es, den engen Zusammenhang zwischen dem christlichen Glauben und dem werdenden, politisch noch nicht unbedingt voll ausgeprägten Konservativismus zu beleuchten. Der vorliegende Beitrag nun möchte - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - unter vorwiegender Berücksichtigung personen-, ideen-, kirchen- und theologiegeschichtlicher Perspektiven den Frühkonservativismus lutherischer und reformierter, an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und in der Heiligen Schrift glaubender Theologen, Schriftsteller und Persönlichkeiten aus dem deutschen Geistesleben sowie deren Ideen in der Zeit vom Ausgang der Aufklärung bis zum Ende der Französischen Revolution oder, wo dies aus biographischen Gründen angemessen erschien, auch bis zu den Befreiungskriegen, näher untersuchen. Inhaltliche Schwerpunkte der Arbeit sind die evangelische Theologiegeschichte der Aufklärung, die Goeze-Lessing-Kontroverse (bekannt als der Wolfenbütteler Fragmentenstreit), das Wöllnersche Religionsedikt, der Emkendorfer Kreis unter besonderer Berücksichtigung des politischen Denkens von Matthias Claudius, Johann Kaspar Lavater und Gottfried Menken, die Reaktion protestantischer Geistlicher auf die Französische Revolution, Johann Ludwig Ewald, die Zeitschrift 'Eudämonia', das antirevolutionäre Weltbild von Johann Heinrich Jung-Stilling sowie die politische Haltung der Deutschen Christentumsgesellschaft.

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Leseprobe

1. Einleitung


 

1.1 Aufgabe, Fragestellung und Methode


 

Beschäftigt man sich mit dem Phänomen der politischen Strömungen, so ist es von entscheidender Bedeutung, die historischen Umstände, Triebkräfte und Personen zu kennen, die zu deren Genese beigetragen haben.[1] In besonderer Weise gilt dies für den Konservativismus[2] in Deutschland, der hier zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl einflußreichsten Weltanschauung. Dieser hat sich nicht erst aufgrund von Reaktionen auf die Französische Revolution geformt, sondern kann, was allgemein nur wenig bekannt ist, bereits eindeutig seit Mitte des 18. Jahrhunderts[3] als Reaktion gegen die Geistesströmung der Aufklärung konstatiert werden, obwohl erst die Geschehnisse nach 1789 seine volle Entfaltung herbeigeführt haben.[4] Dabei war dieser Konservativismus von unterschiedlicher Gestalt und Motivation. Besonders interessant ist es, den engen Zusammenhang zwischen dem christlichen Glauben und dem werdenden, politisch noch nicht unbedingt voll ausgeprägten Konservativismus zu erforschen. Der vorliegende Beitrag nun möchte - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - unter vorwiegender Berücksichtigung personen-, ideen-, kirchen- und theologiegeschichtlicher Perspektiven den Frühkonservativismus lutherischer und reformierter, an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und in der Heiligen Schrift glaubender Theologen, Schriftsteller und Persönlichkeiten aus dem deutschen Geistesleben sowie deren Ideen in der Zeit vom Ausgang der Aufklärung bis zum Ende der Französischen Revolution näher untersuchen.[5] In diesem Satz liegt sowohl Aufgabe als auch Einschränkung des Vorhabens begründet: Dem katholischen Raum kann dabei keine Aufmerksamkeit gewidmet werden, ebensowenig sollen Aspekte des nicht primär christlich motivierten Konservativismus in dem von uns behandelten Zeitraum zur Darstellung kommen.[6]

 

Beginnen möchten wir nach einleitenden Bemerkungen über das Verständnis des Konservativismus in der vorliegenden Arbeit, der Vorstellung eines Einordnungsmusters zum protestantischen Frühkonservativismus und Anmerkungen zur Forschungslage mit einer breit angelegten Darstellung der aufklärerischen Theologie. Zwar war die Theologie der Aufklärung alles andere als konservativ und biblisch ausgerichtet, doch ist ihre Kenntnis in Grundzügen unerläßlich, um die Entstehung des spezifisch protestantischen, dezidiert antiaufklärerischen Konservativismus und der aus ihr erwachsenen Auseinandersetzungen verstehen zu können. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der erstrangig theologischen, aber auch bereits politische Formen annehmenden Lessing-Goeze-Kontroverse. Breiten Raum nimmt die daran anschließende Darstellung des Wöllnerschen Religionsediktes von 1788 und seiner Vorgeschichte ein. Hernach werden wir uns dem konservativ-antirevolutionären Denken des Emkendorfer Kreises in Schleswig-Holstein und der mit ihm verbundenen, zwar aus der Theologie- und Literaturgeschichte, weniger jedoch aus der politischen Ideengeschichte bekannten „frommen Außenseiter“[7] Matthias Claudius, Johann Caspar Lavater und Gottfried Menken widmen. Den letzten und umfangreichsten Komplex unserer Arbeit stellt die Behandlung der konservativen Reaktion von Teilen des deutschen Protestantismus auf die Französische Revolution dar. Zunächst sollen unter Einbeziehung eines Exkurses über den u. E. bisher falsch eingeordneten und von der Forschung vernachlässigten Johann Ludwig Ewald die Einstellungen protestantischer Geistlicher zur Revolution untersucht werden, um hernach die Verschwörungstheorie und die Zeitschrift „Eudämonia“ zu würdigen und im Anschluß daran in großer Breite die politischen Einstellungen Johann Heinrich Jung-Stillings, schließlich kurz der Deutschen Christentumsgesellschaft, wichtiger Bindeglieder zwischen Spätpietismus und Erweckungsbewegung, zu beleuchten. Ein Schlußteil wird die Ergebnisse unserer Untersuchung zusammenfassend zu bewerten haben.[8]

 

Ursprünglich hatten wir geplant, uns im Rahmen dieser Arbeit auch den pietistischen Staatsrechtslehrern Johann Jacob Moser (1701-1785) und Friedrich Carl von Moser (1723-1798) zuzuwenden, die einerseits die Schattenseiten des fürstlich-absolutistischen Systems aus rigoros moralischen Gründen kritisiert und die Freiheit der Stände verteidigt, andererseits aber als gläubige Christen sich strikt gegen revolutionäre Bestrebungen gewandt und die göttliche Einsetzung der Obrigkeit betont haben, weshalb sie eindeutig dem protestantischen Frühkonservativismus zuzurechnen sind. Zwei Ursachen sind es, die uns letztlich daran gehindert haben, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen: Zum einen war eine ausführliche Würdigung der Biographie, des religiösen und politischen Denkens der beiden äußerst schreibfreudigen württembergischen Pietisten gegen Ende der Fertigstellung unserer Arbeit aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich, und eine nur kurze Charakterisierung wäre leicht oberflächlich geworden. Zum anderen wären im Rahmen der vorliegenden Studie kaum über die im Falle der Mosers im Gegensatz zu den meisten anderen beschriebenen Vertretern des protestantischen Frühkonservativismus äußerst umfangreiche Literatur zu ihren politischen Haltungen hinausgehende Erkenntnisse zu erwarten gewesen. Daher haben wir uns nicht leichten Herzens dazu entschlossen, auf ein Kapitel über die Mosers zu verzichten und dem Leser eine Aufstellung der wichtigsten Titel der Primär- und Sekundärliteratur gleichsam in die Hand zu geben.[9]

 

Wir gehen in der Beschreibung der Persönlichkeiten und Kreise nicht immer strikt chronologisch vor. Überhaupt sind wir bestrebt, denjenigen Vertretern des protestantischen Frühkonservativismus eine intensivere Beachtung widerfahren zu lassen, über deren politisches Denken man in der bisherigen Literatur nur verhältnismäßig wenig erfahren konnte. Die Zeit nach 1800 wird lediglich in Verbindung mit dem Leben und Denken der erörterten Persönlichkeiten und Kreise mit geringer Ausführlichkeit berührt, was zu einer weitestgehenden Auslassung der Frühromantik, der deutschen Erhebung gegen Napoleon sowie der Wiederbelebung des religiösen Lebens in der Zeit der Befreiungskriege führt.

 

1.2 Zum Begriff des Konservativismus


 

Hier ist nicht der Ort, eine Diskussion der inzwischen sehr umfangreich gewordenen Konservativismusforschung vorzunehmen.[10] Gleichwohl kommen wir nicht umhin, das Verständnis des Begriffes des Konservativismus in der vorliegenden Arbeit zu bestimmen, zu erläutern und ein Einordnungsmuster zu entwerfen, in dessen Rahmen im Schlußteil eine Verortung der meisten beschriebenen Protestanten möglich sein wird.

 

Das Luthertum nahm gegenüber der Obrigkeit bekanntermaßen unter Berufung auf Römer 13[11] und die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers (1483-1546)[12] bleibend eine eher passive Stellung ein. Der protestantische Untertan sollte sich den Anordnungen der von Gott eingesetzten Machthaber nicht widersetzen, der christliche Fürst hohen sittlichen Idealen nachkommen. Fahren wir nach diesem kurzen Blick auf die Hintergründe der im deutschen Protestantismus einflußreichsten Staatsethik mit unserem Verständnis des Konservativismusbegriffes[13] fort: Wir verstehen in Anlehnung an Klaus Epstein Konservative als „Gegner religiösen, sozioökonomischen und politischen Wandels,“[14] die es natürlich nicht erst im 18. Jahrhundert gegeben hat. Der Konservativismus fühlte sich den Werten „Autorität, Tradition und Antiprogressismus“ verbunden.[15] Er wandte sich gegen Absichten, „die Gesellschaft in Richtung auf eine säkulare, egalitäre, sich selbst regierende Gesellschaft zu verändern.“[16] Etwa ab 1770 läßt sich der konservative Widerstand gegen den politischen und religiösen aufklärerischen Radikalismus in Deutschland eindeutig konstatieren.[17]

 

Nun wollen wir, wiederum in Anlehnung an Klaus Epstein,[18] der als Typen des konservativen Verhaltens „status-quo-Konservative“, „Reformkonservative“ und „Reaktionäre“ unterscheidet, eine eigene Typologie des protestantischen Frühkonservativismus entwerfen. Wir differenzieren zwischen ständischen Konservativen, die an der überkommenen Ständeordnung des alten Reiches festhalten wollten, absolutistischen Konservativen, die am patriarchalisches Gottesgnadentum des Monarchen unbedingt festhalten wollten, und Reformkonservativen, die im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich durchaus für Reformen aufgeschlossen waren. Alle von uns beschriebenen Konservativen trafen sich in der strikten Ablehnung der radikalen Aufklärung auf theologischem und politischem Gebiet und der Französischen Revolution. Es handelt sich bei unserer Typologie natürlich nicht um ein festes, in jedem Falle anwendbares System. Sie soll als Orientierungsraster dienen.

 

1.3 Forschungsstand zum protestantischen Frühkonservativismus


 

Da es nicht unsere Aufgabe ist, eine Geschichte der Erforschung des protestantischen Frühkonservativismus in Deutschland zu verfassen, was gewiß durchaus ein lohnendes Thema im Bereich der Geschichte der Geschichtsschreibung wäre, beschränken wir uns hier auf...

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