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E-Book

Deutschland überall

Eine Suche auf fünf Kontinenten

AutorManuel Möglich
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644117716
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Ob auf dem Oktoberfest in Brasilien, beim Liederkranz in New York oder in der Brauerei in China - Deutsche und ihre Kultur findet man überall und in allen Klimazonen. Manuel Möglich macht sich auf die Suche: Er bereist alle fünf Kontinente, forscht nach den letzten deutschen Spuren in Tsingtao, unterhält sich in Westafrika mit perfekt Hochdeutsch sprechenden Namibiern über ihre Kindheit in der DDR, er fahndet in Südamerika nach der deutschen Festtagslaune und dem deutschen Fleiß. Und wie denken eigentlich die Nachfahren früherer Kolonialherren, junge und alte Auswanderer, die Abkömmlinge von einst Emigrierten über jenes Land, das ihnen nah und fern zugleich ist? Was bedeuten das deutsche Erbe, die Kultur und das Phantom der deutschen Tugenden jenen Menschen, die die heutige Bundesrepublik kaum kennen? Sind sie am Ende die deutscheren Deutschen? Ohne Scheu und mit größter Offenheit begibt sich Manuel Möglich mitten hinein in diese deutschen Parallelwelten, die wir allenfalls als Urlaubsparadiese kennen, und zeichnet ein gänzlich neues Bild von uns Deutschen. Er wirft einen frischen Blick auf sehr exotische und zugleich urdeutsche Themen - ein Buch, das uns viel darüber erzählt, wer wir sind und was die Welt über uns denkt.

Manuel Möglich, geboren 1979 in Weilburg/Hessen, studierte Medien- und Kulturwissenschaft, schrieb für «Vice» und arbeitete als Radiojournalist für 1LIVE und radioeins. Seine Fernsehserie «Wild Germany» auf ZDFneo und Netflix, die ihn und seinen direkten, subjektiven Stil bekannt machte, war für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Mit dem Dokuformat «Y-Kollektiv» gewann er den Deutschen Webvideopreis. Als «Rabiat!»-Reporter versucht Möglich, die ARD zu verjüngen. 2015 erschien sein erstes Buch «Deutschland überall». Manuel Möglich lebt in Berlin.

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Leseprobe

Namibia
Hitlers und des Kaisers Geburtstag in Südwest


Der Frühstücksraum ist picobello. Die Einrichtung zweckdienlich. Viel helles Holz, beige Fliesen und zwei Deckenventilatoren mit integrierten Lampen. An den schneeweißen Wänden Bilder. Die Pension Uhland in der Uhlandstraße in Windhoek wird von Irmgard und Jürgen geführt. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland und sind exotischer als das Interieur meiner Unterkunft.

Was mir bereits am Flughafen auffiel, kann ich jetzt in aller Ruhe studieren – die Vollendung des deutschen Afrikaoutfits. Es wird ein ungeschriebenes Gesetz für den richtigen Safari-Look des Namibiatouristen aus Deutschland existieren: Zunächst muss das Farbspektrum überschaubar bleiben, helle Erd- und dunklere Sandfarben bilden den Grundton, kleine Spuren von Grau scheinen akzeptabel, Muster dagegen weniger. Noch wichtiger sind Taschen. Lieber fünf zu viel als eine zu wenig. In der Regel sieht man neben den herkömmlichen Vorder- und Gesäßtaschen mindestens zwei weitere an den Oberschenkeln. Dazu kommen quasi unsichtbare Taschen, versteckt hinter wild angeordneten Reißverschlüssen. Reißverschlüsse sind von nahezu gleicher Relevanz wie Taschen. Eigentlich hat jede der atmungsaktiven Hosen mehrere Reißverschlüsse. Die essenziellsten befinden sich unter- und oberhalb des Knies, mit ihnen kann aus der langen eine kurze oder noch kürzere Hose gemacht werden. Gewagte Modelle besitzen sogar einen dritten Reißverschluss, mit dem die Funktionshose kurzerhand in eine Art Hotpants verwandelt werden kann. Offenbar notwendig für einige Herrschaften sind Belüftungsreißverschlüsse – innen an den Oberschenkeln. Beachtlich auch das untere Ende einiger Beinkleider. Wenn der Träger wegen Hitze oder starkem Schwitzen aus seiner Hose ein Dreiviertelmodell machen will, erlaubt das der Reißverschluss in der Knöchel- oder Achillesfersenregion, ohne dass die Schuhe ausgezogen werden müssen.Bei den Schuhen dominieren drei Modelle: die leichte Trekkingsandale, der klobige Wanderschuh und ein Hybrid aus beiden, eine Art futuristischer Turnschuh. Spezielle Schnürsysteme, giftige Farbspritzer und Ösen lassen über die fehlenden Reißverschlüsse und Taschen am Schuhwerk hinwegsehen. Die Oberkörperbekleidung vereint Taschen, Reißverschlüsse und Ösen auf komplizierten Westen und besteht ansonsten meist aus einem luftigen Hemd, alles gerne eine Nummer zu groß. Pi mal Daumen kommt jeder Träger einer Multifunktions-Outdoor-Look-Garderobe auf gut zwei Dutzend sichtbare Taschen – und das unmittelbar am Körper, Rucksäcke, Handygürteltaschen und Brustbeutel nicht mitgerechnet. Die Vielfalt der Herstellernamen von Deuter über Salomon bis zu Jack Wolfskin täuscht darüber hinweg, dass das nagelneue Equipment, welches man sich für teures Geld bei Globetrotter hat aufschwatzen lassen, seine uniformierten Träger letztendlich zum Verwechseln ähnlich aussehen lässt. Ich trinke einen Schluck dünnen Filterkaffee und wundere mich. Ob ich mit meinem leichten Gepäck und mit T-Shirt, Jeans und Stoffturnschuhen in Namibia womöglich in mein Verderben renne?

 

Die Deutschen in Namibia – wie es dazu kam, erklärt die Geschichte. Spätes neunzehntes Jahrhundert: Das vom Imperialismus geprägte Europa erlebt eine Welle der Expansion. Die mächtigen Staaten stehen in einem Wettstreit, sie alle wollen irgendwo anders auf dem Erdball ihre Fahne hissen, schon aus Prestigegründen. Einen deutschen «Platz an der Sonne» fordert Bernhard von Bülow 1897 als Staatsekretär des Auswärtigen im Reichstag. Drei Jahre später wird er von Kaiser Wilhelm II. zum Reichskanzler ernannt. Das heutige Namibia ist zu dieser Zeit bereits Kolonie des Deutschen Kaiserreichs.

Anders sieht das noch zu Beginn der 1880er aus, als der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz seinen Tabakhandel auf Afrika auszudehnen plant. Die am Südatlantik gelegene Bucht Angra Pequeña, von Portugiesen 1487 entdeckt, erscheint ihm als strategisch günstiger Stützpunkt mit eigenem Hafen. Zudem soll die Region reich an Bodenschätzen sein; Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts werden Eisenbahnarbeiter zehn Kilometer landeinwärts der Küste große Diamantvorkommen finden. Da keine Nation Anspruch auf dieses herrenlose Fleckchen Erde erhebt, kauft im Mai 1883 ein Heinrich Vogelsang im Auftrag der Firma Lüderitz für hundert Pfund in Gold und zweihundert Gewehre die Bucht von Joseph Frederiks II., dem Anführer des Nama-Stammes, inklusive des Landes im Umkreis von fünf Meilen. Die Crux an der Sache: Die Nama kennen nur die englische Meile, die knapp fünfmal längere deutsche Meile dagegen nicht. Dies wohl wissend, unterbreitet Vogelsang dem Oberhaupt ein zweites Angebot über zwanzig Meilen Land. Für den Spottpreis von weiteren fünfhundert Pfund und sechzig zusätzlichen Gewehren gibt Joseph Frederiks II. seinen Besitz ab. Als der Schwindel auffliegt, ist die Empörung der Nama groß. Trotz ihrer Proteste beharrt Adolf Lüderitz auf sein vertragliches Recht. Das deutsche Auswärtige Amt bittet er fortan um Schutz, doch Reichskanzler Otto von Bismarck bleibt mit seinen Hilfezusagen vage – bis Großbritannien droht, ganze Küstenabschnitte von Südwestafrika zu annektieren. Deshalb gewährt Bismarck am 24. April 1884 Lüderitz für sein Gebiet Reichsschutz. Das ist der Auftakt zum deutschen Kolonialismus. Die erste offizielle Flaggenhissung findet im August desselben Jahres statt.

Aus Sicht der Kolonialherren entwickelt sich Deutsch-Südwestafrika zunächst prächtig. Was Joseph Conrad in seiner um die Jahrhundertwende erscheinenden Novelle «Herz der Finsternis» über die Kolonialisierung des Kongo-Freistaates schreibt, lässt sich allerdings auf den deutschen Platz an der Sonne in Südwestafrika übertragen: «Die Erde zu erobern – was meist bedeutet, sie denen wegzunehmen, die eine andere Hautfarbe oder etwas flachere Nasen haben als wir – die Erde zu erobern ist keine schöne Sache, wenn man sich’s zu sehr aus der Nähe betrachtet.»

Vor allem die Völker der Nama und Herero bekommen dies zu spüren. Sie schließen oft nutzlose Schutzverträge mit dem Reich, besitzen immer weniger Weideland, werden ihrer Existenzgrundlage beraubt und gedemütigt. Die Weißen blicken auf sie herab, sie sind in ihren Augen «Eingeborene» oder «Hottentotten» ohne Rechte, die sich zu unterwerfen haben. Am 11. Januar 1904 erheben sich die Herero unter ihrem Führer Samuel Maharero und wollen der Unterdrückung ein Ende bereiten. Einhundertdreiundzwanzig Deutsche sterben. Daraufhin schickt die Reichsregierung im Mai den Generalleutnant Lothar von Trotha nach Deutsch-Südwestafrika, einen harten Militär, der bereits in Ostafrika und China Aufstände bekämpfte. Unter ihm soll in der Kolonie Ruhe einkehren. Am Waterberg, nördlich von Windhoek, wo sich die meisten Herero aufhalten, will der General zuschlagen. Sein Plan ist es, die Aufständischen in einer Umzinglungsschlacht zu besiegen, die Führer hinzurichten und alle Anhänger einzusperren.

Nach mehreren kleineren Gefechten erfolgt exakt sieben Monate nach den Überfällen der Herero auf deutsche Farmer und Stützpunkte der Angriff. Zwar kann der Widerstand gebrochen werden, doch gelingt es von Trotha nicht, das komplette Volk der Herero einzukesseln oder gar wegzusperren. Seine Antwort auf den missglückten Vorstoß ist ein brutaler Verdrängungsfeldzug, der in einem abscheulichen Massaker endet. Am 2. Oktober wendet sich Lothar von Trotha in einer öffentlichen Erklärung an seine Gegner: «Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen […]. Das Volk der Herero muss […] das Land verlassen […]. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero […] erschossen.» Die Schutztruppe verjagt fortan ihre neuen Feinde von Wasserstellen, selbst Frauen und Kinder werden in die Wüste geschickt, wo auf sie der Tod durch Verdursten wartet. Im Dezember 1904 wird der Schießbefehl auf Anweisung aus Berlin aufgehoben. Zur selben Zeit rebellieren im Süden des Landes bereits seit Wochen die Nama, es ist der Beginn eines Guerillakriegs, der 1907 endet. Zehntausend Nama verlieren in diesen Jahren ihr Leben. Wie viele Herero zuvor starben, ist unklar. Die Zahlen schwanken zwischen vierundzwanzigtausend und vierundsechzigtausend Menschen, andere Schätzungen gehen von achtzig Prozent des Volkes aus. Rund eintausendvierhundert Soldaten und Siedler werden Opfer der beiden Aufstände.

Am 1. August 1914 bricht in Europa der Erste Weltkrieg aus. Es dauert nicht lange, bis es auch in Deutsch-Südwestafrika zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt. Die Südafrikanische Union greift Mitte September erstmals die Schutztruppe an und besetzt Lüderitzbucht. An verschiedenen Schauplätzen im Land kommt es immer wieder zu Gefechten, die deutschen Truppen sind den Angreifern meist hoffnungslos unterlegen. So übernimmt am 9. Juli 1915 die Südafrikanische Union die Führung in der Kolonie. Deutsche Soldaten kommen in Gefangenschaft, Reservisten dürfen zurück in die Heimat. Das Ende von Deutsch-Südwestafrika wird mit der Unterzeichnung der Versailler Verträge im Juni 1919 endgültig besiegelt.

 

Zurück ins heutige Namibia. Unbekannte Orte erkunde ich gerne zu Fuß. Auf den innerstädtischen Rechtsverkehr und die Rushhour am Morgen bin ich ohnehin nicht sonderlich scharf. Beim Blinken im Mietwagen, das habe ich gleich gemerkt, mache ich meist den Scheibenwischer an, die spiegelverkehrte Anordnung der Hebel irritiert ungemein. Und mit links schalten geht auch nicht mit links. Der Wagen bleibt heute im Hof der Pension. Windhoek ist mit mehr als dreihundertzwanzigtausend...

Blick ins Buch

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