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E-Book

Die Angelsachsen

AutorHarald Kleinschmidt
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2728
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406621383
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das Imperium Romanum war ins Wanken geraten; an allen Grenzen drängten Barbaren auf das im Laufe der Jahrhunderte überdehnte Territorium des Weltreichs. Daraufhin zogen die Kaiser aus den fernsten und strategisch weniger wichtigen Provinzen ihre Truppen ab und verlagerten sie an die Brennpunkte des militärischen Geschehens - in der Hoffnung, in besseren Zeiten wieder zurückkehren zu können. Nicht anders verlief die Entwicklung im 5.Jahrhundert in Britannien, und wie anderswo, so sollte sich auch dort der Gedanke an Rückkehr nur als frommer Wunsch erweisen. In das entstehende Machtvakuum und die vorhandenen Strukturen drängten neue Siedler vom Kontinent. «Sie kamen aus drei sehr mächtigen Völkern, nämlich den Sachsen, den Angeln und den Iutae.» So schreibt der gelehrte Mönch Beda im 8.Jahrhundert über jene Gruppen, die sich damals in Britannien ausbreiten und ihre Sprache und Sitten, ihre Herrschaft und Rechtsbräuche mitbrachten. Harald Kleinschmidt erzählt in diesem kleinen Buch die Geschichte der Angelsachsen und entwirft ein detailreiches und lebendiges Bild ihres Aufstiegs und ihrer gesellschaftlichen Entwicklung bis zu jenem historischen Wendepunkt 1066, als die Normannen unter Wilhelm dem Eroberer die namengebenden Vorfahren der heutigen Engländer unterwarfen.

Professor Harald Kleinschmidt ist Mediävist und lehrt Geschichte internationaler Beziehungen an der Universität Tsukuba, Japan.

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Leseprobe

I. Überblick über die politische Geschichte der Angelsachsen


1. Das römische Britannien zerfällt


Der Befehl kam von höchster Stelle, direkt aus der Zentrale im fernen Rom. In Britannien, einer Insel am Westrand des Römischen Reichs der Antike, löste er Unruhe aus. Kaiser Honorius ließ seine Untertanen in den fernen Provinzen Britanniens wissen, er habe angeordnet, seine Legionen abzuziehen und an andere Standorte zu verlegen. Eine vorübergehende Maßnahme sei dies, zur Bekämpfung von Gefahren an anderen Enden des Reichs. Die Truppen würden wiederkommen, versicherte der Kaiser. Bis dahin sollten die Britannier für ihre Verteidigung selbst sorgen. Es war das Jahr 408.

In der Tat brannte es damals an vielen Ecken und Enden des Römischen Reichs. Aus Gegenden jenseits der befestigten Grenzen kamen Leute, die sich auf römischem Boden niederlassen wollten. Andere, die früher gekommen waren und dort schon siedelten, zeigten sich unzufrieden mit ihrer Versorgung und revoltierten gegen geringe Bezahlung. Es sah so aus, als könnten die vielen Migranten den Bestand des Reichs gefährden, und so galt es, Krieg gegen sie zu führen. Aber der Kaiser hatte zu wenige Legionäre, auch zu wenig Steuermittel, um das Geld für die Verpflichtung von Söldnern zahlen zu können. In Britannien war es hingegen gerade einigermaßen ruhig. Die Insel hatte eine geordnete Verwaltung und schien ohne militärischen Beistand auskommen zu können, vorerst – wie es den Anschein hatte. Vielleicht hegte Kaiser Honorius tatsächlich die Hoffnung, seine Legionäre würden schnell Herr der Lage werden, wie schon so oft zuvor. Dass es auch in Britannien bald schlimmer kommen würde, ahnte er nicht.

Und es kam schlimmer. In Rom und in Britannien. Schon im Jahr 410 gelangten Kriegergruppen, aus dem Nordosten des Reichs kommend, nach Italien und zogen gegen Rom. Nach der Abstammungsgruppe ihres Anführers, eines gewissen Alarich, hießen sie zunächst Visigoten, dann Westgoten. Alarich drang durch die starken Mauern der Ewigen Stadt und gab sie seinen Truppen zur Plünderung frei. Für Rom und noch mehr für das Reich begannen unruhige Zeiten. An eine Rückkehr römischer Legionäre nach Britannien war nicht mehr zu denken.

Auch dort wurde es allmählich ungemütlich. Römische Truppen hatten die Provinzen mit Militärlagern überzogen, von denen manche auch als Zentren der zivilen Verwaltung dienten. Einige Punkte an den Küsten der Nordsee und des Ärmelkanals hatten sie seit dem 4. Jahrhundert befestigt gegen Piraten, für die der allgemeine Name Sachsen im Gebrauch stand. Im Amtsrömisch hieß das Befestigungssystem Litus Saxonicum, die Sachsenküste. Die Mauern blieben vorerst stehen – von einigen sind bis heute eindrucksvolle Reste erhalten geblieben, so in Pevensey am Ärmelkanal östlich von Portsmouth. Aber nach dem Truppenabzug dienten dort nur noch wenige Soldaten, so dass die Piraten wieder ohne größere Gefahren für sie selbst plündern konnten. Schmerzhafter noch als die Nadelstiche der sächsischen Piraten waren für die Bewohner des römischen Britannien die wirtschaftlichen Folgen des Truppenabzugs. Denn mit den Legionären verließen auch die römischen Steuerbeamten die Insel, die Geld zur Unterhaltung der Truppen verteilten. Dieses Geld stammte zwar zu einigen Teilen aus den Provinzen selbst, zu anderen aber auch aus der Zentrale. Der Zufluss an Geld aus Rom blieb nun aus, zum Nachteil der britannischen Wirtschaft. Handwerk und Handel hatten das Nachsehen, in den zu Städten angewachsenen Militärlagern herrschte Krise. Honorius hatte kein soziales Netz hinterlassen und schon gar keine Vorsorge für Notzeiten getroffen. Da die Bewohner der Städte mit Verwaltung, Handwerk und Handel ihr Geld verdient hatten, brachen nunmehr die wirtschaftlichen Grundlagen für das Leben in vielen Städten weg. Wer konnte, zog als Gutsherr aufs Land, wer nicht, richtete sich zwischen den allmählich verfallenden Gebäuden ein und betrieb Ackerbau. Die Städte verödeten zu Steinbrüchen für neue Gebäude irgendwo. Zentrale Regierung und Verwaltung für die Provinzen verschwanden, örtliche Herrschaftsträger übernahmen die Kontrolle der noch bestehenden Herrschafts- und Verwaltungseinrichtungen. Lokale Christengemeinden blieben bestehen, aber die zentrale Kirchenorganisation für Britannien brach zusammen. Über einigen Fernstraßen, manchen Straßen und Theatern in den Städten wuchs langsam Gras.

Völlig verarmten die Provinzen dennoch nicht, sondern blieben attraktiv für Leute vom Kontinent jenseits des Kanals. Einige der örtlichen römisch-britischen Herrschaftsträger behielten genug Einkünfte, um Söldner vom Kontinent anzuwerben – jene Piraten eben, die früher auf Amtsrömisch Sachsen geheißen hatten. Wie dies genau geschah, ist unbekannt, bekannt aber ist das Resultat: Bereits aus der Zeit um die Mitte des 5. Jahrhunderts sind in der Nachbarschaft noch bestehender Römerstädte, wie etwa in Winchester, Gräberfelder nachweisbar, in denen Siedler kontinentaler Herkunft, offenbar Söldner, bestattet wurden. Um dieselbe Zeit entstand auch ein spezieller Stil für die Ausrüstung dieser Söldner. Sie trugen Gürtel mit großen Schnallen, die reich verziert waren – römische Vorbilder nachahmend und doch neu im Stil. Offenbar hatten römisch-britische Herrschaftsträger sie zur Ausrüstung von Söldnern kontinentaler Herkunft speziell anfertigen lassen. Insbesondere im Südosten Britanniens wurden einige dieser Schnallen verstorbenen Söldnern mit ins Grab gegeben. Diese Gegend hieß schon in römischer Zeit Cantia. Der Name blieb und lautet heute Kent. Dort erhielten sich Teile der römischen Infrastruktur mit Fernstraßen, Verwaltungseinrichtungen und Villen, wie etwa bei Eastry. Diese Söldner in Dienst zu stellen war allem Anschein nach einfacher, als sie zu kontrollieren. Mehr als einmal scheinen während des 5. und 6. Jahrhunderts einzelne Trupps gegen die örtlichen britischen Herrschaftsträger revoltiert zu haben. Dennoch stützen archäologische Funde keineswegs die allgemeine Behauptung, der sich auch der Benediktinermönch und Historiker Beda (um 675–735) verschrieb, dass nämlich das Römische Reich in Britannien gewissermaßen in einer großen Katastrophe zusammengebrochen sei. Im Gegenteil legen archäologische Funde den Schluss nahe, dass mindestens in Teilen Britanniens und während des 5. Jahrhunderts Herrschaftsinstitutionen fortbestanden und örtliche britisch-keltische Gruppen mit Siedlern kontinentaler Herkunft vielfältige Formen von Zusammenarbeit pflegten.

Auch aus dem Norden der Insel jenseits der Mauer, die Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert hatte errichten lassen, blickten manche Leute ins römische Britannien, die in der Sprache der Zeitgenossen Pikten hießen. Einige von ihnen bewaffneten sich und wollten offenbar jene Teile Britanniens unterwerfen, in denen nach dem Abzug der römischen Legionäre keine militärische Organisation mehr bestand. So gerieten mancherorts Angehörige der britisch-keltischen Bevölkerung im Zeitraum zwischen den 420er und den 450er Jahren zwischen die Fronten. Einige von ihnen entschlossen sich zu einem außergewöhnlichen Schritt und richteten ein Bittgesuch an einen Militärherrscher namens Agitius in Gallien auf der anderen Seite des Ärmelkanals. In ihrem Schreiben klagten sie beredt über ihre Lage: Von Süden kämen lauter grausame Piraten und Söldner, die Mord und Schrecken verbreiteten. Von Norden kämen die Pikten in der Absicht, sie ins Meer zu treiben. Da hätten sie nur die Wahl, sich massakrieren zu lassen oder zu ertrinken. Sie benötigten dringend Truppen zu ihrer Verteidigung, flehten sie. Wer dieser Agitius war, ist nicht ganz klar. Vielleicht ist der Name ungenau überliefert, und es verbirgt sich dahinter jener Heerführer Aetius, der im Jahr 453 auf den Katalaunischen Feldern den Hunnen Attilas schwer zugesetzt hatte. Jedenfalls gelangte aus Gallien keine Antwort nach Britannien, und die britisch-keltische Bevölkerung blieb auf sich allein gestellt.

Was in den etwas mehr als hundert Jahren zwischen der Mitte des 5. und der Mitte des 6. Jahrhunderts in Britannien geschah, ist nicht genau bekannt. Für die Zeit zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert liegen nur sehr wenige zeitgenössische Schriftzeugnisse vor. Ein wortkarger Chronist aus Gallien, wohl des 5. Jahrhunderts, meldet beispielsweise einen Aufstand in Britannien, den er in das Jahr 452 datiert. Doch was da genau und mit welchen Konsequenzen geschah, sagt er nicht. Zwar kann die Archäologie manchen Vorgang aufhellen, bietet aber längst nicht auf jede Frage eine schlüssige Antwort. Immerhin liegen sichere archäologische Hinweise auf die Siedlungstätigkeit von Leuten vom Kontinent für das frühe 5. Jahrhundert vor und werden für die Zeit seit der Mitte dieses Jahrhunderts auch dichter: Die datierbaren Grab- und Siedlungsfunde konzentrieren sich auf die Nordsee- und Ärmelkanalküste, die Täler schiffbarer Flüsse wie Themse, Trent, Avon und Humber sowie auf Gegenden, die durch Römerstraßen erschlossen...

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