Medizinische Wirkungen von Cannabis und THC
Cannabis und THC entfalten eine Vielzahl von Wirkungen, die therapeutisch genutzt werden können. Im Vordergrund stehen die schmerzlindernden Eigenschaften, die Muskelentspannung, die Steigerung des Appetits sowie die Hemmung von Übelkeit und Erbrechen. Andere medizinisch genutzte Wirkungen sind Entzündungshemmung, Senkung des Augeninnendrucks, Weitung der Bronchien, Stimmungsaufhellung und eine Anzahl weiterer, oft noch wenig erforschter Effekte.
Hintergrund: Das breite Wirkungsspektrum von Cannabis und THC
Cannabis und THC werden bei vielen Erkrankungen eingesetzt. In einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) verwendete etwa ein Viertel der Teilnehmer Cannabisprodukte bei chronischen Schmerzerkrankungen; ein weiteres Viertel verwendete sie bei neurologischen Erkrankungen, vor allem bei multipler Sklerose und Querschnittslähmung. Diese Indikationen stehen auch bei der aktuellen klinischen Forschung im Vordergrund. Weitere wichtige Bereiche sind die positiven Wirkungen bei Appetitlosigkeit und Übelkeit, die bei Krebserkrankungen, HIV/Aids, Hepatitis C und anderen Störungen, die mit diesen Symptomen einhergehen können, genutzt werden. Cannabisprodukte werden jedoch auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen verwendet. Häufig liegen dazu nur kleine Studien oder Fallberichte vor, die Hinweise auf einen Nutzen geben.
Einsatzmöglichkeiten für Cannabis und THC ergeben sich für folgende Krankheiten und Krankheitssymptome:
•Übelkeit und Erbrechen: Krebschemotherapie, HIV/Aids, Hepatitis C, Schwangerschaftserbrechen, Übelkeit im Rahmen der Migräne.
•Appetitlosigkeit und Abmagerung: HIV/Aids, fortgeschrittene Krebserkrankung, Hepatitis C.
•Spastik, Muskelkrämpfe (Spasmen), Muskelverhärtung: Multiple Skleros, Querschnittslähmung, Spastik nach Schlaganfall, Spannungskopfschmerz, Bandscheibenprobleme und Verspannungen der Rückenmuskulatur.
•Bewegungsstörungen mit einem Übermaß an Bewegungen (hyperkinetische Bewegungsstörungen): Tourette-Syndrom, Dystonie (zum Beispiel spastischer Schiefhals oder Lidkrampf), durch eine Behandlung mit Levodopa ausgelöste Dyskinesien bei der Parkinson-Krankheit, tardive Dyskinesien (eine mögliche Nebenwirkung von Neuroleptika, die bei Schizophrenie verwendet werden), essenzieller Tremor (Zittern).
•Schmerzen: Migräne, Cluster-Kopfschmerz, Phantomschmerzen, Neuralgien (Nervenschmerzen, zum Beispiel Ischialgie/Ischiasschmerzen), Menstruationsbeschwerden, Parästhesien (Kribbeln, Brennen, Ameisenlaufen) bei Zuckerkrankheit oder Aids, Hyperalgesie (verstärkte Schmerzempfindlichkeit), Schmerzen bei verspannter Muskulatur und Muskelkrämpfen, Arthrose, Arthritis, Colitis ulzerosa (eine chronische Darmentzündung), Restless-Legs-Syndrom („Syndrom der unruhigen Beine“), Fibromyalgie („Weichteilrheumatismus“).
•Allergien: Asthma, Hausstauballergie, Heuschnupfen.
•Juckreiz: starker Juckreiz bei Lebererkrankungen, Neurodermitis.
•Entzündungen: Asthma, Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn (eine chronische Darmentzündung), Neurodermitis.
•Psychische Erkrankungen: Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen (manisch-depressive Störung), posttraumatische Stressstörung, Hyperaktivität, ADS (Aufmerksamkeit-Defizit-Syndrom), Impotenz, Alkoholismus, Opiatabhängigkeit, Schlafmittelabhängigkeit, Schlaflosigkeit, Autismus, verwirrtes Verhalten bei der Alzheimer-Krankheit.
•Überproduktion von Magensäure: Magenschleimhautentzündung.
•Erhöhter Augeninnendruck: Glaukom (grüner Star).
•Hören: Tinnitus (Ohrgeräusche).
•Weitung der Bronchien: Asthma, Luftnot bei anderen Erkrankungen der Atemwege.
•Epilepsie.
•Singultus (Schluckauf).
•Förderung der Wehentätigkeit bei der Geburt.
Häufig wirken Cannabis und THC gleichzeitig auf mehrere Symptome einer Erkrankung. So schrieb das Medizininstitut der USA in einer umfangreichen Untersuchung zu den therapeutischen Wirkungen von Cannabis aus dem Jahre 1998: „In Fällen, in denen vielfältige Symptome auftreten, könnte die Kombination der THC-Wirkungen eine Form der Kombinationstherapie darstellen. Beispielsweise würden abgemagerte Aids-Patienten vermutlich von einer Medikation profitieren, die gleichzeitig Angst, Schmerzen und Übelkeit reduziert sowie den Appetit anregt.“ Allerdings gibt es trotz der Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten für Cannabis als Medizin weltweit nur drei von Zulassungsbehörden akzeptierte Indikationen für eine Cannabisbehandlung. So ist in den USA Marinol® (THC), ein synthetisches Dronabinol-Präparat, für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Krebschemotherapie sowie von Appetitlosigkeit bei Abmagerung von Aids-Patienten zugelassen. Darüber hinaus ist Sativex®, ein Cannabisextrakt in Spray-Form, in Österreich, Deutschland und anderen Ländern zur Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose zugelassen.
In vielen anderen Ländern dürfen Dronabinol-Präparate zwar verschrieben werden, sind jedoch nicht als Medikament für bestimmte Erkrankungen zugelassen. Diese arzneimittelrechtliche Situation spiegelt allerdings nicht das eigentliche therapeutische Potenzial von Cannabis wider. So wird durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen und klinischen Studien nicht nur ein positiver Effekt von Cannabis für die bereits etablierten Einsatzgebiete, sondern auch für Spastik, Schmerzzustände unterschiedlicher Art und Ursache sowie für Bewegungsstörungen, Asthma und Glaukom beschrieben.
Die Wirkung bei anderen Krankheiten beziehungsweise Krankheitssymptomen wie Allergien, Juckreiz, Entzündungen, Epilepsie und Depressionen ist weniger gut untersucht. Ein positives Beispiel lieferte im Jahre 2002 eine kleine Studie mit Patienten, die an unstillbarem Juckreiz aufgrund einer Lebererkrankung litten. Hier konnte eine juckreizstillende Wirkung von Dronabinol (THC) nachgewiesen werden. Für diese Studie wurden drei Patienten ausgewählt, die zuvor erfolglos mit einer Vielzahl von Maßnahmen behandelt worden waren. Sie litten wegen des starken Juckreizes unter einer erheblich reduzierten Lebensqualität, Schlafmangel, Depressionen, Arbeitsunfähigkeit und Selbstmordgedanken. Durch die Einnahme von 5 Milligramm THC zur Schlafenszeit konnte bei allen drei Patienten eine Abnahme des Juckreizes für etwa vier bis sechs Stunden und damit einhergehend eine Verbesserung des Schlafes erreicht werden. Bei zwei Patienten verschwand sogar die Depression. Beim dritten Patienten trat zunächst eine Koordinationsstörung auf, so dass die tägliche THC-Einnahme auf 2,5 Milligramm reduziert wurde, eine Dosis, die genug Wirkung zeigte.
Zudem wird immer wieder von Einzelfällen berichtet, bei denen die Verwendung von Cannabis sehr wirksam war. So erschien vor wenigen Jahren in einer Fachzeitschrift ein Bericht über einen Patienten, der an einer Pilzinfektion der Speiseröhre litt und nach einer Operation einen anhaltenden Schluckauf entwickelte. Er wurde mit mehreren Medikamenten behandelt, die aber alle nur wenig oder nicht halfen. Akupunktur-Behandlungen am sechsten und neunten Tag des Schluckaufs brachten den Schluckauf nur für eine Stunde zum Verschwinden. Am achten Tag rauchte der Patient, der noch nie zuvor Cannabis geraucht hatte, eine Marihuanazigarette und der Schluckauf verschwand, trat jedoch am neunten Tag wieder auf. Am zehnten Tag rauchte er erneut Cannabis, und der Schluckauf verschwand sofort und kam nicht wieder.
Praxistipps
* Cannabis ist kein Wundermittel. Während es bei einigen Patienten nicht oder nur wenig wirkt, profitieren andere sehr gut von Cannabis. Falls Sie Cannabis einmal zur Behandlung Ihrer Erkrankung oder Beschwerden ausprobieren wollen, so können Sie die hier dargestellte Übersicht als erste Orientierungshilfe ansehen. Informieren Sie sich bitte trotzdem über den aktuellen Stand der Forschung. Sie können auf weiterführende Literatur zu diesem Thema zurückgreifen, sich vertrauensvoll an die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) wenden oder sich auf der Internetseite der ACM informieren (www.cannabis-med.org).
* Viele Ärzte kennen sich mit der Thematik wenig aus oder stehen einer Medikation mit Dronabinol beziehungsweise Sativex® skeptisch gegenüber. Sie sollten sich daher selbst informieren, bevor Sie sich entschließen, mit Ihrem Arzt darüber zu sprechen.
* Falls Ihr Arzt eine Cannabistherapie für sinnvoll erachtet, so lassen Sie sich von ihm Dronabinol oder Sativex® verschreiben. Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Krankenkassen die Kosten für diese Behandlung übernehmen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in dem Kapitel...