1. Der Unfall
Während ich auf all die Ereignisse zurückschaue, die mein Leben bestimmt haben, sehe ich, dass es viele bedeutende Momente gibt, die ich niemals vergessen werde – Momente, die die Richtung, die mein Leben nahm, dramatisch veränderten. Da gibt es einen, der so fest in meiner Erinnerung verankert ist, dass allein der Gedanke daran mich schlagartig in die Vergangenheit zurückversetzt. Obwohl doch schon soviel Zeit vergangen ist, steht jede Einzelheit kristallklar vor meinen Augen.
Es war der 14. November 1992.
***
Es war ein kühler Samstag, Mitte November. Ich war ein gesunder vierzehnjähriger Jugendlicher, der gerade an der Highschool angefangen hatte. Ein guter Freund von mir – Alex – und ich waren mit dem Bau einer Skateboard-Rampe in unserem Hinterhof beschäftigt.
Das Skateboarding hatte ich erst wenige Jahre zuvor in Kalifornien erlernt. Ich war vom ersten Augenblick an davon fasziniert, und als ich merkte, dass ich nicht nur in der Lage war, mich auf dem Brett zu halten, sondern auch damit zu manövrieren, wurde ich praktisch süchtig danach. Und ich war sehr gut! Die ganze Sache entwickelte sich sehr rasch zu einer Leidenschaft.
Ich sprang in jeder freien Minute auf mein Brett und skatete Stundenlang in meiner Nachbarschaft herum. Ich nutzte jeden Quadratmeter Asphalt. Ich genoss den weichen Klang der Räder. Bei jeder Gelegenheit sprang ich auf das Brett und fuhr los. Ich lernte und praktizierte alle möglichen Tricks.
Meine Lieblingsübung war es, hoch in die Luft zu springen und dann das Geräusch zu hören, das meine Räder machten, wenn sie wieder den Boden berührten.
Im Laufe der Jahre bildete sich eine enge Freundschaft mit den anderen Skateboardern, und ich lernte durch den Sport eine Menge Leute kennen. Wir forderten uns gegenseitig zu immer höheren Sprüngen heraus, und wir jubelten jedem zu, der den anderen darin übertroffen hatte. Jeder von uns war davon überzeugt, dass er eines Tages so gut wie die Profis sein würde.
Alex und ich hatten bereits die Rampe in unserem Hinterhof aufgestellt. Wir mussten nur noch einige Schrauben und Bolzen aus dem Laden in der Innenstadt besorgen. Also hüpften wir auf unsere Boards und glaubten, dass wir schnell wieder zurück sein würden. Wie sich herausstellte, dauerte es aber länger als wir erwartet hatten, und als wir wieder zurückkehrten, war es dunkel.
An der Straße, die wir entlanggingen, gab es keine Bürgersteige, also skateten wir so nah am Rand wie möglich. Es herrschte starker Verkehr, und ich trug dunkle Kleidung. Ich fühlte mich nicht sehr sicher, weil ich die Wagen, die von hinten auf uns zukamen, nicht sehen konnte. Ich wusste, dass sie mich auch nicht sehr gut sehen konnten.
Sobald sich die Gelegenheit ergab, die Straße zu überqueren, winkte ich Alex zu, mir auf die andere Seite zu folgen. Wir überquerten also die Straße, und fühlten uns danach viel sicherer. Jetzt konnte ich die Wagen sehen, die auf uns zukamen, und wenn mir einer zu nahe zu kommen drohte, konnte ich immer noch auf den Seitenstreifen ausweichen.
Während ich fuhr, schaute ich nach hinten. Alex fiel etwas zurück, also rief ich ihm zu, dass er sich beeilen sollte.
„Ich komme schon!“, rief er zurück.
„Beeil dich“, rief ich noch einmal. „Wir müssen nach Hause.“
Im nächsten Moment, bevor ich auch nur meinen Kopf drehen konnte, wurde ich von einem Wagen erwischt.
Ich hatte ihn nicht kommen sehen. In weniger als einem Sekundenbruchteil wurde mein rechter Arm vom Seitenspiegel eines Müllautos, eines Eintonners, getroffen. Der Laster fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 45 Meilen pro Stunde, und der Aufprall war wirklich enorm.
Als ich auf dem Boden aufschlug, dauerte es einige Sekunden, bis ich wusste, was passiert war. Alex sprang von seinem Brett und kam auf mich zugerannt.
„Billy! Mein Gott! Billy, bist du OK?“
Ich stöhnte, aber es gelang mir, mit dem Kopf zu nicken.
Er kniete bei mir nieder und behielt dabei den Verkehr im Auge, der immer noch an uns vorbeirauschte.
„Wir müssen deine Füße von der Straße bekommen!“ schrie er. Ich war mit meinem Rücken gegen einen Telefonmast geknallt, aber meine Füße waren immer noch ausgestreckt. Das war gefährlich bei den ganzen Autos, die vorbeifuhren.
„Hier ist es zu gefährlich“, sagte er. „Kannst du aufstehen?“
Irgendwie gelang es mir, Nein zu sagen.
Ich versuchte, mich zu bewegen, aber das ging nicht. Ich konnte meine Zehen und meinen Kopf ein wenig bewegen, also wusste ich, dass ich nicht gelähmt war. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich am Boden festklebte. Also lag ich einfach da, mit meinen Füßen auf der Straße.
Der Fahrer des Lasters hatte angehalten und kam jetzt mit einer Taschenlampe auf uns zugelaufen.
„Oh, mein Gott! Bist du OK? Um Gottes Willen! Ich habe dich nicht gesehen!“
Er drückte Alex die Taschenlampe in die Hand und rief: „Halte die Lampe auf ihn. Ich hole schnell Hilfe“
Er sprang wieder in seinen Wagen und raste zum nächsten Polizeirevier, das weniger als eine Meile entfernt war.
So lag ich also da auf der Straße. Ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen, und Alex konnte nichts dagegen tun.
Als ich so dort lag, nahm er einige Gummibärchen aus seiner Hosentasche.
„Möchtest du welche?“, fragte er mich leise.
Ich wollte natürlich, und ich dachte, das wäre doch wohl ein Zeichen dafür, dass ich nicht zu stark verletzt wäre. Alles würde wieder in Ordnung kommen.
Aber es sollte nicht lange dauern, bis mir klar wurde, dass meine Verletzungen sehr viel schwerer waren als ich es mir vorgestellt hatte. Ich geriet ein wenig in Panik, als ich die Sirene des Krankenwagens hörte. Das war nicht einer der Rettungswagen, deren Sirenen man ständig in der Ferne hört. Dieser kam wegen mir!
Ich versuchte, ruhig zu bleiben.
Die Sirene wurde immer immer lauter, und bevor ich wusste, was los war, kam der Krankenwagen bereits angefahren; sämtliche Signale blinkten. Einer der Rettungssanitäter sprang heraus und eilte sofort zu mir. Er kniete sich vor mich und fragte mich nach meinem Namen.
„Billy.“
„Okay, Billy, alles klar! Wo tut es weh?“
Ich sagte ihm, dass mein Arm schmerzte, und dass ich mich nicht bewegen könnte. Sie hoben mich auf einen Bahre in den Krankenwagen.
Zuerst zerschnitten sie meine Schuhbänder und zogen mir die Schuhe und die Socken aus. Einer von ihnen kniff mir in die Zehen.
„Kannst du das fühlen?“, fragte er.
Ich konnte, und das war ein gutes Zeichen. Sie sahen, dass ein Ring an meiner linken Hand zerbrochen war, und der Finger blau anlief.
„Den nehmen wir jetzt ab“, sagte einer von ihnen. Sie nahmen ein seltsames Instrument und zerschnitten den Ring, um den Finger vom Druck zu befreien.
Als nächstes kam die Jacke an die Reihe.
„Schauen wir uns seinen Arm an. Die Jacke muss weg.“
Ich trug eine ganz neue Jacke, die ich wirklich mochte. Und sie wollten sie zerschneiden! Ich wollte aber nicht, dass sie ruiniert wurde. Ich machte einen schwachen Versuch, sie auszuziehen, aber das hatte überhaupt keinen Zweck. Der Schmerz war kaum auszuhalten. Sie nahmen eine Schere und schnitten den Ärmel ab. Keiner von uns wusste es, aber der Ärmel war so ziemlich das Einzige, was meinen Arm noch an meinem Körper festhielt. Als sie den Ärmel abschnitten, fiel meine Hand auf den Tisch. Ich sah, wie meine Knochen aus der Haut hervortraten, und meine Hand lag auf dem Tisch neben meinem Ellbogen. Ich hörte, wie einer der Sanitäter schrie: „Oh, mein Gott!“ Das war der schrecklichste Augenblick in meinem ganzen Leben.
„Werde ich jetzt sterben?“, schrie ich. Ich war kurz davor, meine Fassung zu verlieren.
„Nein, Billy, mach dir keine Sorgen. Du kommst wieder in Ordnung!“
„Habe ich einen Schock?“
„Nein, du hast keinen Schock. Du kommst wieder in Ordnung. Wir bringen dich jetzt erst mal ins Krankenhaus.“
„Können Sie mir nicht eine Narkose verpassen?“, flehte ich sie an. „Der Schmerz ist kaum auszuhalten.“
„Das können wir nicht. Du musst unbedingt bei Bewusstsein bleiben.“
Sie sagten mir, dass ich ruhig schreien könnte. Und das tat ich dann auch.
Als wir die Notaufnahme im South Shore Hospital erreichten, war der Schmerz schier unerträglich. Die Krankenschwester kippte Jod auf meine Verletzungen und verpasste mir eine Dosis Morphin. Die erste Spritze bewirkte absolut gar nichts. Ich wurde für die Operation vorbereitet, als meine Eltern eintrafen.
„Es tut mir leid“, sagte ich immer wieder. „Es geht mir gut. Es tut mir leid. Ich brauche wirklich etwas gegen die Schmerzen. Bitte besorgt mir etwas gegen die Schmerzen!“
„Sie bringen dir schon etwas, Schatz. Sie bringen gleich etwas.“ Meine Mutter versuchte verzweifelt, mich zu trösten.
Die Krankenschwestern gaben mir noch zwei Spritzen. Aber das half auch nicht sehr viel. Anscheinend durften sie mir keine weitere geben, aber es reichte einfach nicht aus. Glücklicherweise wurde ich dann ohnmächtig.
Ich wachte auf, weil jemand laut schrie. Ich öffnete meine Augen gerade rechtzeitig, um noch zu sehen, wie meine Schwester aus dem Aufwachzimmer stürzte. Jenny arbeitete gerade in ihrer ersten Stellung in der Brigham‘s Eisdiele in der Hanover Mall, als sie den Anruf erhielt. Sie war damals erst fünfzehn....