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Entängstigt euch!

Die Flüchtlinge und das christliche Abendland

AutorPaul M. Zulehner
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783843607612
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seit Monaten kommen Flüchtlinge in großen Scharen zu uns: Frauen, Männer, kleine Kinder, Alte. Das ruft bei der Bevölkerung Gefühle wach, die in ganz unterschiedliche Richtung gehen: Die einen fühlen Ärger, andere Sorge, wieder andere Zuversicht. Wer Ärger fühlt, tendiert zur Abwehr. Die Zuversichtlichen hingegen sind bereit zum Einsatz. Man findet sie als Freiwillige auf Bahnhöfen, sie arbeiten in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Kirchengemeinden mit. Wie aber kommt es, dass die einen abwehren und die anderen sich einsetzen, die einen zu Wutbürgerinnen, die anderen zu Gutbürgerinnen werden, die einen hetzen, die anderen helfen? Eine aktuelle Umfrage zeigt: Die Entscheidung fällt auf Grund der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur. Es sind die Ängste eines Menschen, welche zur Abwehr oder zum Einsatz veranlassen. Immer deutlicher wird am Beispiel der Flüchtlinge, dass wir in einer Angstgesellschaft leben. Paul M. Zulehner geht in diesem aktuellen Zwischenruf den Ursachen dieser Ängste nach und den Möglichkeiten, sie zu überwinden. Er tritt Pauschalisierungen entschieden entgegen und entwickelt eine Vorstellung davon, was Christsein in der Flüchtlingszeit heißen kann. Und er geht der Frage nach, welche Rolle die Kirchen spielen und was sie tun können, um von der Angst zu heilen. Denn: Wird die Angst kleiner, kann der solidarische Einsatz größer werden.

Paul M. Zulehner, Dr. phil., Dr. theol., gehört zu den bekanntesten Religionssoziologen Europas. Von 1984 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 war er Professor für Pastoraltheologie in Wien. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigt er sich vor allem mit religionssoziologischen, kirchensoziologischen und pastoraltheologischen Themen.

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Leseprobe

I Unsere Gesellschaften zwischen Abwehr und Einsatz


Option Abwehr


Leitbild Orban, Stacheldraht und Festung


Wer für Abwehr der ankommenden Flüchtlinge optiert, findet im ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, seiner Abschottungspolitik sowie dahinter seiner Option für eine „illiberal-national-christliche Demokratie“ ein attraktives Leitbild. 79% der Menschen mit Ärger stimmen der Aussage zu: „Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat das Richtige getan, als er an der Grenze zu Serbien und Kroatien einen Stacheldrahtzaun bauen ließ.“ Bei keiner anderen Aussage ist der Unterschied zu den Menschen mit Sorge (18% Zustimmung) bzw. mit Zuversicht (2% Zustimmung) so groß.

Bei dieser Frage liegen also zwischen beiden Optionen Meinungswelten. Dieser hohen Wertschätzung der Politik Viktor Orbans entspricht, dass für jene, die nicht für Abwehr optieren, gerade Ungarn und sein Ministerpräsident eine Art „Feindbild“ abgeben:

Nach vielen Jahren beobachte ich wieder mit großer Sorge die unglaubliche Macht der Medien in Ungarn. Während der Papst und der österreichische Kardinal sowie die Bischöfe sich ganz klar für Aufnahme und Hilfe im Sinne des Evangeliums für Flüchtlinge bekennen, gibt es im Nachbarland Ungarn viele hochrangige Kirchenpersonen, die offen fremdenfeindliche und islamophobe Aussagen treffen und sogar offen sagen, dass der Papst sich in der Flüchtlingsfrage irrt. Orban hat die katholische Kirche „auf Kilo“ aufgekauft. Die katholische Kirche verhält sich so, dass wegen der vielen staatlichen Förderungen für Kirchen- und Pfarrei­renovierungen in den letzten Jahren der Orban-Regierung eine totale Loyalität gezollt wird. (Mann, 1975)

Eine herausragende Position der Personen mit Ärger und Tendenz zur Abwehr ist die Aussage: „Die Außengrenzen der Europäischen Union sind abzuriegeln. Notfalls mit einem Stacheldrahtzaun.“13 Das ist die Ansicht von 73% der Menschen mit Ärger. Dem entspricht, dass 67% von diesen fordern: „Es sollten an den Grenzen rasch Stacheldrahtzäune gebaut werden.“14 55% sympathisieren mit dem Bild „Europa soll zu einer Festung ausgebaut werden.“15

[Ich empfinde] Sorge, weil im Hintergrund erhebliche Meinungsunterschiede bzw. der Beschaffenheit und Ziele der EU stehen und dass Gerechtigkeit darunter nachhaltig leidet. Der westliche Teil der EU kennt und beachtet nicht einmal den östlichen genug, um nachhaltige Entscheidungen zu treffen, ganz zu schweigen von den Flüchtlingen. Die Berichterstattung ist nicht differenziert genug (darauf gibt es Hinweise auch in diesem Fragebogen). Zwischen „Festung Europa“ und „Laissez faire“ muss eine richtige Lösung gefunden werden, zu der mehr Dialog(bereitschaft) nötig ist. Das Ganze ist eine Herausforderung und eine Chance. (Mann, 1970)

Zum Bild von der „Festung Europa“ vermerkt Wolfgang Thierse: „,Festung Europa‘ ist natürlich ein problematischer Begriff, obwohl wir das ja erleben: Unsere ost-europäischen Nachbarn möchten, dass die Grenzen dichtgemacht werden. Europa zur Festung zu erklären, wird nicht viel helfen. Wenn Flüchtlingsursachen so dramatisch sind wie jetzt – Bürgerkrieg, Krieg, Armut –, finden Menschen immer einen Weg in diesen reichen Kontinent.“16

Argumente für die Option Abwehr


Zum Profil der Option Abwehr gehören die aus deren Sicht „guten Argumente“. Einer, der starken Ärger angesichts der Flüchtlinge fühlt, schrieb sich in der Online-Umfrage diesen so von der Seele:

AUSNAHMSLOS ALLE „Flüchtlinge“ kommen aus sicheren Drittstaaten. In KEINEM der durchreisten Drittstaaten ist ihr Leben bedroht. USA, Frankreich und andere beteiligte Länder haben die „Diktatoren“ Nordafrikas ermordet (Gaddafi) oder mit aktiver Beteiligung gestürzt (arabischer Frühling) und damit diese Länder destabilisiert. In Syrien werden seit Jahren „gemäßigte“ Aufständische NICHT mit gemäßigten, sondern mit tödlichen Waffen ausgestattet. Wer die IS mit Waffen beliefert und warum, um Syrien total ins Chaos zu stürzen – auch das wissen Sie – hoffentlich. Nur noch eine Frage der Zeit bis zum 3. WK. Flüchtlinge sind dankbar, wenn sie Hilfe bekommen, aber diese „Flüchtlinge“, mehr als 80% Männer unter 30, die Frauen und Kinder im Kriegsgebiet alleine zurücklassen, kommen, um zu fordern. Die meisten Europäer nehmen die Umgebung nur sehr stumpfsinnig wahr, die wenigsten können komplexe Zusammenhänge erfassen und durchschauen die Hintergründe der aktiv und absichtlich gelenkten „Flüchtlings“-ströme. Wer eine rote Brille aufsetzt, blendet alle anderen Farben aus und sieht nur was er sehen will, nämlich rot. Eine akute Bedrohungslage mit irrationalen Ängsten zu verharmlosen und Menschen immer frecher und immer skrupelloser per Zensur zu belügen, ist hinterhältig und gemein und schäbig und rücksichtslos den „eigenen“ Völkern gegenüber, die per Durchgriffrecht nach und nach, je nach Anforderung für die „Flüchtlinge“ enteignet werden. (Mann, 1960)

Einige der in dieser starken Meinungsäußerung genannten angstbesetzten Themen sollen näher vorgestellt werden.

Keine Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen

Viele, die Ärger fühlen, meinen, dass der Großteil der Ankommenden nicht unter das Asylrecht fällt. 71% dieser Gruppe betonen: „Die meisten der Flüchtlinge sind Wirt­schaftsflüchtlinge.“17 68% stimmen der Aussage zu: „Die vielen Flüchtlinge nützen nur unseren Sozialstaat schamlos aus.“18 Daher, so 78%: „Wirtschaftsflüchtlinge gehören umgehend zurückgeschickt.“19

In der Einschätzung, dass die meisten Flüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge sind, unterscheiden sich die drei Gruppen erheblich. Zugleich denken sie aber sehr ähnlich hinsichtlich der Rückführung von „Wirtschaftsflüchtlingen“, also von jenen, deren Überleben nicht in Gefahr ist, sondern die ein besseres Leben suchen. Ausgeblendet wird die Frage, dass nicht wenige sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge oftmals in ihrem Überleben durch Armut bedroht sind. Was soll, so erzählte mir ein Doktorand aus Nigeria, ein Familienvater mit Frau, acht Kindern und alten Menschen im Familienverbund machen, wenn er nicht nur arm ist, sondern – was viel gravierender ist – keine Hoffnung hat, dass sich die Lage in seiner Heimat in seiner Lebenszeit je verändern wird? Unsere Vorfahren sind in einer solchen ausweglosen Lage nach Amerika ausgewandert. Sind diese also „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder doch eher „Armutsflüchtlinge“ oder noch besser „Hoffnungsflüchtlinge“? Sie sind von derselben Hoffnung getrieben wie die jungen Menschen in Bosnien-Herzegowina, die derzeit in ihrem Land keinerlei Zukunft für sich sehen.

Islamisierung Europas

Ein zweites starkes Argument der Menschen, welche aus Ärger für Abwehr optieren, ist die befürchtete Islamisierung Europas. 71% der Menschen mit Ärger haben die Angst,
„Europa wird durch die Flüchtlinge islamisiert werden“20. Ähnlich die Werte für das Kontrollitem „Europa wird islamisiert“21. Menschen mit der Option Abwehr fühlen sich zumal als Christen verpflichtet, gegen eine Islamisierung Europas einzutreten. Ein Widerspruch zum Gebot der christlichen Nächstenliebe wird nicht gesehen, Abwehr erscheint dieser Personengruppe im Land durchaus als kompatibel mit dem Christentum: „Man kann durchaus ein guter Christ sein, ohne sich für die ankommenden Flüchtlinge einzu­setzen.“22

Gefahren werden eingeschleppt

Sodann haben Menschen mit Ärger die große Sorge, dass mit den Flüchtlingen große Gefahren ins Land eingeschleppt werden. Beträchtliche Zustimmungswerte haben bei den Personen mit Ärger folgende Aussagen:

  • „Wegen der Flüchtlinge werden Kriminalität und Gewalt im Land zunehmen.“23
  • „Unter den Flüchtlingen befinden sich bestimmt auch Terroristen.“24
  • „Flüchtlinge bringen Krankheiten ins Land.“25
  • „Die jungen männlichen Flüchtlinge sind eine Gefahr für unsere Frauen.“26

Solche Befürchtungen werden in zwei plakativen Sätzen gebündelt: „Das Boot ist voll“27, sowie „Es wird in einer Kata­st­rophe enden.“28

Abwehr findet sich nicht nur in der alteingesessenen Bevölkerung, sondern bei Personen, die selbst vor Jahren ins Land gekommen sind. Hier ein Beispiel:

Jeder soll 12 Monate Zeit bekommen, um sich vollkommen zu integrieren (die deutsche Sprache lernen, eine Wohnung sowie Arbeit finden und die Steuer zahlen). Sonst Abschiebung und lebenslanges Einreiseverbot in die EU. Soll die Familie nachher kommen wollen, dann bitte dieselben Kriterien für alle Frauen und Kinder und nicht wie bisher für die türkischen Frauen und Kinder, die mehr als 2030 Jahre in Österreich leben, viele sogar eine österreichische Identitätskarte besitzen und kein einziges Wort Deutsch sprechen können und wollen. Ich bin vor mehr als 25 Jahren nach Österreich gekommen und habe noch nie einen einzigen Groschen und jetzt auch Cent als Sozialhilfe in Anspruch genommen und jemals bekommen. Ich habe in Österreich durch harte Arbeit alles erreicht, was ich jetzt habe, und das beabsichtige ich auch zu behalten. Ich bin dem Land...

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