Wir alle möchten in den Beziehungen mit den Menschen, die uns am Herzen liegen, Glück und Harmonie erfahren. Gleichzeitig wissen wir, dass Missverständnisse von Zeit zu Zeit unvermeidbar sind, da es sich um Freundschaften zwischen unvollkommenen Menschen handelt. Und wir wissen auch, dass Ärger, den man zu unterdrücken oder zu übergehen versucht, früher oder später ganz von allein neu aufflammt und eine Beziehung, die uns sehr wichtig ist, zerstören kann.
Vielleicht glauben Sie, dies vermeiden zu können, indem Sie dem Betreffenden gegenüber immer offen und ehrlich sagen, wenn er etwas tut oder sagt, das Sie stört oder ärgert. Das Problem daran ist allerdings, dass es den Anderen möglicherweise verletzt, wenn Sie die Sache in der Hitze des Gefechts und insbesondere, wenn noch Andere anwesend sind, ansprechen. Unter Umständen fährt er sie ebenfalls an; und jedes Mal, wenn es zu einem solchen kleinen Konflikt kommt, werden beide Seiten etwas verletzt. Wenn man sich gegenseitig Woche um Woche immer mehr solcher kleinen Verletzungen zufügt – auch wenn es nie eine große Sache ist –, entstehen Knoten, die immer größer werden. Anfangs bemerken Sie es vielleicht gar nicht, aber irgendwann stellen Sie möglicherweise fest, dass Ihre Beziehung Sie nicht länger inspiriert. Beide Seiten beginnen, sich aus dem Weg zu gehen, und finden schließlich vielleicht einen anderen Menschen, der interessanter und inspirierender zu sein scheint. Die Häufung vieler solcher kleiner Fälle kann zu einer explosiven Situation heranwachsen und sogar dazu führen, dass die Beziehung auseinanderbricht.
Neubeginn ist eine konkrete Praxis in vier Schritten (oder fünf, wenn man die Umarmungsmeditation mitzählt). Mit ihr können wir unsere Missverständnisse klären, Beziehungen heilen und uns mit dem Anderen wieder versöhnen. Bewusstes Atmen, liebevolle Rede und mitfühlendes Zuhören helfen uns, andere Menschen und Situationen klarer zu sehen und in größerem Einklang mit der Wirklichkeit wahrzunehmen.
1. Die Blumen des Anderen wässern
Beleben Sie Ihre Beziehung, indem Sie den Anderen aus der Perspektive der Anerkennung betrachten. Versuchen Sie die vielen Qualitäten, Talente oder positiven Handlungen des Anderen zu sehen, ganz gleich, ob sie groß oder klein sind. Erkennen Sie sie an. Wir nennen diesen Schritt »Blumen wässern«: Wässern Sie die Blumen in demjenigen, mit dem Sie sprechen. Gleichzeitig lernen Sie durch diese Praxis, den vielen kleinen gütigen und wundervollen Dingen im täglichen Leben, die Ihre Mitmenschen tun und die auch Ihr Glück vergrößern, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
2. Bedauern ausdrücken
Bei diesem Schritt drücken Sie Ihre Sorge aus, möglicherweise etwas Kleines oder weniger Kleines gesagt oder getan zu haben, das ungeschickt war. Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag, Sie haben dabei verpasst, Ihr Bedauern auszudrücken, vielleicht weil Sie nicht dazu in der Lage waren, aber jetzt ist die Gelegenheit, Ihre Sorge und Betroffenheit darüber auszudrücken, dass Ihr Handeln einen anderen Menschen gestört oder verletzt haben könnte.
3. Nachfragen, ob alles in Ordnung ist
Selbst wenn Sie denken, dass es zwischen Ihnen und Ihren Liebsten keinerlei Schwierigkeiten oder Missklänge gab, rate ich Ihnen, regelmäßig nachzufragen, ob Ihnen vielleicht etwas entgangen ist. Hierbei fragen Sie beispielsweise: »Ich möchte gerne wissen, ob alles in Ordnung ist, denn manchmal macht man, ohne es zu merken, Dinge, die Andere ärgern. Habe ich dich in letzter Zeit mit ungeschicktem Verhalten verletzt oder verärgert? Habe ich etwas getan, das dich verwirrt hat? Bin ich dir gegenüber aufmerksam genug, verstehe ich deine innigsten Wünsche und das, was du am liebsten tun würdest?
Bitte öffne dein Herz und sag es mir. Um dich richtig zu lieben, muss ich dich besser verstehen, denn nur so kann ich dir helfen, deine tiefsten Wünsche zu verwirklichen. Auch will ich dir nicht meinen Willen aufzwingen. Sag es mir bitte, falls ich etwas getan habe, das dich ein wenig unglücklich gemacht hat, auch wenn es für dich fast ohne Belang war. Ich werde gut zuhören, um dich besser zu verstehen. Wenn sich viele kleine Verletzungen, die ich dir mit ungeschickten Worten und Taten zugefügt habe, in dir ansammeln, ist es sicherlich nicht sonderlich gut, sie für dich zu behalten, denn das kann sogar dazu führen, dass sie irgendwann zu echter Frustration in dir heranwachsen. Bitte sprich, sobald du kannst, auf friedvolle Weise mit mir, wenn du dich von mir auch nur ein klein wenig verletzt fühlst.«
4. Wut oder Kränkungen ansprechen
Bitte drücken Sie Ihren Ärger nicht aus, solange Sie der betreffende Vorfall noch stark mitnimmt. Nehmen Sie sich stattdessen alle Zeit, die Sie brauchen – selbst wenn dies einige Stunden oder Tage dauert –, um Ihre innere Ruhe wiederzufinden. Achten Sie einfach nur auf den Atem. Es geht nicht darum, irgendetwas zu unterdrücken, sondern sich davor zu schützen, in einem Anflug von Wut jemanden zu verletzen, der Ihnen sehr wichtig ist. Nehmen Sie sich vor, der anderen Person aufrichtig von Ihrem Ärger zu erzählen, sobald Sie wieder klarer und ausgeglichener sind. Doch tun Sie das nicht jetzt, wo Ihr Gesicht noch rot und Ihr Gemüt noch aufgewühlt ist. Praktizieren Sie in der Zwischenzeit achtsames Atmen sowie Gehmeditation, um Körper und Geist zu beruhigen. Anschließend können Sie in Ihre Wahrnehmung dessen, was geschehen ist, schauen. Von Zeit zu Zeit ist jeder von uns wie der Mann, der sich für ein Maiskorn hielt: Bisweilen vertrauen auch wir unserer Wahrnehmung zu sehr. Wenn wir dann tief in diese schauen, stellen wir möglicherweise fest, dass wir ein starres und falsches Bild von uns, unserem Partner oder unseren Kindern hatten. Buddha lehrte, dass unsere Sinne nur einen geringen Teil der Realität erfassen. Wir sehen nur einen Teil unserer Soheit, der Soheit eines anderen Menschen oder einer Beziehung. Wir sollten uns bemühen, hinsichtlich unserer Wahrnehmung zurückhaltend zu sein und uns zu öffnen, um mehr über die andere Seite der Geschichte zu lernen. Wenn wir einiges noch immer nicht verstehen, nachdem wir uns beruhigt und, so gut, wie wir es vermochten, in die Situation geschaut haben, können wir mit unseren Fragen auf die andere Person zugehen. Es ist ratsam, dabei keine verletzenden oder anklagenden Worte zu verwenden, sondern einfach nur ehrlich auszudrücken, dass wir nicht verstehen, warum sie etwas getan hat, das uns verletzte. Wir äußern ganz ehrlich unseren Wunsch, ihre Seite der Geschichte zu hören und zu erfahren, was sie dazu brachte, so zu sprechen oder sich so zu verhalten, wie sie es tat.
Diese Praxis wird Ihre Beziehung nähren, vernachlässigen Sie sie daher nicht. Eine Beziehung stirbt, wenn Sie ihr nicht die nötige Nahrung geben, die darin besteht, tief zuzuhören, um den Anderen zu verstehen und um fähig zu sein, zu lieben, was nicht leicht zu akzeptieren ist, und darüber hinaus zu lernen, zu lieben, was der Andere liebt. Ich rate Ihnen, den Neubeginn häufig zu praktizieren, sowohl mit als auch ohne formellen Rahmen. Diese Praxis ist eine Spielart der Kunst des achtsamen Lebens, die unsere Beziehung belebt und uns hilft, sowohl der eigenen Soheit als auch der Soheit der Menschen um uns näherzukommen. Praktizieren Sie den Neubeginn bitte möglichst täglich mit Ihren Kindern und jede Woche mit Ihrem Partner oder Ihrer Familie, ganz gleich, ob es im betreffenden Zeitraum Probleme gab oder nicht.
Neubeginn mit sich selbst praktizieren
Ein Neubeginn in einer Beziehung ist nur denkbar, wenn wir zuerst unseren eigenen Neubeginn üben. Hierzu fangen wir unseren Tag mit zehn bis dreißig Minuten Achtsamkeit an. Die folgende Gatha, ein Praxisgedicht, rezitiere ich jeden Morgen beim Aufwachen:
Ich wache auf und ich lächle.
Ich danke dem Leben, dass es mir vierundzwanzig neue Stunden schenkt.
- Ich lächle innerlich. Dann lege ich meine Hände behutsam auf mein Gesicht und löse so alle Spannungen auf meiner Stirn, meinen Wangen und meinem Kinn. Ich massiere meinen Kopf, meinen Nacken und meinen ganzen Körper.
- Anschließend sitze ich für zehn Minuten still, ohne an irgendetwas zu denken, ohne zu planen, und atme einfach nur ein und aus. So löse ich alle Verspannungen in meinem Kopf, meinem Gesicht, meinem Nacken, meinen Schultern und in meinem übrigen Körper. Ein- und ausatmend entspanne ich all meine Ängste, Gereiztheit, Sorgen und Pläne und verbinde mich zu Beginn des Tages mit meinem ruhigen und klaren Geist.
- Die nächsten zehn Minuten verwende ich darauf, die Aufgaben des Tages zu planen. Dann schaue ich in manche von ihnen etwas tiefer hinein. Die erste Aufgabe ist recht einfach: die Morgentoilette. Die zweite besteht darin, das Frühstück zu machen und zu essen. Nummer drei liegt im Spülen des Geschirrs und der Töpfe. Meine vierte Aufgabe ist, ein paar Freunde zum Bahnhof zu bringen. Der fünfte Punkt ist schon ein wenig anspruchsvoller: ein wichtiges Treffen bezüglich Plum Village in der Präfektur. Ich muss tief schauen, wie ich dieses Treffen zum Erfolg führen kann. Um für diesen Termin um elf Uhr vorbereitet zu sein, muss ich beispielsweise bestimmte Dokumente, ein Buch und einige Fotos bereitlegen. Auch die Aufgaben des Nachmittags – Aufgabe sechs bis zehn – betrachte ich eine nach der anderen kurz und einsgerichtet, um für sie bereit zu sein.
- Aufgabe zwei und drei: Nachdem ich von dieser Sitzung mit den Aufgaben des Tages aufgestanden bin, versuche ich den Rest des Tages tief zu leben und bei allem, was ich tue, vollkommen im gegenwärtigen Augenblick zu bleiben, ohne an die vergangenen oder künftigen Aufgaben...