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E-Book

Die Computerbauer

Wie sie mit Lötkolben und Zahlenspielen an die Macht kamen

AutorBruno Fricker
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9783746020587
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Unter dem ungeheuren Druck des zweiten Weltkrieges wurden die Computer erfundenen und im kalten Krieg weiterentwickelt. Der Schweizer Physiker und Computerbauer Bruno Fricker beleuchtet in seinem neuesten Band die Entwicklung des Computerbaus aus diesen Anfängen bis in die heutige Zeit. Das Buch porträtiert bedeutende Pioniere und schildert damit die Geschichte der Informatik. Als Physiker, Elektroniker und selbst Computerbauer vollzog der Autor die ganze Entwicklung aktiv mit, seit den Anfängen bis auf den heutigen Tag. Das macht die Texte lebendig und authentisch. Das Buch ist aus einem schweizerischen Blickwinkel geschrieben. Auch in der vom Krieg verschonten Schweiz wurden wichtige Beiträge geleistet. Die Eidgenössische Technische Hochschule war immer ein Hort der Avantgarde. Sie verstand es, Pioniere hervorzubringen und anzuziehen. Man spürt beim Lesen, wie stark der Autor von seinen Figuren beeinflusst wurde und wie sehr sie sein eigenes Wirken inspiriert haben. Wer heute die Digitalisierung und das Informations-Schlaraffenland der Handys und Tablets verstehen möchte und sich fragt, wie es eigentlich so weit kommen konnte, liest das spannende Buch mit großem Gewinn.

Der Autor Bruno Fricker war an diesen Neuerungen von Anfang an aktiv beteiligt, als jugendlicher Bastler, als Physiklaborant im traditionsreichen Physikgebäude an der Gloriastrasse in Zürich, als ETH-Physiker und seit 1979 mit eigener Computer- und Messtechnikfirma. In Ergänzung zu diesem umfassenden Überblick "Die Computerbauer" glossierte der Autor in den 3 Bänden "Surfen - browsen - mailen" und im Band "Tanzen statt surfen" insbesondere die zwanzigjährige Geschichte des Internets. Alle fünf Bände sind im BOD-Verlag erschienen.

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Leseprobe

Bild 2: So lange hatte es gedauert, bis Alan Turing rehabilitiert wurde

Alan Turing


Während in Deutschland durch die Initiative des rechenfaulen Bauingenieurs Karl Zuse der Computer trotz des Krieges entstand, lief es in England ganz anders. Zwar gab es auch hier einen herausragenden Helden, doch wurden die Entwicklungsstufen durch die Notwendigkeiten der Kriegsgeschichte diktiert. Alan M. Turing erfand im Alter von 24 Jahren in seiner berühmten Publikation On Computable Numbers [1] 1936 die Funktionsweise eines universell programmierbaren Computers top-down, das heisst durch rein theoretische Erwägungen. Die Funktionsweise der so genannten Turing-Maschine wurde das Urbild des englischen Computers. Realisiert wurde dieser allerdings erst nach dem Krieg. England geriet durch Hitlers Wehrmacht in zunehmende Bedrängnis. Churchill, dem die Verteidigung anvertraut war, tickte aber anders: Nicht nur mit Gewalt, sondern mit List sollte dem Aggressor begegnet werden. Er zog die besten Mathematiker und Ingenieure zusammen, so auch A. M. Turing, und isolierte sie im Herrenhaus Bletchley Park (B.P.) auf der Landschaft, 70 km ausserhalb Londons, zwischen Oxford und Cambridge. Die Wissenschaftler dieser Universitäten konnten per Eisenbahn leicht anreisen. Dort entstand der kriegsentscheidende zentrale Nachrichtendienst. Die englischen Küstenstationen, die den Morse-Funkverkehr der Wehrmacht aushorchten, sandten die verschlüsselten Telegramme in die Hütten des Parks. In zahlreichen Baracken arbeiteten 1942 viertausend Frauen, Spezialisten und Mathematiker an den Teilaufgaben der Entschlüsselung in einer undurchschaubaren Organisation, deren Ziel es war, in Kenntnis der Befehle Hitlers und der Rückmeldungen durch Frontkommandos den Operationen der Wehrmacht zuvorzukommen. Diese geheime Strategie ging auf. Auf dem Höhepunkt des Krieges stand die Vernichtung des ganzen alliierten Nachschubs im Atlantik auf dem Spiel, als der Aggressor in U-Booten den Verschlüsselungscode verschärfte. Es schlug die Stunde von Professor Turing, der aus seiner Verbannung zurückgeholt wurde, die er wegen einer Liebesaffäre antreten musste. [2] Dummerweise wurden die „harmlosen“ Wettermeldungen aus dem Atlantik gleichzeitig mit einem leichter zu brechenden Code übermittelt, was Turing in B.P. als Einstieg diente, um den Enigma-Code gerade noch rechtzeitig zu entschlüsseln. So gelang es, den Totalverlust der amerikanischen Versorgungs-Armada abzuwenden.

Die vielen U-Boote von Grossadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz wurden umfahren und mit Wasserbomben gezielt versenkt. Zur Quellenverschleierung liefen Nachrichten aus B.P. sogar über den Schweizer Nachrichtendienst, wodurch Stalin im Kursker Bogen die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte gewinnen konnte, was die Wende im militärischen Kräfteverhältnis zu Gunsten Russlands einleitete. (Wen wundert’s, dass die geschichtsbewusste Bevölkerung der östlichen Ukraine noch heute nicht viel für den Westen übrig hat.) Auch in Nordafrika musste Feldmarschall Rommel dank vorauseilenden Informationen aus B.P. den Rückzug blasen. B.P. verkürzte das Kriegsgeschehen um zwei Jahre, wie ein Historiker schrieb. Ein unmilitärisch organisierter, fröhlicher, loyaler und patriotisch hoch motivierter Haufen Intelligenz, allen voran Alan Turing, verhalf den Alliierten zum Sieg. Das Personal von Bletchley Park – auf der Roll of Honour sind heute über 10‘000 Angestellte verzeichnet – wurde durch ein Kreuzworträtsel-Preisausschreiben im Daily Telegraph rekrutiert. Um sich einzufühlen, möge man den Film ENIGMA ansehen, der von Mick Jagger, Frontmann der Rolling Stones, produziert wurde. So also fühlt es sich an, wenn um Freiheit und Menschenwürde gekämpft wird!

Selbstredend entstanden in B.P. auch Computer, denn ohne schnelle Rechenautomaten wäre der Nachrichtenstrom aus der Wehrmacht nicht zu entschlüsseln gewesen. Doch es waren spezialisierte, nur für einen Zweck konstruierte Maschinen. Der frei programmierbare Denkapparat, die Turing-Maschine, und alle Spekulationen über künstliche Intelligenz blieben aussen vor. Tag und Nacht rechneten die „Turing-Bomben“ genannten Maschinen. Es waren mechanische Rechner mit Walzen, die den morsenden ENIGMA Codier-Geräten glichen. Ihr Zweck war es, alle Verschlüsselungs-Kombinationen nach einschränkenden Vorgaben blitzschnell durchzuarbeiten. So war man in der Lage, die täglich wechselnde Verschlüsselung innert 1-2 Stunden zu knacken. Das genügte, um den Aktionen an der Front zuvorzukommen. Hitler bemerkte die allwissenden Schachzüge des Gegners zwar auch, aber er vermutete Verräter in den eigenen Reihen und konnte sich als technisch Unkundiger nicht vorstellen, dass eine Maschine menschlichen Code-Brechern derart überlegen sein könnte. Auf das Argument, dass Zuses Computer möglicherweise zum Endsieg beitragen könnte, soll Hitler geantwortet haben, dazu brauche er keine Rechenmaschine, das mache er mit dem Mut seiner Soldaten.

In England entstand gegen Kriegsende „Colossus“, ein elektronischer Rechenautomat, aufbauend auf den Entwürfen Turings. Zehn Stück wurden für B.P. gebaut. Damit wurden Telex-Nachrichten der Lorenz-Schlüsselmaschine geknackt. Colossus gilt zwar als der erste speicherprogrammierbare Röhren-Computer, war jedoch fest an eine bestimmte Aufgabe angepasst und nicht im heutigen Sinn frei programmierbar. Alle Colossi wurden nach Kriegsende aus Geheimhaltungsgründen zerstört. Alan Turings Interessen waren von nun an nicht mehr an kriegswichtige Aufgaben gebunden. 1946 präsentierte er ein Papier über die Automatic Computing Engine (ACE), die Quintessenz seiner Erkenntnisse von 1936 und der Erfahrungen mit Colossus. ACE war ein Röhrenelektronischer speicherprogrammierbarer Rechenautomat. Unendliche Querelen durch missgünstige Besserwisserei und Beamten-Obstruktion verzögerten die Realisierung jahrelang, in einer Zeit, als die ETH bereits mit Zuses Z4 in Zürich die Grand-Dixence Staumauer berechnete. Schliesslich konnte im Mai 1950 eine verkleinerte Variante von ACE in Betrieb genommen werden. Turing nutzte die Zeit auf seine Weise und schuf auf dem Papier zahlreiche Subroutinen, Mikroprogramme, die es erlaubten, die ACE auf einer höheren Programmebene zu betreiben, um sie bedienbar zu machen. Das lief auf eine höhere strukturierte Programmiersprache hinaus. Ihm war klar, dass die Übersetzung in Steuerbefehle auf die Maschinenebene dereinst vom Computer selbst übernommen würde, was wir heute Compiler nennen. Rutishauser in Zürich befasste sich ebenfalls mit diesem Thema und erfand schliesslich das uns ETH-Absolventen wohlbekannte ALGOL. Schon 1953 ging dann die zweite mächtigere Version von ACE in Betrieb. Daran war Alan Turing, dem, im Gegensatz zu Zuse, jegliches kommerzielles Interesse fehlte, nicht mehr beteiligt.

Nach und nach wurde der englische Computer-Erfinder von allen Projekten zur Weiterentwicklung der Elektronengehirne ausgeschlossen. Als homosexueller Geheimnisträger galt er als unberechenbares Sicherheitsrisiko. Die Zeitgeschichte um 1950, zu Beginn des kalten Krieges, entwickelte sich in eine für den Freigeist fatale Richtung. Turing beschäftigte sich auch deshalb zunehmend mit theoretischer Biologie, schuf mathematische Modelle, die für biologische Musterbildung, embryonale Zellteilung und Selbstorganisation von Mikroorganismen grundlegend wurden. Aus heutiger Sicht war er ein Pionier der mathematischen Entwicklungsbiologie. Es entstanden Publikationen und er betreute Doktoranden, die Modelle durchrechneten. Die Manchester-Maschine wurde zum gefragten Werkzeug der Zellbiologie.

Turing war ein loyaler Staatsbürger. Jedoch wurde er unsinnig bestraft, weil seine Homosexualität polizeilich ruchbar wurde und sie ihn statt ins Gefängnis in eine Hormonkur schickten, bei der ihm Brüste wuchsen und die den Retter Englands körperlich und seelisch schliss. Dennoch war seine Lebenskraft ungebrochen. Alan Turing hatte vielerlei Projekte, als sein Todesjahr anbrach. Es gab keine Zeichen von Lebensmüdigkeit. Man fand ihn am 7. Juni 1954 tot auf seinem Bette liegend, neben ihm der angebissene Apfel, den er vor dem Einschlafen regelmässig verzehrte.

War der Apfel vergiftet? Dass dieses Beweisstück polizeilich nicht untersucht wurde, lässt vermuten, dass hier der Geheimnisträger eliminiert wurde. Es gibt kaum Belege für den von einzelnen Biografen überlieferten Freitod. Churchill beendete gleichzeitig die Kriegs-Memoiren und erwähnte, obgleich von Eisenhower dazu aufgefordert, seine stärkste Waffe, Alan Mathison Turing, darin mit keinem Wort! Es wurde rasch still um unseren Helden. Nur seine Mutter kämpfte um Anerkennung, mit einem eigenen Buch, in welchem sie den Tod als Unfall beim Experimentieren bezeichnete. Ehrungen und eine königliche Rehabilitierung wurden ihm erst heute zuteil. [3]

Ohne Turing entstand in rascher Folge die englische Computerindustrie. Für Turing wurde die Beamten-Mediokratie tödlich: Die britischen Behörden verhafteten Turing im Jahr 1952. Homosexuelle Handlungen waren in Großbritannien bis 1967 strafbar. Er wurde vor die Wahl gestellt: Entweder Gefängnis oder Umerziehung. Notgedrungen entschied er sich für...

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