Die deutschen Gebirgstruppen
Die deutschen Gebirgstruppen bis zum Frühjahr 1915
Bereits im Frieden fordern alpine Gebirgsregionen, unter gewissen Umständen aber auch schon Mittelgebirgslandschaften, bereits alles von Menschen, die sich nur von A nach B bewegen wollen. Erst recht gilt das im Krieg, wenn zu den natürlichen Belastungen und Schwierigkeiten wie der dünneren Luft, plötzlichen Wetterumschwüngen und dem von vornherein schon ungleich raueren Klima als in den Ebenen (zumal im Winter) zusätzlich noch Lawinen, Geröllabgänge, Temperaturstürze, Schneemassen, Gletscherspalten und Muren dazukommen. Weitere Probleme bereiteten den (Gebirgs-)Soldaten das damals noch ausgesprochen dünne Verkehrsnetz bis hin zur völligen Wegelosigkeit und natürlich die physischen und psychischen Belastungen sowie die taktischen, operativen und logistischen Zwänge einer Gefechtstätigkeit. Oberhalb der Vegetationsgrenze fehlen zudem – zumindest reduzieren sich – die Möglichkeiten zur Tarnung von Mensch und Material. Der Fels potenziert obendrein noch die Splitterwirkung einschlagender Artilleriegeschosse, und ein Eingraben ist hier nicht möglich! Nicht umsonst schieden die Alpen in Mitteleuropa als Kriegsschauplatz aus. Der erste, sozusagen „namentlich“ bekannte, im Gebirge durch Gewalteinwirkung (einen Pfeilschuss) ums Leben gekommene Mensch, der „Ötzi“ († ca. 3.200 v. Chr.), war jedoch kein Kriegsopfer. Schon wesentlich näher am Thema war die zumindest jedem Lateinschüler bekannte Alpenüberquerung des karthagischen Feldherren Hannibal Barkas (247 v. Chr. – 183 v. Chr.) im Jahre 218 v. Chr. im Rahmen des Zweiten Punischen Krieges (218 v. Chr. – 201 v. Chr.) – und zwar mitten im Winter! Mit anfänglich circa 50.000 Soldaten, 9.000 Reitern und 37 Kriegselefanten, allesamt völlig unerfahren darin, was „Gebirge“ eigentlich bedeutet, marschierte er über einen heute nicht mehr genau zu bestimmenden Pass nach Oberitalien ein. Dieses äußerst gewagte Unternehmen ist damit die erste allgemein bekannte Erwähnung einer, wenn man es recht weit fassen will, „Gebirgskriegführung“ in der Militärgeschichte. Der Karthager nutzte die Alpen aber nicht als Kriegsschauplatz bzw. Operationsgebiet, in dem eine Schlachtentscheidung fallen sollte, sondern im Sinne einer taktisch-operativen Überraschung „nur“ als Durchmarschgebiet, da er auf diesem Weg Rom aus einer völlig unerwarteten Richtung anzugreifen gedachte. Fazit: Die Hälfte seines Heeres sowie alle Elefanten gingen verloren. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts beschränkte sich der Kampf im Gebirge dann auch nur auf die Verteidigung von respektive den Angriff auf strategisch wichtige(n) Täler(n) oder Passstraßen. Eines der bekannteren Beispiele ist der Überraschungs-Coup des kaiserlichen Feldherren Prinz Eugen von Savoyen (1663 – 1736), der zu Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (1701 – 1714) mit 29.000 Mann auf Wegen, die er dazu erst anlegen lassen musste, unter Umgehung der französischen Stellungen durch Tirol über die Lessinischen Alpen nordwestlich des Gardasees zog und am 9. Juli 1701 im Raum Mincio – Etsch die Franzosen unter Marschall Catinat in der Schlacht bei Carpi besiegte.
Gebirgsjäger (hier der Wehrmacht)
Zu den psychischen Anforderungen des Kämpfens kommen im Hochgebirge noch die physischen hinzu!
Die körperlichen Herausforderungen für den einzelnen Gebirgssoldaten sind geblieben, vielleicht sogar noch gestiegen. Dieser Soldat trägt auf dem Rücken zusätzlich noch einen Panzerabwehrlenkflugkörper MILAN
Zwei Jahre später, ebenfalls im Zuge dieses Krieges, kam es in Tirol zu Ereignissen, die diejenigen des weit bekannteren Tiroler Volksaufstandes von 1809 unter Andreas Hofer in mancher Hinsicht vorwegnahmen. Im – reichlich verharmlosend benannten – „Boarischen [Bayerischen] Rummel“ wurde Tirol zum Kriegsschauplatz. Mit dem Kriegseintritt des Kurfürstentums Bayern unter Maximilian II. Emanuel (1662 – 1726) auf Seiten der Franzosen sahen sich die habsburgischen Truppen plötzlich in die Zange genommen. Kufstein, Rattenberg, Hall und Innsbruck fielen trotz des gut ausgebildeten Landesverteidigungssystems der Tiroler zunächst in die Hände der nach Süden vorstoßenden Bayern, die sich mit den in der Poebene dislozierten Franzosen vereinigen wollten. Dieser Zangenangriff schien das weitere Schicksal Tirols angesichts der hier nur schwachen österreichischen militärischen Kräfte zu besiegeln. Im Etsch- und Eisacktal sowie im oberen Inntal formierte sich allerdings der Widerstand der Bevölkerung gegen die Eindringlinge. In Bozen und Meran sammelte sich der Landsturm. Am 27. Juni rückten ca. 3.000 Landsturmmänner aus dem Vinschgau im oberen Etschtal gegen den Jaufenpass, den Übergang von Meran nach Sterzing, vor und vertrieben mit kleinkriegsartigen Überfällen und „hit-and-run“-Unternehmen die bayerischen Vorposten. Die Bayern wichen daraufhin bis auf den Brennerpass zurück und bezogen jenseits der Passanhöhe am Lueg neue Verteidigungsstellungen. Hier kam der Vormarsch der Tiroler Verteidiger dann auch fürs Erste zum Stehen, da die bayerischen Feldbefestigungen nicht sofort zu nehmen waren. Im Gegenzug begannen nun die Bayern mit wiederholten Angriffen, um ihren Vormarsch in Richtung Süden fortzusetzen. Diese konnten aber allesamt abgewehrt werden. Beim Vorstoß ins obere Inntal wurden allerdings 300 bayerische Soldaten am Reschenpass, dem Übergang vom Inntal in den Vinschgau – von den Oberinntaler Landstürmern in eine Falle gelockt – mittels Steinlawinen dezimiert, woraufhin sie bis Imst ausweichen mussten. Diese Kämpfe sowie die Nachricht, dass der Südtiroler Landsturm am Brenner stehe, ermutigten nun auch die Unterinntaler zum Aufstand gegen die Bayern. Dadurch wurden die Kräfte der Bayern an verschiedenen Schauplätzen gebunden, so dass ihre Angriffe gegen Süden und Westen an Stoßkraft verloren. Ein letzter Durchbruchsversuch der Bayern am Brenner misslang am 17. Juli 1703. Nach Verstärkung des Tiroler Landsturmes mit regulären österreichischen Truppen gelang es diesen, den Feind bis nach Innsbruck zurückzudrängen. Die Bayern zogen sich daraufhin aus Tirol zurück.1
Umgestürzter Bv 206 „Hägglund“ der Bundeswehr
Gut 100 Jahre zogen dann wieder ins Land, bis die Alpen wieder zum Kriegsschauplatz wurden – und dieses Mal auch wirklich zum „theatre of war“. Das von Napoleon und seinen Verbündeten im Dritten Koalitionskrieg (1805) geschlagene Österreich musste im Frieden von Pressburg (26. Dezember 1805) die gefürstete Grafschaft Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern abtreten. Dieses erhielt mit Wirkung vom 22. Januar 1806 die Besitzrechte über Tirol. Nur drei Wochen später, am 11. Februar, wurde das Land offiziell von französischen Offizieren dem bayerischen Hofkommissär übergeben. Übereifrige, gegenüber der Tiroler Volksseele, Mentalität und Tradition völlig verständnislose, von ihrer Mission der Modernisierung aber zutiefst überzeugte, seit dem 1. Januar 1806 nicht mehr kurfürstlich bayerische, sondern königlich bayerische Beamte machten sich denn auch umgehend an die Arbeit, das ihrer Meinung nach rückständige Land „auf Vordermann“ zu bringen. Ihr unsensibles, bisweilen rigides Vorgehen sowie eine Vervielfachung der Steuerlast brachten 1809 das Fass des Unmutes über die neuen Herren zum Überlaufen. Unter der Führung Andreas Hofers wurde das Land im Frühjahr 1809 von der bayerisch-französischen Besatzung zunächst befreit und bis zum Herbst verteidigt. Erst im November und Dezember 1809 konnten die alliierten Truppen Tirol erneut besetzen und ihre Herrschaft wieder festigen. Die Zeit der Kämpfe dazwischen war geprägt von Hinterhalten, Partisanenkrieg und religiösem Fanatismus. Hier aber von einem „Gebirgskrieg“ sui generis zu sprechen wäre falsch. Der Krieg – eher ein Volksaufstand – fand zwar in wesentlichen Teilen im Gebirge statt, weil Tirol nun einmal in den Alpen liegt, aber wesentliche Elemente eines „richtigen“ Krieges fehlten eben, unter anderem das Aufeinanderprallen regulärer Armeen oder die bewusste Miteinbeziehung des Raumes als Operationsgebiet im Rahmen einer Gesamtstrategie.
Im Allgemeinen mieden die Menschen jener Epoche das Hochgebirge. Es war lebensfeindlich, man konnte dort nichts anbauen und ernten, und die Waffentechnik war noch nicht soweit, um hier taktisch sinnvoll kämpfen zu können. Vorderladermusketen hatten um 1800 eine Kernschussweite von etwa 70 bis 80 Metern, oder anders ausgedrückt: Die Trefferwahrscheinlichkeit auf diese Entfernung lag bei ca. 75%! Feldgeschütze konnten nur sehr begrenzt eingesetzt werden, leichte, gar zerlegbare Gebirgsartillerie gab es nicht. Die bis weit ins 19. Jahrhundert übliche Kolonnentaktik der...