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Die Deutschen und der Orient

Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung

AutorJoseph Croitoru
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783446262713
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Die Deutschen stehen seit Jahrhunderten in regem Austausch mit der islamischen Welt. Und doch sind sie hin- und hergerissen zwischen Faszination und Verachtung. Für Joseph Croitoru öffnet sich dieser Zwiespalt schon im Zeitalter der Aufklärung. Bei Staatsmännern wie Friedrich dem Großen, Denkern wie Herder und Autoren wie Lessing finden sich Klischees, die uns noch heute begegnen: Luxus und Reichtum, Falschheit und Faulheit. Die Aufklärung war aber doch mit dem Anspruch angetreten, sich des eigenen Verstandes zu bedienen? Dieses Buch ist ein Appell, in der Auseinandersetzung mit dem islamischen Orient endlich den Maximen der Aufklärung gerecht zu werden - was heute dringender nottut denn je.

Joseph Croitoru, 1960 in Haifa geboren, ist promovierter Historiker und freier Journalist. Er studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Judaistik in Jerusalem und Freiburg. Seit den 1990er Jahren schreibt er regelmäßig für die Feuilletons der FAZ und NZZ mit den Schwerpunkten Nahost und Osteuropa. Er lebt in der Nähe von Freiburg. Sein 2003 im Carl Hanser Verlag erschienenes Buch Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats war mehrfach auf der SZ/NDR-Bestenliste platziert.

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Leseprobe

 

 

Einleitung

 

In der aktuellen Debatte über den Islam sind seine Kritiker schnell dabei, sich auf die Errungenschaften der Aufklärung zu berufen. Damals habe, so das gängige Argument, eine kritische Auseinandersetzung mit religiösen Dogmen stattgefunden, die ihresgleichen in der islamischen Welt suche. Wie aber stand es eigentlich in dem so gerühmten Zeitalter der Aufklärung um das Verhältnis der Deutschen zum islamischen Orient? Mit dieser Frage haben sich bislang nur interessierte Fachleute und auch die nur fragmentarisch befasst. Auch in der Öffentlichkeit besteht nach wie vor ein Wissensdefizit, gerade was die düstere Sichtweise auf den islamischen Orient in jener angeblich von Vernunft und Toleranz so durchdrungenen Epoche betrifft. Diese Lücke will das vorliegende Buch schließen helfen, zumal die Ambivalenzen, die unseren heutigen Blick auf die islamische Welt prägen, weitgehend derselben europäisch-christlichen Abwehrhaltung entspringen, gegen die schon vor 250 Jahren deutsche Aufklärer mit mäßigem Erfolg ankämpften. Dass sich die alten Ressentiments über die Jahrhunderte bis heute hartnäckig gehalten haben, hat in jüngster Zeit am deutlichsten der Einzug einer offen antiislamischen Partei in den Bundestag vor Augen geführt.

Wenngleich sich das friderizianische Preußen als erster deutscher Staat gegenüber der islamischen Welt zu öffnen begann, so hatte die seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts betriebene Annäherung doch einen janusköpfigen Charakter. Dies rührte nicht zuletzt daher, dass die Schriftsteller und Gelehrten, die sich den Ideen der Aufklärung verschrieben hatten, in der Regel stark von einer christlich-religiösen Erziehung geprägt und häufig auch theologisch ausgebildet waren. Zum religiösen Allgemeingut gehörte auch der Betrugsvorwurf gegen den Propheten Muhammad, mit dem man dem Islam absprach, eine Offenbarungsreligion zu sein.

Die Auffassung, dass der Stifter des Islam ein Betrüger gewesen sei, teilte auch der für seine religiöse Toleranz bekannte Preußenkönig Friedrich der Große, dessen Verhältnis zu den Türken im ersten Kapitel nachgegangen wird. Während am Hof des um ein Militärbündnis mit Konstantinopel bemühten preußischen Monarchen über die »Pfaffen« aller Couleur schonungslos hergezogen wurde, herrschte in der Öffentlichkeit das Diktat eines islamfreundlichen Tons, dem sich auch die preußische Presse zu unterwerfen hatte.

Die Pressepolitik Friedrichs II. war wohl der Ansporn für den Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing, dem Kapitel 2 gewidmet ist, sich ab 1751 als junger Kulturredakteur der hofnahen Berlinischen privilegierten Zeitung intensiv dem Thema islamischer Orient zuzuwenden und in seinen Pressebeiträgen zum Anwalt der Muslime zu machen. Auch wenn er in seinem Essay Rettung des Hier. Cardanus (1754) schon bald Kritik an der Hetze gegen den islamischen Religionsstifter übte, ging er dennoch nicht so weit, Muhammad vom Vorwurf des Betrugs freizusprechen. In seinen Hamburger Jahren als Dramaturg und Theaterkritiker sah er sich gar gezwungen, Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack zu machen und seine Kritik an den antiislamischen Vorurteilen der Zeitgenossen zu zügeln. Später, als herzoglicher Bibliothekar von Wolfenbüttel, stand Lessings Beschäftigung mit dem Thema Islam im Zeichen der Theologie. Sein 1779 veröffentlichtes dramatisches Gedicht Nathan der Weise war auch die Summe seiner langjährigen Auseinandersetzung als Kritiker mit orientalisierenden zeitgenössischen Theaterstücken, die vor Stereotypen über Muslime nur so strotzten – wovon übrigens auch Lessings zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht gebliebene frühe Dramenfragmente Giangir und Phatime/Fatime nicht ganz frei waren.

Obwohl der Nathan seiner Zeit voraus war, hinkte er ihr doch auch hinterher. Denn mittlerweile hatte sich das Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zum islamischen Orient erheblich gewandelt, und auch ihr Wissenshorizont hatte sich erweitert. Schon zu der Zeit, als Lessing Redakteur in Berlin war, hatte sein Erzfeind Johann Christoph Gottsched begonnen, sich ebenfalls als Aufklärer in Sachen Orient zu inszenieren. Mit dieser bislang unbeachteten Facette der publizistischen und verlegerischen Tätigkeit des Leipziger »Literaturpapstes« setzt das dritte Kapitel ein. Obgleich Gottscheds Schriften von seiner Gespaltenheit gegenüber dem islamischen Propheten Muhammad zeugen, bot er in seinen Zeitschriften dem Arabisten Johann Jacob Reiske ein wirksames Forum, um für eine unvoreingenommene Öffnung gegenüber der arabischen Literatur zu werben. Reiskes Bemühungen um eine Neubewertung der Kulturleistungen der Araber wurden zwar erst später angemessen gewürdigt. Aber Reiskes Essays und Übersetzungen aus dem Arabischen wirkten auf den konservativen und weit einflussreicheren Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis inspirierend. Wenngleich der Göttinger, allerdings nur in jungen Jahren, den Propheten Muhammad als Dichter und den Koran als poetisches Werk schätzte, bestritt er doch von Anfang an vehement dessen Offenbarungsanspruch.

Jener Zwiespalt zwischen ästhetischer Faszination und religiöser Verachtung, wie er sich bei Michaelis zeigte, kennzeichnete Anfang der 1770er Jahre auch die heftige Diskussion, die sich an den ersten deutschen Übersetzungen des Koran aus dem Arabischen entzündete. Im Osten tobte damals der russisch-türkische Krieg (1768–1774), der eingefleischte deutsche Türkenhasser einem Sieg Russlands und der Zerschlagung des Osmanischen Reichs entgegenfiebern ließ. Zu ihnen gehörte auch der Frankfurter Pastor und Orientalist David Friedrich Megerlin, der 1771 als erster den Koran aus dem Arabischen ins Deutsche übertrug und damit den Beweis erbringen wollte, dass der Islam bekämpft werden müsse. Auf Megerlins Übersetzung wurde auch der junge Goethe aufmerksam, der sich damals gerade mit dem islamischen Propheten befasste – dass er damit einer neuen Mode folgte, der sich in jenen Jahren etliche deutsche Schriftsteller anschlossen, wird hier zum ersten Mal beleuchtet. In der entscheidenden Phase aber der öffentlichen deutschen Auseinandersetzung mit dem Islam in dieser Zeit spielte Goethe, dessen wegweisender West-östlicher Divan erst fast ein halbes Jahrhundert später erschien (1819), allenfalls eine Nebenrolle.

Einen Höhepunkt erreichte die deutsche Islamdebatte 1773 im Streit über die Koranübersetzung des Quedlinburger Oberhofpredigers und Orientalisten Friedrich Eberhard Boysen, der die heilige Schrift des Islam auch als poetisches Werk rühmte – sich aber, um seine Kritiker zu beschwichtigen, letztlich gezwungen sah, in gewohnter Manier Muhammad als Lügenpropheten zu denunzieren. Angeregt von Boysens Übersetzung, verfasste der mit ihm befreundete Halberstädter Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim sein Lehrgedicht Halladat, die erste vom Koran inspirierte deutsche Dichtung, die als solche erst in jüngerer Zeit von der Forschung entdeckt wird. Nur wenig bekannt ist Gleims anderes Gesicht als Türkenfeind, der bald deren Vertreibung aus Europa lauthals fordern wird.

Trugen Boysens Koranübersetzung und die kurz zuvor erschienene Beschreibung von Arabien (1772) des deutschen Orientreisenden Carsten Niebuhr dazu bei, tief verwurzelte Vorurteile über Muslime aufzuweichen, lebten die antitürkischen Ressentiments schon bald wieder auf. Auch infolge des russisch-türkischen Kriegs wandte sich nun der Blick der deutschen Öffentlichkeit wieder verstärkt dem Osmanischen Reich zu. Das rege Interesse am Zustand und künftigen Schicksal des Osmanenstaats wurde, wie im vierten Kapitel geschildert, von der Presse wie von etlichen deutschen Schriftstellern und Verlegern bedient. Während tendenziell außerhalb der Einflusssphäre Preußens wieder massiv gegen die Türken gehetzt wurde, nahmen sie preußische Autoren, Berlins türkeifreundlichem Kurs folgend, in Schutz.

Der Riss, der damals durch die deutsche Öffentlichkeit ging, vertiefte sich noch, als der russisch-österreichische Krieg gegen das Osmanische Reich (1787–1792) ausbrach, in dem sich Preußen, nun von Friedrich Wilhelm II. regiert, zunächst neutral verhielt. War die Berliner Presse in ihrer Kriegsberichterstattung, die in Kapitel 5 untersucht wird, bemüht, das Gebot der Neutralität zu wahren, stimmten preußische Dichter Lobgesänge auf die Osmanen an. Preußens Apologeten der Türken schrieben jetzt in Zeitschriften und Untergrundschriften gegen das antitürkische Kriegsgeschrei an, das sich vor allem im Süden Deutschlands erhob – in einer Schärfe, die der heutiger Debatten kaum nachstand. Wieder flammte die Diskussion um den Islam und seinen Propheten auf. Selbst berühmte deutsche Aufklärer wie der Religionsphilosoph Johann Gottfried Herder rückten nicht ab von ihrem finsteren Islambild, zu dessen Aufrechterhaltung auch Christoph Martin Wieland als Schriftsteller und Verleger das Seine beitrug.

Wie ambivalent selbst Berlins Verhältnis gegenüber der inzwischen mit ihm verbündeten Pforte blieb, veranschaulicht das sechste und letzte Kapitel. In Preußen, das den Türken als Friedensvermittler – dabei auch eigene Interessen verfolgend – zur Seite stand, besang man euphorisch Friedrich Wilhelms II. Verdienste um den Frieden. Den 1791 mit seinem Gefolge in der preußischen Hauptstadt weilenden osmanischen Gesandten Ahmed Azmi überhäufte man zwar mit Ehrenbezeugungen, aber der Besuch aus der Türkei wurde dem Hof auch bald lästig. Dies umso mehr, als der Preußenkönig der in Aussicht gestellten Verpflichtung, Sultan Selim III. im Krieg gegen Russland militärisch zu unterstützen, nicht nachzukommen gedachte. Zu einem gemeinsamen Kriegseinsatz von...

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