Die Doppeldeutigkeit des Lebens
Was bedeutet »Leben« eigentlich? Diese Frage stellen sich Menschen immer wieder. »Was fange ich damit an und was ist der eigentliche Sinn des Lebens? Gibt es einen Sinn überhaupt?«
Wenn wir auf die Welt kommen so scheint es, dass jeder Mensch gleich ist, da es uns erst einmal um die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und Zärtlichkeit, sowie Schutz jeglicher Art geht. Das ist es, was immer nötig ist, um unser Überleben zu sichern. Dadurch, dass wir gleiche Grundbedürfnisse haben, könnte man denken, dass wir auch in anderen Dingen gleich sind. Also gleiche weitere Bedürfnisse haben! Dass wir uns in unserer Persönlichkeit nicht viel voneinander unterscheiden!
Es wird bekanntlich viel darüber philosophiert, wie unsere Persönlichkeit und unsere Charaktermerkmale zusammengesetzt sind. Was bei einem Menschen angeboren ist und welche Anlagen anerzogen wurden. Ein erwachsener Mensch, der seine Kinder erziehen möchte, kann aber wiederum nur aus dem Aspekt seines Erlernten und seiner eigenen Reife und seines Erlebten Zusammenhänge verstehen oder erahnen. Ihm fällt es oft schwer, sein Kind unter dem Aspekt »ein eigenes Individuum zu sein«, mit all seinen Eigenarten zu akzeptieren und zu respektieren, um ihm den geeigneten Lebensraum zu geben.
Er selbst ist schon geprägt durch seine eigene Erziehung und den Richtlinien seiner Umgebung, die auf Gleichheit abzielen.
Er ist den bestimmten Gesetzmäßigkeiten und Bestimmungen seiner unmittelbaren Umgebung unterlegen. Und diese geben viele Eltern einfach weiter, ohne zu hinterfragen, ob diese Gleichheit überhaupt ein erstrebenswertes Ziel ist.
Der Ausspruch: »Das haben wir schon immer so gehalten. Das hat schon meine Mutter/Vater so gemacht!« ist ein Relikt, welches nach starren Regeln weitergegeben wird.
Die Kindererziehung entsteht meist erst einmal über den eigenen Eindruck, den wir dem Kind entgegenbringen und dem, was wir in punkto Kindererziehung gelernt haben. Aufgrund dieser Zweigleisigkeit beginnen wir nach und nach unseren neutralen Blick für dieses neugeborene Individuum zu verlieren und fangen an, es von Außen zu formen. Krampfhaft versuchen wir, unser Kind in eine »Form« zu bringen, die für uns und unsere Gesellschaft akzeptabel erscheint. Dabei verlieren wir den Blick für das, was diesen, noch formbaren Menschen wirklich ausmacht.
Wir sind oft orientierungslos (da es äußere Schwierigkeiten bereitet, wenn ein Kind »widerspenstig« ist oder »seinen eigenen Kopf« hat).
In unserer Hilflosigkeit beginnen wir, unserer Erziehung Nachdruck zu verleihen, wenn nötig mit Zwang und Strafe, worauf wir wiederum mit Widerstand seitens des Kindes konfrontiert werden.
Ein Kreislauf beginnt!
Durch die Anlehnung, uns einem Einheitsbrei beugen zu müssen oder zu wollen, gilt es, an dieser vorgefertigten Form der Kindererziehung festzuhalten und sie bedingungslos auszuüben.
Menschen die auffällig und anders sind, möglicherweise noch unbeugsam gegenüber gesellschaftlichen Normen und ihre Individualität nicht für ein allgemeines »Angenommen werden« verschachern, werden oftmals an den gesellschaftlichen Rand gedrückt.
Dies beginnt bereits im Kindergarten. Sobald ein Kind andere Vorstellungen, Einstellungen oder Ideen hat, wird es wenigstens als seltsam angesehen. Solange es sich lautlos verhält, wird ein Auge zugedrückt. Hat aber ein Kind mehr Ausdruckskraft und noch dazu das Vertrauen, ein Recht auf eigenen Ausdruck zu haben, wird es schon schwieriger.
Spätestens jetzt hätte man die Gelegenheit, eine Persönlichkeit kennen zu lernen, die Formen und Zwängen einigermaßen entgangen ist oder wenigstens den Versuch startet, seine eigene Vorstellung durchzusetzen. Unser Problem ist einfach, dass wir gelernt haben, gleich sein zu müssen. Zumindest ähnlich! Nur so können wir uns im Anderen wiederfinden und sehen uns bestätigt. Sonst fühlen wir uns als einsame, oder noch schlimmer, sonderbare Außenseiter, die keinen anerkannten Platz in unserer Gesellschaft haben. Wir haben gelernt, nicht unangenehm aufzufallen, ansonsten wird uns die Lizenz für die »Zugehörigkeit« genommen.
Und welcher Mensch möchte nicht »dazugehören«? Wenige!
Ich denke, wenn wir lernen könnten, dass eben jeder Mensch anders ist, dass kein Mensch gleich einem Anderen ist und wir die Großzügigkeit besäßen, jedes Individuum so sein zu lassen, wie es für es richtig ist, hätten wir sehr viel mehr Freiheit und könnten unser Leben auch dementsprechend gestalten und genießen.
In Freiheit – miteinander!
Es geht nicht so sehr darum, alles zu akzeptieren, zu verzeihen und zu verstehen. Denn dann wären wir wahrscheinlich so eine Art Buddha oder Jesus!
Vielmehr denke ich, geht es darum, aus der Wertung der Allgemeinheit herauszukommen und uns selbst zu fragen, bin ich eigenständig zu denselben Werten gekommen? Wenn nicht, was für Werte haben für mich Gültigkeit? Und diese Werte sollten nicht von Eigendünkel und Egoverhalten durchtränkt sein. Sie sollten von einer gesunden Portion Selbstliebe, Dankbarkeit und Toleranz durchzogen sein. Sich zu fragen, warum wir dies oder jenes wollen, ist wichtig, um die wirkliche Motivation zu sehen. Dieses WARUM zeigt uns, ob wir noch die Liebe leben oder ob wir unserem Ego einen größeren Platz einräumen. Oder vielleicht lassen wir unsere Schattenseiten unangetastet, da wir sie uns nicht ansehen möchten und sie damit nicht transformieren können. So handeln wir immer aus einer gewissen Dunkelheit heraus. Die wahren Werte bleiben verschwommen!
Wir sollten uns einmal hinsetzen und genau überlegen, was unsere Werte in unserem Leben denn sind? Doch dazu mehr im Kapitel »Eigene Werte leben«!
Ein wichtiges Thema ist auch die Abgrenzung, die zu den eigenen Werten dazugehört. Ist ein »nein« zum anderen nur ein »ja« zu mir und meinen Werten, ist es gut. Wichtig ist, die Balance zwischen dem »zu mir stehen« und dem »auf den Menschen zugehen«, nicht zu verlieren. Ein zu viel »zu-mir-stehen« könnte schnell zu einem egoistischen »Alleintrip« werden.
Doch erst wenn wir uns selbst wichtig und ernst nehmen und zwar mit unseren Bedürfnissen, unserer ganz eigenen Art, können wir andere Menschen wichtig und ernst nehmen (ohne Bewertung).
Unser Bewusstsein kann sich nur beschränkt erweitern, wenn wir unsere eigene Wichtigkeit ignorieren. Wir müssen erst sehen und erkennen lernen, um akzeptieren zu können.
Einige Menschen vergessen dies und wundern sich, wenn sie nach anfänglicher Großzügigkeit in ihre Kleinlichkeit zurückfallen.
Jede Seele fordert ihr Recht zu leben. Früher oder später!
Wir dürfen lernen, den roten Faden immer wieder neu aufzunehmen.
In meinen Arbeitsgruppen stellen sich die Teilnehmer manchmal die Frage, warum es nach der ersten Anfangseuphorie des Umbruchs dann plötzlich stagniert? Es schaut dann oft so aus, als wäre mit den neuen Erkenntnissen alles noch viel komplizierter geworden. Viele haben das Gefühl, vor ihrem Aufdecken ihrer Lebenslügen wenigstens ruhig geschlafen zu haben. Diese Unruhe, die am Anfang auch schwer einzuordnen ist, kann viele veranlassen, aufzugeben, um ihr altes Leben fortzusetzen, anstatt nach einer Umstrukturierung oder Neuorientierung zu suchen und die Wandlung geschehen zu lassen. Sie meinen dann mit bitterem Unterton: »Wäre auch zu schön gewesen« und »Hat doch alles nicht so geklappt!« Aber in Wirklichkeit ist es so, dass sie mitten in ihrer Aufräumarbeit aufgehört haben. Nun gilt es aber weiterzumachen.
Wie sähe es denn aus, wenn wir einen Frühjahrsputz anfangen würden, alles aus den Schränken nehmen, um sehen zu können, was wir nicht mehr brauchen und dann mittendrin aufhören würden aufzuräumen? Wir sind mitten in einem wunderschönen Chaos! Da sagen wir dann auch nicht: »Jetzt habe ich mit dem Frühjahrsputz angefangen und nach ein, zwei Stunden sehe ich immer noch keine Ordnung!«
Fast alle von uns wissen, dass ein Frühjahrsputz eine Herausforderung bedeutet, die ihre Zeit braucht! Diese Herausforderung kann uns sehr zermürben. Dann sind wir ganz schnell bereit zu glauben, wir lägen falsch.
Somit bekommen wir eine Bestätigung der Richtigkeit unserer alten Lebenslügen und die Suche nach Fremdbestimmung und Selbstverleugnung kommt damit wieder ins Spiel.
Doch wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass wir erst dabei sind, unser altes, eingefahrenes Leben, das uns aber auch Sicherheit gegeben hat, aufzubrechen. Dies ist vergleichbar mit einem Hausbau. Es dauert auch seine Zeit, bis ein Haus fertig ist und somit Sicherheit und Geborgenheit geben kann. Wir müssen Planen, Vorbereiten, Aussuchen, Finanzieren und dann Bauen. Und manchmal dürfen wir auch immer wieder neu definieren, was und wie wir etwas haben wollen.
Einmal abgesehen von dem Ottonormalhäuslebauer benötigen wir viel Zeit und eine Menge Informationen, um unser Traumhaus aufstellen zu können. Je individueller wir unserer Persönlichkeit Ausdruck verleihen wollen, desto aufwändiger ist die Entfaltungsarbeit.
Um die Fensterläden unserer dunklen Persönlichkeitsanteile aufzustoßen und Licht hinein lassen zu können, bedarf es einiger Übung. Auf welche Weise man an diese herangehen kann, beschreibe ich in meinem Arbeitsbuch »Zurück zum Anfang« und wie dies im Alltag aussehen kann, ist in meinem Buch »Grenzüberschreitungen« zu lesen. Nicht immer klappt alles sofort! Wir dürfen lernen, ein Gefühl für unsere Persönlichkeit und unsere Werte zu entwickeln.
Je nach Persönlichkeitsformung...