I. Die hebräische Bibel
F. Buhl, Kanon und Text des Alten Testaments, Leipzig 1891. – P. R. Ackroyd / C. F. Evans / S. L. Greenslach / G. W. H. Lampe (eds.), The Cambridge History of the Bible I–III, Cambridge 1963–1970. – M. J. Mulder (ed.), Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, 1988 (CRI I). – M. SÆbØ (ed.), Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation I/1 Antiquity, Göttingen 1996. – N. Davíd et al. (eds.), The Hebrew Bible in Light of the Dead Sea Scrolls, 2012 (FRLANT 239).
1. Der Kanon
J. Fürst, Der Kanon des Alten Testaments nach den Überlieferungen in Talmud und Midrasch, Leipzig 1868. – T. Zahn, Die Geschichte des neutestamentlichen Kanons II,1, Erlangen / Leipzig 1890. – A. Kuenen, Über die Männer der großen Synagoge (1876): Ges. Abh. zur bibl. Wissenschaft, Freiburg / Leipzig 1894, 125–160. – J. A. Sanders, Torah and Canon, Philadelphia 1972. – S. Z. Leiman (ed.), The Canon and Masorah of the Hebrew Bible. An Introductory Reader, New York 1974. – S. Z. Leiman, The Canonization of Hebrew Scripture. The Talmudic and Midrashic Evidence, Hamden, Conn. 1976. – J. Blenkinsopp, Prophecy and Canon, Notre Dame u. a. 1977. – J.-D. Kaestli / O. Wermelinger (éds.), Le Canon de l’Ancient Testament. Sa formation et son histoire, Genf 1984. – R. Beckwith, The Old Testament Canon of the New Testament Church, London 1985. – H. Gese, Die dreifache Gestaltwerdung des Alten Testaments (1985), in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 1–28. – G. Stemberger, Jabne und der Kanon: JBTh 3 (1988), 163–174. – A. van der Kooij, De canonvorming van de Hebreewse bijbel, het Oude Testament: NedThT 49 (1995), 42–65. – J. M. Auwers / H. J. de Jonge (eds.), The Biblical Canons, 2003 (BEThL 163). – L. M. McDonald / J. A. Sanders (eds.), The Canon Debate, Peabody, Mass. 2004. – R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., in: R. Achenbach / M. Arneth / E. Otto, Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchroner Logik diachronen Transformationen, 2007 (BZAR 7), 26–71. – P. S. Alexander / J.-D. Kaestli, The Canon of Scripture in Jewish and Christian Tradition. Le canon des écritures dans les traditions juives et chrétiennes, Lausanne 2007. – L. Zaman, Bible and Canon. A Modern Historical Inquiry, Leiden 2008. – M. Becker / J. Frey (Hg.), Qumran und der biblische Kanon, 2009 (BThSt 92). – G. Steins / J. Taschner (Hg.), Kanonisierung – die hebräische Bibel im Werden, 2010 (BThSt 110). – M. Witte, Der ‚Kanon‘ heiliger Schriften des antiken Judentums im Spiegel des Buches Ben Sira / Jesus Sirach, in: E.-M. Becker / S. Scholz (Hg.), Kanon in Konstruktion und Dekonstruktion, Berlin u. a. 2012, 229–255.
Die hebräische Bibel ist, wie man gern gesagt hat, eine kleine Bibliothek (vgl. B. Duhm, Die Entstehung des Alten Testaments, Tübingen 21909). Sie enthält die folgenden Bücher:
Gen Ex Lev Num Dtn
Jos Ri 1Sam 2Sam 1Kön 2Kön
Jes Jer Ez Hos Joel Am Obd Jon Mi Nah Hab Zef Hag Sach Mal
Ps Hi Spr Rut Hld Koh Klgl Est Dan Esr Neh 1Chr 2Chr
Wir fragen nach dem Zustandekommen dieser Bibliothek.
a) Die frühesten Zeugnisse
Um das Jahr 95 n. Chr. schreibt der jüdische Schriftsteller Josephus in seinem apologetischen Werk Contra Apionem (I,7f., 38–41), die Juden besäßen seit langem eine Anzahl von Büchern, denen sie nichts hinzuzufügen, von denen sie nichts wegzunehmen und an denen sie nichts zu ändern wagten. Es sei ihnen allen von Kind auf selbstverständlich, in diesen Büchern Gottes Anordnungen (ϑεοῦ δóγματα) zu finden und darum an ihnen festzuhalten, ja, wenn es sein müsse, freudig für sie zu sterben. Weil bei den Juden nicht jeder habe Geschichte schreiben dürfen, sondern nur die Propheten, die die Vergangenheit gemäß der ihnen zuteil gewordenen göttlichen Inspiration (ϰατὰ τὴν ἐπιπνοίαν τὴν ἐπὸ τοῦ ϑεοῦ) und die Gegenwart aus genauer eigener Kenntnis beschrieben hätten, gebe es hier nicht, wie bei anderen Völkern, zahllose einander widersprechende Bücher, sondern nur wenige, und diese seien völlig zuverlässig. Es handle sich um 22: zunächst 5 von Mose, die die Gesetze und die Überlieferung von der Entstehung des Menschen bis zum Tode des Mose umfassten; dann 13 mit der Geschichte vom Tode des Mose bis zu Artaxerxes, dem Perserkönig nach Xerxes, geschrieben von den Propheten dieser Zeit; schließlich 4 Bücher mit Hymnen auf Gott und Lebensregeln für die Menschen. Auch die Geschichte seit Artaxerxes sei aufgezeichnet, aber diese Schriften besäßen nicht dieselbe Glaubwürdigkeit wie die älteren, weil für diese Zeit die wahre Nachfolge der Propheten gefehlt habe.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Zeugnis des Josephus ist das des Schlusskapitels (14) der Apokalypse 4Esr, die aus dem babylonischen Exil zu stammen behauptet, tatsächlich aber nicht die Lage nach 587 v. Chr., sondern die nach der erneuten Zerstörung Jerusalems durch die Römer 70 n. Chr. reflektiert und offenbar auch schon die Regierung des Kaisers Domitian (81–96) voraussetzt. Der angebliche Verfasser Esra fragt im Gebet vor seiner Entrückung, wer in Zukunft das Volk unterweisen solle; Gottes Gesetz sei ja verbrannt, so dass niemand die Taten kenne, die Gott getan habe und die er noch tun wolle. Auf seine Bitte bekommt Esra, indem er einen Becher mit feuerartigem Wasser trinkt, den Heiligen Geist verliehen und diktiert gemäß göttlichem Befehl fünf Männern vierzig Tage lang 94 Bücher. Die ersten 24 von ihnen werden für den allgemeinen Gebrauch veröffentlicht, die übrigen 70 dagegen (die Apokalypsen) den Weisen vorbehalten.
b) Zahl und Anordnung der Bücher
Die 24 Bücher von 4Esr sind sehr wahrscheinlich ebenso wie die 22 des Josephus mit denen identisch, die wir als das AT kennen. Dieses war demnach am Ende des 1. Jh.s n. Chr. bereits in seinem heutigen Umfang vorhanden.
Der Unterschied in der Zahl der Bücher braucht nicht zu irritieren. Nach unserer heutigen Zählung hat das AT 39 Bücher. In alter Zeit werden Sam, Kön, die 12 Propheten, Esr/Neh und Chr als je ein Buch gezählt. Daher die Gesamtzahl 24, die bei den jüdischen Autoren außer Josephus üblich ist. Die Zahl 22 des Josephus kommt wohl dadurch zustande, dass Rut in Ri und Klgl in Jer einbegriffen werden, was, da beide von Hause aus selbständige Schriften und in einem anderen Kanonteil geläufig sind, ein auf geschichtlicher Überlegung beruhender sekundärer Akt sein dürfte. Die Zahl 22 ist also als die jüngere zu betrachten. Sie ist außer bei Josephus bei einer Reihe von Kirchenvätern bezeugt, die die jüdische Ordnung beschreiben (Melito von Sardes, Origenes, Euseb von Caesarea, Cyrill von Jerusalem, Athanasius, Epiphanius, Hieronymus – der auch die 24 kennt –, Augustin); dabei erscheint durch Zerlegung von Sam, Kön, Chr, Esr/Neh und Ri/Rut oder Jer/Klgl in je zwei Bücher als Alternative die Zahl 27 (Epiphanius, Hieronymus). Beide Zahlen werden mit dem hebräischen Alphabet in Zusammenhang gebracht: es hat 22 Buchstaben, dagegen 27 unter Einrechnung der abweichenden Form, die fünf von ihnen am Ende des Wortes haben (litterae finales). Auch die 24 ist keine gleichgültige Zahl (2 mal 12), ebenso wie die 70 der geheim zu haltenden Bücher im 4Esr. Um bloße Spielereien handelt es sich bei alledem nicht; die Zahlen bezeichnen eine Vollständigkeit und Abgeschlossenheit der Schriftensammlung, die keine Änderung zulässt. „Wer mehr als die 24 Bücher in sein Haus bringt, bringt Verwirrung in sein Haus“, sagt ein rabbinischer Text (Midrasch Kohelet 12,12).
Josephus kennt bereits die Dreiteilung der atl. Bücher, die in der Folgezeit immer...