EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
DER LEBENSWEG EINES POLARFORSCHERS
Per obstantia pergit intrepidus – Hindernisse überwindet der Unerschrockene. So steht es auf einer Gedenkmünze der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die 1925, ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des großen schwedischen Polarforschers geprägt wurde.
Mit dieser Tugend, die wohl zum Rüstzeug aller Forscher und Entdecker gehört, lässt sich das Verdienst Adolf Erik Nordenskiölds sicherlich kaum erschöpfend beschreiben, wohl aber ein wesentliches Merkmal des erfüllten Lebens dieses Mannes, dem der Erfolg erst nach vielen Fehlschlägen vergönnt war.
Die Reise mit der Vega, von der hier berichtet werden soll, war die Krönung langjähriger Forschertätigkeit, der glückhafte Endpunkt unermüdlicher, nur zu oft tragisch verlaufender Versuche durch Seefahrer vieler Nationen, die Nord-Ost-Passage zu bezwingen. Nordenskiölds Reise um Europa und Asien war ein wagemutiges, keineswegs jedoch ein waghalsiges Unternehmen. Über zwanzig Jahre persönliche Erfahrung in arktischen Gewässern sind in diese Fahrt eingeflossen. Pedantisch genaue Vorbereitungen und das sichere Abwägen von Risiken sicherten schließlich den Erfolg. Darin unterschied er sich von den meisten Polarreisenden seiner Zeit ebenso wie durch die wissenschaftliche Zielsetzung. Obwohl nicht ganz frei von der Verlockung, als Erster den Fuß auf bis dahin nicht betretenes Gebiet zu setzen, trieb ihn weniger Rekordsucht oder das Verlangen nach unvergänglichem Ruhm als der wissenschaftliche Eifer des Mineralogen, Geologen und Historikers.
Als Adolf Erik am 18. November 1832 in Helsingfors, dem heutigen Helsinki, geboren wurde, war ihm zwar nicht der Weg eines Entdeckers vorgezeichnet, wohl aber die Liebe zur Naturwissenschaft in die Wiege gelegt. Der Vater, Nils Gustav Nordenskiöld, war ein bedeutender Mineraloge und Generaldirektor des Bergwerkswesens des unter russischer Oberhoheit stehenden Großfürstentums Finnland. Der Hang zur Wissenschaft hatte lange Tradition in der Ahnenreihe der Nordenskiölds, einer alten Adelsfamilie, die ursprünglich aus der nordschwedischen Provinz Uppland stammte, dann aber an der südfinnischen Küste ansässig wurde, als Finnland noch zum schwedischen Reich gehörte. So ist es kaum verwunderlich, dass sich der junge Adolf Erik bereits in Kindesjahren als eifriger Mineralien- und Insektensammler betätigte, unterstützt und angeleitet von seinem verständnisvollen Vater, den er auf vielen Exkursionen begleiten durfte. Als er auf die durch ihre liberale Führung bekannte Schule von Borgo kam, entwickelte sich Erik jedoch keineswegs zum strebsamen Musterschüler. »Freilich kann nicht geleugnet werden«, bekennt er freimütig in einer späteren Biographie, »dass diese Freiheit von vielen Schülern auf das Schlimmste missbraucht wurde: zeichnete ich mich doch, nach des Rektors Ausspruch, nur durch meine vollkommene Faulheit aus.« Die einsichtigen Eltern zogen jedoch nicht etwa die Zügel schärfer an, sondern ließen dem Sohn noch größere Freiheiten, verbunden mit einem Appell an die damit wachsende eigene Verantwortung. In kürzester Zeit gehörte Erik zu den besten Schülern. Als es jedoch an der Schule zu Züchtigungen kam, damals durchaus eine übliche Methode der Bestrafung, rief dies einen Aufstand unter den Schülern hervor, und viele verließen aus Protest das Gymnasium von Borgo, unter ihnen auch Adolf Erik und sein Bruder Otto. 1849 schrieb sich Adolf Erik in die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Helsingfors ein, wobei er erwartungsgemäß als Hauptfächer Mineralogie und Geologie wählte. Praktische Erfahrungen konnte er im reichen Maße durch die »Verwaltung« der umfangreichen Privatsammlung auf dem heimatlichen Gut Frugord gewinnen und durch größere Exkursionen mit seinem Vater bis in den Ural. 1855 schloss er seine Doktorarbeit über die kristallinen Formen des Graphits ab und stellte seine erste Publikation über die Mineralien Finnlands fertig, durch die auch die Fachwelt auf den jungen Wissenschaftler aufmerksam wurde.
Der vorgezeichnete Weg erfuhr jedoch am 30. November des Jahres 1855 im Wirtshaus von Thölö eine dramatische Wende. Die Studentenverbindung, der Adolf Erik damals angehörte, war hier zu einer ihrer Feiern zusammengekommen, bei der verständlicherweise auch politische Diskussionen, Reden und Trinksprüche nicht ausgespart blieben. Anlässe dafür gab es genug, wurde Finnland in jener Zeit doch als ein Territorium des russischen Zarenreiches angesehen und von einem Statthalter mit eiserner Hand regiert, der die Russifizierung mit allen Mitteln vorantrieb. Dass diese Bemühungen vor allem auf den Widerstand der auch damals politisch aktiven Studentenschaft stießen, besonders jener im schwedisch geprägten Süden des Landes, ist kaum verwunderlich.
Die aufrührerischen Reden des Abends von Thölö kamen dem russischen Gouverneur von Berg zu Ohren, der nur darauf wartete, sich für eine vorausgegangene Schlappe zu rächen, als die Studentenschaft einen von ihm eingeschleusten »Spion« entlarvt und den Gouverneur öffentlich bloßgestellt hatte. Nordenskiöld wurde wie viele seiner Kommilitonen vorübergehend der Universität verwiesen, trug diese Affäre allerdings mit Gleichmut und machte das Beste aus der Zwangspause; er lieh sich Geld und reiste über Petersburg nach Berlin. Zufällig traf er in der russischen Stadt seinen Vater, der, obwohl seiner Regierung gegenüber loyal, die Pläne seines Sohnes nicht nur billigte, sondern ihm durch Empfehlungsschreiben an die bedeutendsten Mineralogen der deutschen Hauptstadt die Tore zu den wichtigsten Forschungsstätten und Laboratorien öffnete. Als der junge Nordenskiöld im Sommer 1856 nach Finnland zurückkehrte, wurde ihm von der Universität ein Reisestipendium zur Förderung seiner weiteren wissenschaftlichen Laufbahn angeboten. Wieder jedoch griff das Schicksal in Gestalt einer Universitätsversammlung ein, diesmal einer Promotionsfeier, zu der sehr zum Missfallen des russischen Gouverneurs von Berg auch Abgeordnete der schwedischen Universitäten Lund und Uppsala geladen waren. Als Nordenskiöld in einem Trinkspruch einen Dichter mit den Worten zitierte: »Ein Hoch den großen Tagen, die entschwunden sind, ein Hoch der Hoffnung, die uns bleibt!«, hatte er beim russischen Gouverneur zum zweiten Mal verspielt. Um einer Bestrafung zu entgehen, setzte sich Nordenskiöld zunächst einmal nach Schweden ab. Dort erfuhr er auch, dass er nicht nur sein Reisestipendium verloren, sondern auch das Recht verwirkt hatte, ein Universitätsamt in Helsingfors zu bekleiden. Um so enger wurden nun seine Kontakte zu den schwedischen Universitäten, insbesondere zur Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, zu deren Gründungsmitgliedern einer seiner Vorfahren gehört hatte.
Hier traf er auch den Mineralogen Otto Torell, der dem Lebensweg Nordenskiölds eine neue Richtung gab. Der nur wenige Jahre ältere Gelehrte vermochte Nordenskiöld für eine private Kundfahrt nach Spitzbergen zu gewinnen, die der Sammlung von Versteinerungen dienen sollte. Am 3. Juni 1858 lichtete das kleine Segelschiff Frithjof, ein nicht gerade seetüchtiges, nur neunzehn Tonnen großes Küstenfahrzeug, das bedenklich leckte, im nordnorwegischen Hammerfest die Anker. Die Reise dauerte zwar nur knapp drei Monate, aber für Nordenskiöld wurde sie zum Schlüsselerlebnis: Die Arktis ergriff von ihm Besitz.
Seine berufliche Stellung in Schweden festigte sich, als er, kaum sechsundzwanzig Jahre alt, zum Leiter der mineralogischen Sammlung der Akademie der Wissenschaften ernannt wurde, einem Posten, den er bis zu seinem Lebensende bekleidete und auch ausfüllte. Für Nordenskiöld war diese Aufgabe die sicherlich lohnendste und wichtigste, die Tätigkeit, in der sein forschender Geist die größte Befriedigung fand. Zeit seines Lebens widmete er sich der Vervollständigung mit unendlicher Hingabe, sodass er bei seinem Tod eine der bedeutendsten mineralogischen Sammlungen der Welt hinterließ. Überdies trat er mit zahlreichen Fachpublikationen an die Öffentlichkeit und machte sich schnell einen Namen weit über Schwedens Grenzen hinaus.
Beim Besuch seiner alten Heimat Finnland im Spätherbst 1858 zeigte sich, dass das Kriegsbeil zwischen dem Gouverneur von Berg und ihm noch immer nicht begraben war. Als er anlässlich einer Vorladung nicht bereit war, seine damaligen »Studenten-Sünden« zu bereuen, verwies ihn der unversöhnliche Politiker des Landes, das Nordenskiöld bis zu dessen Rücktritt nun nicht mehr betreten durfte.
Als Torell, mit dem Nordenskiöld seit der Spitzbergenreise eine enge Freundschaft verband, eine neue, diesmal größere Expedition plante, war natürlich auch der bewährte Reisegefährte wieder mit von der Partie. Erneut standen mineralogische Forschungen auf Spitzbergen auf dem Programm, insgeheim aber auch der Versuch, möglichst weit nach Norden jenseits des 80. Breitengrades vorzudringen, um von hier aus vielleicht sogar den Nordpol zu erreichen, der...