In der Fremde
Ich bin sehr neugierig auf den Iran. Das erste Land auf unserer Fahrt, das uns wirklich fremd ist. Wir kennen niemanden, der hierher gereist ist. Es ist eines der strengsten muslimischen Länder der Welt und meines Wissens das Einzige, in dem es auch für ausländische Frauen Kopftuchpflicht gibt. Wie werden sie mich hier wohl behandeln? Wir werden uns als Ehepaar ausgeben, ansonsten wäre es in den Augen der Muslime nicht legitim für uns, als Mann und Frau zusammen zu reisen. Das dürfen nur Geschwister, Cousins oder verheiratete Paare. Da es der Wahrheit am nächsten kommt, entscheiden wir uns für letzteres. „Als verheiratete Frau dürfen sie dich nicht anfassen, gib ihnen also nicht die Hand, jedenfalls den Männern nicht“, schärft Michael mir ein. Kurz vor der Grenze binde ich mir ein Tuch meiner Oma um den Kopf. Es ist ein bisschen klein und reicht gerade für einen einfachen Knoten um den Hals. Keine Muslima trägt ihr Tuch auf diese Weise. Sie verhüllen mit den farbigen Stoffen kunstvoll ihr Haar und den Hals, ohne dass ein Knoten oder Nähte zu sehen sind – ich weiß bis heute nicht, wie das gemacht wird.
Mit Michaels schwarzem Sweatshirt, weiten blauen Hosen und dem kleinen, beige-farbenen Tuch fühle ich mich wie schlecht verkleidet. „Das sieht ganz schön doof aus“, stelle ich mit unzufriedenem Blick in den Spiegel fest. – „Wir besorgen dir ein größeres Tuch … und ein etwas dunkleres vielleicht“, meint Michael, als er mich mit den Augen eines ehemaligen Modeverkäufers skeptisch betrachtet. „Aber für den Anfang geht es schon“, fügt er hinzu.
Neugierig und nervös fahren wir am 19.01.2007 zum Grenzort Gürbulak-Doğubayazıt. Auf der türkischen Seite spricht uns ein Mann in zivil an, der unsere Papiere haben will. Zwar kann er sich auf unsere Nachfrage hin ausweisen, doch als er mit den Reisepässen verschwindet und auch nach einigen Minuten noch nicht zurückkommt, sind wir nervös genug, dass Michael aussteigt und nach ihm sucht. Ich habe Zeit um mir auszumalen, was passieren würde, wenn unsere Papiere weg wären. Doch dann gibt es Entwarnung. Michael kommt zurück und steigt ein: „Alles in Ordnung. Wir können rüber auf die iranische Seite.“ Dort werden wir von einem Mann begleitet, der recht gut Englisch spricht. Er ist sehr freundlich und bestätigt uns, dass mein Outfit völlig in Ordnung ist. Wir bekommen die Stempel in unsere Papiere, dann noch ein paar Ratschläge („bitte denken Sie an das Alkoholverbot im Iran“) und schon fahren wir unsere ersten Meter auf iranischem Boden: Der Ort Bazargan.
Schon hier machen wir Bekanntschaft mit den landesüblichen Methoden der Geschwindigkeitskontrolle: Speed-Breaker. Das sind spitz zulaufende Huckel, die quer über die Straße laufen. Das Gemeine daran: Sie scheinen sich an völlig willkürlich ausgewählten Stellen zu befinden und tauchen für uns total unerwartet auf: Mitten in der Stadt, vor einer Stadt, manchmal auch auf der Autobahn. Vor manchen Speed-Breakern gibt es Warnschilder, nicht vor allen. Wenn man mit 10 km/h darüber fährt, macht das Auto schon einen kräftigen Hüpfer. Ist man schneller als 30 km/h dran, tut es langsam weh. Hoffentlich übersehen wir keinen.
Ich sitze am Steuer als es langsam dunkel wird. Die Beleuchtung der anderen Autos verwirrt uns ein bisschen. Wenn sie bremsen, leuchtet das Licht für den Rückwärtsgang auf, vielleicht auch ein Blinker – oder gar nichts. Vorne haben sie nur manchmal Licht, mindestens aber kleine bunte, blinkende LED's. „Wie eine rollende Disco“, sagt Michael kopfschüttelnd, als ein besonders auffälliges Exemplar an uns vorbeizieht. Als ich mich kaum mehr konzentrieren kann, tauschen wir und Michael fährt noch ein gutes Stück bis zur Stadt Tabriz. Wir möchten vor allem irgendwo schlafen, zweitens müssen wir dringend tanken. Beides ist schwierig. Tabriz ist sehr groß und belebt – wie sollen wir da einen ruhigen Platz finden? Kaum sind wir dort, fühlen wir uns ziemlich verloren. Der Verkehr ist dicht und setzt uns unter Entscheidungsdruck – aber wo sollen wir hinfahren? Wie lange wird der Diesel noch reichen? Verzweifelt fragt Michael einen LKW-Fahrer, der mit seinem Truck gerade auf der Straße steht. Nach kurzem Hin und Her zeigt er uns den Weg zu einer Tankstelle. Dort können wir unseren Bruti für etwa vier Euro komplett volltanken. Das sind Preise! Dementsprechend gehen die Iraner aber auch mit dem Diesel um: Die Zapfpistolen hier haben keine Stopper, so dass sie nicht aufhören, wenn der Tank voll ist. Man merkt es also nur daran, dass der Kraftstoff überläuft. Es ist aber so viel Druck drauf, dass da gleich ein ganzer Schwall danebengeht. Der Boden auf den Tankstellen ist ganz glitschig vom Diesel.
Müde, vollgetankt aber hungrig finden wir schließlich auch einen Schlafplatz in einer Seitenstraße. Ich koche noch schnell ein paar Nudeln und wir klettern erschöpft in unser kuscheliges Bett.
Am nächsten Morgen finden wir Zeit, um uns Brutis Abfluss zu widmen: In den letzten Tagen in der Türkei war es so kalt, dass die Leitungen eingefroren sind und das Abwasser nicht mehr abläuft. Michael fackelt nicht lange und öffnet einfach die Verbindung zum Abwassertank, so dass das Wasser nach unten herauslaufen kann. Wir freuen uns und witzeln, dass diese Option in der ADAC-Broschüre „Entsorgung des Abwassers bei Wohnmobilen“ gar nicht erwähnt wurde.
Schon während Michael an den Anschlüssen herumschraubt, gesellt sich ein neugieriger Iraner dazu und sieht ihm gebannt über die Schulter. Er wartet auf die Gelegenheit, um seine Hilfe anzubieten. Als wir versuchen, die Dichtung wieder in unser Fenster zu drücken, die seit dem Unfall in Österreich nicht mehr montiert werden konnte, schreitet der Mann schließlich tatkräftig ein. Er spricht zwar kein Wort Englisch, versteht aber das Problem und kann helfen. Die Dichtung, die die griechischen Mechaniker mangels eines „Spezialwerkzeugs“ nicht einsetzen konnten, drückt Michael nun mit einem Iraner und einem Schraubenzieher an ihren Platz. Ob es das war, was die Griechen gemeint hatten?
Zufrieden, dass diese kleinen, lästigen Problemen gelöst sind, wollen wir noch ein paar Besorgungen machen: Der Wassertank muss aufgefüllt werden und der Kühlschrank ist ebenfalls ziemlich leer. Ersteres dürfte hierzulande schon schwieriger sein als in der Türkei. Dort gab es an jeder Tankstelle auch einen Wasserhahn, meistens sogar mit Schlauch. An der Tankstelle von gestern haben wir aber keinen gesehen.
Nahe bei unserem Schlafplatz sehen wir einen Mann mit einem Gartenschlauch, der gerade sein Motorrad wäscht. Wir versuchen zu erklären, dass er Wasser in unseren Bus füllen soll. Als wir ihm die Einfüllöffnung zeigen ist er völlig verwirrt: Es sieht aus wie ein Tankdeckel. Kann dieses Auto etwa mit Wasser fahren? Die Männer holen einen jungen Mann, der Englisch kann. Mittels seiner Übersetzung ist das Rätsel bald gelöst und der Wassertank voll. Nun erzählen wir unsere Geschichte: „Wir kommen aus Deutschland und fahren nach Indien. Ja, mit diesem Auto. Gestern waren wir noch in der Türkei.“ Der junge Mann stellt sich vor: Er heißt Mehdi und berichtet uns, dass er schon am frühen Morgen verwundert vor unserem Bus gestanden ist. „Ich habe euer Nummernschild angeschaut – solche gibt es hier nicht, denn iranische Autos haben alle persische Schrift auf dem Kennzeichen. 'Wo kommen deine Fahrer her?', habe ich mich gefragt und überall nach einem Hinweis gesucht.“
Jetzt, da er uns kennen lernt, ist er total begeistert. Reisende aus Deutschland – direkt vor seiner Haustür gelandet. Das hat es noch nie gegeben! Er überschüttet uns mit aller Gastfreundschaft, die uns in seinen Augen gebührt: „Ich kann euer Führer in Tabriz sein. Was wollt ihr hier machen?“ – „Einkaufen.“ – „Kein Problem, ich zeige euch den Bazar, die berühmte blaue Moschee … alles, was ihr wollt!“ Von so viel Freundlichkeit etwas überrumpelt halten wir kurz Kriegsrat. Er will doch sicher Geld dafür, oder? Wir fragen ihn. Mehdi versichert uns: „Ihr seid meine Gäste, ich will kein Geld von euch.“ Sein offener Gesichtsausdruck macht ihn vertrauenswürdig und so stimmen wir zu.
Gleich darauf geht es los. Wir fahren zum Metzger, zum Bäcker und zum Gemüsehändler. Als der Metzger hört, wo wir herkommen, ruft er gleich seine Frau an – sie kann Englisch. Kommentarlos drückt er mir den Hörer in die Hand. Die Frau am anderen Ende ist etwa genauso verwirrt wie ich. Ihr Mann hat wahrscheinlich nur gesagt: 'Hey, da sind Europäer, rede mal mit der Frau!' Also erkläre ich ihr, wer wir sind, wo wir herkommen und hinfahren. Sie lädt uns pauschal in ihr Haus ein, ich lehne pauschal ab. Das macht man hier wohl so.
Am Bazar finden wir gute und günstige Pistazien mit süß-salzigem Aroma, manche haben auch eine fein-säuerliche Note. Wir dürfen probieren und sind angenehm überrascht: Sie schmecken...