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E-Book

Die fünf Einladungen

Was wir vom Tod lernen können, um erfüllt zu leben

AutorFrank Ostaseski
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783426437063
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Durch die Endlichkeit des Lebens das Wunder im Augenblick entdecken   Frank Ostaseski ist der bedeutendste Vertreter der Hospizarbeit und Sterbebegleitung in den USA. Seine bahnbrechende Leistung ist es, die Prinzipien Achtsamkeit und Mitgefühl im Hospizwesen verankert zu haben. Aus seinen jahrzehntelangen Erfahrungen als Begleiter von Schwerkranken und Sterbenden hat er fünf Leitsätze - 'die fünf Einladungen' - entwickelt, die bis heute auch Grundlage seiner Kurse und Ausbildungen sind. In diesem Ratgeber zeigt er uns, wie wir diese nutzen können, um bewusster zu leben und die eigene Lebensqualität zu steigern. Richten wir uns nach diesen fünf Prinzipien, finden wir einen bereichernden Umgang mit dem Tod und navigieren entspannter durch jede Art von Übergang oder Krise. Die 'fünf Einladungen' lauten: 1. Warte nicht. 2. Heiße alles willkommen, wehre nichts ab. 3. Gib dich ganz in die Erfahrung. 4. Finde mitten im Chaos einen Ort der Ruhe. 5. Kultiviere den Geist des Nicht-Wissens. Frank Ostaseski hat bei mehr als tausend Menschen am Sterbebett gesessen. In den 'fünf Einladungen' destilliert er seine Erfahrungen zu einem eindrucksvollen Weg der Transformation.

Frank Ostaseski, buddhistischer Lehrer und internationaler Referent, war 1987 Mitbegründer des ersten Zen-Hospizes in den USA. Damit begann sein Weg, der ihn heute zur führenden Stimme der Achtsamkeits-Bewegung im Kontext von Sterben, Tod und Trauer werden ließ. Das 2004 von ihm gegründete Metta Institute hat sich zur Aufgabe gemacht, mit innovativen Fortbildungsprogrammen die Prinzipien Achtsamkeit und Mitgefühl in der Pflege zu verankern.

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Leseprobe

Einleitung Die Wandlungskraft des Todes


Die Liebe und der Tod sind die größten Geschenke an die Menschen. Meistens werden sie ungeöffnet weitergegeben

Anonym

Leben und Tod kommen immer im Paket – das eine erhält man nicht ohne das andere. So wird der japanische Zen-Begriff shoji für den Kreislauf von Geburt und Tod wörtlich als »Geburt-Tod« übersetzt. Die einzige Trennung zwischen den beiden besteht in dem kleinen Bindestrich, einer schmalen Linie, die sie wiederum verbindet: Ohne Gewahrsein für den Tod können wir nicht wirklich lebendig sein.

Der Tod wartet nicht am Ende eines langen Weges auf uns. Er ist immer da, im Innersten jedes einzelnen Augenblicks. Er ist der heimliche Lehrer, versteckt, aber dennoch für alle sichtbar. Er hilft uns zu entdecken, was am wichtigsten ist im Leben. Und das Gute daran ist: Wir brauchen nicht bis ans Ende unserer Tage zu warten, um die Weisheit zu finden, die der Tod uns zu bieten hat.

In den letzten dreißig Jahren habe ich mit einigen tausend Menschen an der Schwelle des Todes gesessen. Manche waren voller Enttäuschung, als sie starben. Andere wieder blühten auf und gingen voller Staunen durch jene Tür. Der Unterschied bestand in der Bereitschaft, sich langsam in die tieferen Dimensionen dessen hineinzuleben, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Die Vorstellung, dass wir im Sterben die physische Kraft, die emotionale Stabilität und die geistige Klarheit haben werden, um die Arbeit eines ganzen Lebens zu erledigen, ist eine naive Illusion. Deshalb ergeht an Sie mit diesem Buch die Einladung – nein, es sind fünf Einladungen –, sich jetzt schon mit dem Tod zusammen hinzusetzen, Tee mit ihm zu trinken und sich von ihm zu einem sinnvolleren und liebevolleren Leben inspirieren zu lassen.

Ein intensiveres Nachdenken über den Tod wird sich nicht nur darauf tief und positiv auswirken, wie wir sterben, sondern auch darauf, wie wir leben. Im Angesicht des Sterbens ist es eher möglich, zwischen Tendenzen zu unterscheiden, die uns in die Einschließlichkeit der Ganzheit führen oder uns in die Trennung und in weiteres Leiden locken. Doch geht es hier nicht um ein vages, homogenes Einssein. Ein besserer Ausdruck wäre »Vernetzung«. Jede Zelle unseres Körpers ist Teil eines organischen, ineinandergreifenden Ganzen, das harmonisch zusammenwirken muss, um für eine gute Gesundheit zu sorgen. Entsprechend existiert alles in einem beständigen Wechselspiel von Beziehungen, die sich im gesamten System widerspiegeln und alle seine Teile beeinflussen. Wenn wir diese grundlegende Wahrheit nicht beachten, leiden wir und schaffen wir Leiden. Wenn wir dagegen im Gewahrsein dieser Wahrheit leben, fördern wir die Ganzheit des Daseins und sind von ihr getragen.

Unsere Lebensgewohnheiten haben eine gewaltige Kraft, die uns zum Augenblick unseres Todes hintreibt. Da stellt sich automatisch die Frage: Welche Gewohnheiten wollen wir uns erschaffen? Unsere Gedanken sind keinesfalls wirkungslos. Sie manifestieren sich in Aktivitäten, die sich wiederum in Gewohnheiten verwandeln, und unsere Gewohnheiten verhärten sich zum Charakter. Unser unreflektiertes Verhältnis zum Denken kann unsere Wahrnehmungen beschränken, stereotype Reaktionen auslösen und die Einstellung vorherbestimmen, die wir zu den Ereignissen unseres Lebens haben. Die Trägheit dieser Muster können wir überwinden, indem wir uns unserer Sichtweisen und Glaubenssätze bewusst werden. Wenn wir das tun, treffen wir die klare Entscheidung, diese gewohnheitsmäßigen Tendenzen zu hinterfragen. Vorgefasste Meinungen und Gewohnheiten schalten das Denken aus und fördern ein Leben auf Autopilot. Fragen fördern einen offenen Geist und sind Ausdruck eines lebendigen Menschseins. Eine gute Frage hat Herz und entsteht aus der tiefen Liebe heraus, erkennen zu wollen, was wahr ist. Wir werden nie wissen, wer wir sind und warum wir hier sind, wenn wir uns die unbequemen Fragen nicht stellen.

Ohne den Tod als Mahner neigen wir dazu, das Leben für etwas Selbstverständliches zu halten, und verlieren uns häufig in der endlosen Jagd nach Bedürfnisbefriedigung. Wenn wir den Tod öfter im Bewusstsein haben, klammern wir uns nicht mehr so sehr am Leben fest. Vielleicht nehmen wir uns und unsere Vorstellungen nicht mehr ganz so ernst. Wir lassen ein wenig leichter los. Wenn wir anerkennen, dass der Tod zu jedem von uns kommt, würdigen wir, dass wir alle im selben Boot sitzen. Das kann uns wiederum dabei helfen, ein bisschen freundlicher und sanfter miteinander umzugehen.

Wir können das Bewusstsein vom Tod nutzen, um unser Leben zu würdigen, um uns zur Selbsterkundung zu ermutigen, um unsere Werte zu klären, um einen Sinn im Leben zu finden und um ein grundsätzlich positives Handeln zu entwickeln. Gerade die Vergänglichkeit des Lebens schenkt uns eine Perspektive. Wenn wir begreifen, dass es uns nie sicher ist, lernen wir es in seiner Kostbarkeit wertzuschätzen. Dann wollen wir keine Minute mehr vergeuden. Wir wollen unser Leben voll und ganz leben und es verantwortlich nutzen. Der Tod kann ein weiser Begleiter für ein gutes Leben und für ein Sterben ohne Reue sein.

Die Weisheit des Todes kann Ihnen auch dabei helfen, mit einem Verlust umzugehen oder mit Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, sich in Kleingeistigkeit verrannt oder die Kontrolle verloren zu haben – egal, ob es sich um eine Trennung oder Scheidung, um eine Krankheit, eine Entlassung, das Zerplatzen eines Traums, einen Autounfall oder auch nur Ärger mit einem Kind oder mit den Kollegen handelt.

Kurz nachdem der renommierte Psychologe Abraham Maslow einen beinah tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte, schrieb er in einem Brief:

»Die Konfrontation mit dem Tod – und die gewährte Gnadenfrist – lässt alles so kostbar, so heilig, so schön erscheinen, dass ich einen stärkeren Impuls als je zuvor empfinde, es zu lieben, zu umarmen und mich davon überwältigen zu lassen. Mein Fluss hat noch nie so schön ausgesehen … Der Tod und seine stets gegenwärtige Möglichkeit macht die Liebe, die leidenschaftliche Liebe, möglicher.«3

Ich bin kein Romantiker, was das Sterben angeht. Es ist harte Arbeit, vielleicht die härteste, die wir in unserem Leben je tun werden. Es gerät nicht immer gut. Es kann traurig, unbarmherzig, chaotisch, schön und myster#iös sein. Doch vor allem ist es normal. Wir alle gehen da durch.

Keiner von uns kommt lebendig von hier fort.

 

Die meisten Menschen, mit denen ich als Begleiter von Sterbenden, als Lehrer für mitfühlende Pflege und als Mitbegründer des Zen Hospice Project gearbeitet habe, waren »ganz normale Leute«. Sie wurden nun konfrontiert mit etwas, was sie bisher für weit entfernt oder unerträglich gehalten hatten: Sie gingen auf den eigenen Tod zu oder pflegten einen geliebten Menschen, der im Sterben lag. Und doch fanden die meisten von ihnen in sich und in der Erfahrung des Sterbens die Ressourcen, die Einsicht, die Stärke, den Mut und das Mitgefühl, um dem Unmöglichen auf außergewöhnliche Weise zu begegnen.

Manche von denen, mit denen ich gearbeitet habe, lebten in schrecklichen Verhältnissen – in schäbigen Hotels oder auf den Parkbänken hinter dem Rathaus. Es waren Alkoholiker, Prostituierte und Obdachlose, die am Rande der Gesellschaft nur mit Ach und Krach überlebten. Oft waren sie resigniert oder wütend über ihren Kontrollverlust. Viele hatten jedes Vertrauen in die Menschheit verloren.

Manche kamen aus Kulturen, die mir fremd waren, sprachen eine Sprache, die ich nicht verstand. Einige waren beseelt von einem tiefen Glauben, der sie durch schwere Zeiten trug, während andere jeder Religion abgeschworen hatten. Nguyen hatte Angst vor Geistern. Jesaja wurde durch »Besuche« von seiner toten Mutter getröstet. Da war ein an Hämophilie leidender Vater, der sich durch eine Bluttransfusion den HIV-Virus zugezogen hatte. Jahre vor seiner Krankheit hatte er entdeckt, dass sein Sohn schwul war. Doch am Ende starben sowohl Vater wie Sohn an Aids. Sie lagen in zwei Einzelbetten im selben Schlafzimmer nebeneinander und wurden von Agnes gepflegt, der Frau des Vaters und Mutter des Sohnes.

Viele sind in ihren frühen Zwanzigern gestorben, als ihr Leben gerade erst begonnen hatte. Doch war auch eine Frau namens Elizabeth darunter, die mich mit ihren dreiundneunzig Jahren fragte: »Warum kommt der Tod so früh zu mir?« Manche hatten ein glasklares Bewusstsein, während sich andere nicht mal an den eigenen Namen erinnern konnten. Einige waren umgeben von der Liebe der Familie und der Freunde. Andere waren vollständig allein. Alex, der keinerlei Unterstützung seitens geliebter Menschen bekam, war so verwirrt von seiner durch Aids verursachten Demenz, dass er eines Nachts hinaus auf die Feuerleiter kletterte und erfror.

Wir haben Polizisten und Feuerwehrleute gepflegt, die zahlreiche Leben gerettet hatten; Krankenschwestern, die sich um den Schmerz und die Atemnot anderer gekümmert hatten; Ärzte, die den Tod hatten attestieren müssen bei Patienten mit denselben Krankheiten, die jetzt ihre eigenen Körper verwüsteten. Menschen mit politischer Macht, Reichtum und guten Krankenversicherungen. Und Flüchtlinge, die kaum mehr als die Kleider besaßen, die sie am Leib trugen. Sie starben an Aids, Krebs, Lungenkrankheiten, Nierenversagen und Alzheimer.

Für manche war der Tod ein großes Geschenk. Sie versöhnten sich mit ihren längst verloren geglaubten Familien, sie gaben ihrer Liebe und Vergebung freien Ausdruck oder fanden die Freundlichkeit und Akzeptanz, nach...

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