Wie die »Gelben Engel« als Preise verschleudert wurden
Wie kam es zur Preisverleihung der »Gelben Engel«, die den ADAC letztlich selbst teuer zu stehen kam und den gesamten Club und seine Struktur mitsamt den Tochtergesellschaften erschüttert hat?
Das Folgende ist eine in Teilen fiktionalisierte Nacherzählung einer Vorgeschichte, die sich mehr oder weniger so zutrug und viel über das Selbstverständnis des Clubs und seiner Protagonisten verrät.
Zur Sitzung des ADAC-Präsidiums im Oktober 2003 bereitete Michael Ramstetter, Leiter der Kommunikation der ADAC-Zentrale und Chefredakteur der Clubzeitschrift ADAC Motorwelt, eine Sitzungsvorlage unter TOP 3 zur Diskussion und Entscheidung vor*:
TOP 3
Verleihung eines jährlichen ADAC-Preises (»Gelber Engel«) in verschiedenen Kategorien
Nach dem beigefügten Konzept möge das Präsidium über die Einrichtung und Verleihung eines jährlichen ADAC-Preises in insgesamt acht Kategorien entscheiden.
Voraussetzungen
Der ADAC verfügt durch seine Bedeutung, Größe und Kompetenz über sämtliche Voraussetzungen, einen jährlichen eigenen Preis in verschiedenen Kategorien zu verleihen, der in seiner Bedeutung sämtliche anderen Preisverleihungen (z.B. »Auto des Jahres«, (verschiedene Verlage) Goldenes Lenkrad (Bild am Sonntag) und die »Besten Autos« (Auto, Motor und Sport) in den Schatten stellt.
Ziele
Vorrangig: Der Preis soll die Kompetenz des ADAC auf sämtlichen Gebieten der Mobilität eindrucksvoll herausstellen und uns gleichzeitig gegenüber Politik und Wirtschaft als einflussreicher Partner auf Augenhöhe präsentieren. Er wird der bedeutendste, fundierteste und ehrlichste Preis seiner Art in Deutschland sein.
Nachrangig: Der Preis soll das Anzeigengeschäft der Motorwelt besonders in der Automobil- und Zulieferindustrie fördern (Dankesanzeigen) und generell die Bedeutung der Motorwelt als Werbemedium herausstellen.
Kategorien
Um dem ADAC-Preis »Gelber Engel« eine möglichst breite Basis an Empfängern zu verleihen, spreizen wir die Auszeichnung in acht Kategorien:
❱ Deutschlands beliebtestes Auto
❱ Eco-Auto
❱ Stadtauto
❱ Familienauto
❱ Reiselimousine
❱ Innovation & Umwelt
❱ Qualität
❱ Marke (Herstellerpreis)
Darüber hinaus zeichnen wir in unregelmäßigen Abständen eine Persönlichkeit aus Forschung, Industrie oder Motorsport mit einem »Gelben Engel« aus.
Organisation und Finanzierung
Es wird vorgeschlagen, den Preis in eine eigene Organisationsform, bevorzugt eine Stiftung, zu überführen, aus der heraus er auch finanziert wird (steuerliche Vorteile). Das Stiftungskapital beträgt € 10 Mio. Die Stiftung soll eine eigene Geschäftsführung erhalten, die von Präsidium und Vereinsgeschäftsführung getragen und kontrolliert wird.
Sie erhält eine eigene Satzung, in der auch die Verleihungsregularien festgehalten sind (Jury etc.).
Die weitere Ausarbeitung der Organisation soll der Hauptabteilung Kommunikation übertragen werden.
Weiteres Vorgehen
Die Stiftung »Gelber Engel« mit dem Zweck der gleichnamigen Preisverleihung soll ihre Arbeit unverzüglich aufnehmen mit dem Ziel der ersten Verleihungs-Veranstaltung im Januar 2004.
Veranstaltungsort soll München sein. Veranstaltungslokal soll die Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz sein. Diesbezüglich fanden bereits erste Vorgespräche mit der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Seen statt.
Präsidium und Verwaltungsrat werden um Zustimmung gebeten.
HA Kommunikation
TOP 3 wurde in der vorliegenden Form nach kurzer Diskussion vom Präsidium einstimmig verabschiedet und – reine Satzungsformalie – zur Absegnung an den Verwaltungsrat weitergegeben, der ebenfalls einstimmig zustimmte.
Nachsatz 1
Bereits 1997 war ein vom damaligen 1. Vizepräsidenten in Auftrag gegebenes Konzept der Öffentlichkeitsarbeit für einen ADAC-Preis nach ebenso kurzer Diskussion zurückgestellt worden, weil darin auf mögliche Interessenskonflikte mit Automobilfirmen durch die Verträge der ADAC-Service GmbH für die Durchführung von Mobilitäts-Dienstleistungen während der Garantiezeit hingewiesen wurde. Der Präsident hatte außerdem in die Diskussion eingeworfen, dass es bei solchen Preisen immer nur einen Gewinner, aber mehrere Verlierer gebe.
Nachsatz 2
In der Leseranalyse des ADAC-Verlages für die Mitgliederzeitschrift Motorwelt aus dem Jahr 2011 hebt der Verlag besonders hervor, dass
❱ der ADAC-Autopreis »Gelber Engel« für die Automobilindustrie wichtig ist,
❱ der Preis von 76,1 Prozent der Motorwelt-Leser als besonders glaubwürdig angesehen werde.
Nachsatz 3
Am 22. Januar 2014 entschied Präsident Peter Meyer, den Preis »Gelber Engel« vorerst in dieser Form nicht weiterzuführen.
Die handelnden Personen in der Krise 2014
Peter Meyer (64) war seit 2001 Präsident des ADAC. Damals hatte er sich als Kandidat seines Vorgängers Otto Flimm (84) in einer Kampfabstimmung gegen Rolf-Peter Rocke, den Vorsitzenden des ADAC Hansa, durchgesetzt. Der Speditionskaufmann, Betriebswirt und Unternehmer (Spedition und Autohaus) aus Mülheim an der Ruhr hat eine relativ junge Funktionärskarriere im ADAC hinter sich: Er wurde 1997 in den Vorstand des ADAC Nordrhein gewählt, dessen Vorsitzender er seit 2006 ist, ebenfalls als Nachfolger von Ehrenpräsident Otto Flimm. Während seiner 13-jährigen Amtszeit stieg die Zahl der ADAC-Mitglieder von 14,4 auf knapp 19 Millionen. Meyer galt zwar extern als farblos, aber intern als durchsetzungsstark. Einer Reform der Vereinsstrukturen war er jedoch ausgewichen. Im Krisenmanagement tauchte er zunächst unter, machte sich dann aber zum »Garanten für die Aufklärung«. Der Jaguar-Fahrer war als ADAC-Präsident in dritter Amtszeit bis 2017 gewählt, legte aber am 9. Februar 2014 sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. In der Presseinformation des Vereins stand kein Wort des Dankes. Meyer ist aber weiterhin Vorsitzender des ADAC Nordrhein.
Dr. August Markl (65) folgte Peter Meyer nach dessen Rücktritt am 9. Februar 2014 im Amt nach. Er war eine der treibenden Kräfte, die Meyer zur Aufgabe zwangen. Damit brachen auch die alten Spannungen zwischen den »Großgauen« Südbayern und Nordrhein wieder auf, die seit nahezu 40 Jahren abwechselnd den Vereinspräsidenten stellten.
Der Radiologe und Dozent an der LMU München ist seit 2001 Vorsitzender des ADAC Südbayern und seit 2011 erster Vizepräsident des Vereins. Obwohl er derzeit, notgedrungen, den Club in Vollzeit führt, ist Markl ein Ehrenamtler reinsten Wassers. Er gründete als Student 1971 mit einem Freund einen ADAC-Ortsverein, der sich Scuderia Magra nannte und heute noch 40 aktive Mitglieder hat, die sich alle zwei Monate zum Stammtisch treffen. Statt der früher bei Ortsvereinen beliebten Slalom- und Orientierungsfahrten (Bildersuchfahrten) bevorzugt der Arzt und Vereinsfunktionär heute Gleichmäßigkeitsfahrten mit seinem historischen Alfa Romeo Giulia.
Markl gilt als Motor der Reformer, denen, so eine ADAC-Presseinformation, »bewusst geworden ist, dass die Struktur des Vereins den mit der Organisationsgröße verbundenen Anforderungen in Zukunft nicht mehr gerecht wird«.
Ob Markl diese Reformen auch noch selbst mit durchsetzen wird, ist aus zwei Gründen fraglich: Zum einen ist nicht klar, ob der Vereinsstatus des ADAC erhalten bleibt, zum anderen ist noch nicht bekannt, ob er selbst sich bei der ADAC-Hauptversammlung im Mai zur Wahl stellen wird. Vielleicht bleibt dem Herzens-ADAC’ler bei der geringen Auswahl geeigneter Kandidaten nichts anderes übrig, als den Verein zumindest in den nächsten vier Jahren selbst zu führen – oder abzuwickeln.
Dr. Karl Obermair (51) war seit 2012 Vorsitzender der Geschäftsführung der ADAC-Zentrale in München, der er seit 2003 angehört. Hier leitete der Oberösterreicher aus Steyr zunächst den Bereich Verbraucherschutz und Interessenvertretung. Seit 2006 war er als Mitglied der Geschäftsführung des ADAC für das Ressort Mitgliedschaft, Verkehr, Tourismus, Verlag verantwortlich. 2011 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Geschäftsführung ernannt.
Obermair war 13 Jahre lang Mitglied der Geschäftsführung des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Clubs (ÖAMTC), der für den ADAC insofern als Vorbild dient, weil er mit mehr als 40 Prozent aller motorisierten österreichischen Verkehrsteilnehmer eine noch höhere »Marktsättigungsquote« aufweist als der deutsche Partnerclub. Der rhetorisch bisweilen angestrengt...