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Die Gewaltfalle

Gewalt gegen Polizei, Einsatzbewältigung

AutorDieter Schäfer
VerlagVerlag Waldkirch
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl174 Seiten
ISBN9783864766114
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Polizeiführer Dieter Schäfer zu den ersten beiden Gewaltwellen: 'Der aufgebrachte Mob drohte uns zu überrollen wie ein Tsunami. Ich hatte der ersten Gewaltwelle nur eine Hundertschaft und eine Einheit BFE entgegenzusetzen. Ich befahl den Rückzug über Megaphon und entschloss mich die Gewaltwelle auslaufen zu lassen.' 'In dieser Stunde ist nicht der Rechtsstaat gewichen. Wir haben lediglich die zur multikulturellen Gastfreundschaft gereichte Hand, die gebissen wurde, aus Vernunftsgründen zurückgezogen. Ich versichere Ihnen, dass ich alle mir zur Verfügung stehenden legitimen Mittel einsetzen werde, um dieses nicht zu tolerierende Mit-Füßen-Treten der Rechtsordnung des Gastlandes durch die (Anm.: gewalttätigen) Kurden einen Sieg der demokratischen Rechtsordnung unseres Landes umzumünzen.' 'Durch die defensive Einsatzführung blieb der Stadt Mannheim, in der 20.000 Türken und rund 5.000 Kurden friedlich zusammen leben, Schlimmeres erspart.'

Zur Person des Autors Dieter Schäfer In der Woche nach dem Einsatz wurde ich 55 Jahre alt. Seit Sommer 1994 arbeite ich beim Polizeipräsidium Mannheim in leitender Funktion. Seit dem Jahr 2000 leite ich die Zentralen Dienste, die sieben polizeiliche Fachdienste unter einem Dach vereinen. Ich bin ein Einsatz erfahrener Polizeiführer. Ich habe nahezu 2.000 Einsatzstunden in Sondereinsatzlagen abgeleistet - etwa die Hälfte davon in Führungsverantwortung. Ich habe u.a. 38 polizeiliche Einsätze anlässlich unterschiedlicher Massenveranstaltungen geleitet. 33 davon hatten Tumult-Potenzial, 11 davon waren Tumultlagen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen - die meisten im Zusammenhang mit Fußballspielen. Meine erste Tumultlage war im September 1994 der Einsatz anlässlich des Solidaritätsmarsches der kurdischen Frauen von Mannheim nach Straßburg mit 396 Festnahmen und 394 abgeurteilten Verfahren.

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Leseprobe

Kritische Betrachtung des Aufzuges im Lichte des Versammlungsrechts

Die Komplexität des deutschen Rechtssystems ist nicht eben leicht zu verstehen. Die Polizei als Exekutive muss in der Praxis den Adressaten der versammlungsrechtlichen Auflagen, hier einer Gruppe von Kurden, die sich hinsichtlich ihrer Aufenthaltsländer international zusammensetzen und denen man PKK-Nähe unterstellen kann, einerseits dieses deutsche Recht verständlich machen und dessen Beachtung einfordern. Andererseits muss man davon ausgehen, dass zumindest die informellen Führer bestens rechtlich beraten sind, wie weit sie das deutsche Recht auf Versammlungsfreiheit ausreizen können, ohne eine Auflösung zu riskieren.

Das Vereinsgesetz und die Rechtsfolgen

Überwiegend schwer verstanden wird auf kurdischer Seite die strafprozessuale Rechtssystematik im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Vereinsgesetz. In Frankreich dürfen die Marschteilnehmer noch ihre PKK-Fahnen schwenken. Ab der Grenze sind diese nach deutschem Vereinsgesetz verboten. Dafür tragen die ausgewählten Öcalan-Anhänger Fahnen mit dessen Konterfei, nicht nur um auf dessen Haftbedingungen hinzuweisen, sondern insbesondere als Ausdruck ihrer politischen Überzeugung, ihres Volksstolzes und der Verehrung für Öcalan. Diese Fahnen sind somit in dieselbe Kategorie einzuordnen, wie die in Deutschland verbotenen Symbole der PKK und Nachfolgeorganisationen.

Die Polizei unterliegt der Legalitätspflicht und nimmt ihnen die im Einzelfall verbotenen Fahnen und Symbole, auch unter Anwendung von Zwang, weg. Sie werden als Straftäter behandelt und zur Anzeige gebracht, aber sie erfahren keine Sühne der Straftat. Das Vereinsgesetz ermöglicht es dem Gericht, von Strafe abzusehen, „wenn bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist“ (§ 20 Abs. 2 VereinsG). Die Staatsanwaltschaft stellt deshalb gesetzeskonform bei Erstverstößen regelmäßig das Verfahren ein.

Auflösung und Reaktionen der Betroffenen

Im Falle der Auflösung der Versammlung / des Aufzuges müssen die Teilnehmer auch die zuvor qua versammlungsrechtlicher Auflage legal mitgeführten Öcalan-Fahnen entweder einrollen oder abgeben, wenn sie den verbleibenden Weg zum Zielort zu Fuß zurücklegen wollen.

Diese Untersagung der Meinungskundgabe bzw. Wegnahme der Fahnen durch die Polizei empfinden die betroffenen Kurden als ehrenrührig und wollen darüber verhandeln. Der deutsche Rechtsstaat gewährt jedoch hinsichtlich der Fortsetzung einer aufgelösten Versammlung keinen Verhandlungsspielraum.

Trotz eindeutig rechtmäßigen Handelns der Polizei empfindet die kurdische Seite diese Maßnahmen offensichtlich als Provokation.

In ihrer Pressemitteilung vom 10.09.2012 verlautbart die YEK-KOM: „Die Verantwortung für den Ausbruch der Gewalt trägt in erster Linie die Polizei, die in den vergangenen Tagen vor allem die kurdischen Jugendlichen drangsalierte und zu provozieren versuchte.“

Die Auflagen der Versammlungsbehörde

In langjährig geübter Praxis der Versammlungsbehörden haben sich Standardformulierungen für Auflagen bei gleichartigen Sachverhalten herausgebildet. Als Polizeiführer wird man mit den Formulierungen vertraut und stimmt den Auflagenkatalogen meist ohne Änderungswünsche zu. Tatsächlich gibt es aber Sachverhalte, die der genaueren Betrachtung bedürfen.

Durch die Veranstaltung darf der Verkehr weder übermäßig beeinträchtigt noch behindert werden.

Das ist Innerorts nicht und Außerorts auf der Marschstrecke nur bedingt möglich. Der Polizeiführer der PD Heidelberg ließ den Aufzug am Freitagmorgen durch eine Hundertschaft zu Fuß begleiten und führte die Fahrzeuge am Ende des Aufzuges nach. Das Ausmaß und die Aufzugslänge erreichen da schnell 200 Meter.

Überholen nicht möglich, der gleichgerichtete Verkehr muss warten

Ein innerörtlicher Verkehr findet während des Durchmarsches entlang der Aufzugsstrecke praktisch nicht statt. Außerorts sind die mitgeführten Polizeifahrzeuge nur schwer oder gar nicht zu überholen. Diese Auflage lässt sich nicht durchsetzen. Die Bestimmung kann reduziert werden auf tangierte hoch frequentierte Verkehrsadern.

Öcalan-Bilder:
Textbeiträge ausschließlich personenbezogen und keinerlei politischer Bezug

Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben.9

So wurde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung der Grundsatz entwickelt, dass Öcalan-Bilder bei Versammlungen mitgeführt und gezeigt werden dürfen, wenn sie individuell auf den Gesundheitszustand und die Haftbedingungen hinweisen sollen.

Kann im Einzelfall der Nachweis geführt werden, dass das Mitführen und Zeigen der Öcalan-Bilder zum Ausdruck der Sympathie und Unterstützung für die PKK oder deren Unterorganisationen erfolgt, so ist dies verboten. Die Unterschiede haben die Verwaltungsgerichte in Berlin und Bremen herausgearbeitet.10 Klarheit ergibt sich also nur aus der Bewertung des Einzelfalles. Hier liegt die Schwierigkeit. Da es um die Einstellung der Versammlungsteilnehmer geht, muss bei der Gefahrenprognose die Zusammensetzung der Demonstranten und deren Gesinnung beurteilt werden. Dies ist gerade in Gruppierungen solcher Kulturkreise, die sich gegenüber dem Staat abschotten, äußerst schwierig.

Die Formulierung der Auflage fällt deshalb in der Regel pro Mitführen der Öcalan Fahnen aus.

Fast jeder trägt eine Öcalan-Fahne als Zeichen der Verehrung.

Erfolgt während des Aufzuges durch die Fahnenträger eine Unterstützungshandlung für die PKK gerät die Polizei in eine Zwangslage.

Will sie das Einhalten der Auflage einfordern, birgt dies bei entsprechender Zusammensetzung der Teilnehmer regelmäßig die Gefahr der Eskalation. Die Polizei muss die Wegnahme meist mit Zwang durchsetzen und die gesamte Versammlung oder Teile davon werden unfriedlich.

Klarheit besteht, wenn der Aufzug aufgelöst werden muss. Greift aber das Separierungsgebot des Bundesverfassungsgerichts11 für einzelne Fahnenträger ist in diesem konkreten Fall in der Verwaltungspraxis den überregional oder international zusammengesetzten kurdischen Marschteilnehmern nicht verständlich zu machen, warum die einen weiterhin die Fahnen schwenken dürfen, während die anderen die Fahnen weggenommen bekommen.

Bei internationaler oder überregionaler Zusammensetzung der Versammlungsteilnehmer zeigt die Erfahrung, dass eher von ideologischer PKK Unterstützung, denn von Protest gegen individuelle Belastungen Öcalans ausgegangen werden kann.

Die Versammlungsbehörde sollte in diesen Fällen beraten werden, in den Auflagen ein Fahnenverbot zu erlassen.

Pünktlichkeit; Anwesenheit eine halbe Stunde vor angemeldetem Marschbeginn

Mein Eindruck, den ich bei den Verantwortlichen der YEK-KOM und den Marschteilnehmern gewonnen hatte, war, dass sie glaubten, über alles verhandeln zu können. Hinzu kam, dass es sich bei den Teilnehmern des Marsches überwiegend um ausgewählte PKK-Anhänger handelte, die gezielt auf Provokationen der Polizei aus waren, sei es durch Gesten, sei es durch Anfeindungen.

Eine konkretisierte Zeitspanne wird kaum eingehalten. Um den Respekt vor der Rechtsordnung wieder herzustellen, sollten Auflagenverstöße konsequent mit Bußgeldern geahndet werden.

Die Versammlungsbehörde

Für gefahrenträchtige Aufzüge über mehrere Zuständigkeitsgrenzen sollte, analog der Verfahrensweise anlässlich der Einsatzmaßnahmen beim NATO-Gipfel 2009 in Baden-Baden und Straßburg, ein Regierungspräsidium als Mittelbehörde die Aufgabe der Versammlungsbehörde übernehmen. Es bietet sich das Regierungspräsidium an, das für den Zielort zuständig ist, im vorliegenden Fall also das Regierungspräsidium Karlsruhe. In jedem Falle muss aber ein Vertreter der Versammlungsbehörde ständig am Aufzug präsent und ansprechbar sein.

Offensivere Auslegung der Verbotsbestimmungen

Am Abend des 5. September 2012 kam es am Übernachtungsort der 5. Etappe in Bruchsal zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen.

Der Polizeiführer der 5. Etappe und sieben seiner Beamten gerieten im Rahmen der Nachaufsicht bei den tumultartigen Auseinandersetzungen in arge Bedrängnis und mussten sich Steinbewurf und körperlichen Angriffen erwehren. Fünf Beamte wurden verletzt.

Die...

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