KAPITEL 2 – PRODUKTIVITÄTSVERLUSTE VERSTEHEN
„Nur das, was gemessen wird, wird auch verbessert“
(Tom Peters)
2.1 VERLUSTE BEI TECHNISCHEN ANLAGEN VERSTEHEN
Produktivitätssteigerung durch Automation, der Einsatz von immer komplexeren Anlagen und Maschinen, steigende Produktvielfalt und Kostendruck sind, wie bereits im ersten Kapitel erläutert, Themen, die fast alle Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren beschäftigt haben. Es gibt kaum eine Fabrik in Deutschland, die nicht auf Rationalisierung oder Reorganisation gesetzt hat in der Hoffnung, den neuen Anforderungen auf den Märkten gerecht zu werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind oft radikale oder sogar revolutionäre Schritte erforderlich gewesen.
Die vielen Reorganisationen und Anpassungen haben vielfältige Auswirkungen. So müssen sich immer weniger Mitarbeiter mit einer wachsenden Anzahl komplizierterer Maschinen auseinandersetzen, um immer höhere Ziele zu erreichen. Hinzu kommen Probleme mit der Wartung der Maschinen und Anlagen. Die Instandhaltungstruppen, die für die Anlagen verantwortlich sind, blieben von den Rationalisierungen nämlich ebenso wenig verschont. Entweder wurden sie reduziert oder ganz aufgegeben und sind auf neudeutsch „outgesourct“ worden. Kein Wunder, dass es mal knirscht und knackt in der Fabrik.
Vor diesem Hintergrund sollen nun die Anlagen auf „Null-Störung“ und „Null-Defekte“ getrimmt werden. Wo soll man anfangen? Wie immer, wenn es um die Lösung komplexer Aufgaben geht, muss man sich zunächst einen Überblick verschaffen. Die Ausmaße der Unwirtschaftlichkeit sind in vielen Fällen zunächst nicht offensichtlich. Zwei Dinge führen zu dieser getrübten Wahrnehmung der Situation.
Erstens: Überkapazitäten und Bestände verdecken viele Probleme, so dass sie erst gar nicht als Verlustquelle erkannt werden. Sie können sich die Situation wie den Wasserspiegel eines sumpfigen Geländes vorstellen, das Sie trockenlegen wollen. Bevor Sie das Wasser nicht abgepumpt haben, können Sie nicht sehen, wie viele Steine Sie aus dem Sumpfgelände ausräumen müssen, ehe Sie das Terrain nutzen können. Das Wasser ist in diesem Fall gleichbedeutend mit den Überkapazitäten der Anlagen oder den hohen Beständen, die Steine und Unebenheiten sind dagegen die Verluste und Verschwendungen der Betriebsorganisation und der -abläufe.
Fig. 2.1 – Sumpf der Unwirtschaftlichkeit
Zweitens bestehen mangels optimaler Organisationsstrukturen oder durch fehlende Ausbildung und Motivation der Mitarbeiter Unklarheiten über die Zielsetzung des Unternehmens. Diese Unklarheiten liegen wie Nebel über dem Sumpfgelände – um bei dem zuvor entworfenen Bild zu bleiben – und verschleiern den Blick auf das Wesentliche. Es gibt sicher viele Gründe, warum wir in der Vergangenheit nicht so genau hingesehen haben, aber jetzt gilt es, unter TPM das Gelände zu räumen und etwas Wertvolles aus diesem Land zu machen. Der Nebel muss aufgelöst, das Gelände trockengelegt und die Steine und Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, damit wir eine bessere Wirtschaftlichkeit erreichen. Unter TPM wird das Hauptaugenmerk auf die Maschinen und die damit in Verbindung stehenden Verluste gelegt. TPM benutzt die Verbesserungen im Bereich der Maschineneffektivität als Hebel für die gesamte Leistungsfähigkeit der Organisation. Nun wollen wir uns den Sumpf der Unwirtschaftlichkeit genauer anschauen.
2.2 DIE HAUPTVERLUSTQUELLEN
In unserem Sumpf der Unwirtschaftlichkeit gibt es einige Steine und Hindernisse, die im Verborgenen liegen und die erst entdeckt werden müssen, bevor man sie ausräumen kann. Die größten Hindernisse sind die Hauptverlustquellen. Diese sind verantwortlich für die größten Verluste und verhindern eine optimale Leistungsausbeute der Maschinen. Die Hauptverlustquellen an technischen Anlagen fallen zwar in verschiedene Kategorien und sind von Prozess zu Prozess unterschiedlich, es gibt aber Gruppen von Verlusten, die an allen Anlagen die häufigsten oder größten Leistungsfresser darstellen. Sie werden häufig als die „sechs größten Verluste“ behandelt. Diese Verlustarten unterteilen sich in:
» Anlagenausfälle/technische Störungen
» Rüst- und Einrichtungsverluste
» Leerlauf und Kurzstillstände („Störchen“)
» Verringerte Taktgeschwindigkeit
» Anlaufschwierigkeiten/Ausbeuteprobleme
» Qualitätsverluste, Defekte und Nacharbeit
In dem nachfolgenden Abschnitt wird jede dieser Hauptverlustquellen kurz beschrieben. Außerdem wird anhand von Beispielen jeweils gezeigt, wie Anlagenleistung dadurch verloren geht. Obwohl die Beispiele kommentiert werden, geht es hier nicht darum, die genauen Ursachen aufzuzeigen beziehungsweise die Lösung des Problems zu entwickeln. Vielmehr sollen die Verlustarten eingehend beschrieben werden und die Weise, wie sie wahrgenommen werden. Verbesserungsansätze zu den jeweiligen Verlustarten werden im nächsten Kapitel behandelt
Fig. 2.2 – Die Hauptverlustquellen
1) Anlagenausfälle/technische Störungen
Die schwerwiegendsten Probleme, die meist auch den größten Leistungsverlust der Anlagen zur Folge haben, entstehen durch eine Funktionsstörung oder einen ungeplanten Stillstand an den technischen Einrichtungen. Hier gilt es, zwei Gruppen zu unterscheiden: die technischen Störungen der Maschine und die organisatorischen Unzulänglichkeiten, die zu einem Stillstand der Einrichtungen führen.
Zu den organisatorischen Problemen, die zu ungeplanten Produktionsausfällen führen, gehören fehlende Aufträge, fehlende Materialien (Rohstoffe oder halb fertige Produkte), fehlendes Personal oder Personal mit der falschen Qualifikation.
Technische Störungen, die zu Stillständen führen, resultieren aus einem Ausfall kritischer Funktionen der Maschine oder Anlage. Die Maschine fällt dann für den Produktionsprozess komplett aus und ihre Arbeitsleistung geht verloren.
Beispiel: Eine Kette für die Kraftübertragung in einer Maschine reißt, die Produktion muss sofort angehalten werden und die Techniker der Fabrik für die Reparatur eingespannt werden. Die Produktion kann erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Reparatur abgeschlossen ist.
2) Rüst- und Einrichtungsverluste
Sie entstehen in der Zeit, die durch das Rüsten oder Umbauen einer Maschine verloren geht inklusive der zusätzlichen Justierungszeit, die erforderlich ist, um von einer Produktsorte auf eine andere umzustellen. Teilweise müssen nur die vorhandenen Einstellungen der Maschine von den alten Produktvorgaben auf die Dimensionen des neuen Produkts angepasst werden. Bei anderen Rüstvorgängen müssen diverse Teile der Maschine ausgetauscht werden, um das neue Produkt fahren zu können. Faktoren wie Leerfahren der Maschine, Transport von neuen Materialien, Produktionsfreigaben usw. gehören alle zu dem Umbau dazu.
Beispiel: Eine Abfülllinie für flüssige Reinigungsmittel wird von einer Ein-Liter-Flasche auf die Abfüllung einer 500-Gramm-Flasche umgerüstet. Alle Füllköpfe müssen ausgetauscht werden, sämtliche Flaschenführungen auf die kleineren Flaschen eingestellt werden und die Maschine mit den ersten Flaschen feinjustiert werden.
3) Leerlauf und Kurzstillstände („Störchen“)
In fast allen technischen Einrichtungen gibt es im täglichen Ablauf kleinere Unterbrechungen oder Problemchen, die wie ein „Schluckauf“ plötzlich erscheinen und dann wieder verschwinden. Mit der Zeit werden solche Kleinigkeiten toleriert, ja sogar akzeptiert, und gehören mit zum Ablauf. Werkstücke bleiben ab und zu hängen, Maschinen melden Störungen, aber das Produktionspersonal sieht kein richtiges Problem. Nach ein paar Sekunden läuft der Prozess wieder.
Beispiel: Bei der automatischen Zufuhr von Werkstücken bleibt etwa jedes zehnte Teil hängen. Der Operator an der Maschine kennt das und organisiert seine Arbeit so, dass er regelmäßig in der Nähe ist und die hängenden Teile mit der Hand schnell befreien kann. Die Maschine geht nur kurz in Wartestellung und läuft weiter, sobald wieder Material zugeführt wird.
4) Verringerte Taktgeschwindigkeit
Maschinen werden gekauft, um gewisse Leistungen abzuliefern. Die versprochenen Leistungen liegen den Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Anschaffung der Maschine zugrunde. Oft werden die Maschinen entweder dauerhaft oder zeitweilig mit einer reduzierten Leistung betrieben. Schwankende Taktzeiten werden in der Regel nicht sofort registriert, der geplante Soll-Takt der Maschine wird angenommen und die Abweichungen bleiben verborgen.
Beispiel: Eine Kisten-Falt-Maschine der Papierindustrie ist für 10.000 Kisten pro Stunde gekauft worden. Bei Auftrag A wird sie mit 9.000 gefahren, weil das Produkt zwar einfach ist, aber der Operator der vollen Geschwindigkeit der Maschine nicht traut. Bei Produkt B wird die Maschine deshalb von vornherein mit 6.000 Kisten pro Stunden eingestellt, weil das Produkt etwas schwierig ist und eine optimale d.h. in diesem Fall...