Nicolaus Steno
(* 1. 1. 1638 Kopenhagen, † 25. 11. 1686 Schwerin)
Nicolaus Steno wird häufig »Vater der Erdwissenschaften« genannt. Er ist jedem Geologen durch sein »stratigraphisches Grundgesetz« (= »Lagerungsregel der Schichten«) ein Begriff, den Paläontologen durch seine Untersuchungen an (fossilen) Haifischzähnen und den Mineralogen durch das »Gesetz konstanter Winkel«. Steno hat Grundlegendes erkannt und so formuliert, dass es in einer Welt der aufkommenden (Natur-)Wissenschaften zum Basiswissen wurde.
Niels Stensen (latinisiert Nicolaus Steno) wurde am 1. Januar 1638 (nach dem in Deutschland und Dänemark erst seit 1700 übernommenen Gregorianischen Kalender: 11. Januar) in Kopenhagen als Sohn des wohlhabenden Goldschmieds Sten Pedersen und dessen Gattin Anna Nielstochter geboren. Die Kindheit und Jugend verbrachte Steno, der bereits im Alter von sechs Jahren seinen Vater verlor, in der Geburtsstadt Kopenhagen. Zwischen 1646 und 1656 besuchte er hier als Lateinschüler die Liebfrauenschule. Von Kindheit an verband Steno eine enge Freundschaft mit Henrik Jakob Paulli (1637–1702), dem Sohn des königlichen Leibarztes und Professors für Anatomie, Chirurgie und Botanik an der Universität Kopenhagen Simon Paulli (1603–1680). Es ist leicht vorstellbar, dass über die jugendliche Freundschaft zu Henrik Jakob Paulli, der später Anatom und Diplomat in dänischen Diensten wurde, das Interesse an der Anatomie des menschlichen Körpers im jungen Nicolaus Steno geweckt wurde. Eine Vorliebe für Theologie dagegen scheint Steno zu dieser Zeit noch nicht entwickelt zu haben, wenngleich sich unter den Vorfahren väterlicherseits mehrere lutherische Pastoren nachweisen lassen.
In den Jahren von 1656 bis 1659 studierte Steno an der Universität Kopenhagen, wo bereits 1645 Simon Paulli ein Theatrum Anatomicum (amphitheaterartiger Hörsaal für Sezierungen) eingerichtet hatte. 1659 wechselte er für einige Monate nach Rostock, ging aber bereits im Frühjahr 1660 nach Amsterdam, wo er nebenbei auch bei einem Arzt arbeitete. Am 27. Juli 1660 immatrikulierte sich Steno an der Universität in Leiden, wo er sich nun drei Jahre aufhielt, um seine medizinischen Studien zu vervollständigen. In dieser Zeit galt sein Interesse insbesondere den tierischen und menschlichen Drüsen und Muskeln. Durch seine Sezierungen wusste Steno bereits, dass das Drüsensekret aus dem arteriellen Blut stammt und sich durch Ausführungsgänge in die Körperhöhlen ergießt, während die Lymphe in das Venensystem entleert wird. Noch vor der Verleihung des Doktorgrades im Dezember 1664 an der Universität Leiden entdeckte er den nach ihm benannten »Ductus stenonianus«, den Auslass der Ohrspeicheldrüse. Seine Untersuchungen der Muskeln und die dabei gewonnenen Erkenntnisse führten ihn unweigerlich zum Herzen. 1664 erschien die diesbezügliche Publikation »De musculis et glandulis observationum specimen«. Steno erkannte darin, »dass dem Herzen nichts fehlt, was einem Muskel zukommt, und dass man im Herzen nichts findet, was man nicht auch in jedem Muskel nachweisen kann«. Mit der Feststellung »cor vere musculum esse«, die die von René Descartes (1596–1650) verteidigte Vorstellung widerlegte, das Herz sei der Sitz der Lebensgeister (»spiritus vitales«), wurde Steno in ganz Europa bekannt. Danach, in den Jahren 1664 bis 1666, war Steno überwiegend in Frankreich (Paris, Montpellier) als Chirurg tätig. Durch seine öffentlichen Sezierungen und Vorträge gelangte er zu weiterer Berühmtheit.
Kurzfristig nach Kopenhagen zurückgekehrt, um nach dem Tod seiner Mutter Erbschaftsangelegenheiten zu regeln, brach Steno, einer Einladung des Großherzogs Ferdinand II. von Toskana (1610–1670) folgend, im Frühjahr 1666 nach Florenz auf, wo er eine Anstellung als Leibarzt des Großherzogs antrat und zugleich auch eine Stelle am Hospital Santa Maria Novella annahm. Wenig später wurde er Mitglied der gefeierten Accademia del Cimento, der einige der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit angehörten.
Der mehrjährige Aufenthalt am Hof der Medici sollte den weiteren Lebensweg Stenos entscheidend prägen: Am 7. November 1667 war Steno durch den Einfluss einer Nonne, die in der Apotheke des Hospitals Santa Maria Novella tätig war, zum katholischen Glauben konvertiert. In zahlreichen Gesprächen und (Streit-)Schriften, die Steno zu Papier brachte, führte er die Argumente für diesen Entschluss aus.
In jenem Jahr kam es aber auch für die geologische Wissenschaftsgeschichte durch Nicolaus Steno zur »geologisch-paläontologischen Schlüsselerfahrung«, als man dem dänischen Gelehrten den Kadaver eines an der Küste gestrandeten Hundshais von exzeptioneller Größe zutrug. Steno machte sich sofort an das Sezieren der Haut, der Muskel, des Gehirns etc. und untersuchte schließlich auch die Zähne des Hais. Noch im selben Jahr (1667) veröffentlichte er eine dem Großherzog gewidmete Schrift »Canis carchariae dissectum caput«, in der er die Zähne mit den aus den tertiären Mergeln von Malta bekannten »Glossopetren«, den »Zungensteinen« (griech. glossa = Zunge, petra = Fels) verglich. Steno schrieb: »Viele bedeutende Männer glauben, dass besagte Körper im Gestein nichts mit tierischer Herkunft zu tun haben« – sie wurden zu dieser Zeit eben allgemein als »ludi naturae« (also als willkürliche Produkte, als »Spiele der Natur«) gedeutet.
Wenn nun aber die Glossopetren fossile Haifischzähne waren, in welcher Beziehung zu ihnen stand dann das sie umgebende Gestein? Dieser Frage nachgehend unternahm Steno Wanderungen durch die Toskana, wo er verschiedene Gesteinsschichten untersuchte. Seine Beobachtungen und Überlegungen teilte er in der berühmten Publikation des Jahres 1669 »De solido intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus« [»Vorläufer einer Dissertation über die in Festgestein natürlicherweise enthaltenen festen Teile«] der Fachwelt mit. Ablagerungen mit Austern deutete er als Bildungen eines ehemaligen Meeres, Schichten mit pflanzlichem Material dagegen erklärte er durch einmündende Flüsse, übereinanderliegende Schichten unterschiedlichen Materials führte er auf klimatische Änderungen oder auf durch Strömungsverlagerungen veränderte Verhältnisse des Ablagerungsraumes zurück.
Zudem formulierte Steno im »Prodromus« eines der wichtigsten geologischen Grundgesetze, das »Lagerungsgesetz«: (1) Jede Gesteinsschicht kann sich nur auf einer festen Unterlage bilden. (2) Die untere Schicht musste folglich fest sein, ehe sich die darüberliegende, jüngere Schicht bildete. (3) Eine Gesteinsschicht muss bei der Bildung durch feste Körper begrenzt sein, oder sich über die gesamte Erde ausbreiten. (4) Während der Bildung einer (sedimentären) Gesteinsschicht kann sich darüber nur Flüssigkeit, aber kein Gestein befunden haben.
Ein weiteres Gesetz formulierte Steno als Ergebnis von Untersuchungen an Quarzkristallen: das »Gesetz der Winkelkonstanz«. Es besagt, dass Kristalle einer Mineralart unabhängig von ihrer Gestalt und Größe immer konstante Winkel ihrer Kristallflächen aufweisen, und zwar unabhängig von ihrer Größe oder Form (»non mutatis angulis«). Er postulierte, dass dies eine Eigenschaft aller Mineralkristalle sei, und legte damit das Fundament für die moderne Kristallographie (= Wissenschaft von den Kristallen, ihrer Struktur und Entstehung).
Bereits im »Prodromus« kündigte Steno seine Rückkehr nach Kopenhagen an, um dem Ruf König Christians V. von Dänemark (1646–1699) an das Theatrum Anatomicum in Kopenhagen zu folgen.
Bevor Nicolaus Steno seine Rückkehr in den Norden antrat, widmete er sich in den Jahren 1668 bis 1670 mineralogischen Feldforschungen, die ihn zunächst in die Alpen, dann in Bergwerke Oberungarns (der heutigen Slowakei) führten. Reich an wissenschaftlicher Kenntnis und Reputation in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, wirkte Steno auf Wunsch des Königs Christian V. von Dänemark in den Jahren 1672 bis 1674 als Anatom, konnte jedoch wegen seiner katholischen Konfession kein öffentliches Amt bekleiden. Das Angebot des Großherzogs Cosimo III. (1642–1723), zurück nach Florenz zu kommen, um die Erziehung des Erbprinzen zu übernehmen, muss ihm also entgegengekommen sein, und so reiste er im Jahr 1674 wieder nach Italien. Auf dem Weg dorthin nahm er in Hannover, Köln und Amsterdam an mehreren Glaubensdisputationen teil. Bereits wieder in Florenz, empfing er am 13. April 1675 (einem Karsamstag) die katholische Priesterweihe.
Stenos seelsorgerische Tätigkeit erregte die Aufmerksamkeit des katholischen Herzogs Johann Friedrich von Hannover (1625–1679), der ihn in Rom für eine prominente Stelle in Norddeutschland empfahl. Am 19. September 1677 wurde Steno zum Bischof geweiht und zum Apostolischen Vikar des Nordens ernannt, am 7. Oktober 1680 wurde Steno Suffragan des Fürstbischofs von Münster und Paderborn und mit den Aufgaben eines Weihbischofs betraut.
Es folgten schwere Jahre für Steno, heftige Schwierigkeiten mit dem weltlichen Adel, Ärgernisse um Bestechungsskandale bei Bischofswahlen wie auch gesundheitliche Probleme, die ihm stark zusetzten. 1685 erreichte Nicolaus Steno ein von Cosimo III. vermitteltes Angebot, die Missionsstation in Schwerin zu übernehmen. Diese Position nahm er an, da sie seinem Wunsch entsprach, als einfacher Missionar asketisch zu leben. Nur kurze Zeit nach seinem Eintreffen in Schwerin starb Nicolaus Steno allerdings am 25. November 1686 (nach dem Gregorianischen Kalender: 5. Dezember) an den Folgen einer Darmlähmung im Alter von nur 48 Jahren.
Sein Leichnam blieb 12 Tage unbeerdigt, da erst die Bischofskleider herbeigebracht werden mussten. Die Aufbahrung fand am 6....