Die kleine Quelle von Taizé
Du bist nicht mehr allein
Du willst um Christi und des Evangeliums willen dein Leben hingeben.1 Denke daran, dass du auch in deiner inneren Nacht – zusammen mit ihm – dem Licht entgegengehst. Schau nicht mehr zurück2, sondern gehe auf den Spuren Jesu. Er führt dich auf einen Weg des Lichts: »Ich bin …«, aber auch: »Ihr seid das Licht der Welt.«3
Du möchtest vielen Menschen den Weg Jesu Christi bereiten4 und – selbst in den Nächten der Menschheit – ein Feuer entzünden.5
Du weißt, dass Jesus Christus für alle gekommen ist6, nicht nur für einige wenige. Seit seiner Auferstehung ist er ausnahmslos mit jedem Menschen verbunden. Diese Katholizität des Herzens hat Gott in dich gelegt.
Lässt du in dir ein inneres Leben reifen, das weder Anfang noch Ende hat? So wirst du die Pforten der Freude berühren, die Freude, die das Evangelium schenkt und in der jede menschliche Solidarität wurzelt.
Die Erde für alle Menschen in nah und fern zu einem Zuhause zu machen, gehört zu den schönsten Seiten des Evangeliums, die du mit deinem Leben schreiben kannst.
Wenn du nicht an dich selbst denkst, an deine eigenen Interessen, wirst du mitten im Auf und Ab der Menschheitsfamilie deinen Platz finden.
Wirst du dich bemühen, die Menschen zu verstehen, ohne dich von den Wogen des Lebens mitreißen zu lassen?
Gehörst du zu denen, die das Wenige, das sie haben, mit anderen teilen und so auf der Erde eine große Hoffnung aufkommen lassen?
Wirst du mit deinem »Nahezu-Nichts« Versöhnung stiften in der Kirche, diesem Geheimnis der Gemeinschaft?
Das Miteinander trägt dich und spornt dich an. Freue dich, denn du bist nicht mehr allein, du gehst deinen Weg mit deinen Brüdern. Zusammen mit ihnen bist du dazu berufen, ein Gleichnis der Gemeinschaft zu sein.
Das Gebet
Auch wenn du es nicht spürst, die geheimnisvolle Gegenwart Christi verlässt dich nie. Selbst wenn du den Eindruck hast, ein Zweifler zu sein, bleibt in dir das Wunder seiner beständigen Gegenwart. Manchmal wunderst du dich, dass du ihm die Frage stellst: »Was erwartest du von mir?« Dann sage zum Auferstandenen: »Höre auf mein Gebet, auf das Gebet eines Kindes. Lass mich Augenblick für Augenblick dir alles anvertrauen.«
Gott ist nicht auf unser Gebet angewiesen. Es ist ein Geheimnis, dass es ihm so viel bedeutet. Er versteht alle Sprachen der Menschen. Still in seiner Nähe verweilen ist bereits ein Gebet: Deine Lippen bleiben geschlossen, aber dein Herz spricht zu ihm. Durch den Heiligen Geist betet Christus in dir, mehr als du es dir vorstellen kannst.7
Der Geist des Lobpreises lässt uns im gemeinsamen Gebet einen Widerschein des Unsichtbaren erkennen. Du erlebst so etwas wie einen »Sinn-Schock« und beginnst, über die Liebe zu staunen.
Mach dir keine Sorgen, wenn du beim gemeinsamen Gebet manchmal zerstreut bist. Allein dein Dasein bringt zum Ausdruck, dass du den lebendigen Gott erwartest. Und das ist eine Einstimmung auf die Kontemplation.
Im Lauf des Tages wird dein Arbeiten und Ruhen getragen vom Wort Gottes.
Erinnere dich an das alte Gebet: »Der Herr sei gepriesen! Er rettet mich vor meinen Feinden.«8 Und zum Versucher wage zu sagen: »Für dich habe ich keine Sekunde Zeit!«
Christus schenkt sich in der Eucharistie und kann so angebetet werden. Auch auf diese Weise ist er da für dich, der du arm und hilflos bist.
Komm und folge mir nach!
Wenn das Vertrauen des Herzens der Anfang von allem wäre …
Das Vertrauen auf Gott, der Glaube, ist etwas ganz Einfaches, so einfach, dass jeder ihn annehmen kann. Er ist wie ein Anlauf, den man tausendmal nimmt.
Denke daran und vergiss es nie mehr: Niemals setzt Gott seinen Willen mit Drohungen durch. Niemals will Christus, dass jemand gequält wird. Wenn das Leben aus Gott für dich mit Angst verbunden ist, dann hinterfrage dich.
Gott ist nur Liebe.9 Was seine Liebe will, ist kein auf Steintafeln gemeißeltes Gesetz, sondern durch den Heiligen Geist tief in das menschliche Herz eingeschrieben.10 Ohne dass du bemerkt hast, wie, ist dir eines Tages bewusst geworden, dass in der Tiefe deines Wesens bereits ein Ja eingeschrieben ist. Und du hast dich entschieden, auf dem Weg Christi voranzugehen. In der Stille, in der Gegenwart Christi hast du sein Wort vernommen: »Komm und folge mir nach!11, ich zeige dir, wo dein Herz Ruhe findet.« Und auf einmal hattest du den Mut, ein Ja zu sagen, das bis zu deinem letzten Atemzug gilt.
Christus könnte dir sagen: »Was habe ich alles durchgemacht! Ich habe die Güte und Großzügigkeit des menschlichen Herzens kennengelernt. Mehr als einmal bin ich dem Versucher begegnet. Trotz aller Prüfungen bin ich so weit gegangen, mein Leben hinzugeben.«
Ein Ja für das ganze Leben
Das Ja hält wach. So unvollkommen es auch sein mag und so groß der Anteil menschlicher Begrenztheit zu Beginn auch war, das Feuer seiner Liebe verzehrt all dies.
Lass die Flamme brennen, die nie erlischt; und in dir wird das Ja zu einem Feuer.
Mit unserem Ja zur Ehelosigkeit geben wir unser Leben hin … und wir stellen mit Erstaunen fest, dass wir fähig werden, über uns hinauszugehen. Unser Herz mit seinen Gefühlen und seiner Einsamkeit schlägt weiterhin, aber ein Anderer verklärt es. So kann deine Seele singen: Christus gehöre ich, aus Christus lebe ich.12
Der Diener der Gemeinschaft
Der Diener der Gemeinschaft steht in der Mitte der Communauté, er richtet den Blick seiner Brüder immer wieder darauf aus, ein Gleichnis der Gemeinschaft zu verwirklichen.
Zusammen mit seinen Brüdern bemüht er sich zu erkennen, was Gott in seiner Liebe will.
Er, wie auch seine Brüder, ist angewiesen auf die Gaben der Unterscheidung, den Geist der Barmherzigkeit und eine unerschöpfliche Güte des Herzens.13
Er bestimmt einen Bruder, der für die Zeit nach ihm die Kontinuität gewährleistet.
Der Bruderrat
Zum Bruderrat versammeln wir uns – gleichsam wie Arme, die alles von Christus erwarten – in innerer Stille und bereit, in unserer gemeinsamen Berufung die Frische des Evangeliums neu zu entdecken. »Wir streben nach der Fülle der Gaben des Geistes, um damit die Gemeinschaft aufzubauen.«14
Nichts lähmt so sehr wie ein autoritäres »Man muss«. Diskussionen über alles und nichts bauen kein gemeinsames Leben auf. Wie können Menschen, die auf dem Weg zu Christus sind, immer wieder neuen Schwung finden, wenn sie im Sumpf des Zauderns und Zögerns steckenbleiben?
Die Mahlzeiten
Jede Mahlzeit kann zu einem Moment brüderlicher Gemeinschaft werden.
Zeiten der Stille bei Tisch schenken den Frieden des Herzens.
Die Einfachheit der Speisen erinnert daran, dass wir uns dafür entschieden haben, mit den Armen zu teilen.15
Die neuen Brüder
Um die Berufung mit all ihren Konsequenzen zu begreifen, brauchen die neuen Brüder eine Zeit persönlicher Reifung.
Einige Brüder haben den Auftrag, ihnen zuzuhören und sie vorzubereiten auf ein Ja für das ganze Leben.
Die ausgesandten Brüder
Die ausgesandten Brüder sind berufen, Zeichen Christi und Träger der Freude zu sein.
Die Gegenwart Christi in der Eucharistie kann aus ihrem Lebensraum, so ärmlich er auch sein mag, einen bewohnten Ort werden lassen.
Du teilst das Leben der Armen. Ist dir genügend bewusst, dass Gott allein schon durch deine Anwesenheit etwas vom Leid der Menschheitsfamilie verwandeln kann?
Wo immer du bist, du trägst in dir denselben Ruf wie deine Brüder. Achte also darauf, durch dein Leben ein Widerschein der Berufung unserer Communauté zu sein.
Gastfreundschaft
Finden die Gäste, die wir Tag für Tag aufnehmen, in uns Menschen, die Christus, der unser Friede ist, ausstrahlen?
Da wir berufen sind, vielen Menschen Gastfreundschaft zu gewähren, ist es wichtig, dies im Geist der Unterscheidung zu tun. Jede Vertraulichkeit mit Einzelnen würde einen Schatten auf unsere Berufung legen.
Einige Brüder, welche die Gabe der Unterscheidung haben, sind dazu bestimmt, denen zuzuhören, die sich jemandem anvertrauen möchten. Anderen zuhören bedeutet nicht so sehr, Ratschläge zu erteilen, sondern für Christus, unseren Herrn, in ihnen Wege zu bereiten.16 Dabei stellt sich erneut die Frage: Kennen sie genügend ihre inneren Ressourcen, die Gaben, die sie in sich tragen?
Das Geheimnis des Glaubens
Dein Leben hat seine Wurzeln in einer Gemeinschaft, die Teil der Kirche ist. So kannst du beten: »Jesus, meine Freude, meine Hoffnung, mein Leben, schau nicht auf meine Sünden, sondern auf den Glauben, das Vertrauen deiner Kirche. Mach mich innerlich bereit, dem Geheimnis des Glaubens Vertrauen zu schenken, so wie es zu aller Zeit die Glaubenszeugen taten: von den Aposteln und Maria bis hin zu den Glaubenden unserer Tage.«17
Der Friede des Herzens
Der Friede deines Herzens macht den Menschen um dich herum das Leben schön.
In den Sorgen aufzugehen war nie ein Weg des Evangeliums. Seinen Glauben auf quälende Unruhe zu gründen, würde bedeuten, »sein Haus auf Sand bauen«18.
Hörst du jederzeit die Worte Christi, der sagt:...