3. Kapitel
Hashimoto und die Kilos
Hashimoto hat unendlich viele Gesichter. Jeder Betroffene und jede Betroffene hat unterschiedliche Symptome, die sich ständig verändern (können). Einige habe ich bereits genannt: man fühlt sich schlapp, frustriert und antriebslos, die Gelenke tun weh, Hände und Füße fühlen sich zeitweise an wie nutzlose Klumpen, die Verdauung funktioniert nicht, man kann nicht schlafen, die Haare fallen einem aus und viele Frauen bleiben ungewollt kinderlos. Ein Thema aber, das die meisten stört, ist und bleibt die Gewichtszunahme. Auch wenn die meisten Patienten noch zig andere Probleme haben, am Ende fast jeder Mail und jedes Briefes, die ich in den letzten Monaten bekommen habe, stand, dass die ungewollt dazugewonnenen Pfunde das Leben mit Hashimoto noch schwieriger machen. Und die oder den Betroffenen noch unglücklicher und hoffnungsloser. Und am allerschlimmsten: Das Selbstbewusstsein leidet ungemein. Man fühlt sich ja nicht nur in seiner eigenen Haut nicht mehr wohl, sondern wird noch dazu von anderen blöd angeguckt: Die Umgebung betrachtet die zunehmende Fülle meist argwöhnisch und reagiert durchaus gelegentlich mit hämischen Kommentaren. Niemand, der nicht unter der gleichen Problematik leidet, kann oder möchte glauben, dass man sich abends nicht doch heimlich eine Tüte Chips, Schokolade, Eis oder ein paar Cheeseburger einverleibt. Es ist einfach für viele nicht nachvollziehbar, dass manche Menschen zunehmen, ohne mehr oder anders zu essen. Deshalb möchte ich endlich einmal eine Lanze brechen, schon allein, weil es mir genauso ging, jahrelang! Ich will, dass Sie sich nicht mehr verstecken und schlecht fühlen.
Die meisten essen »richtig«, und es tut sich doch nichts! Meine wichtigste Lektion war, das schlechte Gewissen loszuwerden. Das war auch mit das Schwierigste am ganzen (Lern-)Prozess. Steht man morgens auf der Waage und hat ein Kilo mehr drauf, muss man etwas falsch gemacht haben. Dieses Denken steckt ganz tief drin, das hat man von klein auf gelernt und liest es heute in jeder x-beliebigen Frauenzeitschrift. Es kann schließlich gar nicht anders sein: Man muss schwach geworden sein. Ich habe nicht nur eine Waage mutwillig zerstört in meinem Frust.
Eigentlich weiß ich schon vor dem Draufstellen, ob es heute gut aussieht oder schlecht. Ob die Zahl höher ist als gestern oder niedriger. Aber selbst wenn ich ein mieses Gefühl habe, weil meine Oberschenkel aneinanderreiben und mein Bauch von oben aufgequollen aussieht, selbst dann hoffe ich meist noch, dass sich mein Bauchgefühl irrt. Aber die Hoffnung wird eigentlich immer enttäuscht. Die Zahl ist unerbittlich ehrlich.
Was habe ich schon Tränen vergossen in den letzten Jahren in meinem gelb gekachelten Bad! Wie oft saß ich nach dem morgendlichen Wiegen flennend zusammengekauert auf dem Boden im Badezimmer, den Rücken an die Heizung gepresst, vor mich hin wimmernd. Da bricht jedes Mal eine Welt zusammen. Kennen Sie dieses besch… Gefühl auch? Das müssen wir loswerden. Denn es macht unglücklich und stresst Sie und Ihren Körper noch mehr. Und das wiederum macht dick, alt und krank. Ein Teufelskreis, aus dem es einen Ausweg gibt.
Gewicht hängt logischerweise immer auch irgendwie mit essen zusammen, meint man. Tut es in meinem Fall aber (zumeist) nicht. Das musste ich lernen. Sicher gibt’s da Ausnahmen, auch bei mir … Über Weihnachten oder über eine tolle Einladung mit fünf Gängen inklusive Dessert und so weiter – da brauchen wir nicht drüber zu verhandeln. Das muss man sich ab und zu auch mal gönnen. Es geht nicht um Omas Geburtstag oder das Hochzeitsessen der besten Freundin. Oder die Weihnachtsplätzchen, bei denen man mal großzügig zugreift, wenn es einen gemütlichen Kaffeeklatsch am Sonntagnachmittag gibt. Das ist ja nicht der Alltag. Und deshalb sage ich Ihnen: Sie haben keine Schuld! Es passieren Dinge in Ihrem Körper, die dafür verantwortlich sind, dass Sie regelmäßig aufgequollen und mit geschwollenen Händen, Füßen, dicken Augenringen und einem Plus auf der Waage in den Tag starten (müssen!). Und mir geht es da nicht anders!
Was genau der oder die Hintergründe sind, das gilt es zu entschlüsseln. Die nötigen Hinweise liefere ich Ihnen in den folgenden Kapiteln. Und dann müssen Sie handeln! Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht erschrocken. Die Ärmel hochkrempeln und was ändern, darum geht es in diesem Buch. Ärzte helfen Ihnen nicht? Mir auch nicht, jedenfalls die meisten. Deshalb müssen wir selbst etwas tun. Das ist nicht einfach, ich weiß. Aber gerade wenn es Ihnen besonders schlecht geht, ist das der einzige Weg aus dem Schlamassel. Ich bin ja bei Ihnen.
Als Erstes muss ich leider alte Klischees aufbrechen, vor allem eines: Mit einer schlecht eingestellten Schilddrüse (oder dem, was davon noch übrig ist), hat das Hashimoto-Gewichtsjojo eher weniger zu tun. Es tut mir leid, wenn ich Sie damit einer (von den Ärzten inszenierten) Illusion berauben muss.
Sicher, rutscht man in der Anfangsphase der Krankheit in die Unterfunktion, stagniert der Stoffwechsel. Fette und Kohlenhydrate werden nicht mehr verbrannt, sondern stattdessen in den Depots des Körpers gelagert. Am Popo, an den Oberschenkeln, an den Hüften, dem Bauch, im Gesicht, den Oberarmen. Einfach überall da, wo man es nicht haben will. Da kann man Sport treiben, fasten, diäten so viel man möchte. Das Gewicht steigt meist stetig an, egal, wie sehr man sich bemüht. Nimmt man dann die heiß ersehnten Schilddrüsenhormone, versprechen einem die Ärzte, dass die Pfunde garantiert wieder wie von allein purzeln. Mir ging es nicht so, auch wenn ich zu den Glücklichen gehöre, die von Anfang der Behandlung an zum stoffwechselinaktiven T4 (zum Beispiel L-Thyroxin von Henning) das stoffwechselaktive Schilddrüsenhormon T3 (zum Beispiel Thybon von Henning)verschrieben bekommen haben! Auch viele andere Hashimoto-Patienten, mit denen ich gesprochen habe, mussten leider die gleiche Erfahrung machen. Selbst wenn es ihnen allgemein besser ging mit den Hormonen, beim Gewicht bewegte sich nichts oder zumindest nicht im ersehnten Maß.
Denn unser Körper ist nun einmal keine Maschine: Pillen reingeworfen, Problem gelöst! Das funktioniert nicht. Auch wenn viele Ärzte genau das ihre Patienten gern glauben machen wollen. Wäre ja auch bequemer. Und wenn’s nicht funktioniert, dann ist definitiv nicht Hashimoto schuld. Das hören wir Hashimoto-Patienten immer wieder. Da wird gern und erstaunlich schnell die Psyche ins Spiel gebracht. Oder auch mal eine Ernährungsberatung verschrieben. Ohne Erfolg. Und dann wird man achselzuckend nach Hause geschickt. Nächster Blutentnahme-Termin in einem halben Jahr. »Machen Sie’s gut!« Das kann ja nicht die Lösung sein – und ist sie auch nicht!
Ich sage Ihnen: Hashimoto ist die Ursache für Ihre unerwünschten Kilos. Aber es ist nicht damit getan, die Schilddrüsenhormondosis rauf- und runterzuschrauben. Glauben Sie mir, ich hab das selber jahrelang versucht. Erfolglos! Und mit schlimmen Folgen, unter denen ich heute noch leide: Meine Nebennieren (die Stressorgane unseres Körpers) pendeln zwischen Über- und Unterfunktion, der Darm ist aus der Balance und ich gleich mit. Unser Körper ist ein Gesamtkunstwerk, ein großes, kompliziertes und fragiles System, das es komplett anzuschauen gilt. Und wenn es schon die Ärzteschaft nicht tut, müssen wir Patienten eben selber ran!
Das für viele Mediziner alternativlose Starren auf die Schilddrüsenblutwerte (vor allem auf den TSH-Wert) ist – entschuldigen Sie bitte – totaler Blödsinn. Ich wage sogar zu behaupten, dass das das am wenigsten Ausschlaggebende ist in der Behandlung von Hashimoto. So ist es auf jeden Fall bei mir. Es bringt einfach schlicht und ergreifend nichts! Sie als Patient werden immer unglücklicher und zurecht sauer auf den Herrn oder die Dame im weißen Kittel. Und er oder sie wird immer genervter, weil sich keine Besserung einstellt, man es aber halt immer so gemacht hat. Leider fangen die wenigsten Ärzte in solch einer Situation an zu recherchieren oder sich mit Kollegen auszutauschen. Sonst würde es Ihnen nicht immer noch so schlecht gehen.
Es gibt zwei Faktoren, die an all dem Schlamassel in Ihrem Körper schuld sind und die man sogar als potenzielle Auslöser für diese Autoimmunerkrankung nennen muss: die aus der Balance geratenen Nebennieren und ein kränkelnder Darm (mehr dazu im folgenden Kapitel). Diesen Verdacht hatte ich schon lange. Denn diese beiden (eigentlich drei, man hat nämlich normalerweise zwei Nebennieren) Organe sind meine Hauptbaustellen.
Dass ich damit nicht alleine bin, wurde mir im Austausch mit anderen Betroffenen über die letzten drei Jahre immer deutlicher. Als ich dann das Buch »Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln« von Dr. Datis Kharrazian las – zuerst auf Englisch und dann noch mal auf Deutsch –, war ich sprachlos. Der amerikanische Spezialist führt darin genau meine Erfahrung auf. Und er empfiehlt seinen Lesern und Patienten sogar einige Mittel und Maßnahmen, die auch ich ausprobiert habe. Was für eine Bestätigung! Ich bin also auf der richtigen Spur.
Seien Sie also nicht überrascht: Wir kümmern uns in diesem Buch nicht ums Einpendeln der Schilddrüsenhormondosis. Über die Hintergründe habe ich alles Wissenswerte schon in »Jeden Tag wurde ich dicker und müder« ausführlich berichtet.
Glauben Sie mir, das geht wie von selbst, sind Darm und Nebennieren erst mal wieder einigermaßen in der Spur. Ich habe es während des Schreibens dieses Buches gerade erst selbst wieder am eigenen Leib erfahren. Nachdem ich diverse Stressfaktoren ausgeschaltet hatte (Sie werden überrascht sein,...