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Die Heilige Anna Selbdritt in Italien

Geschichte und Funktion einer Ikonographie

AutorAnja Zeller
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783640925155
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Kunst - Kunstgeschichte, Note: 1,0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Kunstgeschichtliches Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Ikonografie der Heiligen Anna Selbdritt, d.h. Annas, der Großmutter Christi mit ihrer Tochter Maria und dem Enkelsohn, wurde als Ensemble im Hochmittelalter kreiert. Die Voraussetzung hierfür war ein Interesse an Jesu irdischer Abstammung sowie an der Geschichte und Abstammung seiner Mutter, des weiblichen Parts in der patriarchal strukturierten Vater-Sohn-Religion. Der Mutter der Mutter, die zuerst in Jerusalem und Byzanz verehrt wurde, kommt dabei im Laufe der Jahrhunderte eine immer bedeutendere Rolle zu. Sie wird biblischen wie paganen 'Urmüttern' angeglichen und zum legendären Familienoberhaupt der Heiligen Sippe. Während dieser Legendenstrang vor allem im nordalpinen Raum aufgegriffen wurde und im 15. und 16. Jahrhundert, neben der Anna Selbdritt, unzählige bildliche Darstellungen fand, ist in Italien das dreifigurige Familienbild von Großmutter, Mutter und dem Kind vorherrschend, das ab dem Ende des 15. Jahrhunderts aber häufig zu einer Sacra Conversazione erweitert wurde. Die Verehrung der Heiligen Anna wurde in Italien jedoch zu keinem überregionalen Phänomen wie im Norden, sondern blieb auf bestimmte Regionen beschränkt.

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Leseprobe

4.0  Die Ikonografie der Heiligen Anna Selbdritt in Italien


 


Die Fülle der überlieferten Darstellungen der Heiligen Anna Selbdritt hat im deutsch-niederländischen Raum – auch für die Frühphase – in den letzten Jahrzehnten, wie oben ausgeführt wurde, einige wissenschaftliche Beachtung gefunden. In Italien wird das Motiv dagegen meist erst mit der Florentinischen Bearbeitung Masolinos und Masaccios von 1425 wahrgenommen und von den ikonografischen Vorläufern existiert nur eine vage Vorstellung,[146] obwohl Enzo Carli (1961, 1974, 1994) wiederholt eine Chronologie für die Pisanische Malerei des Trecento erstellt hat. Pisa ist als „Hochburg“ des Annenkultes in Italien im 14. Jahrhundert (und vorher, vgl. Kapitel 2) zu nennen, aber auch an anderen Orten sind Darstellungen der Heiligen Anna Selbdritt um diese Zeit zu verzeichnen, etwa in Verona oder in der Region Marken. Von einer überbordenden Verehrung und bildlichen Wiedergabe kann jedoch im Vergleich zum Norden, auch im 15. und 16. Jahrhundert, nicht die Rede sein,[147] obwohl Italien ebenfalls einen Aufschwung des Annenkultes erlebt und einzelne Bildexemplare durch ihre Qualität großes Aufsehen erregen.


 


Während Carli alle toskanischen Beispiele des Quattrocento zu einem Typus vereint,[148] sind meines Erachtens mehrere Schemata deutlich zu unterscheiden, die in dieser Zeit in Italien nebeneinander existieren und für die verschiedene ikonografische Einflüsse geltend gemacht werden können:


 


- Der bekannteste italienische Typus der Anna Selbdritt mit einer vertikal gestaffelten Figurenfolge ist ausschließlich in der Region Pisa und Florenz bis Anfang des 16. Jahrhunderts zu finden.


 


-  Maria auf einem Oberschenkel ihrer thronenden Mutter ist dagegen der einzige Darstellungsmodus in Verona im 14. und 15. Jahrhundert, sowie einer von mehreren in zahlreichen anderen Gegenden (s.u.).


 


-  Vereinzelt tauchen Maria und Kind in besonders inniger Zuwendung quer über beiden Beinen Annas im 14. Jahrhundert auf (Pisa, Siena) sowie Anna, Maria und Jesuskind nebeneinander auf einer Bank (Siena).


 


4.1  Die vertikale Staffelung von Anna, Maria und Kind


 


Während die frühen Anna Selbdritt-Darstellungen in Deutschland und den Niederlanden von französischer Skulptur inspiriert scheinen[149] und bei ihnen archaisierende Tendenzen festzuhalten sind, ist das älteste italienische Beispiel der Ikonografie, wohl ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert, direkt einem byzantinischen Marientypus entlehnt. Auf einer nur 2 cm langen Kamee,[150] die in Modena aufbewahrt wird, sind die drei frontal und vertikal voreinander gestaffelten Figuren Annas, Marias und des Kindes das früheste Beispiel einer Komposition, welche die streng-hieratische Nikopoia um eine Person nach hinten erweitert. Anna thront etwa dreifach so groß wie ihre Tochter auf einem Schemel mit Plaustrum, hält ihre Kinder mittig vor sich im Schoß und hinterfängt sie vollständig. Sie berührt Maria an der linken Schulter, welche wiederum ihren Sohn am Oberschenkel fasst. Die nimbierten Köpfe der drei liegen axial in einer Reihe. Der des kleinen Jesu ist mit einem Kreuz gekennzeichnet. Die rechte Hand hält er im Redegestus vor die Brust.[151] Er ist der fleischgewordene Logos auf dem Sedes sapientiae, wie ihn die romanische Plastik zahlreich übermittelte[152] und der hier durch Anna nach hinten verdoppelt wird. Die genealogische Symbolik ist deutlich: die Großmutter „gebiert“ als die Größte der drei Figuren die kleinere, also jüngere Maria, die wiederum den kleineren Jesus hervor bringt. Mit der Abfolge der Berührungen wird die Deszendenz unterstrichen, die durch die enge Staffelung der Körper bedeutet wird. Die übergroße Ahnin stellt die Basis und Wurzel, den Ursprung der unmittelbaren Generationenfolge dar. Das archaische Thronen und die zentralkompositorische Strenge verweisen wiederum auf die Wurzeln des byzantinischen Kultbildes.


 


Der Akt des Thronens steht, wie Hajo Eickhoff (1993) in seiner Geschichte des Sitzens aufzeigt, in einem uralten Zusammenhang mit dem Akt des Gebärens: die Darstellung der in der Hocke gebärenden Göttin ist das Urbild des Thrones.[153] Die ältesten Mariendarstellungen Byzanz´ geben die Gottesmutter in Anlehnung an die paganen Bildprägungen frontal sitzend wieder. Mit der Anna Selbdritt wird die alte Symbolik genutzt, um auf weit zurückliegende urmütterliche und irdische Wurzeln zu verweisen.


 


Die frühesten bekannten Darstellungen des gestaffelten Typus in Italien, abgesehen von diesem singulären Beispiel der Steinschneidekunst, finden sich in der Pisanischen Malerei ab dem 14. Jahrhundert.[154] In diesem Medium wurde die strenge Axialität der drei hintereinander gestaffelten Figuren aufgelockert, indem die frontal ausgerichtete übergroße Anna nun meist eine Hodegetria-Gruppe, manchmal auch eine Lactans, hinterfängt.

 

4.1.1  Francesco Traini


 


Eine der ältesten erhaltenen italienischen Darstellungen der Anna Selbdritt in der Großkunst[155] ist ebenfalls in Pisa auf dem Mittelbild eines Triptychons, das von Millard Meiss (1933) um 1345 datiert und Francesco Traini[156] zugeschrieben wurde, zu finden.[157] Es stellt für die Region Pisa jedoch eine ikonografische Ausnahme dar.

 

Die Heilige Anna ist hier als riesenhaftes ehrfurchtgebietendes Wesen, das die Bildfläche fast vollständig ausfüllt, frontal in Halbfigur vor Goldgrund wiedergegeben. Maria und Kind sind vor ihrer Brust im Dreiviertelprofil nach rechts gewandt dargestellt, wohl auf ihrem Schoß sitzend gedacht. Die erwachsene aber junge Maria in blauem Mantel sucht liebevollen Kontakt zu ihrem, nur mit einem Lendentuch, bekleideten Sohn. Sie hält ihn rücklings im Schoß, neigt den Kopf an seine Stirn und blickt ihm lächelnd in die Augen.

 

Anna, in rotem Kleid mit weißem Schleier und Kinnbinde, hinterfängt dieses intime Duo kontrastreich mit einem sehr flachen Oberkörper, allein ihr leicht gebräuntes[158] Gesicht ist plastischer ausgearbeitet. Sie ist als alte Frau gekennzeichnet. Dunkle Nasolabialfalten, die über die gesamte Wangenzone in vielen Fältchen wiederholt werden, umgeben ihren leicht lächelnden geschlossenen Mund. Auch ihre Augen liegen in dunkel schattierten Höhlen und schauen starr schielend gerade aus. Durch die übergroße und unplastische Starrheit wirkt sie fern und entrückt, obwohl sie mit der Hand ihre Tochter am rechten Ellenbogen berührt. Die andere Hand hält sie mit einem weiten Ärmel, der ein wenig Raumtiefe schafft, an Jesu Knie. Das Kind wird von Maria an den Hüften gehalten und ist am plastischsten von allen drei Figuren wiedergegeben. Es hat das linke über das rechte Beinchen geschlagen. Der weiche, leicht speckige Bauch ist mit einem übergroßen Nabel versehen. Jesus berührt mit der rechten Hand den Mantel seiner Mutter, in der linken hält er, auf gleicher Höhe über Annas Hand, eine Getreideähre, an der ein Vöglein pickt. Ein großes Korallenamulett hängt um seinen Hals.[159] All diese Symbole verweisen auf die Passion.[160]

 

Mit der flachen entrückten Anna im Hintergrund und dem lebendig verspielten und fleischlichen Christus im Vordergrund wird die Inkarnation des Gottessohns mit den malerischen Mitteln sich steigernder Plastizität von hinten nach vorne bildlich präsent. Während Anna frontal und unbewegt Duecento-Darstellungen zitiert, also archaisierend dargestellt ist, werden an der Mutter-Kind-Gruppe neue Stilmöglichkeiten vorgeführt.[161]

 

Zu Füßen des Kindes, in der rechten unteren Bildecke, befindet sich eine miniaturisierte dominikanische Nonne,[162] die in übereinander geschlagenen Händen ein Buch vor der Brust hält. Die Tafel stammt also aus einem dominikanischen Frauenkloster.

 

Die ungewöhnliche Komposition, welche eine deutliche Trennung der innigen Maria-Kind-Gruppe, hier einer Eleusa, von der legendären Ahnin zeigt, die entrückt und weit entfernt erscheint in ihrer urbildhaften unplastischen Auffassung, aber die Komposition dominiert, hat ihre ikonografischen Wurzeln wahrscheinlich in der deutschen Plastik.[163] Die frühe Regensburger Holzgruppe und ihre Nachfolger sind ähnlich aufgebaut.[164]

 

Auch im Mittelbild eines Polyptychons Luca di Tomés von 1367 in Siena ist eine besonders innige Mutter-Kind-Gruppe deutlich von Anna abgetrennt und quer über ihrem Schoß situiert.[165] Anna umfasst ihre Tochter und das Enkelkind mit beiden Händen, Maria an der Schulter, Jesus am Beinchen, und präsentiert sie dem Betrachter. Anders als bei Traini sitzt Maria hier auf Annas linkem Oberschenkel im Dreiviertelprofil und auch Anna ist im Dreiviertelprofil gegeben und die Kinder befinden sich nicht, wie in Pisa, innerhalb der Körperkonturen Annas. Dies findet wiederum eine ikonografische...

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