Kennzahl D
Bevor es mit der spannenden Vitamin-D-Story losgeht, sind noch ein paar Zahlen und Werte zu klären. Denn der Ausgangspunkt aller persönlichen Verhaltensänderungen sollte die objektive Beurteilung Ihrer Vitamin-D-Versorgung sein. Wie bestimme und beurteile ich diesen Vitamin-D-Status? Wie können Sie wissen, ob Sie genügend oder zu wenig Vitamin D im Körper haben, um all die vielen davon abhängigen Körperfunktionen optimal zu stützen? Eine eindeutige Auskunft darüber kann nur eine Blutuntersuchung geben. Ernährungsanalysen sind völlig ungeeignet, etwas über Ihre eigentliche Versorgung auszusagen!
Bei der Blutwertbestimmung misst man üblicherweise nicht das eigentliche Vitamin D, das auch Cholecalciferol oder kurz Calciol genannt wird, sondern seine Speicherform, das 25-Hydroxy-Vitamin-D, auch als 25-OH-D oder 25OHD abgekürzt. Der Grund ist einfach: Diese Speicherform hat mit 19 Tagen eine recht lange Halbwertszeit. Das heißt es bleibt drei Wochen im Körper stabil. Der 25OHD-Spiegel gibt also am ehesten die Vitamin-D-Versorgung des Körpers während der letzten Monate an. Würde man das ursprüngliche Vitamin D messen, hätte man nur eine Auskunft über die Versorgung der letzten Stunden oder Tage. Entsprechend sollte die Blutentnahme am besten morgens nüchtern erfolgen. Sonst könnte vielleicht wegen einer außerordentlichen Ernährung in den letzten Stunden vor dem Blutzapfen ein unrealistischer Wert gemessen werden.
Ich möchte aus Gründen der Vereinfachung den 25OHD-Spiegel im Blut von nun an nur noch 25D beziehungsweise 25D-Spiegel nennen. Wenn es um die Versorgung geht, bleibt es bei der Bezeichnung Vitamin D.
Nach der Blutentnahme misst das Fachlabor die Konzentration von 25D. Das Ergebnis kann in unterschiedlichen Einheiten angegeben werden: entweder in Nanogramm pro Milliliter (ng/ml), in Mikrogramm pro Liter (μg/l) oder in Nanomol pro Liter (nmol/l).
Ein Beispiel: Das Labor schickt Ihnen das Ergebnis, und es findet sich darauf die Angabe 28 ng/ml. Das heißt die Konzentration von 25D in Ihrem Blut beträgt 28 Nanogramm pro Milliliter. Die alternative Angabe in Mikrogramm pro Liter ändert nichts am Wert: 28 µg/l wären exakt die gleiche Konzentration wie 28 ng/ml.
Wenn der Befund aber in Mol beziehungsweise in Nanomol angegeben ist, müssen wir mit dem Faktor 2,5 umrechnen.
Es gilt:
nmol/l 25D : 2,5 = ng/ml 25D
oder
nmol/l 25D : 2,5 = µg/l 25D
Will man also einen Befund von Mol in Gramm umrechnen, muss man durch 2,5 dividieren:
Beispiel: 70 nmol/l 25D : 2,5 = 28 ng/ml 25D
Will man einen Befund von Gramm in Mol umrechnen, was für unsere Betrachtungen weniger relevant ist, muss man mit 2,5 multiplizieren:
Beispiel: 28 ng/ml 25D x 2,5 = 70 nmol/l 25D
Das Labor wird auch noch anzeigen, ob sich Ihr Befund im Normbereich oder darüber beziehungsweise darunter befindet. Viele Labors geben folgende Werte an:
normal: 20,0–60,0 ng/ml
leichter Mangel: 10,0–20,0 ng/ml
schwerer Mangel: < 10,0 ng/ml
Allerdings lässt sich trefflich darüber streiten, ob eine Konzentration von 20 ng/ml wirklich als »normal« angesehen werden kann. Wie man auf die Idee kam, diesen Wert zu wählen, werden wir später noch beleuchten. Inzwischen weisen immer mehr führende Forscher darauf hin, dass bei Werten unter 30 ng/ml bereits manche Funktionen des Körpers nicht mehr optimal ablaufen und folglich gesundheitlich schon bedenklich wären. Dazu später mehr.
Eines ist unbestritten: Bei 25D-Werten unter 10 ng/ml sollten wirklich alle Alarmglocken läuten. Das deutet auf einen schweren Vitamin-D-Mangel hin. In diesem Fall entkalken die Knochen mit ziemlicher Sicherheit ganz gewaltig. Osteoporose, die schmerzhafte Osteomalazie und Knochenbrüche können die direkte Folge sein. Viele andere Risiken kann man leider nicht so schnell und einfach feststellen …
Nach moderner Sichtweise gilt folgende Einteilung:
- Werte unter 11 ng/ml bedeuten eine ernste Rachitisgefahr für Kleinkinder und Säuglinge.
- Werte unter 20 ng/ml bedeuten einen langfristig relevanten Vitamin-D-Mangel.
- Werte zwischen 30–60 ng/ml bedeuten eine sicher ausreichende Versorgung.
- Werte von 61–90 ng/ml bedeuten eine hohe bis sehr hohe Versorgung.
- Werte über 90 ng/ml bedeuten eine übermäßige Vitamin-D-Versorgung.
- Werte über 150 ng/ml bedeuten eine Vitamin-D-Intoxikation (Vergiftung).
Die Blutanalyse kostet, von Labor zu Labor unterschiedlich, meist im Bereich von 25 bis 35 Euro. Es ist dabei einerseits wichtig, den richtigen Vitamin-D-Wert bestimmen zu lassen, also die Speicherform 25D (25-Hydroxy-Vitamin-D) und nicht etwa die aktive Form 1,25D (1,25-Dihydroxy-Vitamin-D), die für den Vitamin-D-Status des Organismus keine Aussagekraft besitzt und nur bei bestimmten Grunderkrankungen von Interesse ist. Da Vitamin-D-Bestimmungen im medizinischen Alltag zurzeit eher noch ein Schattendasein fristen, ist andererseits vielen Niedergelassenen der besondere Umgang mit dem Probenmaterial nicht geläufig: Das Blutentnahmeröhrchen muss sofort nach der Blutentnahme lichtdicht eingewickelt werden – üblicherweise wird dazu Alufolie verwendet – und bis zur Messung im Labor in dieser Verpackung verbleiben, weil sich Vitamin D unter Lichteinfluss zersetzt und falsch niedrige Messwerte resultieren können.
Der Hausarzt könnte den Vitamin-D-Wert zwar auch auf Kassenkosten bestimmen lassen, wenn er eine geeignete Begründung angibt. Er wird es aber nur selten machen, weil er damit sein Laborbudget belastet und bei einer Überziehung die Kosten dann gegebenenfalls selbst übernehmen müsste. Wer will es dem Arzt verübeln, wenn er Ihre Untersuchungen nicht aus eigener Tasche bezahlen will, weil er von der Kasse in Regress genommen wird? Man fragt sich allerdings, warum die Kassen das nicht routinemäßig bezahlen – könnten sie doch Kosten in Milliardenhöhe einsparen, wenn alle Mitglieder ausreichend mit Vitamin D versorgt wären.
Am ehesten kommt für Sie wohl die Vitamin-D-Bestimmung als sogenannte IGeL infrage. Dieses Kürzel steht für »Individuelle Gesundheitsleistungen«. Das sind Leistungen, die über das vom Gesetzgeber definierte Maß einer »ausreichenden und notwendigen Patientenversorgung« hinaus gehen und daher von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht gedeckt werden. Ärzte dürfen sie aber ihren gesetzlich krankenversicherten Patienten gegen Selbstzahlung anbieten. Der Patient muss vor Erbringung der Leistung über Kosten und Nutzen aufgeklärt und derart beraten werden, dass er die Möglichkeit hat, sich frei für oder gegen das Angebot zu entscheiden.
Was eine fachkundige Beratung auf dem Gebiet Vitamin D angeht, bin ich allerdings sehr skeptisch: Ich gehe davon aus, dass die meisten Ärzte heute immer noch nicht über die große präventive und therapeutische Bedeutung einer adäquaten Vitamin-D-Versorgung aufgeklärt sind. Die Erkenntnisse sind relativ neu und in ihrer Ausbildung an der Uni wird das keine Rolle gespielt haben. Ich habe in den letzten beiden Jahren in meinem Umfeld viele Ärzte und auch Ernährungsberater auf die Vitamin-D-Story angesprochen. Ich habe nur einen Einzigen gefunden, der sich der Relevanz und Brisanz des Themas bewusst war!
Sie müssen also womöglich Ihre ganze Überredungskunst einsetzen. Vielleicht leihen oder schenken Sie auch Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin dieses Buch, damit diese/r sich ein Bild machen kann.
Gehen wir mal vom Idealfall aus und Ihr Arzt oder Ihre Ärztin ist aufgeklärt. Wenn man bei Ihnen zu niedrige oder nicht optimale 25D-Spiegel feststellt, muss therapiert werden. Wie viel, wie lange und auf welche Weise dann Vitamin D zugeführt werden muss, sollten Sie zusammen mit Ihrem Arzt entscheiden. Im letzten Kapitel sind Therapiehinweise abgedruckt, die ich von Prof. Michael Holick, einem der führenden Experten auf der Welt, aus seiner Fachveröffentlichung im New England Journal of Medicine (aus dem Jahr 2007) übernommen habe.
Auf alle Fälle müssen Sie ein paar Monate nach Beginn der Therapie noch einmal eine Laborbestimmung durchführen, um den Erfolg der Therapiemaßnahmen zu überprüfen. Nur so können Sie sicher sein, dass Sie nicht immer noch viel zu wenig 25D im Körper haben und die Dosis erhöht werden muss. Andererseits müssen Sie sich ja auch vergewissern, dass Sie nicht zu viel Vitamin D abbekommen haben. Wobei das Risiko einer Überdosierung bei fachgerechter Therapie verschwindend gering ist.
Nun kommen wir noch zu ein paar anderen Kennzahlen, den Zufuhrempfehlungen. Da Vitamin D ja offiziell unter die Rubrik Vitamine fällt, wird es als essenzieller Nährstoff bezeichnet. Entsprechend wird eine Empfehlung angegeben. Das ist in der Tat lustig, denn Vitamin D ist gar kein Vitamin. Es wurde nach seiner Entdeckung im Jahre 1918 fälschlicherweise der Gruppe der Vitamine zugeschlagen, denn es erfüllt weder die Voraussetzung, ein essenzieller Nährstoff zu sein, wie wir noch diskutieren werden, noch enthält es die für die Vitamine namensgebende stickstoffhaltige Amingruppe. Dennoch geben Ernährungsfachgesellschaften exakte Vorgaben für die »empfehlenswerte Tageszufuhr« mit der Nahrung – als wäre es ein »echtes« Vitamin.
Wie viel Vitamin D brauchen wir – über die Nahrung? Die Ernährungsfachgesellschaften in Deutschland, Österreich und in der Schweiz empfehlen 5 Mikrogramm...