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Die johanneischen Abschiedsreden Jesu

Eine Auslegung von Joh 13-17 unter besonderer Berücksichtigung der Textstruktur

AutorStefan Markus Burkhalter
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783170234789
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Abschied ist ein selbstverständliches Element und Thema menschlicher Existenz. Ist der vom Evangelisten Johannes beschriebene Abschied ebenfalls ein ganz und gar menschlicher Abschied? Wer ist dieser Sich-Verabschiedende überhaupt, von dem es heißt, er habe die Seinen bis ans Ende geliebt (13,1), und was bedeutet dies alles für die Zurückbleibenden? Die vorliegende Arbeit versucht diese und ähnliche Fragen auf der Basis einer synchronen Lektüre bzw. literarisch-rhetorischen Analyse des Textes von Joh 13-17 zu beantworten. Die eruierte chiastische und konzentrische Struktur von Joh 13-17 (mit dem Zentrum 15,1-17) wird sodann inhaltlich wie auch hinsichtlich der narrativen Leserlenkung des Evangeliums interpretiert und kommentiert. Das 'Annehmen' und 'Bleiben' der Jünger in Jesus, was missionarischen Ertrag ermöglicht, wird so zur zentralen Aussage der Abschiedsreden.

Dr. Stefan Burkhalter ist Pfarrer in Basel.

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Leseprobe

Teil I: Hinführung


I. Thematik, Methodik und Aufbau der Arbeit


Der hier in Betracht kommende Textabschnitt aus der Bibel handelt im Wesentlichen von einem Abschied. Dies verrät nicht nur der Titel, mit dem Joh 13–17 in der Bibelübersetzung nach Luther (1984) überschrieben ist („Jesu Abschiedsreden“), sondern auch schon der erste und damit programmatische Vers von Kapitel 13.1 Abschied ist ein selbstverständliches Element und Thema menschlicher Existenz. Kein Wunder also, dass auch Johann Wolfgang Goethe in einem seiner Sesenheimer Lieder darüber gedichtet hat: In „Willkommen und Abschied“2 (erstmals 1775) beschreibt er die aufgewühlte Stimmung und den Wechsel von Freude und Schmerz der Liebenden, der für die Situation des Abschieds bezeichnend ist. Das Gedicht endet mit den Worten:

Ich ging, du standst und sahst zur Erden

Und sahst mir nach mit nassem Blick:

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Der hier nahezu poetisch vollkommen ausgedrückte Wechsel sowie die Spannung von Freude und Schmerz klingt auch in der in Joh 13–17 beschriebenen Abschiedssituation an, sodass sich insbesondere zwei Fragen aufdrängen: ist dieser vom Evangelisten Johannes beschriebene Abschied ebenfalls ein ganz und gar menschlicher Abschied? Und: wer ist dieser Sich-Verabschiedende überhaupt, von dem es heisst, er habe die Seinen bis ans Ende geliebt (13,1)? Für einen grossen Teil des Volkes scheint – nach dem Bericht des Evangelisten – festgestanden zu haben: wäre Jesus tatsächlich von Gott, wäre Jesus tatsächlich der Christus bzw. der Messias, dann würde er sich nicht verabschieden, sondern für ewig bei ihnen bleiben (vgl. 12,34). Mit dieser Argumentation drückt das Volk zweifelsohne vor allem Unmut und Unverständnis gegenüber dem Zeugnis Jesu vom Vater und dessen Liebe aus. Denn: wie kann dieser liebende Vater und sein Gesandter es nun in seiner erlösungsbedürftigen Existenz allein lassen?

Auch eine heutige Lesergemeinde steht in dieser Spannung des leiblich absenten Jesus und der Sehnsucht nach der Verwirklichung der schon vor Zeiten verheissenen ewigen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch (vgl. Ps 89,37; Ez 37,25) und fragt sich: inwiefern kann Gott der Liebende sein, wenn er doch immer wieder so fern erscheint? Und: was bedeutet es, wenn Jesus sagt, er wolle den Seinen ganz nah, ja in ihnen sein (vgl. 14,20 u.a.)?

Im Blick auf das Selbstverständnis der Kirche stellen sich mit dem Abschied Jesu existentielle Fragen, deren Antwortmöglichkeiten im Textabschnitt angebahnt werden.

Während einzelne Sätze und Verse aus dem Abschnitt Joh 13–17 einen sehr hohen Bekanntheitsgrad im Herzen und in der Sprache christlicher Frömmigkeit gefunden haben (14,2; 15,5.13; 17,21 u.a.), gehört Joh 13–17 als gedankliches Ganzes wohl „zu den unbekanntesten und besonders schwer zugänglichen Teilen des Neuen Testaments und des Johannesevangeliums“3. Manche Ausleger reden sogar von einer offensichtlichen „Wirkungslosigkeit“4 dieses Textabschnittes – dies vor allem in Anbetracht und im Vergleich zu der immensen Wirkungsgeschichte anderer biblischer Texte (etwa der Bergpredigt). Bedenkt man die durch die Abschiedssituation in Joh 13–17 evozierte Bedeutsamkeit und Aktualität der behandelten Themen, ist solch ein Urteil allemal erstaunlich.

Wer nach einer Erklärung für diese „Fremdheit“ und „Bedeutungslosigkeit“ sucht, sieht sich alsbald mit der Klage über die komplizierten und sprachlich verschlungenen Argumentationsgänge, d.h. die meditativ-kreisende, sich oft wiederholende und „tänzelnde“ Denkweise konfrontiert und vielleicht auch mit der über die im Gegensatz zu den Synoptikern schwerer zugängliche logische Stringenz des Johannes-Evangeliums.5 Dieser in gewissen Punkten sicherlich nachvollziehbaren Einschätzung korrespondiert alsbald die Frage, ob die Jetztgestalt von Joh 13–17 auch ihre Erstgestalt war oder ob dieser Abschnitt (bzw. das ganze Evangelium) nicht einem komplizierten und vielschichtigen Entstehungsprozess ausgesetzt war.6 Nicht wenige urteilen, dass es sich bei Joh 13–17 kaum um einen in sich stimmigen Gesamtzusammenhang handeln kann, in dem ein Element aus dem anderen herauswächst, ein Gedanke zwingend in den anderen übergeht.7

Demgegenüber ist die vorliegende Arbeit der Versuch, Joh 13–17 als gedankliches Ganzes zu lesen und zu verstehen. Damit werden Beobachtungen von sogenannten Spannungen, Stilbrüchen, Wiederholungen und Leerstellen nicht vorab – wie zumeist in historisch-kritischen Fragestellungen – als Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des Textes gelesen, sondern vielmehr wahrgenommen als Aufforderung an den Leser, diese in einem engagierten und kreativen Leseakt aufzunehmen, vermeintliche Widersprüche aufzulösen und somit die Kohärenz des Textes sinnvoll zu wahren. Dies geschieht in der Hoffnung, den vorliegenden Text und seine Strukturen selber zum Sprechen zu bringen, damit sich so der „Schleier der Unnahbarkeit“ lüfte.

Damit steht die vorliegende Untersuchung des Textes methodisch in der Tradition einer synchronen Betrachtungsweise. Das heisst genauerhin, dass der ganze Abschnitt Joh 13–17 zunächst auf textinterne Bezüge, seien sie syntaktischer, semantischer und stilistischer oder thematischer Art, zu befragen ist. Diese Vorgehensweise steht in einem direkten Zusammenhang mit dem aus der Literaturwissenschaft stammenden Ansatz der sogenannten narrativen Analyse, welcher in jüngster Zeit in den Blickpunkt neutestamentlicher Exegese gerückt ist.8

Der erste Teil dieser Arbeit umfasst als „Hinführung“ eine erste Orientierung über Joh 13–17 (II.); das heisst: die Abgrenzung und das Feststellen des Kontextes der Texteinheit (1.), den forschungsgeschichtlichen Überblick mit besonderer Berücksichtigung der neueren Interpretationsansätze Relecture und Réécriture (2.), den Exkurs zur narrativen Analyse, eine vertiefende Betrachtung über die literarische Technik der Wiederholung (3.), ehe dann – nach einer Zwischenbemerkung zum weiteren Vorgehen (4.) und einem ersten Lesedurchgang durch Joh 13–17 (5.) – die in dieser Arbeit vertretene These einer konzentrischen Struktur dargelegt wird (6.).

Es folgt die Verifikation der am Schluss des letzten Kapitels aufgestellten These, indem die sich entsprechenden Themenblöcke einander gegenübergestellt und verglichen werden (III.). Besonders beachtet werden dabei die inhaltlichen Entsprechungen, die lexikalischen Querverbindungen, aber auch Stil und Aufbau.

Gleichsam als Vorbereitung für die Einzelauslegung im zweiten Teil der Arbeit folgt mit besonderem Blick auf das amplifikatorische Zentrum (15,1–17) sodann eine erste, systematische und inhaltlich-theologische Auswertung der vorgenommenen Strukturanalyse (IV.). Der letzte Teil des ersten Teils der Arbeit weist auf Besonderheiten des johanneischen Denksystems hin, die im Zusammenhang der Auslegung von Joh 13–17 wichtig sind (V.).

Im zweiten Teil der Arbeit, einer „inhaltlich-kommentierenden Darlegung zu Joh 13–17“, wird das Resultat der Form- und Strukturanalyse konsequent auf die Einzelauslegung in den verschiedenen Themenblöcken angewendet. Beachtenswert und besonders erstaunlich ist hier, dass die analysierten Zusammenhänge und Abhängigkeiten der Makroebene sich auch auf der „Mikroebene“, d.h. in den Einzelfragen der Versauslegung, erkennen lassen.

Der dritte Teil der Arbeit formuliert verschiedene Gedanken und Ansätze zum sogenannten historischen Ort des Johannes-Evangeliums.

Der vierte Teil der Arbeit bietet schliesslich aufgrund der gewonnen Erkenntnisse beim Lesen einen kurzen zusammenfassenden Ausblick in Bezug auf die „intentio auctoris“ und „intentio operis“.

Ständige Hilfsmittel wie der griechische Text zum Neuen Testament Nestle Aland (27. Aufl.) werden nicht besonders zitiert. Wo nicht von mir selbst übersetzt wurde, wird der revidierte Luthertext 1984 (Stuttgart 1985) geboten.

II. Eine erste Orientierung über Joh 13–17


Zum wissenschaftlichen Arbeiten an neutestamentlichen Texten bzw. als „erste Orientierung über den Text“ auf dem Wege der eigentlichen Textanalyse werden in der Regel folgende methodische Schritte vorgeschlagen9: 1. Festlegung von Anfang und Ende des zu untersuchenden Textes 2. Die Berücksichtigung des Kontextes 3. Feststellung von Einheitlichkeit / Uneinheitlichkeit des Textes.10 Anschliessend folgt eine Reflexion über das erste Textverständnis. Dieser v.a. von Egger vorgeschlagene Weg führt dazu, dass zunächst die Abgrenzung und der Kontext der Texteinheit (1.) zu besprechen ist, und zwar so, dass dann vor allem auch über den Begriff der „Abschiedsreden“ und damit über die in der Literatur vorgeschlagene und angenommene Gattung des vorliegenden Textes kurz Rechenschaft zu geben ist. Die Überlegungen aus diesem Abschnitt führen alsbald zur Frage der Einheitlichkeit des Textabschnitts. Von daher ist es angebracht, einen kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick zur Literarkritik von Joh 13–17 (2.) und zu neueren methodisch-exegetischen Ansätzen (Exkurs) folgen zu lassen, ehe dann – eine Anfrage aus der klassischen Literarkritik zum Problem der Wiederholungen bzw. Doppelungen bei der Untersuchung von Texten aufnehmend (und weiterführend) – neuere synchrone Lesarten aus der neutestamentlichen Wissenschaft präsentiert werden (3.). Die gleichsam „naiven“ Beobachtungen beim „ersten Lesen“ von Joh 13–17 (5.) leiten dann über zur eigenen...

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