Der schwierige Kampf gegen die unheimlichen Dickmacher
Abnehmen am Pool mit Meerblick / Selbst James Bond war schon mal hier / Warum, zum Teufel, klappt es mit den Diäten nicht? / Wir sind nicht allein: Milliarden von Menschen auf der Welt sind zu dick / Fette Leber: Was macht die Milch und was die Cola? / Vergessen Sie die Kalorien! / Ist da eigentlich irgendwas drin, das uns zum Essen treibt?
Abnehmen kann so schön sein, vor allem hier, mit Blick aufs Meer. Ein idealer Ort für den Neustart in ein besseres Leben. Es sieht aus wie ein komfortables Urlaubshotel, mit einem kleinen Park, Palmen, grünem Rasen. Doch das, woran die beiden Gäste zur Mittagszeit nippen, auf der Terrasse überm Pool, sieht eher mager aus.
Sie: »Das war ein Maracujasaft. Und da waren ein paar Waldbeeren drin.«
Er: »Drei waren’s. Drei Stück.«
Sie: »Drei Heidelbeeren.«
Friedhelm Gülz stammt aus Köln, seine Frau Renate Coppeneur-Gülz aus Luxemburg. »Ich will abnehmen«, sagt Gülz. Er hatte das Rauchen aufgegeben, und dann waren schnell ein paar Kilo extra auf den Rippen. Seine Frau begleitet ihn bei dem Projekt, und vielleicht hat sie ja auch was davon: »Wenn ich zwei, drei Kilo verliere, ist mir das recht.«
Die Buchinger-Klinik im spanischen Marbella: Manche spotten ja über solche Orte, an denen für viel Geld magere Kost geboten wird. Andere schwören darauf und kommen immer wieder: Sean Connery, der frühe James Bond, war hier regelmäßig Gast, und der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, und auch die Reeder-Erbin Christina Onassis, die hier zur Legende wurde, auch deshalb, weil sie immer Cola-Dosen gehortet hatte. Die sind hier natürlich streng verboten. Aus der ganzen Welt kommen sie hierher. Auf der ganzen Welt ist das Gewicht zum Problem geworden.
Aus der Schweiz kommt die junge, hübsche Frau. Ihr Name? Tut nichts zur Sache, meint sie: »Sagen wir einfach: Tina.« Sie hat vor sich: Ein Glas mit einem Säckchen drin. Es ist: Fencheltee. Riecht ein bisschen seltsam. »Ich muss abnehmen, das ist klar.«
Sie sieht kräftig aus, sehr groß, blond, hübsch. Schlank ist sie nicht im engeren Sinne. Sie sagt es so: »Ich bin schon übergewichtig, da muss schon was weg.« Direkte gesundheitliche Gründe hat sie eigentlich nicht: »Es ist eher so dieses Wohlfühlthema«, sagt Tina.
Aus Saudi-Arabien ist Azzam Al Mutair angereist, ein junger Mann von kräftiger Statur, aber eigentlich nicht übermäßig dick. Er betreibt ein Steakhaus in der Hauptstadt Riad, kam auf Empfehlung eines Freundes, der »Location Manager« ist bei Burger King, zuständig für Nordafrika und den Mittleren Osten. Worauf es ankommt, das weiß er schon: »Du musst dir einen Plan machen und die schlechten Gewohnheiten abwerfen. Alkohol. Fettiges Essen. Junkfood.«
Die Buchinger-Klinik hier in Spanien, Schwesterhaus der gleichnamigen Einrichtung am Bodensee, ist eine Art Schonraum, in dem die Menschen sozusagen geschützt sind vor ihren »schlechten Gewohnheiten« – aber auch vor dem, was manche die »giftige Umgebung« nennen, mit den Nahrungsmitteln, die die Schönheit der Figur gefährden. Manche ziemlich schnell und andere sehr langsam, subtil, und die Waage zeigt immer mehr an, und keiner weiß, woran es eigentlich liegt.
Manche dieser Stoffe können sogar den Körper umprogrammieren und so dafür sorgen, dass der Mensch mehr isst, als er braucht – sogar schon im Mutterleib.
Das könnte erklären, warum es auf der Welt plötzlich ein Problem gibt, das die Natur bisher nicht kannte: Abnehmen. Kein Löwe fühlt sich zu dick. Kein Bär macht Diät. Kein Adler ist zu schwer, um sich in die Lüfte zu erheben. Nur der Mensch, die Krone der Schöpfung, hat plötzlich ein Problem mit dem Gewicht.
Abnehmen ist zum globalen Großprojekt geworden. Es geht fast jeden an. Abnehmen, das ist eine Frage der Schönheit. Weil schlank einfach besser aussieht, wie viele finden. Abnehmen, das ist auch eine Frage der Gesundheit, weil ja Übergewicht krank machen soll. Abnehmen, das sollen jetzt bereits Kinder, weil die ja auch schon zu moppelig sind. Abnehmen, das ist schon zum Zwang geworden. Die Medien üben Druck aus und manchmal auch die Freunde, sogar die Kassiererin im Supermarkt. Die Krankenkassen.
Der Diät-Terror. Wer ein paar Kilos zu viel hat, fühlt sich nicht nur unwohl, sondern auch schuldig. Die Dicken formieren sich schon zur Gegenwehr.
Abnehmen, das ist natürlich auch ein Geschäft geworden. Allein in den USA macht die Abspeckindustrie einen Umsatz von 58 Milliarden Dollar (43 Milliarden Euro). Und auch hierzulande sind die Supermärkte voll mit Produkten, die aufs Abnehmen zielen. Ganze Regale voll mit den angeblichen Schlankmachern. Die Frauenzeitschriften propagieren das und freuen sich über die Anzeigen dafür. Auch bei den Medizinern ist das Thema jetzt ziemlich in Mode, nicht zuletzt deshalb, weil viel Geld zu verdienen ist mit Pillen gegen den Speck – von denen viele wegen gefährlicher Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden müssen. Inzwischen kommen sie sogar mit Gewaltmaßnahmen. Die Dicken müssen unters Messer, sich operieren lassen. Mit Folgen fürs Leben. Aber erst wenn sonst gar nichts mehr hilft, sagen die Ärzte, die in dem neuen Geschäftsfeld tätig sind.
Warum hat bisher nichts geholfen? Klar, die Diäten. Der Jo-Jo-Effekt. Hinterher zeigt die Waage das Gleiche wie vorher. Dazwischen ging es leicht runter, das Gewicht.
Vielleicht sind es gerade die Abspeckprogramme, die die Menschen in einen Teufelskreis treiben und immer noch dicker machen. Es ist der Stress, der die Menschen immer dicker macht, auch der Stress mit dem Abnehmen. Sagen Wissenschaftler. Doch es sind auch die Nahrungsmittel, die den Körper unter Stress setzen. Die die natürlichen Mechanismen manipulieren, die bei allen Lebewesen sonst das Gewicht regulieren. Die dazu führen, dass das Gewicht außer Kontrolle gerät.
Es sind womöglich die modernen Nahrungsmittel aus dem Supermarkt, die Produkte der Food-Industrie, die den Körper überlisten. Schon im Mutterleib umprogrammieren. Den Regler fürs persönliche Gewicht einfach verschieben, und zwar nach oben. Das Hungergefühl manipulieren, so dass man mehr isst als nötig und sich nie richtig satt fühlt. Die Forscher identifizieren immer mehr Bestandteile dieser modernen Nahrung, die die Abläufe stören.
Die Frage lautet: Wer ist schuld daran? Und was ist zu tun, damit wir endlich wieder schlanker werden, das »Wohlfühlgewicht« erreichen? Und damit diese neue »Epidemie« sich auf der Welt nicht weiter ausbreitet?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Fettleibigkeit zur globalen Epidemie erklärt – eine Menschheitsgeißel wie einst die Pest, wie Typhus und Cholera. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist übergewichtig: insgesamt 2,1 Milliarden Menschen nach einer weltweit angelegten, von der Bill & Melinda Gates Foundation finanzierten Untersuchung, die 2014 im britischen Medizinerjournal The Lancet veröffentlicht wurde. Und das Thema geht offenbar jeden an: »Fettleibigkeit ist ein Problem, das Menschen jeden Alters und Einkommens betrifft«, sagt Christopher Murray, Chef des Instituts an der Universität von Washington, das an der Studie mitgewirkt hat.
Tatsächlich werden alle Bevölkerungsgruppen immer dicker. In den Vereinigten Staaten von Amerika gelten 69 Prozent der erwachsenen Bevölkerung als übergewichtig oder fettleibig. Dort hat Übergewicht die Lebenserwartung schon um vier bis neun Monate verkürzt, so eine Studie des Nationalen Gesundheitsinstitutes (NIH). In Brasilien ist es die Hälfte der 200 Millionen Einwohner. Dort gelten die »obesos« (Fettleibigen) schon als »Menschen mit besonderen Bedürfnissen«, für die es spezielle Plätze in den Bussen gibt, eigene Kassen in Supermärkten, Schalter in den Behörden und extrabreite Sitze in den Fußballstadien: 78 statt 44 Zentimeter breit.
In Deutschland hat das Berliner Robert Koch-Institut die Lage analysiert. Das Institut ist traditionell für Seuchen zuständig, auch für die neueste. Ergebnis: Die Deutschen gehören zu den dicksten Europäern. 67 Prozent der Männer sind demnach übergewichtig und 53 Prozent der Frauen.
Sogar im Süden werden die Kinder fetter: Nach einer EU-Untersuchung sind unter den Sieben- bis Elfjährigen in Spanien, Italien, Portugal und Malta mehr als 30 Prozent übergewichtig. In Großbritannien sind 60 Prozent der Erwachsenen und ein Drittel aller Kinder übergewichtig oder fettleibig. Dort hält man nach einem Regierungsbericht das Übergewicht für ähnlich verhängnisvoll wie den Klimawandel. Mitte des Jahrhunderts würden die Folgekosten für das Gesundheitssystem bei 50 Milliarden Pfund liegen (knapp 62 Milliarden Euro). 140 Milliarden Dollar kostet nach Angaben der Münchner Rückversicherung das Übergewicht pro Jahr in den USA, dem Land auf der Welt mit den meisten Dicken, Ursprungsland der Supermärkte, der industriellen Landwirtschaft, Heimat von Fastfood und Coca-Cola.
Besorgt sind die Forscher vor allem über die Folgen für die Kinder: David Ludwig vom Children’s Hospital in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts formuliert es drastisch: »Wir können die Übergewichts-Epidemie bei Kindern vergleichen mit einer großen Tsunami-Welle, die...