1 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Franz Blum kam am 10. November 1901 in Schönenbuch zur Welt. Die Familie Blum stammte ursprünglich aus dem Kanton Aargau. Vater Franz Blum, 1863 in Wil AG geboren, kam als Zöllner in den 1890er-Jahren in die Region Basel. Im solothurnischen Hofstetten brachte seine Frau Emma, geborene Birri aus Zeihen im Aargau, 1899 die erste Tochter Maria zur Welt. Um die Jahrhundertwende zog es die junge Familie nach Schönenbuch, wo Franz Blum und 1903 die zweite Tochter Emma zur Welt kamen. Bei der Geburt der dritten und letzten Tochter Hulda 1908 lebte die Familie in Basel im Gundeldingerquartier.
Die Katholiken in Basel trugen schwarz, als die Familie Blum nach Basel zog. 1900 war Burkard Jurt (1822–1900), der Pfarrer von St. Clara, gestorben. Jurt hatte der Mutterkirche der Basler Katholiken 42 Jahre als Pfarrer vorgestanden und die Zeit des Kulturkampfes nicht nur miterlebt, sondern aktiv daran teilgenommen. Er war eine prägende Gestalt des Basler Katholizismus.
Als 1857 ein neuer Pfarrer für St. Clara gesucht wurde, schrieb der damalige Gemeindepräsident Carl Wahr an den Bischof. Er wies darauf hin, dass es einen tüchtigen Mann brauche, der sich gegen die vielen intellektuellen protestantischen Theologen und Professoren in Basel behaupten könne und sich auch nicht scheue, mit der Regierung einen vertraulichen Umgang zu pflegen. Burkard Jurt aus Luzern erfüllte diese Anforderungen und trat im Januar 1858 sein Amt an. Während seiner Amtszeit wurde die Clarakirche erweitert, das katholische Vereinswesen auf-und ausgebaut, das Basler Volksblatt als katholische Zeitung gegründet und mit St. Marien die erste eigene katholische Kirche in Basel gebaut. Der Aufbau der katholischen Gemeinde fiel in Basel in die Zeit des Kulturkampfes, den Jurt aus nächster Nähe kennengelernt hatte. Jurt war 1847 Sekretär des Generalstabs der Truppen des katholischen Sonderbundes. Die katholischen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Wallis und Freiburg hatten sich zum Sonderbund zusammengeschlossen, da sie sich von den freisinnigen Regierungen, die in vielen eidgenössischen Kantonen nach 1830 an die Macht gekommen waren, bedroht fühlten. Verschiedene innerkantonale konfessionelle Auseinandersetzungen wie etwa der Aargauer Klosterstreit mit der Aufhebung aller Klöster 1841 oder die Berufung von Jesuiten an die Gymnasien in Luzern führten zu Spannungen zwischen den Freisinnigen und Konservativen, die 1847 in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg, führten, der rund 150 Menschen das Leben kostete. Die eidgenössischen Truppen unter General Guillaume-Henri Dufour besetzten im November 1847 Luzern, worauf die Sonderbundskantone kapitulierten. In der Folge konstituierte sich die Schweiz 1848 als Bundesstaat und nicht mehr als Staatenbund, mit entsprechend weniger Kompetenzen für die Kantone. Der Bundesstaat war das Ergebnis eines freisinnigen Sieges über die katholischen Konservativen und veränderte die konfessionellen Mentalitätsstrukturen, wie Theo Gantner schreibt: «Der wirtschaftlich, politisch, wissenschaftlich und sozial einflussreiche Teil der neuen Eidgenossenschaft bekannte sich zum reformierten Glauben. Die Reformierten galten und fühlten sich als modern, industriell, städtisch und reich, während die Katholiken für traditionell, bäuerlich, ländlich und arm gehalten wurden und sich nach der politischen und militärischen Niederlage von 1847 auch entsprechend fühlten.» [2]
Basel war zwar nicht Schauplatz des Sonderbundskrieges. Auch galt die obige Beschreibung für die Katholiken in Basel nur beschränkt. Das Gefühl, nur Bürger zweiter Klasse zu sein, war allerdings auch für sie prägend. Das Bewusstsein, als Katholiken in einer protestantischen Stadt in der Diaspora zu leben, führte zu einem Rückzug in ein katholisches Milieu, das in den folgenden Jahrzehnten aufgebaut wurde.
Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel
Weshalb gab es aber in der seit 1529 reformierten Stadt Basel überhaupt eine katholische Gemeinde? Die Geschichte der Katholiken in Basel beginnt 1734. Seit jenem Jahr lebte ein kaiserlicher Gesandter in Basel, der in einer eigenen Kapelle am Sonntag eine katholische, seit 1767 vom Rat bewilligte Messe organisierte. Der Gesandtschaftspriester übernahm auch seelsorgerische Aufgaben wie das Abnehmen der Beichte, das Verteilen der Kommunion und Taufen. Dennoch zogen viele Katholiken aus der Stadt den Besuch der umliegenden katholischen Kirchen in Dornach, Arlesheim, Blotzheim, Hüningen oder Wyhlen für den Gottesdienst vor. In Basel selber lebten damals offiziell noch keine Katholiken, da diesen das Bürgerrecht versagt blieb. Viele der Dienstboten und Handwerker des Bürgertums stammten aber aus dem Badischen und dem Elsass und waren katholisch. Auch Zuwanderer aus der Schweiz, speziell aus dem benachbarten Kanton Solothurn, brachten ihren katholischen Glauben mit. Nach der französischen Revolution besuchten vermehrt auch Menschen aus dem benachbarten Ausland und in Basel stationierte eidgenössische Truppen den katholischen Gottesdienst.
Die Stadt reagierte sehr pragmatisch auf die steigende Anzahl der Katholiken. 1797 stellte sie ein Magazin im Clarahof im Kleinbasel für Gottesdienste zur Verfügung. Im folgenden März fand ein erster Gottesdienst unter der Leitung eines Kapuzinermönches des Klosters Dornach statt. Das eigene Zuhause erlaubte es den Katholiken, sich an den Aufbau einer Gemeinde zu machen. Der deutsche Josef Lacher übernahm die Federführung und bemühte sich erfolgreich um einen eigenen Pfarrer. Er fand Roman Heer aus Klingnau (1761–1804), der am 8. April 1798 seinen ersten Gottesdienst vor vollem Haus feierte. Das Magazin des Clarahofs war dem grossen Ansturm nicht gewachsen. Reihenweise kippten Besucher der Gottesdienste im Sommer wegen des Gedränges und der Hitze um. Dies blieb der Stadt nicht verborgen. Sie beschloss daher, die benachbarte Clarakirche paritätisch auch für die Katholiken zu öffnen. Der erste Gottesdienst in der Clarakirche vom 14. Oktober 1798 gilt als die offizielle ‹Rückkehr› der Katholiken nach Basel. Die Helvetische Republik von 1798 garantierte die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Katholiken waren in Basel nun nicht mehr nur geduldet, sondern konnten sich auf ein Recht berufen. Im gleichen Jahr organisierte sich eine katholische Gemeinde mit Josef Lacher an der Spitze. Die Stadt liess die Gründung unter der Bedingung zu, dass sich die Gemeinde nicht dem Bischof von Basel, sondern dem Bistum Konstanz unterstellte.
Die meisten Katholiken lebten im Kleinbasel. Mit der Clarakirche, welche die Katholiken 1858 zum alleinigen Gebrauch erhielten, und dem 1836 gekauften Hatstätterhof konzentrierte sich hier das katholische Leben. Der Lindenberg mit dem Pfarrhaus, einer Hauskapelle und einem Schulhaus im Hatstätterhof wurde zur katholischen Festung. Die Stadt reagierte wohlwollend. Sie beteiligte sich finanziell am Kauf des Hatstätterhofs. Bereits 1834 hatte die Stadt der Gemeinde zwei Kreuze aus jenem Teil des Münsterschatzes geschenkt, der nach der Kantonstrennung 1833 nicht an Baselland gefallen war. Die neue Kantonsverfassung nach der Trennung der Kantone Basel-Stadt und Baselland erlaubte die Ausübung jedes christlichen Glaubensbekenntnisses. Mit der Bundesverfassung 1848 erhielten die Katholiken das Niederlassungsrecht und 1860 das Basler Bürgerrecht.
Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf
Der Kulturkampf streckte seine Fühler auch nach Basel aus. Nach der Revolution von 1848 hatte sich der Papst auf die konservative Seite geschlagen. Die romtreuen, auch ultramontan genannten Katholiken wurden so für den neuen freisinnigen Bundesstaat von 1848 in der Schweiz zu einer potenziellen Gefahr. Verschiedene Entscheidungen des Papstes sollten die Katholiken auf ihren Glauben einschwören, irritierten dabei aber auch die Gegenseite. 1854 hatte der Papst das Dogma der ohne Erbsünde empfangenen Maria verkündet. Dieser Inhalt lässt sich nicht aus Schriften aus dem Kanon der Bibel herleiten und wurde deshalb von der reformierten Kirche nicht akzeptiert. 1864 veröffentlichte der Papst den antimodernen ‹Syllabus Errorum›, eine Sammlung von 80 Sätzen, die ein Katholik unter keinen Umständen unterstützen durfte. Es war aber das Erste Vatikanische Konzil von 1869/70, das zu einer innerkatholischen Zerreissprobe führte. Das Konzil war eine Reaktion auf die sich wandelnde Gesellschaft, von der sich der Katholizismus bedroht fühlte. Der Papst befürchtete einen Verlust seines Einflusses bei den Katholiken. Das Konzil beschloss die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen der Glaubensund Sittenlehre. Ebenso wurde das Jurisdiktionsprimat verabschiedet, das dem Papst den Eingriff in alle Bistümer erlaubt. In der Folge des deutsch-französischen Krieges besetzten Truppen des Königreiches Italien den Vatikan und bewirkten eine Unterbrechung des Konzils. Im Oktober 1870 wurde es auf unbestimmte Zeit vertagt und ist bis heute offiziell nicht abgeschlossen.
Vor allem liberal gesinnte Katholiken konnten die Beschlüsse des Konzils nicht akzeptieren. Die...