EINLEITUNG: VERLOREN UND WIEDERGEFUNDEN
Jeden Morgen, wenn ich die Pixar Animation Studios betrete, vorbei an der über sechs Meter hohen Skulptur von Luxo Jr., unserem freundlichen Schreibtischlampen-Maskottchen, durch die Doppeltüren in das Glasdachatrium trete, wo ein mannshoher Buzz Lightyear mit Woody aus Legosteinen strammsteht, die Treppen hinaufgehe, vorbei an Zeichnungen und Gemälden der Figuren, die unsere 14 Filme bevölkern – dann bin ich beeindruckt von der einzigartigen Kultur, die an diesem Ort herrscht. Obwohl ich diesen Weg schon tausende Male zurückgelegt habe, wird er nie alt.
Der über sechs Hektar große Komplex von Pixar wurde auf dem Grundstück einer ehemaligen Konservenfabrik gegenüber der Bay Bridge in San Francisco erbaut. Das Gebäude wurde komplett, innen wie außen, von Steve Jobs entworfen (es heißt auch Steve Jobs Building). Es hat gut durchdacht angelegte Ein- und Ausgänge, damit die Leute in Kontakt kommen, sich treffen und kommunizieren können. Draußen gibt es einen Fußballplatz, ein Volleyballfeld, ein Schwimmbecken und ein Amphitheater mit 600 Sitzplätzen. Manche Besucher verstehen den Sinn der Gestaltung nicht und halten sie nur für eine Laune. Sie verstehen nicht, dass der übergreifende Gedanke für dieses Gebäude nicht Luxus heißt, sondern Gemeinschaft. Steve wollte, dass das Gebäude unsere Arbeit fördert, indem es unsere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit verbessert.
Die Zeichner, die hier arbeiten, sind frei – nein aufgefordert –, ihre Arbeitsplätze so zu gestalten, wie es ihnen gefällt. Sie verbringen ihre Tage in rosa Puppenhäuschen mit kleinen Kronleuchtern an der Decke, in Hütten aus echtem Bambus und Burgen, deren sorgfältig bemalte viereinhalb Meter hohe Styroporzinnen aussehen wie aus Stein gemeißelt. Ein jährlich stattfindendes Ereignis in der Firma heißt »Pixarpalooza«, bei dem unsere hauseigenen Rockbands mit großem Einsatz von Herzblut auf den Bühnen auf dem Rasen vor dem Gebäude miteinander wetteifern.
Wir legen hier Wert auf Selbstdarstellung. Das macht meistens großen Eindruck auf Besucher. Oft sprechen sie von einer gewissen Wehmut, die sie beim Betreten des Gebäudes empfinden, als fehle etwas in ihrem Arbeitsleben – eine spürbare Energie, ein Gefühl von Zusammenarbeit und ungehindert fließender Kreativität, ein Gefühl von Möglichkeiten, wenn das auch ein bisschen abgedroschen klingen mag. Ich erzähle ihnen dann immer, dass das Gefühl, das sie aufnehmen – nennen wir es Überschwang, Respektlosigkeit, sogar Launen –, ein wichtiger Bestandteil unseres Erfolges ist.
Doch das ist es nicht, was Pixar zu etwas Besonderem macht.
Das Besondere bei Pixar ist: Wir wissen, dass wir immer Probleme haben werden, viele davon sind für uns nicht sichtbar; dass wir uns große Mühe geben, diese Probleme zu entdecken, auch wenn das für uns unbequem sein könnte; und dass wir, wenn wir auf so ein Problem treffen, alle unsere Energie aufwenden, es zu lösen. Deshalb komme ich jeden Morgen so gerne zur Arbeit und nicht so sehr wegen einer tollen Party oder dem Arbeitsplatz mit Türmchen. Das motiviert mich und gibt mir ein gewisses Sendungsbewusstsein.
Es gab jedoch eine Zeit, als mir meine Bestimmung hier viel weniger klar war. Und es mag Sie überraschen, wenn ich Ihnen erzähle, wann das war.
Am 22. November 1995 lief Toy Story in den amerikanischen Kinos an und wurde der größte Filmstart aller Zeiten. Kritiker bezeichneten den Film als »einfallsreich« (Time), »brillant« und »überaus geistreich« (New York Times) und »visionär« (Chicago Sun-Times). Um einen Film zu finden, der einem Vergleich standhielte, schrieb die Washington Post, müsse man auf den Zauberer von Oz aus dem Jahr 1939 zurückgreifen.
Die Produktion von Toy Story – der erste Trickfilm in Spielfilmlänge, der vollständig am Computer erstellt wurde – hatte jede Unze unserer Hartnäckigkeit, Kunstfertigkeit, technischen Findigkeit und Ausdauer gefordert. Die rund 100 Frauen und Männer, die ihn produzierten, hatten zahllose Hochs und Tiefs durchlebt, in dem ständigen Bewusstsein, dass unser Überleben von diesem 80-minütigen Experiment abhing. Fünf ganze Jahre hatten wir dafür gekämpft, Toy Story auf unsere Art zu machen. Wir widersetzten uns dem Rat der Disney-Oberen, die fanden, wir brauchten viele Lieder in unserem Film, da sie mit Musicals immer so erfolgreich waren. Wir überarbeiteten die Geschichte mehr als einmal vollständig, damit sie auch wirklich echt wirkte. Wir arbeiteten abends, an Wochenenden, an Feiertagen – meistens klaglos. Wir waren zwar Neulinge im Filmgeschäft in einem noch jungen Studio in höchst bescheidenen finanziellen Verhältnissen, doch wir vertrauten auf einen einfachen Gedanken: Wenn wir etwas machten, das wir sehen wollten, würden andere es auch sehen wollen. Bis dahin hatte es sich angefühlt, als würden wir einen Felsbrocken einen Berg hinaufschieben, als versuchten wir das Unmögliche. Es gab viele Momente, in denen die Zukunft von Pixar in den Sternen stand. Jetzt waren wir plötzlich ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Künstler auf ihr Bauchgefühl hören.
Toy Story wurde der umsatzstärkste Film des Jahres und spielte weltweit 358 Millionen Dollar ein. Doch nicht nur die Zahlen machten uns stolz; Geld ist schließlich nur ein Maßstab für ein florierendes Unternehmen und meistens nicht der bedeutendste. Nein, was mir Befriedigung verschaffte, war das, was wir geschaffen hatten. Die Kritiken konzentrierten sich hauptsächlich auf die bewegende Handlung des Films und seine komplexen dreidimensionalen Charaktere – und sie erwähnten nur kurz, dass der Film komplett am Computer entstanden ist. Trotz der zahlreichen Innovationen, die unsere Arbeit erst möglich gemacht hatten, hatten wir nicht zugelassen, dass die Technologie über unserem eigentlichen Ziel stand: einen tollen Film zu machen.
Für mich persönlich war mit Toy Story ein Ziel erreicht, das ich mehr als zwei Jahrzehnte lang verfolgt und von dem ich schon als Junge geträumt hatte. Ich wuchs in den 1950er-Jahren auf und wollte immer Disney-Trickfilmzeichner werden, hatte aber keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Instinktiv, das erkenne ich jetzt, stürzte ich mich auf die Computergrafik – damals ein noch neues Feld –, um diesen Traum weiterzuverfolgen. Wenn ich nicht von Hand zeichnen konnte, musste es einen anderen Weg geben. Während des Aufbaustudiums hatte ich mir im Stillen das Ziel gesetzt, den ersten computergenerierten Animationsfilm zu machen, und arbeitete 20 Jahre unermüdlich, um dieses Ziel zu erreichen.
Jetzt hatte ich das Ziel erreicht, das eine treibende Kraft in meinem Leben gewesen war, ich empfand eine ungeheure Erleichterung und war in Hochstimmung – zumindest anfänglich. Kurz nach dem Start von Toy Story gingen wir mit dem Unternehmen an die Börse, besorgten uns das Kapital, um unsere Zukunft als unabhängige Produktionsfirma zu sichern, und machten uns an zwei neue Projekte in Spielfilmlänge: Das große Krabbeln und Toy Story 2. Alles lief gut für uns, und doch fühlte ich mich irgendwie ziellos. Nachdem ich ein Ziel erreicht hatte, hatte ich ein wichtiges Bezugssystem verloren. »Ist das wirklich das, was ich machen will?«, fragte ich mich immer wieder. Die Zweifel überraschten und verwirrten mich, und ich behielt sie für mich. Ich war die meiste Zeit, in der das Unternehmen bestand, Präsident von Pixar gewesen. Ich liebte den Ort und alles, wofür er stand. Doch ich konnte nicht leugnen, dass die Erfüllung des Ziels, das mein Berufsleben bestimmt hatte, mich nun ohne Bestimmung dastehen ließ. »Ist das alles?«, fragte ich mich. »Ist es Zeit für eine neue Herausforderung?«
Ich dachte nicht etwa, Pixar sei »angekommen« oder meine Arbeit sei getan. Ich wusste, dass noch größere Schwierigkeiten vor uns lagen. Das Unternehmen wuchs schnell, viele Aktionäre mussten zufriedengestellt werden, und wir arbeiteten fieberhaft an zwei neuen Filmen. Kurz, es gab genügend zu tun, was meine Arbeitszeit ausfüllte. Doch mein innerer Ansporn – das, was mich im Aufbaustudium auf dem Boden des Computerraums übernachten ließ, damit ich länger am Großrechner arbeiten konnte, was mich als Kind nachts wach hielt, weil ich im Kopf Probleme wälzte, was jeden meiner Arbeitstage antrieb – war verloren gegangen. Ich hatte zwei Jahrzehnte damit verbracht, einen Zug zu bauen und die Schienen zu verlegen. Jetzt erschien mir die Aufgabe, einfach damit zu fahren, weitaus weniger interessant. »Genügte es mir, einen Film nach dem anderen zu machen?«, fragte ich mich. »Was sollte nun mein Organisationsprinzip werden?«
Es sollte ein ganzes Jahr dauern, ehe sich eine Antwort abzeichnete.
Von Anfang an schien es mir bestimmt, mein Berufsleben mit einem Fuß im Silicon Valley und mit dem anderen in Hollywood zu verbringen. 1979 kam ich erstmals mit dem Filmgeschäft in Berührung, als mich George Lucas nach dem Erfolg von Star Wars einstellte, weil ich modernste Technologie in die Filmindustrie bringen sollte. Doch sein Standort war nicht Los Angeles. Er hatte seine Firma Lucasfilm am nördlichen Ende der San Francisco Bay...