Henri Matisse
Henri Matisse wurde am 31. Dezember 1869 in Le Cateau, Département du Nord, geboren. Er besuchte kurze Zeit die École des beaux-arts, die er bald mit dem Atelier des Gustave Moreau vertauschte. Dort lenkte er durch seine sicheren Aktzeichnungen die Aufmerksamkeit Moreaus auf sich. Er malt in Clamart bei Paris, stellt 1896 im „Marsfeldsalon“ aus, tritt 1901 zum erstenmal in den „Indépendants“ hervor, die er die nächsten Jahre regelmäßig beschickt. Er arbeitet dann, Signac benachbart, in Saint-Tropez und Cassis. Kehrt nach Paris zurück, um nun wieder längere Zeit im Süden, in Collioure, zu malen. Dort entstehen die „Teppiche“ („Les upe. bleus“, „Les tapis rouges“) und das Porträt „Marguerite“. 1908 eröffnet Matisse seine Schule. Angewidert von der schwächlichen Nachahmerei der Schüler, schließt er sie nach einiger Zeit. Matisse arbeitet meist in Nizza.
1903 „Die Lebensfreude“.
1907 „Die Toilette“.
1908 „Das Glück des Lebens“.
1910 „Der Tanz“.
1910 „Die Kapuzinerkresse“.
1911 „Die Musik“.
1911 „Das Atelier“.
1911 „Die Goldfische“ der früheren Sammlung Sichtschukin.
1911 „Das Fest im Tanger“.
1911-1912 „Maurisches Café“.
1912 Ausstellung der Marokkobilder bei Bernheim.
1913 „Rifkabyle“.
1914 „Die Goldfische“ der Sammlung Halvorsen.
1916-1917 Die Bildnisse der drei Schwestern.
1917 „Frauen am Bach“ der Sammlung Paul Guillaume.
1918 „Toque de Gouro“.
„Je voudrais n’ être jugé que sur l’ensemble
de mon œuvre, la courbe générale de ma ligne.“
Matisse
Mit van Gogh und den Neoimpressionisten siegte, gleichzeitig mit dem Willen zur Komposition und zu bewußter farbiger Übersetzung, das flächig Dekorative. Schnell summierte man die Dinge zu farbig übersetztem Klang, der durch kunstgewerbliche Ornamentik gestützt wurde. Von Ornamentik ist zu sprechen, da ein Umriß den bildräumlichen Ausgleich von Bewegungserfahrungen ersetzen soll. Man stilisiert, da man nur einen bequemen Vertrag zwischen Motiv und subjektiver Gestimmtheit versucht. Man wollte aus der Atomistik, der analysierten Impression zu geschlossenerem Gestaltgefüge gelangen. Seit Corot und Delacroix war die Farbe immer kräftiger gelockert und geteilt worden, man löste das Bild in kleinste gestufte farbige Gegensätze, woraus eine Auflösung des Bildganzen folgte. Ergebnis: ein Steigern der Farbbewegung, doch Minderung des Gestalthaften. Nun ging der Weg vom analytischen Luminarismus zu einem breiten Kolorismus; man löste aus dem Lichtdrama den farbigen Träger und verselbständigte ihn. Die Farben fügen sich flächig zusammen und nicht wie bei den Alten plastisch überhöht. Van Gogh hatte in ethischer Erregtheit verkündet, daß die Farbe Wahreres ausdrücken könne als die nur körperhaften Eigenschaften des Modells; er verwies damit auf eine symbolisierende Darstellung des Seelischen.
All diese Jungen von 1905 suchten das große Bild, das die Nuance ausschließt, die letzten Endes ein technisches Genrebild ergibt. Ihre Vordermänner hatten solches bereits leidenschaftlich versucht. Ich erinnere an die großen „Badenden“ Cézannes. Eine Krise des Staffeleibildes war angefacht, und ein Versuch zur Monumentalität begann, die mehr gewähren sollte als einen Geschehnisausschnitt, nämlich die von der flutenden Zeit wieder befreite Farbe. Große Farbflächen wurden gegeneinandergestellt, wobei man die Kenntnis der Komplementärfarben nützte; doch deren Abgrenzung verlief ornamental wie bei van Gogh oder Gauguin. Aus der Lehre von den Komplementärfarben schloß man, daß die Farbflächen in sich genügende Gesetzlichkeit und somit Form enthalten, damit das Bild frei balanciere; die Farben trügen ihre Gesetze in sich, und aus ihrem Zusammenhang heraus baue sich Komposition; der jeweiligen Farbe entspreche eine bestimmte Form. Wir weisen hier auf die Lautsymbolik Rimbauds hin, die er in seinen Voyelles auf stellte, und erinnern an die freie Verknüpfung von Wortbildern, die Mallarmé technisch vollendet gelang sowie an dessen Kalligraphie des Gedichts, worin er die Bedeutung der Worte oder der Satzbilder graphisch wiedergab.
Die „Fauves“ (so hatte man die Gruppe um Matisse genannt) glaubten, Bildaufgaben rein koloristisch lösen zu können. Die fast programmatische Wahl der Farbe war unter dem Einfluß der Turner, Delacroix, Jongkind und Monet von den Impressionisten angeregt worden. Van Gogh und Gauguin wirkten dann weiter. Man scheint dem Wandbild ganz nahe zu sein. Die Architekten begannen von neuem sich zu rühren. Doch Räume, die kräftig genug sind, starken Bildflächen durch dreidimensionales Volumen zu begegnen, blieben aus. Die Architekten bauen unter dem Einfluß der Maler noch objets d’art und verfertigen standardisierten Frühkubismus. Ironischer Fakt, daß Matisse und Marquet, um durchzukommen, eine Decke im Grand Palais stukkieren.
Man versuchte etwa eine Synthese, jedoch mit unzureichenden Mitteln; eine umfassende Konzeption, die primäre, seelische und formale Kräfte einschloß, fehlte. Man hatte eher die Sensation vergröbert, das Seelische kunstgewerblich verarmt und gelangte so zu dekorierter Primitivität. Stilersatz als Auspowerung. Eine tatsächliche Durchformung des Hildes mangelte. Man kam zu großen Bildern eher aus einer gelockerten Schlaffheit der Mittel, die gestaltarm in weite Flächen zerschwammen. Eines ahnte man allerdings, und dies bleibt wichtig: nämlich daß das Bild als Einheit konzipiert werden müsse. Was man jedoch nicht begriff: daß diese biIdmäßige Einheit seelisch und formal gegensätzliche und vielschichtige Erlebnisse zwingen müsse. Darum blieb Matisse in seiner Bildordnung Akademiker und im Malerischen raffinierter Dekorateur. Solch Vereinheitlichen blieb eben schwach und sekundär. Ergebnis: eine farbig dekorative und schematische Sensation. Die Abkürzung der Impressionisten schlug in negative Stilisierung um, man ließ weg, um große dekorative Farbflächen zu gewinnen. Trotz aller etwas vegetarischen Einfachheit blieben diese bildet Fragmente; denn sie beglichen das Motiv formal ungenügend, und der Betrachter durchläuft rasch dies allzu bequeme Formspiel. Solche Arbeiten rettet noch vorläufig die subtile Auswahl, der Geschmack, banalste und billigste Ecke des Seelischen, die letzten Endes ins Konziliante und Mondäne verrinnt.
Man erinnert sich, daß die Deutschen eine gleiche Krise durchliefen. Pathetisch und lasch hatte man die pedantisch geschichteten Farbkörper der Impressionisten vergröbert; denn von diesen und van Gogh war man ausgegangen. Jetzt forderten und erzeugten die breit schwimmenden Flächen von selber eine stärkere Kontur. Eine etwas billig leere Harmonie wird erzielt; zu oft wiederholt man den gleichen Akkord. Ähnlich hatten Dichter wie Claudel und Suarès die Rimbaudschen Zeichen pathetisch ausgerollt und versanken in breite Paraphrase und bebilderte Rhetorik, die jedes Baues ermangelt und wohinter eine großmütterliche Problematik dürftig sich verbirgt. Die simple Optik dieser „Fauves“ wie die Deklamationen dieser Prediger sind rasch durchschaut. Das Negative dieser Bilder zeigt die Flucht vor einer vielfältig verwirrenden Zivilisation, die Gauguin bereits vorher mit einer berechnenden Archäologie der kolonialen Halbwelt und zweifelhafter Exotik erschlagen wollte. Damals spottete Renoir: „On peint si bien aux Batignolles.“ All dies war rasches Jugenderlebnis, schmächtige Absicht, temperamentvoll aufgeblasen und rasch abgenutzt. Wollte man nicht bankrottieren, so mußte man zu Cézanne kommen, der den Bildraum strenger gebaut, völliger durchdrungen hatte und der Wahrnehmung umfassendere Kräfte entgegengestellt hatte, damit im Zweidimensionalen eine genügende Formgleichung gewonnen werde; kräftig genug, um die Bewegungsvorstellungen zu übersetzen und die vermischten Vorerfahrungen auszuschalten.
Wichtig bleibt, daß eine Voraussetzung, nämlich die Bildfläche, als Grenze festgelegt war.
Die Krise wurde akut, nachdem ein jeder an seinem großen Bild gescheitert war. Mit raffinierten Plakaten war eben nichts zu erreichen. Das war um 1906 und 1908, als Matisse „Das Glück des Lebens“, Vlaminck und Derain ihre großen Akte malten und Picasso mit einer mächtigen Komposition kämpfte. Damals erkannte man resigniert, daß das Monumentale mehr erfordert als farbige Metapher und Vergrößerung, daß sie aus allgemeinen Lebensbedingungen herauswächst, doch aus nur ästhetischen Bedürfnissen und Absichten nicht geschaffen werden kann. Schon Gauguin hatte versucht, Monumentalität durch koloniales Abenteuer und kunstgewerbliche Exotik zu gewinnen; van Gogh spricht leidenschaftlich und vielleicht intensiver von religiösen Bildern, als daß er sie verwirklicht hätte. Trotz allem Pathos war man rational, dekorierte und blieb in engen Grenzen verhaftet; mitunter mutet diese Teppichwelt recht banal an. Plattfüßiger Wigwam und vegetarisches Freibad. Die Fauves resignierten vor ihren ungenügenden Mitteln. Ihre Flächen und Ornamente waren rasch abgespielt; bald war ihr Bildtyp mechanisiert und verbraucht, da man das Monumentale mit großer Leinwand und grobem Mittel verwechselt hatte. Allerdings, man hatte ein Stück Tradition und ihre Technik weggeräumt, der Weg lag freier; doch war man selber verarmt. Der Konflikt zwischen Malerei und Bildgestaltung war verstärkt, sichtbar und zwingend.
Matisse und die Fauves hatten die mindere Erbschaft angetreten, die der Neoimpressionisten und van Goghs. Man...