3 Therapeutische Konzeption des trockenen Schröpfens
3.1 Trockenes Schröpfen als Segmenttherapie
„Die Natur heilt von innen her mit Hilfe eines äußeren Heilmittels.“
Thomas von Aquin
Eine Behandlung an den Orten der Erkrankung oder an den dem Ort der Erkrankung entsprechenden Reflexzonen, also an jenen Hautbezirken, die über Nervenbahnen mit inneren Organen in Verbindung stehen, nennt man Segmenttherapie.
Die Verbindungen zwischen inneren Organen und Körperoberfläche haben fast alle Völker seit jeher entdeckt und therapeutisch verwertet. Man benutzte sie, um etwa durch Wärme- und Kälteanwendungen oder Massage und auch durch das Schröpfen heilend auf die tiefer gelegenen Organe einzuwirken. Damals wusste man nicht, warum dies alles half. Es hat einfach geholfen. Das Wichtigste war, die Beschwerden zu lindern oder Heilung zu erreichen.
Die Einwirkung auf innere Organe von der Haut aus ist auch jedem von uns wohl bekannt. Nicht selten genügt ein leichtes Massieren an den entsprechenden Hautstellen, um Schmerzen zu lindern oder zu beseitigen. Die ersten Erkenntnisse in dieser Hinsicht stammen von den Chinesen. Sie erkannten, dass man von bestimmten Punkten der Haut aus innere Organe und Krankheitsbeschwerden beeinflussen kann (Akupunktur) oder aufgrund der Lokalisierung der Beschwerden Krankheiten bestimmter Organe vermuten kann.
3.1.1 Head’sche Zonen – Reflexwege von der Haut zum Organ
In neuerer Zeit beobachtete dies auch der englische Neurologe Henry Head (1861–1940) und entdeckte, dass es Reflexwege zwischen der Körperoberfläche (Haut) und den inneren Organen gibt. Er stellte z.B. fest, dass bei Gallenblasenkranken besondere Schmerzempfindlichkeiten vorwiegend am Rippenbogen und an bestimmten Rückenpartien vorkommen. Nierenkranke empfinden Haut- und Muskelschmerzen in der Tiefe des Rückens der befallenen Seite oder vorn in der Blasengegend. Henry Head fand heraus, dass die schmerzenden und schmerzüberempfindlichen Hautstellen fast immer an der Körperseite zu finden sind, an der auch das erkrankte Organ liegt. Außerdem beobachtete er, dass es auch bei anderen Erkrankungen innerer Organe auf den entsprechenden Teilen der Körperoberfläche zu einer Erhöhung der Hautwärme oder einer Schmerzempfindung, aber auch zu Durchblutungsstörungen kommt (oft weit entfernt vom betroffenen Organ), die auf nervale Wechselwirkungen zwischen den inneren Organen und der dazugehörenden Körperoberfläche deuten.
Durch seine Forschung erbrachte Head die Bestätigung und damit die wissenschaftliche Basis für die uralte Erfahrung der Volksheilkunst, dass man die Reflexverbindungen von der Körperoberfläche zum erkrankten Organ nutzen kann, um heilend auf innere Organe einzuwirken.
Dies haben auch andere Forscher bestätigt, wie Mackenzie (Hartspann), Vogler, Krauss (osteoviszerale Reflexwege), Preusser, Kötschau (Gelosen), Hansen und von Staa (Muskelreflexe), Pischinger, Kellner, Heine, Bergsam (Abläufe im vegetativen Nervensystem) u.a.
Mit den Untersuchungen Heads und anderer namhafter Wissenschaftler war u.a. nun endlich die Wirkungsweise der Schröpfkopfsegmenttherapie und der Schröpfkopfdiagnose erklärt und bewiesen. Bei der Segmenttherapie spielt die Haut die führende Rolle. Sie hat bestimmte Beziehungen zu den Zentren des Nervensystems.
Die Hautoberfläche ist gewissermaßen in Segmente unterteilt, entsprechend der Ein- und Austrittshöhen der einzelnen Spinalwurzeln des Rückenmarks.
Da sich die spinalen Fasern beim Austritt aus dem Rückenmark paarig links und rechts zwischen zwei Wirbelkörpern zu Spinalnerven (Rückenmarksnerven) zusammenschließen und streifenförmige Areale der Haut versorgen, entsteht eine Segmentierung, die man als Segmente bzw. Dermatome bezeichnet. Die Dermatome sind von großer Bedeutung auch für die Höhendiagnostik von Rückenmarksschäden.
Entsprechend den Nervenaustrittsstellen aus der Wirbelsäule werden diese Segmente eingeteilt in:
C = Halswirbel-Bereich
Th = Brustwirbel-Bereich
L = Lendenwirbel-Bereich
S = Kreuzbein-Bereich
Jedes Hautsegment hat zugleich auch nervliche Verbindungen mit bestimmten inneren Organen im Brust-, Bauch- und Beckenraum.
Für die Verbindungen sind die biologischen Funktionskreise (Erregungskreise) des Nervensystems zuständig. Die Kreise bauen eine Brücke zwischen Haut, zentralen Organen des Nervensystems und inneren Organen. Diese Verbindungen kennen wir heute als die sog. „kutiviszeralen/viszerokutanen“ Reflexbahnen ( ▶ Abb. 3.1).
Abb. 3.1 Vereinfachte Darstellung der kutiviszeralen Reflexwege.
(Faller A, Schünke M. Der Körper des Menschen. 15. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008, Abb. 14.2, S. 693)
Das kranke Organ sendet über die vegetativen Nerven Reize zu den entsprechenden Hautbezirken, die mit Verspannungen, Druckschmerzpunkten, Quellung, Bindegewebsschwund oder Dauerschmerzen reagieren können. Diese schmerzenden, überempfindlichen oder veränderten Hautareale werden als „Head’sche Zonen“ bezeichnet.
Jedes Organ ist in einer Zone repräsentiert ( ▶ Tab. 3.1 ).
Tab. 3.1 Zonenübersicht der Organe.
Herz C3–Th4 | vorwiegend links |
Speiseröhre Th4–Th6 | links bzw. rechts |
Lungen/Bronchien C3–Th9 | links bzw. rechts |
Magen Th8–Th9 | vorwiegend links |
Dünndarm C3–Th10 | rechts bzw. links |
Dickdarm C3–Th11 | rechts bzw. links |
Leber/Gallenblase Th8–Th11 | rechts |
Bauchspeicheldrüse Th7–Th10 | links |
Nieren/Harnleiter Th8–S4 | links bzw. rechts |
Harnblase beiderseitig Th10–S4 | links bzw. rechts |
Gebärmutter/Ovarien und Hoden Th10–L3 | links bzw. rechts |
Die Head’schen Zonen sind für die Segmenttherapie und Diagnostik von praktischer Bedeutung ( ▶ Abb. 3.2).
Abb. 3.2 Orientierende Darstellung der Segmente.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012, Abb. B, S. 452)
Segmentreaktionen treten fast immer an der Körperseite auf, an der auch das entsprechende kranke Organ liegt. Segmente allerdings können sich überlappen oder die Krankheitssymptome können, bei...