1. Vertrauen
Das Fundament unserer Beziehungen
Die Grundvoraussetzung dafür, dass sich jemand einem anderen Menschen öffnet, ist gegenseitiges Vertrauen. Dies gilt für berufliche wie private Situationen. Ein Gespräch, das zu einem guten Ergebnis führen soll, basiert auf der Erfahrung oder dem Gefühl der Gesprächsteilnehmer, dass das Gegenüber vertrauenswürdig ist. Was ist der Stoff, aus dem Vertrauen entsteht?
Vertrauen lässt sich nicht einfordern, es wird einem geschenkt. Ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht, entscheidet das Gegenüber aus den gemachten Erfahrungen und seinem Instinkt. Der Verstand entscheidet maßgeblich mit und überprüft, wie hoch die Vertrauenswürdigkeit einer Person einzuschätzen ist. Dabei spielt eine Rolle, wie sich jemand in der Vergangenheit etwa geschäftlich verhalten hat, wie seine Kontakte und Geschäftsbeziehungen sich entwickelt haben. Vertrauensvolle Beziehungen können über Jahre wachsen. Wer das Glück hat, zu einem alten Schulfreund aus Kindertagen Kontakt zu haben, weiß, wie wertvoll und belastbar so eine Beziehung ist. Man kennt sich ein Leben lang, ist verbunden, und hat oft einige Härtetests überstanden.
Eine Gruppe von Freundinnen, die in einer Stadt studiert hat, verbindet bereits eine 20-jährige Freundschaft. Die Frauen wohnen inzwischen in verschiedenen Städten, einige haben geheiratet und Familien gegründet, andere leben alleine. Die Wege der Freundinnen könnten nicht unterschiedlicher verlaufen, dennoch verbindet sie jahrelanges Vertrauen. Es schafft Wohlwollen für die jeweilige Lebenssituation und lässt auch über so manche Macke hinwegsehen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten finden sie immer wieder zu einer Basis zurück, die unerschütterlich ihre Freundschaft zusammenhält.
Wenn die Chemie stimmt
Manchmal entsteht Vertrauen auch aus dem Moment heraus. Viele kennen die Situation, dass wir auch mit einer fremden Person ins Gespräch kommen und über persönliche Themen sprechen, wenn die Chemie stimmt. In so einem Augenblick kann der Blitz zwischen zwei Menschen einschlagen. Diese Momente sind kostbar und rar.
Gute Bindungen entstehen im Kindesalter
Vertrauen gedeiht nicht im luftleeren Raum. Vielmehr gibt es Menschen, die eher die Gabe haben zu vertrauen, als andere. Florian Holsboer, der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und Vorsitzender der Geschäftsführung der Holsboer-Maschmeyer Neurochemie, hat herausgearbeitet, dass die Fähigkeit zu vertrauen, maßgeblich von der genetischen Prägung und von biografischen Erlebnissen abhinge, also davon, ob wir in den ersten Lebensjahren gute, sichere Bindungen aufbauen konnten. Daraus lässt sich ableiten, dass jemand, der früh gute Bindungserfahrungen gemacht hat, ein Leben lang besser vertrauen kann als jemand, dem dies fehlt.
Prägung für gute Bindungen
Dieser Prozess ist jedoch keine Einbahnstraße, wie Bindungsforscher herausgefunden haben. Ob ein Mensch überhaupt dazu fähig ist, Liebe und Mitgefühl zu empfinden, entscheidet sich zum großen Teil früh im Leben, davon ist etwa der Hirnforscher Gerhard Roth überzeugt. Der Neurobiologe von der Universität Bremen hat jahrelang erforscht, wie menschliche Bindungen entstehen, wie sich Persönlichkeitsmerkmale wie etwa Vertrauen ausprägen und sich in Kindheit, Jugend und der weiteren Biografie verfestigen.
Bereits im Mutterleib, in den ersten Monaten bis etwa zum dritten Lebensjahr wird im Gehirn des Säuglings ein vorläufiges Bindungsmuster programmiert. Durch die Nähe und den feinfühligen Umgang, zum Beispiel durch eine rasche Befriedigung der Bedürfnisse des Säuglings durch die Bezugsperson, entsteht die Urbindung: das Urvertrauen. Auf neurobiologischer Ebene wird dabei auch die Ausbildung von Oxytocin-Rezeptoren gesteuert, den Andockstellen für das Kuschelhormon. Ist das Grundvertrauen einmal da, kann das Kind auch mit kleinen Enttäuschungen umgehen. Zum Beispiel, dass die Mutter nicht jede Sekunde verfügbar sein kann. Die frühen Bindungserfahrungen spiegeln sich neurobiologisch in den Oxytocin-Schaltkreisen wider. Wer viel Vertrauen erfährt, bildet mehr Oxytocin-Rezeptoren, als derjenige, der wenig vertrauensvolle Zuwendung und Berechenbarkeit erfährt.
Resilienz entsteht
Dieses früh erlangte Urvertrauen verleiht der kindlichen Persönlichkeit eine Widerstandskraft (Resilienz), die ihm in der Regel zeit seines Lebens erhalten bleibt. Bindungsverhalten ändert sich je nach Erfahrung im Verlauf der Kindheit und Jugend. Obwohl mit der Elternbindung schon die Weichen gestellt sind, ist im weiteren Verlauf der Kindheit noch Raum für Gestaltungsspielraum: Gute Bezugspersonen in Kindergarten, beim Sport, im Chor, der Nachbarschaft oder in der Schule können das Vertrauen in die Welt beim Kind fördern, auch wenn das Elternhaus nicht optimal auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Traumatische Erlebnisse wie Todesfälle, Enttäuschungen oder gebrochene Herzen bergen aber auch ein Risiko. Das Bindungsverhalten kann durch solche negativen biografischen Brüche nachhaltig gestört werden, sind sich Psychologen einig.
Genetische Prägung eines Traumas
Dabei spielt bei der Verarbeitung von solchen Stresssituationen auch die genetische Ausstattung eine Rolle. Ein frühkindliches Trauma beispielsweise kann dauerhafte Spuren in den Genen hinterlassen. Aber nur, wenn die Betroffenen eine bestimmte genetische Veranlagung dafür haben. Ob jemand also eine Anfälligkeit für Stress hat, bestimmen maßgebliche seine genetischen Anlagen. Erst durch das Zusammenwirken von Genen und Umwelt werden bestimmte Schalter in unserer Erbsubstanz umgelegt. Ein Stress-Gen, das der Psychiater Florian Holsboer in diesem Zusammenhang untersucht hat, ist das FKBP5-Gen. Veränderungen auf diesem Abschnitt des Erbguts können die Wirkung solcher Traumata negativ beeinflussen. Die Konsequenz ist eine Fehlsteuerung der Stresshormone – möglicherweise ein Leben lang. Die Traumatisierung in früher Kindheit kann zum Beispiel durch Missbrauch, Isolierung, Misshandlung, einen Unfall oder psychische Gewalt passieren. Durch das Trauma entstehen psychische Narben, aber eben nur, wenn man diese bestimmte genetische Variante hat, die einen dafür anfällig macht.
Als Resultat gerät das Stresshormonsystem durcheinander, es reagiert über. Das Trauma bewirkt, dass sich kleine Moleküle auf der Erbsubstanz festsetzen. Sie verändern die Aktivierbarkeit von Genen und dramatischerweise auch die Art, wie wir auf Stress reagieren. Statt gelassen, reagieren wir auf psychischen Stress, Druck oder bedrohliche Situationen besonders stark, etwa mit Wutausbrüchen oder Aggressionen. Dies verändert das Verhalten der Betroffenen in Beruf und Familie. Früher Stress kann Auswirkungen auf all unsere Gespräche haben, und dazu führen, dass wir später unter Anspannung die Fassung verlieren und nur noch rotsehen. Solch ein Wutausbruch am Arbeitsplatz kann äußerst karriereschädigend sein. Wer sich nicht im Griff hat, hat in den Augen der Kollegen auch die geschäftliche Situation nicht gut unter Kontrolle.
Die Wutprobe
Dies lässt sich gut an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Manager in einer hohen Position galt als strategisches Führungsgenie. Eine Firma berief ihn in den Vorstand eines international agierenden Unternehmens. Von Anfang an war der Finanzvorstand für ihn ein rotes Tuch. Bereits sein Anblick löste bei dem Manager Aggressionen aus, die er nicht einzuordnen vermochte. Wie kein anderer konnte der Finanzvorstand bei ihm Knöpfe drücken, die ihn an den Rand der Selbstkontrolle brachten – und darüber hinaus. Immer wieder gerieten die beiden Streithähne aneinander. Der Manager, der schon viele schwierige Entscheidungen getroffen hatte und dessen Weg stets nach oben zeigte, geriet unter Stress wie nie zuvor. Erst mit Hilfe eines Freundes konnte er ergründen, warum ihn der Mann so auf die Palme brachte. Der Gegenspieler versuchte ständig, ihn bloßzustellen und vor den anderen zu erniedrigen. Darauf reagierte er mit unkontrollierbarer Wut. Als ihm dies klar wurde, war er für die nächsten Sitzungen gewappnet. Er übte Selbstkontrolle und versuchte, seine überkochenden Emotionen zu regulieren. Um kurz- und mittelfristig Aggressionen abzubauen, ging er einmal pro Woche zum Boxtraining und regelmäßig Laufen. Das Ausdauertraining beruhigte seine Nerven, er wurde ausgeglichener.
Stress, Bindung und Empathie
Frühe Traumata, wissen Mediziner heute, erschweren eine sichere Bindung, sie können verhindern, dass sich das Gefühl von Urvertrauen im Kind wie ein warmer, wohliger Teppich ausbreitet, auf dem man stets weich landet. Forscher haben herausgefunden, dass eine sichere Bindung dabei hilft, Empathie aufzubauen, über Emotionen zu sprechen und etwa negative emotionale Situationen in dem Leben anderer Menschen zu verstehen.
Studien haben ergeben, dass eine einzige sichere Bindungsperson ausreicht, um es einem Menschen zu ermöglichen, ein sicheres Bindungssystem aufzubauen und später flexibel auf verschiedene soziale und emotionale Herausforderungen zu reagieren. Diese Bindungsperson schafft über einen Kreislauf an Hormonen, das Gehirn auf kommende Herausforderungen wie Stress gut vorzubereiten. Wer allerdings permanent in seiner frühen Kindheit Stress ausgesetzt ist, wie beispielsweise viele der Flüchtlingskinder, die zu uns gekommen sind, wird in Zukunft auch intensiver auf Stress von außen reagieren.
Die Neurobiologie des Vertrauens
Eine gute Beziehung, enge Bindungen und hormonelle Wirkzusammenhänge, die unser Denken und Fühlen beeinflussen, spielen bei der Bildung...