Vorwort der Erstausgabe von 1873
In kurzen Zügen eine Fortsetzung der von Professor Klein in seiner Geschichte der ersten französischen Occupation gegebenen Darstellung des Parteiwesens in Mainz bis zum Beginne der zweiten Occupation zu liefern, ist der Zweck dieser Zeilen. Bei deren Durchlesen wird sich der Leser überzeugen, daß die Bearbeitung dieses Abschnittes der Mainzer Geschichte wegen Mangels hinreichenden Materials an sich mißlich ist.
Erschwert wird hier die Aufgabe durch den Umstand, daß die Thatsachen großentheils aus Parteischriften zu schöpfen sind, wobei selbstverständlich auf den jeweiligen Standpunkt der Quellen zu achten ist. Hier ohne Parteilichkeit zu verfahren, war das Bestreben des Verfassers.
Mainz, den 6. Mai 1873.
Dr. Bockenheimer
Der jetzt folgende Originaltext von Bockenheimer wurde nur minimal der heutigen Rechtschreibung angepaßt.
Fünf volle Monate spielte bereits in Mainz das tollste Schauspiel, das bis dahin das deutsche Reich gesehen, aufgeführt von einem französischen General, der mit seiner Armee gekommen war, lediglich in der Absicht, einer fremden Bevölkerung den hohen Genuß der Freiheit und Gleichheit zu verschaffen* und der, weil das Volk in seiner überwiegenden Mehrzahl für dieses neue Glück kein Verständniß zeigte, einstweilen das undankbare Publikum in unerhörter Weise züchtigte unter Mitwirkung einer kleinen, aus den verschiedensten Elementen zusammengewürfelten Gesellschaft, deren Gliedern je nach Anlage und Befähigung die Rollen von Helden, Intriguanten, sentimentalen Liebhabern und handfesten Statisten zufielen.
Die Scenen, bekannt unter dem Namen der Mainzer Revolution des Jahres 1792, sind in der eingehendsten Weise von gleichzeitigen und neueren Schriftstellern beleuchtet worden; sie boten, bei allem Ernste des Hintergrundes, im Anfange gar manchen Stoff zum Lachen, nahmen dann aber einen bedenklicheren Character an und wurden, gegen das Ende, der Schrecken der Bevölkerung, die bei der Gefährdung des Eigenthums und des Lebens ihre einzige Hoffnung in einen entscheidenden Schritt der gegen Frankreich verbündeten Mächte setzte. Diese konnten in der That, wenn sie ihr Unternehmen zu einem gedeihlichen Ende führen wollten, den Dingen in Mainz nicht mehr ruhig zusehen. Denn um die Franzosen in die alten Grenzen ihres Landes zurückzutreiben, mußte zuerst Mainz, als der naturgemäße Ausgangspunkt aller künftigen Operationen befreit werden, was nicht mehr so leicht thunlich war, das bisher Versäumte nachzuholen, nämlich Mainz zu decken; sodann war die rasche Eroberung von Mainz geeignet, dem Umsichgreifen der daselbst gepredigten und zur Anwendung gebrachten revolutionären Ideen, denen der Kampf gleichzeitig galt, vorzubeugen. Der Ausführung der nach dieser Richtung getroffenen Vereinbarungen der Alliirten kam ein glücklicher Zufall zu statten; erst nach dem Entsatze von Mastricht sollte, nach dem Kriegsplane, Mainz belagert werden; nun erfolgte aber in wenigen Wochen die Eroberung der ganzen Niederlande, so daß gegen Ende des Monates März 1793 die ersten Truppen am Rhein sich zeigten.
Je näher diese rückten, um so mehr sank der Muth der Mainzer Clubisten, wenn auch die Führer noch mit Worten großthaten und sich zuletzt noch zu dem schändlichsten Akte der in ihrem Bestande bereits schwer erschütterten Fremdherrschaft, zu den Exportationen* der treugebliebenen Bürger, ihre Beihülfe leisteten. In der Wirklichkeit wandelte sie Angst vor den kommenden Ereignissen an. So war es nur die Besorgniß um die eigene Person, wenn die Machthaber in Mainz am 29. März plötzlich sechzehn angesehene Bürger in ihren Wohnungen festnehmen und sofort über Landau nach Straßburg schleppen ließen, offenbar um so der Republik für den schlimmsten Fall eine Handhabe zu bieten, demnächst zu Gunsten ihrer Anhänger zu interveniren. Noch deutlicher sprach die Desertion gerade der Persönlichkeiten, wogegen selbst ein Beschluß des Nationalconventes vom 30. März nichts half, inhaltlich dessen alle Convents-Mitglieder, die sich durch eine schimpfliche Flucht beflecken würden, auf zehn Jahre aller öffentlichen Aemter verlustig erklärt wurden. Am nämlichen Tage, mit dem zugleich die völlige Einschließung der Stadt begann, gaben die <Anfang Januar aus Paris angekommenen> Convents-Commissäre <den Abgeordneten der Mainzer „Republik“> das Signal zur Flucht. Um dem Pariser Convente eine Kraft zu erhalten, die damals ihres Gleichen im Felde wie auf der Tribüne suchte, machte sich zunächst der französische Conventsdeputirte Merlin auf den Weg; seinen Begleiter, den bisherigen Präsidenten der Administration, Professor Dorsch schützte er vor dem Mainzer Nationalconvente durch die Mittheilung, daß er desselben demnächst als Dolmetscher bedürfe. Begreiflicherweise verspürten die übrigen Helden keine Lust zurückzubleiben und die Verantwortung für Vergangenes wie Zukünftiges zu übernehmen. Bei der Zählung der Conventsdeputirten in der Sitzung vom 30. März fehlten 24 Personen, wobei das Protokoll als "ohne Urlaub der Versammlung abwesend" bezeichnet die Bürger Blau, Berg, Bleßmann, Dorsch, Dier, Gimpel, Scheuer, Wedekind, Weinert, während als "fortgelaufen" die Deputirten Müller und Petri verzeichnet stehen. In der kurzen Sitzung vom folgenden Tage rügt man noch die Abwesenheit des Bürgers Stumme. Von den hervorragendsten Mitgliedern des Conventes fehlen noch mit Urlaub Forster, Lux und Potocki, die gerade vor dem Anzug der Deutschen, am 25. März, nach Paris entsendet worden waren, um dort die Einverleibung des rheinisch deutschen Volkes in die fränkische Republik zu betreiben. Die Hoffnung der Flüchtigen vom 30. März über Oppenheim nach Worms zu entkommen, schlug fehl, indem die deutschen Truppen im Anmarsch von Worms ihnen den Weg verlegten; Merlin mußte nach Mainz zurück und entkam glücklich dahin, während die Anderen, mit Ausnahme von Dorsch, in die Hände des Militärs fielen, das sie mit den inzwischen in Worms aufgegriffenen Clubisten – darunter Maire Winckelmann und Klausius – nach Frankfurt a. M. transportirte. Auch zwei französisch gesinnte Geistliche wurden dem Militär übergeben, nämlich der in Bodenheim von einem Pfarrkinde trotz angelegter Verkleidung ertappte "beeidigte Nationalpfarrer" Arand von Nackenheim und der Kaplan Arensberger von Kastel. Ihr Bestimmungsort war die kurz vorher von den Preußen eroberte Festung Königstein. So groß nun auch der Kummer der Clubisten gewesen sein mag, als sie aus ihrem Souveränitätstraume durch die Diener der von ihnen stets und zwar noch in den letzten Tagen in gemeinster Weise verhöhnten Fürsten herausgerüttelt wurden, so trat er zurück vor dem härteren Schicksale, das ihnen der Aufenthalt in Frankfurt und der Weg nach Königstein bereitete. Zu ihrem Schrecken lagerten nämlich zur selben Zeit in den Straßen Frankfurts als Opfer der Clubisten, dem Hunger und dem Elende preisgegeben eine Anzahl exportirter Mainzer, die, als sie die Haupturheber ihrer Noth erblickten, in Verbindung mit ihren Frankfurter Wohltätern unter Beschimpfungen und Mißhandlungen über die Gefangenen herfielen. Unbeschreiblich war die Wuth der Mainzer; denn noch war es unerhört, daß ein friedlicher Bürger, dem bis jetzt nichts fremder gelegen als die Politik, wegen Nichtbeitritts zu einer Partei ohne Weiteres von Haus und Hof vertrieben werden könne. Darum legte sich auch nicht die Wuth, als die Gefangenen (am 8. April) Frankfurt verließen, vielmehr wurden die Anfeindungen noch auf dem Wege nach Königstein fortgesetzt. Namentlich war das Mitglied der Mainzer Administration, Blau – wie Dorsch, früher Professor der Theologie und Geistlicher – Gegenstand der heftigsten Verfolgungen; obwohl schwach und durch die Leiden der letzten Tage körperlich heruntergekommen, mußte er den größten Theil des Weges zu Fuß zurücklegen, bis auf Verwenden eines Mitgefangenen, des späteren Lehrers an der Mainzer Centralschule Prof. Köhler, der schwer Betroffene für den Rest des Weges auf einem Wagen Platz nehmen durfte. Später, als die Franzosen wieder in Mainz waren und bereitwillige Federn für die Verunglimpfung der kurfürstlichen Regierung und der preußischen Armee fanden, war es ein Lieblingsthema, Blau als Opfer der Reaction dazustellen und zu behaupten, die Mißhandlungen vom 8. April 1793 seien Ursache des am 23. Dezember 1798 erfolgten Todes desselben gewesen.
Denselben Weg wie die schon genannten Clubisten mußten bis zur Einnahme der Stadt alle diejenigen Anhänger der Franzosen machen, welche vor den Thoren aufgegriffen wurden.
War es doch durch ausdrücklichen Befehl des Königs von Preußen dem Belagerungscorps zur Pflicht gemacht worden, mit aller Aufmerksamkeit zu wachen, daß Niemand aus der Stadt herausschleichen könne, damit die Ruhestörer der verdienten...